Ein philosophischer Elefant

Was treibt die Welt letztlich an? Ist es das Schicksal? Die Vorsehung? Gott oder Götter? Der Zufall? Der gestaltende Mensch? Oder die reine deterministische Notwendigkeit? Diese Grundfrage ist zentral für fast alles. Religionen und Kulturen ranken um diese Frage und Antworten. Die Dynamik der Gesellschaft wird maßgeblich von der Antwort geprägt und ist über den reinen Erkenntnisdrang auch politisch relevant. Fast alle Wissenschaften haben hierin ein starkes Motiv: Man will erforschen, wie die Welt bestimmt ist. Nicht nur in den Naturwissenschaften, die Gesetzmäßigkeiten und Bedingtheiten genauer erklärt, sondern natürlich auch die Humanwissenschaften. Es ist die Frage nach Freiheit und Herrschaft, die Frage nach dem Selbstverständnis … aber trotzdem spricht man nicht darüber. Man verliert sich im Detail und fragt nicht mehr nach den Grundlagen. Jeder glaubt irgend was, die meisten haben eher eine diffuse Überzeugung, die sie nicht hinterfragen.

Die Metapher vom Elefanten im Raum, an dem eigentlich keiner vorbei kommt, aber dennoch ignoriert wird, liefert keine Erklärung, sondern stellt nur die erstaunliche Beobachtung dessen dar. Hier wollen wir ein wenig über diese Grundfrage nachdenken.

Ein Grund für die Nichtbetrachtung dieser Frage liegt sicher auch darin, dass die Welt unglaublich komplex ist und keineswegs offensichtlich zu beantworten. Alles erscheint möglich. Finale Beweise sind nicht zu erwarten. Sollte man sich darum der zentralen Frage nicht mehr widmen? Oder gibt es doch Möglichkeiten, sich der Erkenntnis zu nähern? Zumindest sollte bei einer fehlenden sicheren Antwort regelmäßig neu überprüft werden, ob es hier einen Erkenntnisfortschritt gibt. Die moderne Neigung, zeitlosen Herausforderungen keine Aufmerksamkeit zu schenken um sich im Dickicht tagesaktueller Ereignisse zu verlieren, erweist sich dann als fatal.

Freiheit und Entscheidungstheorie

Es ist irrelevant, wenn wir aus Sachzwängen, überzeugenden Argumenten oder gar Determinismus nicht die Wahl zwischen unterschiedlichen Alternativen haben, von Entscheidungen zu sprechen. Ansonsten haben wir zumindest Freiheitsgrade, die uns Entscheidungen ermöglichen. Wir treffen dann immer (!) eine Entscheidung, und sei es, keine finale Position zu beziehen oder eben jene Entscheidung zu vertagen. Zuweilen sind wir uns der Entscheidungen unbewusst, oder sie sind vom Gefühl getrieben. Als denkende Menschen kommt das aber einer Entmündigung gleich – man wird sich doch seiner Möglichkeiten, selbst die Entscheidungen zu verantworten, nicht nehmen lassen wollen … oder?

Dazu kann man auf verschiedene Beobachtungen zurückgreifen, die zunächst unstrittig sind: Der Mensch ist offensichtlich nicht völlig frei, denn er steht unter vielen Bedingungen, die die Freiheitsgrade seiner Entscheidungen einschränken. Nicht nur Sachzwänge, sondern auch genetische und soziale Faktoren prägen zuweilen das Handeln und Denken. Dennoch treffen wir ständig Entscheidungen, die auch andere Ergebnisse haben könnten. Subjektiv haben wir meist deutliche Freiheitsgrade, die durchaus auch objektiv vorhanden sind. Ob das so ist, wird unten diskutiert.

Zunächst geht es um eine Klärung der Sachverhalte. Es wäre töricht, verfügbares Wissen nicht zur Grundlage seiner Entscheidung zu nutzen. Erst bei bestmöglicher Erkenntnis wird man auch die bestmögliche Entscheidung treffen. Um es vorweg zu nehmen: Unser Wissen bleibt aber praktisch – und auch theoretisch – meist so begrenzt, dass alternativlose vernünftige Entscheidungen eher selten sind. Das gilt im Besonderen zu unserer Entscheidung, wie wir die Welt verstehen.

