Rassismus und Prioritäten

Ein angstbesetztes und stigmatisierndes Wort. Wer als Rassist gebrandmarkt wird ist schnell weiter im gesellschaftlichen Aus als zu manchen Zeiten Mitglieder geschmähter ‚Rassen‘. Ohne Zweifel ist es moralisch inakzeptabel, Menschen nach äußeren Merkmalen oder Assoziationen mit Dritten oder einem Stereotyp zu beurteilen. Die Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder sonst wie identifizierbaren Gruppe erlaubt noch kein Urteil über einzelne Personen. Aber was ist das nun genau, dass im gesellschaftlichen Diskurs zur Stigmatisierung führt? Hat das mt Prioritäten und Werten zu tun?

Laut Wikipedia ist

Rassismus ist eine Gesinnung oder Ideologie, nach der Menschen aufgrund weniger äußerlicher Merkmale – die eine gemeinsame Abstammung vermuten lassen – als sogenannte „Rasse“ kategorisiertund beurteilt werden. … Dabei betrachten Rassisten alle Menschen, die ihren eigenen Merkmalen möglichst ähnlich sind, grundsätzlich als höherwertig, während alle anderen (oftmals abgestuft) als geringerwertig diskriminiert werden.

Demnach wäre eine wertfreie Feststellung diverser Unterschiede zwischen Menschengruppen noch kein Rassismus, ebenso wenig wie eine Religionszugehörigkeit und deren Urteil über Mitglieder. In der Praxis wird aber eine sehr viel weitere Definition impliziert, die bereits der Feststellung von Unterschieden dies mit einer impliziten Wertung gleichsetzen, ebenso wie man die Ablehnung von Religionen oft mit Rassismus gleichsetzt.  Auch finden sich derartige Definitionen sehr wohl:

Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz definiert Rassismus als „die Überzeugung, dass ein Beweggrund wie Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, Staatsangehörigkeit oder nationale oder ethnische Herkunft die Missachtung einer Person oder Personengruppe oder das Gefühl der Überlegenheit gegenüber einer Person oder Personengruppe rechtfertigt“.

Dies ist m.E. bedenklich, denn im Besonderen ist Religion das Bekenntnis zu einer bestimmten weltanschaulichen Lehre, bei der zum Einen die Abgrenzung zu politischen Gruppen zuweilen schwer fällt, zum Anderen durch die Möglichkeit besteht, sein Bekenntnis zu wechseln.Zwar ist die religiöse Bekenntnisfreiheit ebenfalls durch die Menschenrechte und viele Verfassungen geschützt und sollte diskriminierungsfrei ausgeübt werden können – auch im negativen Sinn, dass dieses Bekenntnis auch wieder verlassen werden kann. Es ist darum kein schicksalhaftes Merkmal wie die anderen Merkmale von ‚Rasse‘. Darum wäre dies keine Entsprechung von Rassismus.

Aber auch in der zweiten Definition setzt der Rassismus stets eine Wertung voraus. Wenn aber keine klare Wertung mit einer Bezeichnung verbunden ist, kann man auch nicht den Rassismus-Vorwurf verteidigen. Dieser wäre dann seinerseits ein diskriminierender Vorwurf ohne hinreichenden Grund. Alleine eine Assoziation und Implizierung kann nicht dem Kriterium der Wertung entsprechen.

Ein diffuses Gefühl der Überlegenheit erscheint als kein trennscharfes Kriterium. Zudem bleibt Fraglich, wie in einem bunten Ensemble von Gefühlen jene zwischen spontan, kulturell geprägt und durch Weltanschauung und Propaganda geprägt zu unterscheiden wäre. Es existieren Kulturen, zu deren Konstitution es gehört, die eigenen Mitglieder für überlegen zu halten. Es kommt dann zum Wiederspruch, wenn man jenen die Überlegenheitsgefühle zubilligt, gar als kulturelle Eigenheit schützt, zugleich aber gleiche Rechte bei anderen verwehrt. Will man aber diesen kulturell bedingten ‚Rassismus‘ in gleicher Weise denunzieren, könnten Dritte dies wiederum als ‚rassistisch‘ klassifizieren, denn eine Kultur würde je gegenüber der Eigenen als weniger wertvoll identifiziert. Die nennt man einen performativen Widerspruch, wenn die Regeln nicht auf sich selbst anwendbar sind.

