Politische Philosophie – Der Einzelne und der Staat

In meine Untersuchung zu den Hintergründen der Neuen Rechten, Identitäre Bewegung und Ethnopluralismus bin ich auf die Grundfrage gestoßen, inwieweit die Persönlichkeitsrechte, die im Grundgesetz bereits in Artikel 1 festgeschrieben wurden, in Bezug zum Staat stehen. Grundlage ist hierbei die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR), die fast vollständig von allen Staaten der Erde ratifizierten und auch Bezug für das Grundgesetz liefert.

Ich bekenne mich glühend zu unserer Verfassung, weil auch mir der Schutz der Persönlichkeitsrechte gegenüber Staat sehr wichtig sind. Zugleich aber ist der Schutz vor übelwollenden Dritten eine Kernaufgabe eben jenes Staats und auch dritte, nichtstaatliche Instanzen können diese Rechte einschränken. Dadurch entstehen unvermeidliche Zielkonflikte, die sich nie vollständig konsistent auflösen lassen. Auch ist die Frage berechtigt, inwieweit eine Gesetzesauslegung dem Geist des Gesetzes eine gegensätzliche Bedeutung geben kann. Gerade die Entwicklung jüngster Zeit geben dem Verdacht Nahrung, dass im Zweifel jede Bestimmung so zurecht gebogen werden kann, wie es denn die Willkür sich wünscht.

Ich verstehe es darum als dem Geiste des GG gemäß, eine Abwägung der Rechte des Einzelnen, dem der Anderen und damit auch des Kollektivs in der Gestalt vorzunehmen, dass die Persönlichkeitsrechte von Freund und Feind soweit als möglich zu betrieben, ohne damit jene durch Konsequenzen aus der Handlungsfreiheit die Rechte Dritter zu verletzen. Dies schließt auch den Schutz jener Ordnung ein, die eben als Garant jener Rechte gilt. Der Verfassungsschutz kann und muss darum die Freiheiten des Einzelnen einschränken, sofern diese die Ordnung substanziell gefährden. Dieser Gedanke bleibt aber gefährlich, denn potentiell könnte man jede staatliche Willkür damit rechtfertigen. Das Gegenteil aber bleibt ebenso abschreckend: Ein starrer Legalismus, der sich mehr am Buchstaben und weniger am Geist orientiert, führt aber entweder zum Zusammenbruch jener Ordnung oder höhlt diese so aus, dass von dem Anliegen nichts mehr übrig bleibt. Wenn hier aber von Ordnung die Rede ist, dann ist diese an praktischer Durchführung verknüpft und begrenzt sich keineswegs auf das Rechtssystem, sondern hat die langfristige Funktionsfähigkeit des Staates einschließlich der Volkswirtschaft im Blick.

Das Austarieren von gegensätzlichen Einstellungen und Interessen kann man allerdings nicht final in einen Gesetzestext gießen, sondern erfordert die Verantwortung der Träger seiner Organe. Auch das Grundgesetz, dass gerade aus dem Schrecken der NS-Herrschaft geboren wurde, kann nicht die Gefahren und Entwicklungen vorwegnehmen, die sich in den Jahrzehnten nach seiner Verabschiedung ergeben haben.

Wenn der Staat nun der Schutzaufgaben nicht nachkommt und Organe wie den Verfassungsschutz dafür einsetzt, missliebige Meinungen unterdrückt, auch wenn diese dem Geiste nach vollständig im Rahmen eben jener Rechte bleiben, so stellt sich die Frage nach dem Wert jener Gesetze. Eine kritische Betrachtung eben jener Artikel ist darum keineswegs ausgeschlossen, sondern von der Idee beseelt, dem Geist des Grundgesetzes zu folgen und ihm seine intendierte Bedeutung zu geben.

Im Besonderen kann der Einzelne, oder auch eine Gruppe, als Feind angesehen werden. Dieser Begriff bedarf der näheren Betrachtung. Immerhin fordert Jesus die Feindesliebe und bestätigt damit, dass es Feinde auch tatsächlich gibt und so zurecht bezeichnet werden können.

Exkurs Carl Schmitt

Die Übernahme der politischen Philosophie Carl Schmitts begründet aber Zweifel daran, ob die Menschenwürde jenseits ethnischer Grenzen von ihnen so gewahrt wird, wie es dem Grundgesetz entspräche.[7]

Dies unterstellt nicht nur die Rezeption und eine Beziehung zu Carl Schmitt, sondern vor allem dessen unkritische Verehrung und Adaption jener, die sich ausdrücklich auf das Grundgesetz beziehen. Als Beleg wurde auf diesen Aufsatz von Wolfgang Gessenharter verwiesen, der leider nicht mehr auf bpb verfügbar ist:  Der Schmittismus der Jungen Freiheit und seine Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz

Siehe auch auf Springer

In der Tat erscheint Carl Schmitt keineswegs als neutraler Denker, sondern ist sowohl historisch als auch inhaltlich eng mit dem Nationalsozialismus verbunden.

in jener kritisierten Junge Freiheit in Von der Polarität zwischen Freund und Feind differenzierter da:

Was das rein Biographische angeht, so geraten die Experten nach wie vor in Erklärungsnot, was ausgerechnet diesen großen konservativen katholischen Staatsrechtler, der sich 1932 in „Legalität und Legitimität“ noch für ein Verbot der NSDAP ausgesprochen hatte, die er als „Verfassungsfeind“ betrachtete, ein Jahr später bewog, ebendieser Partei beizutreten, wofür er mit dem Posten des Chefredakteurs der Deutschen Juristen-Zeitung, einer der damals namhaftesten Fachzeitschriften, belohnt wurde. Opportunismus? Naivität?

