Glaube und Staat – Ein Einstieg

Unser Selbstverständnis ist nicht zuletzt von unserer Position im Staatsgefüge geprägt. Ein freier Bürger hat offensichtlich andere Denkvoraussetzungen wie der Sklave, Revolutionär oder Untertan. Doch weder der Staat, noch der Mensch ist in sich absolut, sondern versteht sich in sich gegenseitig beeinflussenden Kräften. Die Weltanschauung ist hier das starke Bindeglied, aber ebenso dynamisch dem Spiel der Kräfte unterworfen. Weltanschauung ist das Verständnis der Welt, das sich bekanntlich nicht auf letzte Gewissheiten stützen kann. Überzeugung ist nichts weniger hier als Glaube, der sich sowohl in klassischen Religionen, als auch in anderen Ideologien finden, die allzu oft den Charakter von Ersatzreligionen tragen, auch wenn sie sich säkular gerieren.

In der westlichen Welt hatte das Christentum einen markenten und prägenden Einfluss, ohne den das modernen Denken nicht zu verstehen ist. Im Besonderen geht der Laizismus – Trennung von Religion und Staat -letztlich auf die Lehre Jesus zurück, dass sein Reich nicht von dieser Welt ist. Um diese Feinheiten im geschichtlichen Kontext zu erkennen bedarf es eingehender Betrachtungen, die den Rahmen eines überschaubaren Essays sprengen. Ich habe mich darum entschlossen, eine Aufsatzreihe zu beginnen, die hier unterschiedliche Aspekte beleuchtet.

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Die Entdeckung des Feindes

Uns ist es fern geworden, zumindest auf bewusster Ebene, die Welt in Freund und Feind aufzuteilen. Faktisch werden auch in zivilen Gesellschaften Feindschaften gepflegt, aber moderne Konflikte werden oft subtiler als mit physischer Gewalt geführt. Aber die Ebene, in der ein Gegenargument als das Kampfmittel angesehen wird und der Diskurs das Schlachtfeld ist, wird oft verlassen. Es geht dann um ausgrenzen, um delegitimieren, die Cancel-Culture, den Rufmord, die Assoziation mit den Bösewichtern. Trotz des sich intellektuell gerierenden Stils wird aber selten das Thema Feinderkennung, Feindbild und seine Berechtigung diskutieren. Bestenfalls in selbstverständlicher Ablehnung: Man pflegt doch keine Feindbilder! Offensichtlich faktisch sehr wohl, aber eben nicht explizit.

Uns begegnet steigende Gewalt in verschiedenen Formen. In einer anwachsenden Messerkriminalität, sexuellen Attacken und Terrorismus. Diese gehen überwiegend von Zuwanderern aus unserer Mitte aus, die kulturfremd ihre eigene Kultur der Gewalt mitbringen. Das Erschrecken darüber verstört: Warum ist das so? Was treibt diese Menschen, uns nahezu Wehrlosen anzugreifen? Alexander Meschnig liefert hier eine beachtliche Analyse.

Mit seiner Feindschaft zwingt mich der Feind, mir Rechenschaft darüber abzugeben, warum ich Opfer bringen soll, um diese Identität zu verteidigen, warum es lohnen soll, der zu sein, der ich bleiben und werden will.

Egon Flaig
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Offener Brief an Björn Höcke

Sehr geehrter Herr Höcke

Spätestens seit der Lektüre ihres Buches ‚Nie zweimal in den selben Fluss‚ sind Sie mir ausgesprochen sympathisch. Dennoch sehe ich einige ihrer Aussagen eher kritisch. Hier geht es mir aber nicht um kontroverse Positionen, sondern ihre Einstellung zum christlichen Glauben (Seite 49 ff), die ich vor einigen Jahrzehnten voll und ganz teilte, und mich nun gerade in ihrer differenzierten Darstellung beschäftigt.

Zum Einen geht es mir darin um die argumentative, denkerische Aufbereitung, zum Anderen um den Beziehungsaspekt. Nicht zuletzt, da Sie ja auf die Dialogphilosophie Martin Bubers (Seite 83 ff) eingehen.

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Ein philosophischer Elefant

Was treibt die Welt letztlich an? Ist es das Schicksal? Die Vorsehung? Gott oder Götter? Der Zufall? Der gestaltende Mensch? Oder die reine deterministische Notwendigkeit? Diese Grundfrage ist zentral für fast alles. Religionen und Kulturen ranken um diese Frage und Antworten. Die Dynamik der Gesellschaft wird maßgeblich von der Antwort geprägt und ist über den reinen Erkenntnisdrang auch politisch relevant. Fast alle Wissenschaften haben hierin ein starkes Motiv: Man will erforschen, wie die Welt bestimmt ist. Nicht nur in den Naturwissenschaften, die Gesetzmäßigkeiten und Bedingtheiten genauer erklärt, sondern natürlich auch die Humanwissenschaften. Es ist die Frage nach Freiheit und Herrschaft, die Frage nach dem Selbstverständnis … aber trotzdem spricht man nicht darüber. Man verliert sich im Detail und fragt nicht mehr nach den Grundlagen. Jeder glaubt irgend was, die meisten haben eher eine diffuse Überzeugung, die sie nicht hinterfragen.