Bleibt also die Frage übrig: Wenn uns die Erkenntnis keine hinreichende Entscheidung liefert, dann muss es andere Kriterien geben, die uns in unseren Entscheidungen leiten. Eines davon sind die Konsequenzen, die eine bestimmte Entscheidung nach sich ziehen. Der Film ‚Matrix‘ liefert hier eine beachtliche Illustration: Der Protagonist Neo wird vor die Wahl der roten oder die blauen Kapsel gestellt, die jeweils für eine Weltsicht steht, zu wählen. Später erfährt man, dass Cipher die andere Wahl getroffen hat.

Das Denken liefert Werkzeuge, wie man weiter kommen kann. Zunächst die bestmögliche Klärung der Sachverhalte, dann die Durchdringung der Entscheidung selbst. Manches ist so trivial: Der Satz vom Wiederspruch sagt, dass eine Aussage und sein Gegenteil nicht zugleich wahr sein kann.

Die Kohärenztheorie der Wahrheit baut darauf auf: Wenn sich aus Beobachtungen mehrere Sätze zunächst als Vermutung ableiten, dann haben diese jeweils logische Folgeketten. Baut sich darauf ein Kartenhaus aus vermeintlich wahren Sätzen auf, kann sich dieses als stabil erweisen … oder eben in sich zusammenfällt, weil eben die Bedingungen zu Widersprüchen führen. Man kann dann diesen Lösungsweg eliminieren, dann dieses Kartenhaus kann keine gültigen Antworten liefern. Es ist dann eine Fleißübung, die kritischen Annahmen in dem Kartenhaus zu finden und andere Varianten auszuprobieren, ob sich hier ein kohärentes Weltbild erzeugen lässt. Aber durch den Ausschluss vieler inkohärenter Sätze ist dann, möglich die Wahrheit heraus zu filtrieren. Siehe auch: Was ist Wahrheit?

Eine Entscheidung unter der verbleibenden Unsicherheit zu treffen, wir Entscheidungstheorie genannt: Was sind die Konsequenzen? Was ist der Nuten oder Schaden der Entscheidung? Am bekanntesten für eine frühe Entscheidungstheorie hinsichtlich der weltanschaulichen Konsequenzen als die Pascalsche Wette (engl. Pascals Wager). Er betrachtet die Möglichkeit, im Modell herunter gebrochen auf zwei Alternativen, was die Konsequenzen wären. Ist Option A wahr – also gewinnt die darauf basierenden Annahme – , dann hat das Konsequenzen, die entweder als positiv oder negativ beurteilt werden – Win or lose:

I don’t know. Only God knows where the story ends for me, but I know where the story begins. It’s up to us to choose, whether we win or lose and I choose to win.

Mary J. Blige

Also ergeben sich vereinfacht folgende Kombinationen aus der Wahrheit der Annahmen und dem Urteil zu den Konsequenzen – hier mit Beispiel frei nach Pascal:

Win-Win: Die Annahme erweist sich als wahr, und die Konsequenzen führen zu einem positives Urteil. Beispiel: Gott existiert und er wird uns ins Paradies führen. Bis dahin war unser Leben auch unter Schwierigkeiten von der Hoffnung getragen.

Win-Lose: Die Annahme erweist sich als wahr, aber die Konsequenzen sind negativ. Beispiel: Es gibt keinen Gott und unser Leben endet im Nichts und Bedeutungslosigkeit. Mehr Hoffnung gibt es nicht.

Lose-Win: Die Annahme ‚Es gibt einen Gott‘ erweist sich als falsch, aber wir werden es nie erfahren, da wir schlicht nach unserem Tod nichts erkennen können. In der Zwischenzeit lebten wir in der Hoffnung und Zuversicht.

Lose-Lose: Die Annahme ‚Es gibt keinen Gott‘ erweist sich als falsch. In der Zwischenzeit lebten wir ohne Hoffnung und Zuversicht und müssen uns ggf. dafür verantworten, warum wir unser Leben auf falsche Annahmen gründeten.

Natürlich kann man das Modell viel intensiver diskutieren, aber das Grundmuster der Entscheidungstheorie, auch wenn hier stark vereinfacht wird, wird klar. Detaillierung und Verfeinerungen sind dagegen gute Mittel für den Erkenntnisprozess: Hieran können wir unsere Welterkenntnis, ggf. Theologie, schleifen.

Ignoranz

Unwissenheit ist letztlich unvermeidbar, wenn es ein vollständiges Wissen nicht geben kann. Aber es ist weniger entschuldbar oder gar ein Zeichen respektabler Demut, wenn man diese Unwissenheit festschreibt und die Erkenntnismöglichkeiten ausschließt.