Wie dem auch sei, im Dezember 1936 verlor Schmitt nach einem heftigen Angriff gegen ihn im SS-Organ Das Schwarze Korps sämtliche Ämter bis auf seine Professur an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. Ab diesem Zeitpunkt zog er sich in eine Art Halb-Exil zurück – „wie im Schlund des Leviathan“, wie er später sagte. Heute gilt das Interesse der Wissenschaft jedoch weniger dem Leben, sondern vor allem dem Werk.

Es wäre darum falsch, Schmitt persönlich und seinem Denken gemäß mit der NS-Ideologie gleichzusetzen. Darum ist es erstaunlich, dass Gessenharter diesen Aspekt verschweigt. Für de Benoist ist diese Geschichte ein Makel, auf dessen Verknüpfung zur NS-Ideologie nicht weit eingeht. De Benoist behauptet dagegen, dass sich Schmitt von dieser Ideologie weit entfernt habe und viel mehr das realisierte, wogegen er stets auftrat. Im Besonderen sah Schmitt weniger das deutsche Volk als Bezugspunkt, sondern den europäischen Raum:

Deswegen sprach er sich für eine „Verräumlichung“ politischer Auseinandersetzungen aus. Daraus entstand ab 1938 seine Theorie des „Großraums“ – die eine nachdrückliche Kritik an den Ideologen der SS, allen voran Werner Best und Reinhard Höhn, beinhaltete. Europa, so forderte er, solle sich als Großraum mit Deutschland als natürlichem geopolitischem Zentrum konstituieren und sich eine der Monroe-Doktrin entsprechende Doktrin verleihen, mit der die USA seit 1823 die militärische Einmischung raumfremder Mächte in Nord- und Lateinamerika untersagt haben.

Das mag dem Schmitt-Kritiker noch immer zu wenig sein, um von einer glaubwürdigen Distanzierung zu sprechen, aber es zeigt, dass man Schmitt nicht gerecht wird, wenn man ihn als NS Ideologen charakterisiert.

Kritik am Grundgesetz, Gesellschaft und Ethnopluralismus

Dass Schmitt das Grundgesetz kritisch sah, wurde belegt. Aber es wäre ein Fehler, jeden Gedanken und Beobachtung, die aus der Feder eines problematischen Denkers apriori und unbesehen in den Giftschrank zu verbannen.  So zitiert dieser Artikel Schmitt:

Noch einmal sei dieser für Schmitt grundlegende Gedankengang in seinen eigenen Worten zusammengefasst: „Aus dem Begriffsmerkmal des Politischen folgt der Pluralismus der Staatenwelt. Die politische Einheit setzt die reale Möglichkeit des Feindes und damit eine andere, koexistierende politische Einheit voraus. Es gibt deshalb auf der Erde, solange es überhaupt einen Staat gibt, immer mehrere Staaten und kann keinen die ganze Erde und die ganze Menschheit umfassenden Welt´staat´ geben. Die politische Welt ist ein Pluriversum, kein Universum.“

Zwar mag Person und Gedankengebäude Schmitts zu Recht kritisch gesehen werden, aber aus jenen Zeilen spricht eine simple und offensichtliche Erkenntnis. Im Besonderen wenn deutlich wird, dass aus dem Einheitsstaat keineswegs eine Gerechtigkeit garantiert werden kann, die die Menschenwürde als unbedingtes Diktum schützt, sondern um so mehr die Rechte des Einzelnen aushebeln kann und auch tut. Der Einzelne steht gegenüber dem übermächtigen und möglicherweise totalitären Nationalstaat gegenüber, sondern einem alternativlosen Einheitsstaat, in dem jeder Kritik die Grundlage entzogen wurde. Durch jene überbordende Machtkonglomeration wird die Chance auf ein Korrektiv durch alternative Gesellschaftsentwürfe der Boden geraubt, da es immer mehr der Ebene des Einflusses enthoben wird.  Prof. em. Dr. Wolfgang Gessenharter arbeitet sich an einer Kritik des politischen Feindes ab und schließt jeden selbstkritischen Blick darin aus.

Dieser Staat kann demnach niemals, wenn er seiner grundlegenden Bestimmung nachkommen will, der der Würde der Menschen dienende Staat sein und ihnen Grundrechte einräumen. Schmitt kann also nicht die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art.2GG) tolerieren, ebenso wenig wie Meinungsfreiheit (Art.5GG) oder die Rechtsgleichheit der Menschen (Art.3GG). Genauso wenig kann ein Staat Rechtsstaat, Republik oder Sozialstaat sein, wie es Art.20GG verbindlich und nach Art.79 Abs.3GG unveränderlich festlegt, denn damit würde er sich Prinzipien beugen, die er nicht selbst grundlegt.

