Kränkungen der Menschheit

Sigmund Freud behauptete, dass die Wissenschaften geeignet sind, den Menschen narzistische Kränkungen zuzufügen.

In seiner Arbeit „Eine Schwierigkeit der Psychoanalyse“ aus dem Jahre 1917 stellt Freud die Widerstände dar, die der von ihm entwickelten Psychoanalyse seiner Auffassung nach entgegenstehen, bevor sie allgemein anerkannt werde. Wie jede wissenschaftliche Neuerung müsse sie sich gegen das etablierte Denken durchsetzen. Aber der „größere Anteil rührt davon her, daß durch den Inhalt der Lehre starke Gefühle der Menschheit verletzt worden sind.

Hmmm … allerdings kann man auch vermuten, dass Freud begründete Kritik als emotional bedingt zu denunzieren versucht. Es ist darum genauer zu prüfen, wie stichhaltig seine Argumente sind, mit der er seine These begründet. Denn es erscheint zwar einsichtig, dass es emotionale Gründe zu einer Ablehnung einer missliebigen Theorie geben kann, aber daraus folgt nicht, dass jede Ablehnung einer These auch emotionale Gründe haben muss. Im Besonderen wurde die These Freuds als ein generelles Deutungsschema vielfältig und unkritisch zitiert, unter Anderem bei Richard Dawkins in ‚Der Gotteswahn‘. „Kränkungen der Menschheit“ weiterlesen

Grundfragen oder Grundausrichtung?

Die Grundfragen des Lebens, wie sie auch Kant formulierte, empfindet Mancher als den Kern der Philosophie schlechthin:

1. Was kann ich wissen?
2. Was soll ich tun?
3. Was darf ich hoffen?
4. Was ist der Mensch?

Anderen erscheint es fruchtlos, per Frontalangriff ein hoffnungsloses Unternehmen zu starten, als ob es poetisch sei, Windmühlenflügel zu attackieren. Ein anderer Ansatz wäre die Frage der Grundausrichtung des eigenen Lebens. Ich habe sieben Motive als Grundformen der Lebensentwürfe betrachtet. „Grundfragen oder Grundausrichtung?“ weiterlesen

Relativismus und Wahrheitsanspruch

In der postmodernen Gesellschaft ist der Pluralismus – also die Akzeptanz einer unbegrenzten Vielfalt von Ansichten – konstitutiv. Einige sehen damit einen impliziten Relativismus verknüpft. Also die notwendige Ansicht, dass keine Position eine absolute Wahrheit beanspruchen könne. Gemeinhin wird das nicht durchgehalten und eher als Waffe verwendet, unliebsame Ansichten zu diskreditieren und dessen Wahrheitsanspruch  pauschal zurückzuweisen. Wenngleich sich das als Diskussionskiller oftmals als äußerst erfolgreich erweist, so ist diese Strategie in dieser Form zersetzend und inkonsistent. Hier aber will ich nicht nur diese Strategie als amoralisch und geistlos denunzieren, sondern ernsthaft prüfen, was es mit jedwedem Relativismus auf sich hat und dabei mit einem Zitat aus Rolf Peter Sieferles posthum veröffentlichtem Kurzwerk Finis Germania beginnen:

Allerdings sprengt die moderne Erfahrung des Relativismus und der Perspektivität sämtliche normativen Eindeutigkeiten in die Luft- doch nicht, ohne daß sie durch die Hintertür des Alltags immer wieder zurückkehren würden.

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Islamophobie und Islamkritik

Ein Neologismus hat virale Verbreitung gefunden. Der Begriff Islamophobie  ist klar negativ konnotiert.  Offensichtlich meint er dass der Islam als weltanschauliche Lehre und seine realen Erscheinungsformen bedrohlich und angsterzeugend sei. In Wirklichkeit sei dies aber sachlich unbegründet, denn eine generelle Bedrohungslage existiere nicht. Eine Phobie ist, z.B. eine Klaustrophobie, eine panische Angst vor geschlossenen Räumen, von denen ja auch keine reale Gefahr ausgeht.

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Christentum unethisch?