Die Metapher vom Elefanten im Raum, an dem eigentlich keiner vorbei kommt, aber dennoch ignoriert wird, liefert keine Erklärung, sondern stellt nur die erstaunliche Beobachtung dessen dar. Hier wollen wir ein wenig über diese Grundfrage nachdenken.

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Lesefrüchte: „Rettet den gesunden Menschenverstand!“

Ich bin zuweilen regelrecht begeistert über kluge Texte, die sich ohne Mühen finden lassen. Darum will ich eine neue Rubrik erstellen, in der ich auf fremde Federn – die mir gedanklich gar nicht so fremd erscheinen – aufmerksam machen möchte. Heute verweise ich auf den Eintrag für den 26. Oktober 2020 in Michael Klonovskys Acta diurna. Es geht um eine inhaltsschwere Buchrezension:

„Rettet den gesunden Menschenverstand!“ von Eva Rex

Einige Gedanken sind so gut formuliert, dass ich sie hier weitgehend unkommentiert zitieren möchte:

„Wie kommt es, dass die meisten Mitglieder der westlichen Gesellschaften so merkwürdig apathisch und desinteressiert an ihrem eigenen Geschick agieren und ihrer eigenen Verdrängung (als Volk, als Nation, als Kultur) entgegensehen, ja diese sogar beklatschen? Warum sind moderne Menschen trotz ausdifferenzierter Individualisierung und Aufgeklärtheit so empfänglich für ideologische Großkonzepte wie Gleichstellung, Multikulturalismus und Kampf gegen den Klimawandel? Warum begegnen uns gerade in Künstlern und Intellektuellen die fanatischsten Befürworter dieser neuen Ideologien? … Wie kommt es, dass so viele sich nicht mehr auf ihre eigene Wahrnehmung verlassen und nicht den Mut haben, sich ihres Verstandes zu bedienen?“

Eva Rex

Sie wird bei Hannah Arendt fündig, die man gar für eine sehr hellsichtige Prophetin halten möchte. …

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Sehnsucht nach Selbstzerstörung

Wir leben in seltsamen Zeiten. Einerseits leben wir in Westeuropa in einer Periode des Wohlstands und Friedens, die vielleicht beispiellos ist. Andererseits häufen sich die Indikatoren, dass diese Periode zu Ende geht, und zwar aus eigenen, innergesellschaftlichen Antrieben heraus. Alexander Meschnig bezog diesen gesellschaftlichen Trend auf die These Freuds, dass es im Menschen einen Todestrieb gibt, der einen Erklärungsansatz für diese Entwicklungen geben kann.

In seinem 1920 erschienen Werk Jenseits des Lustprinzips hat Sigmund Freud, auf dem Hintergrund der Erfahrungen des Ersten Weltkrieges, den in der psychoanalytischen Diskussion von Anfang an umstrittenen Begriff des Todestriebs eingeführt. Letzterer strebt danach, so Freuds theoretische Annahme, in den anorganischen Zustand zurückzuführen. Denn: „Das Ziel alles Lebens ist der Tod.“ Zu dieser Triebgruppe gehört ein Streben nach Selbstzerstörung und, daraus abgeleitet, eine Neigung zu Aggression und Destruktion.

Alexander Meschnig

Es ist nichts ungewöhnliches, wenn aus inneren individuellen Befindlichkeiten auf gesellschaftliche Relevanz geschlossen wird, wenn diese inneren Antriebe entsprechende Resonanz in der Gesellschaft erhalten, entwickeln sich Massenbewegungen. Auch das kollektive Unbewusste (C.G. Jung) ist ein ähnlicher Erklärungsansatz. Aber trifft die These Meschnigs auch zu?

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Günter Gaus / Rudi Dutschke (1967) / Große Transformation

Rudi Dutschke war der Anführer und Vordenker der Studentenbewegung. Ist es nicht total out, Interviews vor über 50 Jahren zu diskutieren? Ich halte es für top aktuell, denn hier können wir erstaunliches lernen:

  • Inhaltlich: Was hat sich an den Einschätzungen der damaligen und heutigen Zeit geändert? Was hat sich bestätigt? Was hat sich nicht verändert?
  • Stilistisch: Wie war der Umgang in kontroversen Diskussionen? Günter Gaus lässt keinen Zweifel an der Ablehnung von Dutschkes Position … aber was macht er daraus?
  • Philosophisch: Was bedeuten diese Perspektiven für unser Selbstverständnis und unser Urteile zum Zeitgeist?

Schauen sie sich das Video selbst an! 42 Minuten, die sich sehr lohnen.