Auch wenn man das GG nach wie vor bejaht, schließt dies keine kritische Betrachtung aus. Denn es geht nicht darum, die Position des Kritikers zu diskreditieren, sondern die Kritik zu verstehen und ggf. ihr inhaltlich zu widersprechen. Dieser Abschnitt erinnert an das Böckenförde-Diktum

Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“

Damit ist das Grundproblem umrissen, zu dem es keine einfache Lösung gibt, auch nicht durch Verweis auf jenes Grundgesetz, dass es sich eben zur Aufgabe machte, die persönlichen Freiheiten zu wahren. Das es hier um ein Austarieren geht soll klar machen, dass es eine binäre Entscheidung zu Carl Schmitts Thesen geben könne. Eine weitere Erläuterung:

2010 präzisiert Böckenförde es wie folgt: „Vom Staat her gedacht, braucht die freiheitliche Ordnung ein verbindendes Ethos, eine Art „Gemeinsinn“ bei denen, die in diesem Staat leben. Die Frage ist dann: Woraus speist sich dieses Ethos, das vom Staat weder erzwungen noch hoheitlich durchgesetzt werden kann? Man kann sagen: zunächst von der gelebten Kultur. Aber was sind die Faktoren und Elemente dieser Kultur? Da sind wir dann in der Tat bei Quellen wie Christentum, Aufklärung und Humanismus. Aber nicht automatisch bei jeder Religion.“[3]

Angesichts der Debatte, was denn Kultur, insbesondere deutsche Kultur, überhaupt sei, erscheinen diese Thesen wegweisend. Denn offensichtlich stellen sich Grundprobleme für den einzelnen Menschen und der Gesellschaft, die sich nicht einfach lösen lassen. Darum ist zu erwarten, dass sich mehr oder minder gute Lösungen in den unterschiedlichen Kulturen finden lassen. Diese sind dann nicht zwingend auf einer linearen Skala anzuordnen, denn das Kontinuum muss aufgrund unterschiedlicher historischer Entwicklungen und Tradierung, unterschiedlicher Ausprägung der gesellschaftlichen Ressourcen und nicht zuletzt aufgrund der subjektiven Freiheitsrechte notwendig ungleich. Andererseits ist der relativistische Ansatz, der stets eine Gleichwertigkeit der Kulturen unterstellt, ebenso wenig zutreffend.

Unterschiedliche Kulturen haben eine Vielzahl von Merkmalen entwickelt, die der Beurteilung dienen können. Eine davon ist die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaften, der Wissenschaft, der Künste, aber auch dem erfüllen von sozialen Bedürfnissen seiner Mitglieder. Ein ausgebeutetes Volk, dass  kulturelle Monumente schuf, erscheint heute nicht als besonders vorbildlicher Lösungsweg. Nicht zuletzt sind es die eigenen Ansprüche, an denen eine Kultur gemessen werden kann. Wenn z.B. der sozialen Gerechtigkeit ein hoher Wert beigemessen wird, diese aber nicht erreicht wird, ist dies nicht notwendig von niederer Qualität als eine Kultur, die hier weit geringere Ziele hat, diese aber erreicht. Zugleich sind Kulturen mit einer bestimmten folkloristischen Tradition und Eigenschaften verknüpft, die einen kontinuierlichen Übergang zu  einem Wertesystem ergeben.

Die Bezugnahme auf übergreifende Normen, die dann einen Vergleich ermöglichen, erscheint angemessen. Im Besonderen der Bezug zu den o.g. AEMR ist ein solcher Maßstab. Aber gerade die darin ausdrücklich genannten Freiheiten erfordern auch Respekt vor anderen Lösungen, selbst wenn diese zwangsläufig suboptimal bleiben müssen. Ohne Bezug auf Carl Schmitt ergibt sich daraus der Gedanke des Ethnopluralismus, der ausdrücklich die Lösung eines Volkes nicht normativ für den Rest der Welt setzen will, sondern jenen Respekt auch dann erweist, wenn man auch andere Lösungen durchaus kritisch bewertet.

Implizit ergibt sich daraus die Frage der Absolutheit moralischer Werte, bzw. deren Relativität.

So kann man eine andere Kultur, die ein stark repressives Herrschaftssystem hervorbrachte, scharf kritisieren, denn ein krasser Verstoß gegen jene übergreifende Normen der AEMR sind eklatant. Aber die Alternative wäre dann nicht der eigene Lösungsweg, sondern eine denkbare Synthese, die bei der Selbstbestimmung und Ressourcen des jeweils anderen Volkes ansetzt, und zugleich die negativen und unakzeptablen Verhältnisse nicht rechtfertigt. Wie schwierig hier das Urteil ist, zeigt sich mit Blick auf Syrien. Denn einerseits ist das Regime repressiv, dass so manchen als völlig inakzeptabel erscheint. Wird aber als Alternative ein islamistisches Regime unterstützt, dass möglicherweis noch wesentlich schlimmere Verhältnisse schaft, ist die Frage nach dem Sinn offenkundig.

Die kritische Grundproblematik beschreibt Gessenharter so:
Praktisch-politisch bedeutsam wird der Unterschied zwischen der Position des Grundgesetzes und Carl Schmitts in einer zentralen Prioritätenfrage, die in jeder Gesellschaft, die wir kennen, auftritt und geklärt werden muss: Es ist das immer strittige Verhältnis von Individuum und Kollektiv, z.B. Volk oder Staat. Dabei gleicht dieses Verhältnis erst einmal dem von Henne und Ei, d.h. es gibt keine unbezweifelbare Priorität, die einfach aus der Wirklichkeit abgeleitet werden könnte.

Mir wird hier nicht klar, wie man unter diesem Sachverhalt zu einem klaren Urteil kommen kann, das nicht dem dialektischen Wesen dieser Spannung Rechnung trägt.