Als ignorant wird derjenige bezeichnet, der absichtlich oder unabsichtlich etwas nicht erkennt, etwas nicht wissen will oder nicht beachten möchte. Ignoranz somit eine gewollte oder ungewollte Unwissenheit.

Radiowissen Ethik und Philosophie

Wir können neben den Antworten, die sich in Widersprüchen verheddern auch jene ausschließen, die letztlich nur die Unwissenheit festschreiben wollen, also Nicht-Antworten liefern. Das Eingeständnis, dass wir zu manchen Fragen keine einfachen und sicheren Antworten haben, ist darin ein Teil der Erkenntnis. Demut ist darum durchaus ein Tugend, aber dazu gehört auch, keine Antworten zu akzeptieren, die keine sind. Wer also steif und fest behauptet, dass die Welt vom Zufall getrieben ist, sich dann aber weigert, die Natur des Zufalls weiter zu durchdenken, macht sich der Ignoranz schuldig.

Mit diesen einfachen Regeln können wir bereits viele Ansichten ausschließen oder als negativ abwerten. Das Filtrat der Antworten, die nicht eliminiert wurden, gewinnt damit an Wert.

Solipsismus

Diese Einstellung wirkt wie Wahnsinn und extremer Subjektivismus:

Solipsismus (von lat. solus und ipse) bedeutet die Vorstellung eines Individuums das einzige wirklich existierende Subjekt, das einzige sich wissende Ich zu sein. Alle anderen Menschen seien – wie die Menschen in einem Traum – Traumvisionen oder ähnliches. In einem weitergehendem Sinne bedeutet Solipsismus, dass die ganze Welt, das ganze Sein sich in den subjektiven Bewusstseinsinhalten erschöpfe. 

Viele Philosophen sind der Überzeugung eine sichere Antwort auf diese Frage zu haben, andere glauben, dass diese Frage mit letzter Sicherheit nicht zu beantworten sei.

Philolex

Formal gesehen kann man diese Möglichkeit nicht völlig ausschließen. Aber sie erklärt nichts: Denn sie erklärt weder die eigene Herkunft, noch die Befindlichkeit des Unbewussten, dass offensichtlich die Welt mit ihren komplexen und fein abgestimmten Regeln erstellt. Wenn das ‚eigene‘ Unbewusste diese Welt erschafft, besteht kein struktureller Unterschied zu einem externen Gott, der eine objektive Realität erschafft und das Ich als ein unvollkommen wahrnehmendes Individuum.

Da dieser Ansatz also lediglich die Ignoranz rechtfertigt und nichts erklärt, können wir ihn getrost ausschließen.

Determinismus

Die Existenz von Bedingtheiten, Notwendigkeiten und vorgegebenem Verhalten ist unstrittig. Determinismus sagt darüber hinaus, das diese vollständig die Ereignisse bestimmen und keine weiteren Freiheitsgrade zulassen. Es gibt mehrere Varianten darin: Ein religiöser Determinismus gibt Gott oder der Vorsehung / Schicksal die Bestimmungsmacht letztlich über alle Ereignisse, die zunächst zufällig erscheinen. Ein naturalistische Variante, etwa beschrieben durch Laplace, meint, dass es echte Zufälle gar nicht gibt, und darum auch das Denken des Menschen der strengen Kausalität unterliegt. Moderner Varianten davon sind Ansätze der Neurophilosophie.

Allen Varianten ist gemeinsam, dass es letztlich nicht der Mensch ist, der sein Schicksal und die Entwicklung steuert. Er ist Sklave der Notwendigkeit und hat nur die Illusion, selbst zu entscheiden. Da dies dann notwendig auch die Vollständigkeit des Denkens betrifft, kann er letztlich nichts erkennen. Denn jede vermeintliche Erkenntnis, wie auch deren gegenteilige Ansicht, wären dann notwendiges Produkt der Ereignisse. Es kann also nicht mehr zwischen Wahrheit und Unwahrheit unterschieden werden. Jede Unterscheidung wäre, ganz gleich ob logisch korrekt oder falsch, vollständig induziert und damit ohne wirklichen Erkenntniswert. Das man den Determinismus also nicht wirklich erkennen kann, selbst wenn er in irgend einer Form wahr wäre, führt also zu einem performativen Widerspruch:

Zur Rechtfertigung eines Programms der Letztbegründung (s.d.) wird geltend gemacht, daß Rede, wenn sie überhaupt sinnhaft sein soll, immer schon auf transzendentalpragmatischen Voraussetzungen der Argumentation basiert [1]. Solche Voraussetzungen argumentativ zu bestreiten, laufe auf einen p.W. hinaus [2]. Apel greift auf J. Hintikkas logische Rekonstruktion des cartesischen Cogito-Argumentes zurück. ‘Ich existiere nichtʼ nennt Hintikka eine «existential inconsistency».