Allerdings bleibt es verwerflich, wenn die ‚Überlegenheit‘ der eigenen Bezugsgruppe nicht nur ein diffuses Gefühl bleibt, sondern handlungsrelevant wird und soziale Interaktionen prägt. Handlungen sind hier nicht nur Gewalttätigkeiten, sondern auch das Verbreiten von Propaganda, die zu diskriminierenden Verhalten intendiert . Aber auch hier ist ein klare Grenzziehung. Wo ist eine Analyse und Kritik Propaganda? Wann wird die eigene Meinung, die als hohes Gut geschützt ist, zur Hasspropaganda?

Ausgrenzung

Rassismus kommt aber oft in einem diffusen Verständnis eben jenes mit Nazi, Faschismus und Verderblichen einher. Es ist eher ein zeitgeistiger Begriff, immer nach den jeweils akzeptierten Ausgrenzungskriterien funktioniert. Das Kriterium der Hexenverfolgung war, dass die jeweils verfolgten Frauen und Männern angeblich ein Bündnis mit dem Teufel  hatten. Unter Stalin waren es die Kulaken und andere. McCarthy identifizierte die Kommunisten als ‚unamerikanisch‘ in ähnlicher Funktion. In Bürgerkriegen gehört es zum Standard, den Gegner zu dämonisieren. In nahezu allen Gesellschaften, nicht nur den totalitären, bilden sich derartige Ausschlusskriterien heraus. Dämonisierung ist ein Phänomen, das in allen möglichen Spielarten auftritt, nicht nur, aber auch in Form des Rassismus.

Es wäre aber dysfunktional, alle möglichen Begriffe zu vermengen. Rassismus sollte besser nur im Sinne einer engen und ursprünglichen Wortbedeutung verwendet werden, nicht auf alles mögliche ausgeweitet werden. Das heißt nicht, dass andere Formen der Dämonisierung mehr oder weniger verwerflich sind, aber sie sind eben nicht mit dem Rassismus identisch. Diese Klärung verhindert eine Verzerrung in der Wahrnehmung, die zu verbogenen Urteilen führt.

Prioritäten

Nun haben wir bereits 3 ähnlich gelagerte Übel: Ausgrenzung/Dämonisierung, Rassismus und Verstoß gegen die Religionsfreiheit. Wir gehen davon aus, dass sich die Begriffe mehr oder minder überschneiden können, aber identisch sind sie nicht. Sind sie aber mit gleichem negativen Wert behaftet? Ist es hinreichend, nur eines zu bekämpfen, das andere aber nicht, oder muss in gleicher Wichtung gegen jene Übel vorgegangen werden? Wie kann eine unterschiedliche Wichtung begründet werden?

Allein diese einfachen Fragen lassen die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung äußerst seltsam erscheinen. Einige weltanschauliche Gruppen werden durch den Rassimusvorwurf vor jeglicher Kritik befreit, andere werden ausgegrenzt. Negative Relgionsfreiheit, also das Bekenntnis zu verlassen, wird zum Teil mit gesellschaftlicher Ächtung bis hin zu Morddrohungen sanktioniert – und die Gesellschaft tut wenig, die Betroffenen zu schützen.

Die traditionellen Tugenden und Laster, Gebote und Regeln finden auch heute noch gewisse Wertschätzung. Positiv gilt nach wie vor: Ehrlichkeit, Treue, Verlässlichkeit, Mut, Verantwortungsbewusstsein, Hilfsbereitschaft, Anstand und vieles mehr. Verwerflich sind Unbeherrschtheit, üble Nachrede, Gewalttätigkeit, Betrug, Boshaftigkeit, Diebstahl, Beleidigungen und vieles mehr. Aber es ist deutlich, dass die Wertigkeit und Prioritäten sich verschoben haben. Treue, Anstand, Loyalität und Verlässlichkeit hatten einst einen hohen Stand – heute rangieren diese meist nicht mehr unter den Spitzenplätzen und eher abgeschlagen hinter der Toleranz, Lässigkeit und Coolness. Treue und Anstand wirken eher wie schales Bier.