Wie stark hier die Staatsphilosophie auf einem Menschenbild aufbaut, zeigt Gessenharter als Grundlage des Grundgesetzes:

Dennoch, so diese Sichtweise weiter, ist der einzelne Mensch nicht bloßes Produkt, Abklatsch „seines“ Kollektivs, sondern trotz aller Vorprägung von je eigener Statur insbesondere im geistigen und seelischen Bereich; zudem vermag er im Laufe seines Lebens seinerseits prägend auf seine Umgebung einzuwirken.

Diese je unverwechselbare Eigenheit jedes Menschen meint das Grundgesetz, wenn es im Art.1 von der „Würde des Menschen“ spricht. Dieser Begriff hat jedoch keinesfalls einen bloßen moralisch-hohen deklamatorischen Wert, sondern soll eine eminent politisch-praktische Wirkung entfalten. Die Vorrangregel des Art.1, derzufolge das Kollektiv dem einzelnen Menschen zu ‚dienen‘ hat, indem „aller staatlichen Gewalt“ die „Verpflichtung“ auferlegt ist, die Würde des einzelnen Menschen „zu achten und zu schützen“ (so Art.1, Abs.1 GG), sagt bei aller ‚Fragwürdigkeit‘ des Begriffs „Menschenwürde“ im einzelnen doch immerhin so viel, dass bei Konflikten im Spannungsfeld Individuum – Kollektiv derjenige die gesamte Argumentationslast zu tragen hat, der beispielsweise die Rechte des Kollektivs zu Lasten des Individuums stärken will.

Mir erscheint der Zielkonflikt zwar selbstevident, aber nicht in der einfachen und unstrukturierten Weise, die der Autor hier andeutet. Denn in dem komplexen Geflecht von Zielkonflikten kann mit bereits bescheidenem sprachlichen Geschick jedes Argument dann in sein Gegenteil verkehrt werden, wenn es durch etabliertes Lagerdenken abgesichert ist, und man selbst sich des eigenen Lagers gewiss ist. Der Ethos, den Böckenförde beschwört, ohne diesen jedoch verpflichten zu können, bleibt hier die zwar vage, aber dennoch letzte Bastion der politischen Philosophie. Was, wenn dieser Ethos so nicht existiert oder marginalisiert wird?

Kann man nun Schmitt eine Verfassungsfeindschaft unterstellen, weil er punktuell Kritik an Bestimmungen und Grundsätzen der Verfassung formulierte? Ist das Denken Schmitts mit der Verfassung darum unvereinbar? Immerhin garantiert das GG ja gerade die Meinungsvielfalt, die Schmitt auch ausübt. Ich sehe hier noch keine überzeugendes Argument Gessenharters, dass dieses harsche Urteil rechtfertigen könnte.

Polarität zwischen Freund und Feind

Inwieweit Gessenharter das Denken Schmitts korrekt darstellt, kann nicht abschließend beurteilt werden:

Damit kann das Individuum also zu diesem Kollektiv nur ablehnend oder zustimmend stehen – tertium non datur! Insofern ist folgerichtig, dass die „spezifische politische Entscheidung“ diejenige von „Freund und Feind“ ist, wie Schmitt in seiner wohl bekanntesten Schrift „Der Begriff des Politischen“ (1928) schreibt.

Dies wirkt allerdings eher dümmlich als polemisch. Kann es wirklich sein, dass sich Schmitt auf diese extrem vereinfachte Dichotomie eingelassen hat? Immerhin hat sich auch Schmitt selbst in einer gewissen Distanz zum NS-Staat auch an einer Kritik eben jenes verschrieben.

 in jener kritisierte Junge Freiheit in Von der Polarität zwischen Freund und Feind :

Das Politische, das nicht mit der Politik zu verwechseln ist, stellt keinen Bereich menschlicher Aktivität, sondern eine autonome Dimension dar, die von der Polarität zwischen Freund und Feind bestimmt wird.

Eine Dimension ist allerdings ein Kontinuum, dass sich mehr oder minder zwischen deren Polen bewegt. Es erscheint absurd, Begriffe wie Freund und Feind exklusiv zu absolutieren.

Dies erscheint mir zum Verständnis eine wesentlicher Aspekt zu sein. Ein verkürzte Darstellung des Denkens Schmitts führt dagegen in eine simplifizierende Kategorisierung, die nur noch der Polemik nutzt. De Benoist weiter:

Der Feind ist hier im Sinne des öffentlichen Feindes (hostis), nicht des privaten (inimicus) zu verstehen. Auf ebendiese spezifische und fundamentale Beziehung zwischen Freund und Feind läßt sich jedes politische Motiv zurückführen. Das Kriterium des Politischen ist die Möglichkeit der Entstehung eines Konflikts, in dem sich Feinde gegenüberstehen, aus einer wie auch immer gearteten Opposition. Somit wird jeder Antagonismus politisch, sobald er eine gewisse Intensitätsschwelle überschreitet.