Margarita Kranz (2004): «Widerspruch, performativer; Widerspruch, pragmatischer», in: J. Ritter/K. Gründer/G. Gabriel (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel: Schwabe Verlag. DOI: 10.24894/HWPh.4839

Da dies also zur Nichterkenntnis führt und die Ignoranz zementiert, lehnen wir jeglichen Determinismus robust ab.

Ein ’schwacher‘ Determinismus, der also nicht alle Ereignisse vollständig bedingt, wäre, dass das Denken des Ichs gewisse Freiheitsgrade habe. Dann könnte der Mensch als machtloser Beobachter der Welt den Determinismus erkennen. Eben wie Cassandra, die den Untergang Trojas kommen sah, aber nichts daran ändern konnte. Allerdings wird nicht erklärt, warum denn das Denken des Menschen im Gegensatz zu allem andern eben Freiheitsgrade habe. Es ist darum auch eine Nicht-Erklärung. Denn wenn sich der Mensch dennoch so verhält, dass er im deterministischen Rahmen bleibt, wäre seine vermeintlich wahre Erkenntnis ebenso eine Illusion. Er könnte nie wissen, ob er da einem Programm folgt wie ein Film, der ihm eben Freiheit des Denkens nur vorgaukelt. Wer also glaubt, dass er den ‚wahren‘ Determinismus erkannt habe, landet in einem performativen Widerspruch: Wenn er wahr wäre, dann hätte ihn dieser mit gleichem Recht zu seinem Gegenteil führen können. Es ist dann eine Erkenntnis ohne Wert und von einer Illusion nicht mehr zu unterscheiden.

Ein wahrer Determinismus würde uns alle zu Sklaven machen, in der jede Konformität und jedes Aufbegehren Teil der deterministischen Rolle wäre. Es ist darum Banane, einen ‚echtem‘ Determinismus zu folgen, eine Lose-Lose Situation: Ist er unwahr, entmündigst du dich grundlos selbst. Ist er wahr, ist es sowieso vorgegeben, wozu du dich entscheidest.

Zufall und Notwendigkeit

Der naturalistische Mainstream der westlichen Welt hat den Charm, dass er unserer Alltagserfahrung mit möglichst sparsamen Zusatzannahmen entspricht. Erscheinen die Ereignisse nicht recht zufällig … wenn sie sich im Kontext einer soliden, regelbasierten Welt ereignen? Es gibt Freiheitsgrade im Denken, nichts ist automatisch exakt so, wie man es vorausberechnen könnte. Ein Laplace’scher Dämon würde nicht nur wegen der Menge der Ereignisse ganz praktisch versagen, sondern auch wegen der Quantenmechanik, die einem Determinismus entgegen steht. Siehe Kopenhagener Deutung

Allerdings wäre es vorschnell, hier eine gültige, gar beste Erklärung des Grundprinzips der Welt anzunehmen. Denn es gibt darin einige Haken und Ösen. So ist der Zufall keineswegs einfach. Es bedarf der Quantenmechanik, die so komplex ist, dass die meisten Menschen sie nicht verstehen, um überhaupt echten Zufall herzustellen. Und an der Konstruktion eines halbwegs guten Zufallsgenerators sind schon viele exzellente Programmierer gescheitert. Warum sollte also der Zufall überhaupt existieren? Hat er sich selbst geschaffen? Und was macht die Idee, wahrer Zufall wäre die letzte Ursache von Allem ‚einfacher‘ als ein Gott, der die Realität erschafft? Das kann nur der denken, der eine höchst naive Idee des Zufalls hat.

Und was ist dann mit der Freiheit des Menschen? Ist diese lediglich eine Variante des Zufalls? Natürlich müsste jener Mensch eine substanzielle Entscheidungskompetenz haben, die eben zwischen Gut und Böse wählen kann. Woher kommt diese Fähigkeit dann? Auch nur durch Zufall und Evolution entstanden? Der Mensch und seine Würde als kontingente Sumpfblüte?