Auch bei den Übeln gab es Verschiebungen. Üble Nachrede gilt zwar noch zuweilen als Unfein, wird aber oft bedenkenlos praktiziert. Betrug gilt eher als ein Bagatellverbrechen – dagegen ist Rassismus und sexuelle Belästigung in den Fokus der verwerflichen Handlungen und Einstellungen gerückt.

Oft geht es nicht um die Auflistung von Tuenden und Verwerflichkeiten, sondern um deren Priorisierung und den Wandel der Werte. Wovon sind diese getrieben? Die Chiffre ‚Zeitgeist‘ hilft bei der Beschreibung von Trends und Entwicklungen, erklärt aber weder Richtung noch treibende Kraft hinter diesem. Allerdings will es erscheinen, dass Ansichten und Überzeugungen zwar immmer letztlich von der Person und deren Entscheidungen beruhen und nicht durch Trend und Gesellschaft völlig bestimmt werden. Dennoch existieren Trends und gesellschaftlicher Druck, der massive Einflüsse auf die Individuen ausübt.

Doch woher kommen diese Trends? Sind sie eher zufällig wie ein mäandrierender Fluss, oder führen sie in eine beabsichtigte Richtung?

These: zum Zweitem Hauptsatz der Thermodynamik

Der Zweite Hauptsatz der Thermodynamik (2HS) sagt, dass die Entropie in einem geschlossenen System gleich bleibt oder zunimmt.  Anders formuliert: Alle spontan (in eine Richtung) ablaufenden Prozesse sind irreversibel. Also: Wenn man nichts tut, zerfällt alles. Dieses Prinzip erscheint auch der Alltagserfahrung zu entsprechend. Im Zeitalter der Evolution glaubt man dagegen, dass das Chaos kreativ sei und von selbst neues und wertvolles erschafft – ohne dahinter stehende Intention. Das glaube ich nicht, sondern dass der 2HS sich nicht nur auf die Physik bezieht, sondern ein Prinzip darstellt, der ebenso auch im kulturell-geistigen gilt. Zerfall und Dekadenz ist ein ganz natürlicher Prozess, der sich vor allem durch die Abwesenheit einer entgegen stehenden Kraft von Selbst einstellt. Man könnte es auch als das Prinzip des Todes oder das Böse schlechthin nennen.

Leben, Liebe und Widerstand gegen den Zerfall ist an die Kraft der Intention, dem Willen gebunden. Sie kommen nicht von selbst, sondern man muss sich dafür entscheiden. Und da wo scheinbar zufällig das Leben erwächst, Liebe und Schönheit, steht stets ein Impuls gerade dazu dahinter, so wie die Blume nicht aus dem Nichts entsteht, sondern aus fruchtbarem Samen, so nag es dem oberflächlichen Betrachter nur erscheinen, als würde die Blume auf der Erde auch ohne die Hand des Gärtners gedeihen.

Hier gilt für die Moral und Prioritäten im Wertesystem ähnliches: Es mag eine zufällige Verschiebung im Wertesystem geben, aber ohne Selektion, ohne Wille und Richtung, werden sich zufällige Trends ergeben, die letztlich zum Zerfall führen. Dass nun Rassismus als vielleicht das moralische Übel der Menschheit angesehen wird, hinter dem andere Übel verblassen, erscheint mir als merkwürdige Besonderheit der Geistesgeschichte zu sein: Der moralische Kompass gerät zunehmend aus der Eichung und zeigt nun irgendwo hin. Damit werden klare Ziele und Richtung aufgegeben.

Die Gesellschaft ist auf der Suche nach einem verbindenden Konsens und glaubt nun, diesen im Antirassismus als aktives Glied zum Pluralismus gefunden zu haben, ohne dass ihr die Performativen Widersprüche bewusst werden. Nicht zuletzt ist der Antirassismus negativ bestimmt: Die Ablehnung vom Übel, also die Negation des Negativen. Daraus wird aber noch kein positiver Wert.