Dieser Ansatz  erscheint tatsächlich weit differenzierter. Denn natürlich ist es möglich, die Kooperation zu suchen und den Anderen nicht ausschließlich als Feind anzusehen. Ist jener kooperationsbereit, so tritt er in die Rolle des Freundes. Das aber lässt nicht unberücksichtigt, dass es schlicht Interessenkonflikte gibt, bei denen es fatal wäre, wollte man sie nicht in dieser Klarheit verstehen. De Benoist weiter:

Die Unfähigkeit, zwischen Freunden und Feinden zu unterscheiden, mündet nicht etwa im ewigen Frieden, sondern im Chaos oder in der Unterwerfung denjenigen gegenüber, die die wahre Natur des Politischen begriffen haben. Wer behauptet, keinen Feind zu kennen, schlägt sich damit ipso facto auf die Seite des Feindes bzw. unterwirft sich ihm im voraus. Damit stellt sich Schmitt dem liberalen Denken diametral entgegen.

Überraschend ist auch, dass Schmitt im Feind nicht die Materialisierung des Bösen stilisiert, sondern den Konflikt als durchaus statthaft zwischen zunächst Gleichen charakterisiert. Der Feind soll darum auch nicht dämonisiert und vernichtet werden, sondern als Ergebnis des Konfliktes eine Lösung verstanden sein, die dem Interessenausgleich dient.

Im übrigen stolperte ich über den Begriff des Feindes. Er scheint im heutigen Denken ein Fremdkörper, wie wohl de facto die Welt voller Feinde zu sein scheint. Auch Sir Karl Popper gab seinem bekannten Buch den Titel: ‚Die offene Gesellschaft und ihre Feinde‘ . Bei allem Respekt vor Popper, aber seine Vision der offenen Gesellschaft mit Auflösung der Nationalstaaten scheint nun Mainstream geworden zu sein, und die Schwächen dieses Konzeptes treten immer deutlicher zu Tage. Aber auch er kam nicht ohne Feindbilder aus. Popper sah den gemeinsamen Nenner in den Feindbildern im Totalitarismus und einer Laissez-Faire Gesellschaft. Andere, wie Martin Sellner, identifizieren den Universalismus, der sich sowohl im Totalitarismus als auch im Liberalismus zeigt, als den ideologischen Feind. Zuweilen ist aber die Realität der Feind jener Ideologien, die nicht völlig ausgegoren, dennoch wirkmächtig sind.

Anscheinend versteht Schmitt den Feind nicht als die anonyme widerstrebende Idee, sondern die konkrete Person, die eben wegen antagonistischen Interessen jene durchsetzen will.

De Benoist weiter:

Dem Liberalismus ist das Politische grundsätzlich fremd, hindern seine individualistischen Vorannahmen ihn doch daran, sich die Existenz eines politischen Kollektivs vorzustellen, dessen Merkmale es nach außen hin abgrenzen. Des weiteren postuliert er, daß es keinen Konflikt gebe, der sich nicht durch einen Rekurs auf Normen, „vernünftige“ Kompromisse oder „technische“ Lösungen beilegen lasse.

Gerade mit Blick auf die jüngere Geschichte erscheint dies zugleich ein Augenöffner. Denn die Leugnung des Feindes schafft doch nachgerade jene offenen Grenzen, die anstelle gegensätzlicher Interessen nur Schutzsuchende kennt, deren Hilfe eine moralische Verpflichtung sei. Schmitts Denken und der erneute Bezug ist darin kein revisionistischer Versuch der ewig gestrigen, eine böse alte Ordnung zu restaurieren, sondern erscheint als eine Deutungshilfe der aktuellen Politik.

Wie dem auch sei: Selbst bei jenen, die Schmitt eine prägende Bedeutung zuweisen, ist darum keineswegs eine Reduktion auf ein Freund-Feind Schema jenseits der Interessen und Inhalte zu unterstellen. Es ist nicht der generische Feind darum in jener Rolle, weil er Kraft seines Wesens so charakterisiert wird, sondern weil er (zunächst) inkompatible Interessen vertritt. Aus Feinden können dann auch Freunde werden – jedoch nicht ohne den Schritt der Einigung.
Es scheint plausibler, bei der Kritik am Feind-Denken von einer vereinfachten Polemik auszugehen, die nicht nur Schmitt charakterisieren soll, sondern auch alle seiner Epigonen. Könnte es nicht eher sein, dass gerade Gessenharter Schmitt und der gesamten Richtung seine Feindschaft anbefiehlt, ohne dass es zur respektvollen Anerkennung der Grenzen geht? Also mehr eine Projektion Gessenharters als eine Aussage über Schmitt, die ihrerseits vielmehr jenes Freund-Feind-Schema realisiert?
Gessenharters Polemik
Gessenharter sammelt weiter in seiner Streitschrift Argumente

Der berühmte Schriftsteller Ernst Jünger, der von manchen ebenfalls den Vordenkern der Neuen Rechten zugerechnet wird, hatte schon 1930 erkannt, wie sehr Carl Schmitts Denken und Schreiben gegen die verhasste Weimarer Republik gerichtet war. In einem Brief an Carl Schmitt v. 15.10.1930 würdigt er begeistert dessen oben erwähnte Schrift „Der Begriff des Politischen“: „Die Abfuhr, die allem leeren Geschwätz, das Europa füllt, auf diesen 30 Seiten erteilt wird, ist so irreparabel, daß man zur Tagesordnung, also um mit Ihnen zu sprechen, zur Feststellung des konkreten Freund-Feind-Verhältnisses übergehen kann. Ich schätze das Wort zu sehr, um nicht die vollkommene Sicherheit, Kaltblütigkeit und Bösartigkeit Ihres Hiebes zu würdigen, der durch alle Paraden geht.