Philipp Möller, bei Sandra Maischberger (ab 4:50): ‚Ich persönlich halte das Christentum vor allen für eine unethische Lehre, weil sie die Selbstbestimmung verhindert, und damit auch persönliches Glück verhindert.‘ Es erscheint vor dem inneren Auge ein verknöchertes und moralinsaures Männchen, das anderen Menschen und sich selbst das Leben schwer macht und in ein rigides Joch zwängen will. Eine zulässige Meinungsäußerung, gar eine treffende Analyse, oder doch ein absurdes Zerrbild?

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Leitkultur: Gleichheit oder Gleichberechtigung

Weiter in meiner Reihe zum Grundgesetz: Der Artikel 3 behandelt die Gleichberechtigung.


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
Damit sind jedoch nicht Menschen unterschiedlicher Bürgerschaft gleichgestellt – Ausländer haben kein Wahlrecht. Auch gelten für Kinder andere Rechte als für Erwachsene. Darum geht es hier nicht, sondern um die grundsätzliche Gleichheit der Menschen. Aber ab wann ist jemand Mensch? Der lebend geborene Säugling sicherlich – aber was ist mit dem ungeborenen Menschen? Gelten jenem auch die Rechte? Was ist mit Dementen oder Komatösen? Hier besteht offensichtlich Auslegungsbedarf. Oder gilt das empfindende Tier – z.B. Schimpanse – auch als Mensch? Wenn nein, warum nicht? Oder von möglichen Cyber-Persönlichkeiten, die vielleicht ein menschenähnliches Bewusstsein tragen könnten? Es bedarf der Kriterien des Menschseins, um gerade auch in Grenzfragen belastbare Urteile zu sprechen.

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Leitkultur: Freiheit

In meiner Reihe über die Identifikation mit dem Grundgesetz und seiner Bedeutung nun der Artikel 2 des GG

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Freiheit galt in manchen Phasen der Geschichte als ein so wichtiges Gut, dass es sich lohnte, dafür zu töten und zu sterben. Aktuell wird der Freiheit im öffentlichen Diskurs ein weit geringeren Wert zugeschrieben. Ist die Freiheit nun ein Gespenst, die als Legitimation für Unrecht her hält? Oder ist es eine Selbstverständlichkeit, die eher eine Randbedingung ist? Oder doch als eines der höchsten Güter, die es zu kultivieren gilt?

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Grundgesetz und Leitkultur: Würde

In meiner Reihen über die Identifikation mit dem Grundgesetz und Leitkultur und seiner Bedeutung nun der Artikel 1 des GG

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Ein großes Wort, das unbedingten Eindruck macht und wohl schnell Zustimmung bewirkt. Aber was bedeutet es?

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Grundgesetz – Präambel: Gott und Volk

In der aktuellen Diskussion wird oft vorgetragen, wir bräuchten keine Diskussion um eine Leitkultur, denn wir haben das Grundgesetz, das alles hinreichend definiert. Dies kann selbstverständlich so nicht sein, denn es geht im Grundgesetz im Wesentlichen um den gesellschaftlichen Rahmen, der jedoch mit Inhalt und Deutung gefüllt werden muss. Allzu oft wird das Grundgesetz als leere Chiffre in die Diskussion geworfen, gerade, um sich auch jenem nicht zu stellen.

Hier will ich es anders machen. In einer kleinen Reihe will ich mich mit Grundgesetz und deren Bedeutung für Selbstverständnis und Gesellschaft detailliert auseinander setzen. Nicht, dass es vielleicht klügere Kommentare dazu gäbe, aber es ist wichtig, dass man sich selbst mit den Themen beschäftigt. Es genügt nicht, dass es irgendwo steht. Für den Anfang habe ich mir die Präambel des GG vorgenommen. Immerhin geht es darin um Problembegriffe wie Gott und Volk.

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Das Unbehagen mit Volk und Leitkultur

Wenn immer nunmehr das Wort ‚Volk‘ verwendet wird, so löst es einen negativen Reflex aus. Auch die Bundeskanzlerin ersetzte es in ihrem Sprachgebrauch zunächst durch ‚Bevölkerung‘, dann durch die ‚Menschen, die schon länger hier leben‘. Was ist nun das Stigma, das dem Wort anhaftet?

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