Ein ausgewogenes Wertesystem bedarf der positiven Mitte, z.B. das Leben als Ausdruck des Guten, dass sch gegen den Tod und Zerfall stemmt. Oder Gott als Chiffre für alles das, was eben das Leben ausmacht.  Oder die Gerechtigkeit als Universalie, die zum Dienst verpflichtet. Oder die Liebe, die Kraft und Richtung im Leben gibt. Mithin konvergieren die Ansätze und erscheinen nur als unterschiedliche Formulierungen der gleichen Sache.

Und da erschließt sich das Problem aus grundlegender Sicht: Wenn die Ablehnung von Rassismus (im engen Sinn) und Ausgrenzung eine Konsequenz der Gerechtigkeit ist,  dann ist die Gerechtigkeit der übergeordnete Wert. Eine Ignoranz sämtlicher anderer Aspekte der Gerechtigkeit und Priorisierung des Antirassismus zäumt das Pferd von Hinten auf. Erst eine wohl definiertes System von Werten und Prioritäten kann Verzerrungen, die sich selbst ad absurdum führen, vermeiden.

3 Gedanken zu „Rassismus und Prioritäten“

  1. Rassismus ist ein fragwürdiger Begriff. Das wird im Artikel gut herausgearbeitet. Schlimmer noch ist die fälschliche Verwendung des Begriffs im Sinne der Ausgrenzung einer „rechten“ Politik. Wenn nämlich konservative oder traditionsbewußte oder heimatliebende oder patriotische Menschen ( die politisch gar nicht eindeutig rechts sein müssen ) keinesfalls den EINZELNEN Afrikaner, Muslim, Syrer usw problematisch finden und seine Anwesenheit bei uns sogar ( freudig ) begrüßen können, dann aber den MILLIONENFACHEN ZUZUG FREMDER FÜR EIN ( MASSIVES ) PROBLEM HALTEN, dann erleben wir in weiten Teilen der Medien – vor allem und originär bei ARD und ZDF – daß sie aus der Ablehnung der Millionen implizit und unausgesprochen ( und verleumderischerweise ) auf die Ablehnung der einzelnen Menschen schließen. Diese „bösen Rechten“ ! In Wahrheit bewirkt hier nur eine „Journaille“ böses, weil sie Lügen verbreitet und Halbwahrheiten und weil sie aufgehört hat, so zu differenzieren, wie es der Sache gerecht wird. ICH lehne einen millionenfachen Zuzug von Muslimen nach Deutschland ab, obwohl ich im einzelnen Muslim einen wertvollen und von Gott geliebten Menschen sehe, dem ich ( gerne ) auf Augenhöhe begegnen will. Das ist doch kein Widerspruch ! Jeder, der das behauptet oder unterstellt LÜGT.

    1. Mittlerweile vereinfache ich die Kritik an den Mainstream-Verdrehungen und -Verleumdungen mit dem Bild vom Weinliebhaber. Ein Weinliebhaber erlaubt sich fast jeden Abend ein gutes Glas Wein. Als er einmal öffentlich vor allzu großem Weingenuß warnte – man solle keinesfalls zwei, drei Liter Wein, oder noch mehr täglich trinken – da wurde er von allen Mainstream-Kanälen und Mainstream-Zeitungen unisono niedergemacht. Er sei ein „Weinhasser“, ein „Weinfeind“, den Winzern Schaden stiftend, und damit der ganzen Volkswirtschaft. Man müsse ihn daher meiden und bekämpfen, und keinesfalls auf seine Weinfeindlichkeit hereinfallen. Genauso verhält es sich mit dem Vorwurf der „Fremdenfeindlichkeit“ und bspw dem „Haß auf Ausländer“ der uns unterstellt wird, nur weil wir vor einem millionenfachen Zuzug warnen.

  2. Treffend bemerkt! Es geht eben nicht ausschließlich um eine bedingungslose Qualität, sondern die Qualität ist sehr wohl von der Quantität abhängig. So muss auch stats unterschieden werden zwischen der persönlichen Begegnung und der Beurteilung nach Regeln und Gesetzen. Auch derjenige, der eine sehr restriktive Einwanderungspolitik vertritt kann dem konkreten Menschen sehr wohl Hilfe leisten … vielleicht mehr als jener, der eine liberale Einwanderungspolitik vertritt.

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