Es fällt auf, dass Gessenharter hier auf eine polemische Metaebene wechselt, die vor allem an impliziten Werten und Assoziationen knüpft. Gerade wir Nachgeborenen sind dann von dem folgenden Schrecken der Nazi-Herrschaft als negativen Fixpunkt getrieben und geneigt, darin die vorboten jenes bösen Geistes zu erkennen. Aber ist das notwendig so? Oder eine zu grobe Vereinfachung, die sich auf eine intuitive Trivialanalyse beschränkt?

Denn angenommen, man akzeptiert den kritisierten Umstand, dass eben jene Missverständnisse zu unlösbaren Problemen werden, so bleibt noch immer eine Vielzahl von Lösungswegen, die durchaus wesentliche Besserung verheißen. Dass aber dieser, und möglicherweise auch andere Ansätze höchst gefährlich sind und eine äußerst negative Entwicklung nicht verhindern können, ist offensichtlich. In diesem Sinn z.B. sind Teile der neuen Rechten Bewegung klar antinationalistisch zu nennen, die die geschichtliche Entwicklung ebenso scharf kritisieren wie Linke. Freilich unterscheidet sich die Analyse der Ursachen und der daraus abgeleiteten Lösungswege. Den Ethnopluralismus aber entgegen jener, die ihn vertreten, als strikten Nationalismus zu bezeichnen, erscheint dagegen als substanzlose Polemik.

Es bleibt darum sekundär, ob eine zutreffende Darstellung leistet:

Politische Entscheidungen sind danach normativ voraussetzungslose Entscheidungen, die sich nur an den Interessen des jeweiligen Kollektivs orientieren dürfen. Eine Orientierung an Menschenrechten etwa, wie das Grundgesetz es fordert, ist also brandgefährlich, weil es dem Staat, so wie ihn Schmitt sieht, jegliche selbstgewählte Grundlage für eigene Politik entziehen würde, vielmehr diese Grundlage in die Hände anderer Mächte legte.

Wer von der Universalität des Rechts ausgeht, kann hier nicht ernsthaft glauben, dass dieses Recht Gegenstand von anderen Mächten sein könne. Lediglich Potentate maßen sich an, sich selbst über das Gesetz zu stellen, und skrupellose Pragmatiker, die sich oftmals gegen unliebsame Anforderungen mit Umdeutung wehren.

Insofern ist für Schmitt folgerichtig „jeder echte Staat ein totaler Staat“ und Diktatur und Demokratie sind insofern nicht nur keine Gegensätze, sondern erstere die konsequente Verwirklichung von letzterer. Die Orientierung an Menschenrechten ist aber für Schmitt nicht nur gefährlich, sondern darüber hinaus Ausdruck grenzenloser Illusion bzw. Ausdruck sogar von bewusstem Betrug am eigenen Volk. Denn dass sich alle Menschen auf Menschenrechte einigen könnten, sei völlig illusionär, weil ein solcher Einigungsprozess so etwas wie eine Menschheit voraussetzen würde.

Trotz massiver Zweifel, dass Schmitt hier korrekt verstanden wurde, ist diese Darstellung in keiner Weise bei Konservativen akzeptabel oder auch nur erträglich.

Zusammenfassend sieht Gessenharter  Carls Schmitt als problematische Gestalt zweifelhafter Lehren und einer ungebrochenen Nazi-Vergangenheit, die im Nachgang von der Neuen Rechten dennoch als Vordenker akzeptiert wurden, im Besonderen von der Zeitschrift Junge Freiheit.

Schmittismus in der Jungen Freiheit

Gessenharter macht allerdings nicht klar, was denn der sogenannte Schmittismus eigentlich sei. In der Lektüre sind einige Gedanken diskutiert worden, die aber hergeleitet wurden und mehr oder minder sich auch anderswo fanden. Ist damit lediglich die respektvolle Rezeption gemeint?

Die JF hat seit ihrem Bestehen keine Gelegenheit ausgelassen, Carl Schmitts Denken als vorbildlich hinzustellen, ihn in einer Art zu preisen, die bis zur Heroisierung reichte. Dabei ist zu vermuten, dass ihre stilbildenden Autoren sehr genau wissen, dass Carl Schmitts Denken und die klaren Intentionen des Grundgesetzes in keiner Weise in Harmonie zu bringen sind.

Gerade Gessenharters  Kernthesen wurden allerdings lediglich plakativ in den Raum gestellt, ohne diese hinreichend zu begründen. Im Besonderen die behauptete Unvereinbarkeit zwischen dem Schmittschen Texten und dem Grundgesetz ist weitgehend unbelegt. diverse Kritische Anmerkungen sind unzureichend für eine derartige Behauptung. Nun Dritten zu unterstellen sie hätten eben jene Ansicht ist da eher abenteuerlich.

Gessenharter versucht dies nun an Beispielen zu zeigen, was sich jedoch des Verdachts eine Konstruktion kaum erwehren kann:

Was hier der Autor an Missverständnissen bzw. an platter Unkenntnis offenbart, ist schon bemerkenswert: Die Forderung nach rechtlicher Gleichheit im Art.3GG ist ja gerade Ausdruck der von niemandem Vernünftigen geleugneten Ungleichheit der Menschen.