Zuerst fällt in der Einleitung auf, dass Gaus die Bedeutung Dutschkes herunterspielt. Wir wissen, dass das Hauptjahr der Studentenbewegung 1968 war, also erst danach an Breite gewann. Darum ist es zu diesem Zeitpunkt durchaus zutreffend, von einem kleinen Teil der Studenten zu sprechen. Er ahnt jedoch, dass hinter diesen Ansätzen mehr steckt …

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Realität vs. poststrukturalistische Linke

Lesen bildet. Aber nicht alles, was intellektuell anspruchsvoll und akademisch klingt, ist auch wohl durchdacht oder zutreffend. Auf den Begriff der ‚poststrukturalistischen Linken‘ stieß ich beim Lesen von Vive la Diffé­rence! Wenn Linke und Rechte von #Diffe­renz reden, meinen sie nicht das Gleiche von Jule Govrin und Andreas Gehrlach. Die Einleitung behauptet:

Alle reden von Differenz – die reaktionäre Rechte, die poststrukturalistische Linke und die Neoliberalen. Der Begriff begann seine Karriere um das Jahr 1968 herum, und man kann sich im Gewirr seiner politischen unterschiedlichen Bedeutungen leicht verlieren. Dabei sind die Fronten eigentlich klar.

Jule Govrin / Andreas Gehrlach

Natürlich stellt sich die Frage, wie sich Differenzen in der Realität darstellen. Im Poststrukturalismus zweifelt man jedoch an der Realität als objektiven Maßstab und hält diese durch die Sprache erst konstruiert. Als großer Freund des Phantastischen liebe ich nicht nur Pippi Langstrumpf – Ich mache mir die Welt, so wie sie mir gefällt – als die Symbolfigur des Zeitgeistes. Science Fiction und phantastische Literatur (z.B. das Werk von Walter Moers) haben es mir angetan.

Dagegen meint Dushan Wegner:  »Am Ende gewinnt immer die Realität!« . Wegner hält darin offensichtlich die Realität für eine unbestechliche Befindlichkeit, die man nicht durch die Kraft des Geistes beliebig verändern kann. Trotz meines Faibles für das Phantastische bin ich geneigt, Wegners profane Ansicht zu teilen. Ich habe darum den Text von Jule Govrin und Andreas Gehrlach genauer unter die Lupe genommen: Gibt es die behaupteten klare Fronten … im Poststrukturalismus? Oder ist das alles nur ein Konstrukt ohne Bedeutung?

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Rassismus und Läuterungsagenda

Wer würde bezweifeln, dass der Rassismus mit Sklaverei, Eroberungsmotiven und Genozid nicht zu dem schlimmsten gehört, was sich Menschen an Verfehlungen leisten. Allerdings treibt diese berechtigte Verurteilung seltsame Blüten, die gar in ihr Gegenteil umschlagen und zuweilen suizidale Züge annehmen. Dies ist gar prägend für den Zeitgeist, der von einem manifesten oder latenten Alltagsrassismus aller Mitglieder der schuldbeladenen Rassen oder Völker (sic!) ausgeht. Dieser sei in direkter Linie die Teilhabe an allen Verbrechen der Vergangenheit, im Besonderen der Vorfahren jener Rassen oder Völker. Es gilt darum, zur Läuterung genau das Gegenteil zu tun, nämlich die Opferrassen und Völker zu entschädigen und ihnen für das Unrecht, dass ihren Volksgenossen angetan wurde, eine kaum hinreichende – wie groß das Entgegenkommen auch ist – Sühne zu präsentieren.

Sandra Kostner hat eine Debattenband heraus gebracht – Identitätslinke Läuterungsagenda – dessen vielfältigen Aspekte hier gar nicht umfänglich diskutiert werden können. Einige Gedanken aus diesem Anstoß sollen hier angerissen werden. Im Besonderen ist es die Frage des Selbstveständnisses und der Identität: Was bedeutet das alles für uns selbst?

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Tugend und Gesellschaftsentwicklung

Tugenden – oder allgemeiner gesprochen Werte – unterliegen der Beurteilung. Ein Einzelner mag eine Wertschätzung abweichend von der ihm umgebenden Gruppe abgeben. Dennoch bilden sich in einer Gesellschaft unscharfe Cluster heraus, die für deren Entwicklung eine prägende Rolle spielen. Am wirksamsten sind jene Tugenden und Werte, die als selbstverständlich etabliert sind. Aber ein Reflektion dieser vermag das Urteil zu verändern. Kurz: Wohl und Wehe der Zukunft liegt in den praktizierten Tugenden und Werten!

Das gilt dann für jede beliebige Gruppengröße. So mag ein Clan oder Stamm einen eigenen Codex herausbilden, eine religiöse Gemeinschaft, ein Staatsvolk oder Ethnie, oder ein grenzüberschreitender Kulturraum. Früher sprach man von deutschen Tugenden wie Fleiß, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Im Zeichen des Wertewandels gilt dies nun nicht nur als verpönt, sondern trifft auch weit weniger flächendeckend zu.

Wir betrachten nun die Hypothese, dass jene Herausbildung und Verflachung von Tugenden und Werten maßgeblich zu einer positiven oder negativen Gesellschaftsentwicklung führt.

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