Der ungenannte Autor, der sich hier nicht erkennbar auf Carls Schmitt beziehen soll, weist auf die Ungleichheit hin. Dass es im Grundgesetz um rechtliche Gleichheit geht, ist auch nicht kritisiert. Aber angesichts der unterschiedlichen Möglichkeiten und Verhaltensweisen ist eine Gleichheit, z.B. bei unterschiedlichem Sparverhalten, des Besitzes kaum sinnvoll. Die dennoch in der Politik und Medien angemahnte Gleichheit geht meist weit über die Rechtsgleichheit hinaus. Z.B. wird eine horrende Gender-Pay-Gap behauptet, die sich aber bei genauerer Analyse meist gegen Null geht: Denn es werden eben nicht gleiche Beschäftigungsverhältnisse vergleichen, sondern ein Mittelwert aus unterschiedlichen Beschäftigungen.

Was hätte es sonst für einen Sinn, wenn Art.3, Abs.3 formuliert: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Und wenn etwa auf dem deutschen Arbeitsmarkt Ungleichheiten nach Heimat und Herkunft, also etwa zwischen EU-Ausländern und solchen aus Nicht-EU-Ländern zugelassen bzw. eingerichtet werden, dann geht dies nur in einem öffentlichen Argumentationsprozess, der diese Ungleichheit zu legitimieren versuchen muss, also etwa in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren.

Dies wird in dem Zitat nicht deutlich und scheint eher eine phantasievolle Extrapolation des Gedankens seitens Gessenharters zu entsprechen. Gessenharters weitere Beispiele sind dann ebensowenig stichhaltig:

„Eine aus einem idealisierten Menschenbild resultierende Lebenslüge ist das ständige Beschwören des ‚bürgerlichen Engagements‘, also die erwünschte ‚Teilhabe‘ an der politischen Willensbildung der Gesellschaft“. „In Wahrheit“ aber halte „der Rückzug ins Private an“ und betreffe „alle Kreise von den Eliten bis zur Unterschicht“. Sicherlich ist auch von der Idee einer partizipativen Demokratie her, die in verschiedenen Grundrechten ihren Niederschlag findet, diese privatistische Einstellung großer Teile der Bevölkerung nicht begrüßenswert, wenngleich legitim. Daraus aber zu folgern, wie der Verf. dies tut, dass es abzulehnen sei, allen Menschen die „Teilhabe am politisch-gesellschaftlichen Geschehen zu ermöglichen“, läuft auf ein undemokratisches elitäres Verständnis von Politik hinaus, insbesondere dann, wenn als Begründung dafür angegeben wird: „Tatsächlich… können viele Menschen mangels geistiger Fähigkeit am ‚kommunikativen Handeln‘ überhaupt nicht teilnehmen, während andere (wohl die Mehrheit) gar nicht politisch mitwirken, sondern nur vernünftig regiert werden wollen.“ Im Gegensatz zu dieser elitären Haltung gibt das Grundgesetz jedem Bürger und jeder Bürgerin die Möglichkeit, über verschiedene Wege am politischen Geschehen teilzuhaben – allerdings ohne die Freiheit des einzelnen zu beschneiden, eben auch nicht teilzunehmen.

Wer sich mit Verwunderungen die Augen rieb, als die Frage nach einer Möglichen Haarfärbung Gerhard Schröders in den Medien diskutiert wurde, als ob dies wahlentscheidend sein könnte, konnte zuweilen sich schon Gedanken machen inwieweit der mündige Bürger zur Wahlurne geht oder ein Stimmvieh, dass vor allem als Manipulationsmasse der real existierenden Eliten verstanden wird. Jne Eliten beklagen heute im medialen Dauerfeuer den sogenannten Populismus der AfD. Hier ist der Gedanke der politischen Teilhabe von ehemaligen Nichtwählern plötzlich weniger interessant und wird seitens jener Eliten mit verächtlichen Kommentaren – bis hin zu ‚Dunkeldeutschland‘ und ‚Pack‘ – bedacht. Gessenharters Argumentation wirkt dagegen heuchlerisch, denn er selbst als Teil aktuell führender Eliten begrüßt ja die Mehrheitsentscheidung voraussichtlich ebenso nur so lange, wie eine ihm genehme Meinung gebildet wird.

Besonders gravierend ist die bewusste Relativierung der „unantastbaren Menschenwürde“ in den weiteren Passagen des JF-Aufsatzes: Aus der unbestreitbaren Tatsache, dass im alltäglichen Leben immer wieder Menschen die Würde anderer Menschen antasten, manchmal sogar unglaublich brutal verletzen, folgert der Verf.: „Wer angesichts solcher Monstrositäten von der ‚eigenen unveräußerlichen Würde‘ jedes Menschen faselt, den kann man nicht mehr ernst nehmen.“ Vielmehr „erhellt“ für ihn, „daß auch die Menschenwürde nicht angeboren ist, sondern erworben werden muß, umgekehrt gilt, daß man sie jederzeit wieder verlieren kann.“ Es ist selbst in den Reihen der Neuen Rechten nicht allzu häufig, dass ein Autor den Art.1GG so offen und unumwunden in Frage stellt, wird doch in diesen zitierten Passagen expressis verbis Abstand davon genommen, dass ein Mensch selbst dann nicht seines Menschseins verlustig gehen darf, wenn er die Menschenwürde anderer Menschen mit Füßen getreten hat. Das Rechtsstaatspostulat sichert folgerichtig selbst solchen Menschen einen fairen Prozess zu und versucht damit, mögliche kollektive Rache-Dynamiken einzugrenzen und sie einem rational einsehbaren Urteilsprozess zuzuführen.

Abgesehen davon, dass hier kein Bezug zu Schmitt erkennbar ist, bleibt ein Nachdenken über die Würde des Menschen genau im Sinne des Grundgesetzes. Denn wie sonst kann diese Würde unantastbar sein, wenn man sie nicht mit Inhalt füllt. Dass der ungenannte JF Autor hier GG Artikel 1 als Problematisch ansieht muss nicht geteilt werden. Denn wenn das GG dem Menschen als Sollbestimmung ihm jene unveräußerliche Würde zuspricht, dann würde ich persönliche auch eine ander Form des Beitrags wählen. Aber geht es darum, ob ein JF Autor eine Meinung äußert, die Grundgesetzfeindlich ist und man diese Quelle nahe an die Zensur bringt, die vom GG ausdrücklich untersagt ist? Oder handelt es sich lediglich um eine Meinung, der man getrost widersprechen kann?

Meine Position zur Würde habe ich bereits hier dokumentiert:

1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
Der erste Satz ist weniger als Feststellung gedacht, sondern als wertemäßige Sollbestimmung. Denn im vergewaltigten Mensch ist Unantastbarkeit seiner Würde kaum zu erkennen. Die staatliche Gewalt könnte auch eine unbedingt bestehende Unantastbarkeit auch nicht schützen. Viel mehr geht es um eine moralische Grundsetzung, die als Leitlinie nicht mehr hinterfragt werden soll. Damit ergibt sich ein gewisser innerer Widerspruch: Gerade jene Würde führt doch auch zu dem paulinischen Imperativ (1. Thessalonicher 5,21):
Prüft alles, das Gute behaltet
Die Auflösung des Widerspruchs liegt also nicht in dem Denkverbot, die Würde nicht mehr zu hinterfragen, sondern in der Erkenntnis, dass die Würde eben das Gute sei, dass es zu bewahren gelte. Aber auch das erfordert ein ausfüllen mit Inhalt: Wie können die staatlichen Institutionen diesen Auftrag getreulich umsetzen? Gerade darin, dass hier schwerlich einklagbare Tatbestände verknüpft werden können, mag genau zur Missachtung dieser Grundbestimmung führen. Und darin sehe ich die Gefahr!
Dieser ältere Text widerspricht der Formulierung des GG keineswegs, weist aber auf eine ähnliche Problemlage hin, wie es auch der ungenannte Verfasser der JF tut- Was also kritisiert da Gessenharter?  Würde es nicht genügen, im Diskurs ggf. eigene Ansichten dagegen zu setzen? Für eine Generalanklage gegen einen sogenannten Schmittismus reichen die bisherigen Vorwürfe nicht.

Was nun diese Vorwürfe angeht ist es sinnvoll, sich auch mit den Darstellungen jener Jungen Freiheit zu Carl Schmitt zu beschäftigen. De Benoist weiter in der JF:

Der diskriminierende moderne Krieg dagegen geht auf den „gerechten Krieg“ im Mittelalter zurück und betrachtet den Feind nicht mehr als Gegner, der unter anderen Umständen genausogut ein Verbündeter sein könnte, sondern als absoluten Feind. Er wird verteufelt, kriminalisiert, als Figur des Bösen abgestempelt und zum Menschheitsfeind erklärt. Daher ist im Kampf gegen ihn jedes Mittel recht: wirtschaftliche Sanktionen, Bombenangriffe auf die Zivilbevölkerung usw. Schmitt zeigt, daß die ideologischen Kriege der Neuzeit, in denen der Feind moralisch disqualifiziert wird, statt daß man ihn als Gegner betrachtet, der bekämpft werden muß, dabei aber durchaus einsieht, daß er eigene Gründe für sein Handeln hat, an die Tradition der Religionskriege anknüpfen.

Wie diese sind es erbarmungslose, totale Kriege, die die Unterschiede zwischen Kämpfern und Zivilisten, Front und Hinterland, Kriegsparteien und Neutralen, ja sogar zwischen Krieg und Frieden verwischen; wenn die Waffen schweigen, kann der Krieg als „Reeducation“ weitergehen. Darüber gerät in Vergessenheit, daß der Zweck des Krieges darin besteht, Frieden zu schaffen. Schmitt greift den Satz des französischen Soziologen Pierre-Joseph Proudhon (1809–1865) auf: „Wer Menschheit sagt, will betrügen.“ Wer im Namen der Menschheit Krieg führt und vorgibt, aus „humanitären“ Gründen oder etwa zur Verteidigung der „Menschenrechte“ zu kämpfen, versucht seinem Feind damit lediglich jegliche Legitimität abzusprechen.

Somit schließt sich der Kreis nicht ganz. Schmitt und de Benoist bringen einige wesentliche Ideen zum öffentlichen Leben und Streitkultur ein. Gessenharter  wirft Fragen auf, die auch in der differnenzierten Sicht nicht einfach auflösbar sind. Allerdings erscheint dies eher den Bedarf nach einem offenen Diskurs zu zeigen und nicht eine kategorische Ablehnung.

Es erscheint darum nicht zwingend schlecht, wenn die Bundeszentrale für politische Bildung die Streitschrift von Gessenharter  veröffentlicht. Aber das Fehlen einer dort dargestellten Gegenposition macht die bpb zur Partei im Diskurs, die einen normativen Anspruch transportiert, nicht zur Diskursplattform.

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