Gut, auch das ist zumindest denkbar. Aber ist dann eine Moral, die Idee von Gut und Böse, nicht ebenso kontingent und subjektiv? Also: Könnten nicht alle Werte beliebig vertauscht werden, da sie letztlich nur zufällig sind? Das aber entwertet diese und führt sie zurück auf das Recht des Stärkeren: Eine trostlose Welt! Aber müssten wir sie nicht als solche akzeptieren, wenn diese notwendig und real wäre? Was aber, wenn sie weder notwendig noch real ist, sondern eine weitere Vorstellung, die nur einem grauen haften Albtraum entspringt? Eine selbstgebastelte Hölle? Warum sollte dann irgend jemand dieser Vorstellung anhängen?

Immanuel Kant akzeptierte darum den ‚moralischen Gottesbeweis‘:

Während aber die theoretische Vernunft die Idee Gottes nur denken kann, vermag die praktische Vernunft ihr wenigstens in gewissem Sinne Realität zu verleihen. Dies ergibt sich aus der Pflicht zur Verwirklichung des höchsten Gutes, welches in der Verknüpfung des Zustandes der Sittlichkeit mit dem der Glückseligkeit besteht 

Historisches Wörterbuch der Philosophie online

Aber auch Kant, der immerhin die Denknotwendigkeit Gottes ansonsten ablehnte, kann hier irren. Denn Realität ist nichts, was erst durch das Denken entsteht, sondern eine objektive Befindlichkeit. Wir können diese nur eingeschränkt erkennen. Die Stärke der Überzeugung, dass unsere Vorstellung mit der Realität übereinstimmt, ist einerseits von möglichen Denkergebnissen (Erkenntnis) getrieben, andererseits mit bewussten und unbewussten Entscheidungen, dass es eben die Wahrheit sei.

Wie bereits erläutert, liefert die Wissenschaft einschließlich der Logik und Philosophie hier keine Gewissheiten, sondern lediglich Denkmöglichkeiten und Plausibilitäten – zumeist mit offenen Alternativen. Es ist darum in jedem (!) Fall ein Akt des Glaubens, eine Weltsicht für wahr zu halten. Dies gilt aber in einigen Denkrichtungen als verpönt, da es zu sehr nach Religion riecht. Um diesem Makel zu entgehen, wird fälschlich die eigene Weltsicht als ‚logisch‘, ‚zwingend‘ oder ‚wissenschaftlich‘ deklariert. Es ist aber Augenwischerei, etwas objektiv Ungewisses für objektiv wahr zu halten und dies nicht ‚glauben‘ nennen zu wollen. Eben das dann auch noch als ‚logisch‘ zu bezeichnen ist ein performativer Widerspruch und eine Bankrotterklärung der Vernunft.

Eben darum flüchten einige ihrer Vertreter in die Behauptung, sie seien sich eben nicht gewiss, und damit Agnostiker. Allerdings seien sie sich zu 98% sicher und hinterfragen ihre Grundannahmen nicht mehr.

Dawkins hat sich dem verschrieben, was er wissenschaftliches Denken nennt, und dabei manches herausgefunden.
Zum Beispiel: „Die Wahrscheinlichkeit, dass es keinen Gott gibt, würde ich bei etwa 98 Prozent ansetzen.“ Ebenso gering sei aber die Wahrscheinlichkeit – hier spricht wieder der Biologe vom Fach –, dass aus Fröschen Prinzen werden.

FAZ: MÄRCHENVERÄCHTER DAWKINS: Alles viel zu unwahrscheinlich

Aber weder die prozentuale Abschätzung ist hinreichend begründet, noch ist das Argument stichhaltig, sondern eher Betrug oder Selbstbetrug, um formal dem Widerspruch zu entgehen und den Begriff des ‚Glaubens‘ dennoch zu vermeiden. Zudem ist es verwunderlich, dass Dawkins mit einer Wahrscheinlichkeit von 2% glaubt, dass aus Fröschen Prinzen werden. Das hat wohl sicher auch kein Märchenerzähler ernsthaft in Betracht gezogen. Immerhin spielen dagegen Menschen Lotto, bei der die Gewinnwahrscheinlichkeit weit niedriger ist.

Im Besonderen gewinnt das Gegenargument an Stärke, wenn man die Alternative betrachtet.

Gottesglaube

Bekanntlich gibt es viele Varianten des Gottesglaubens. Neben der Hauptvariante des personalen Monotheismus gibt es bekanntlich den Polytheismus des Altertums oder der Hindus, den Deismus eines unpersonalen Gottes, den Daoismus, der das Dao als die unbeschreibbare Instanz an Stelle eines Gottes erkennt, und den Animismus, der eine Gottheit nicht ausdrücklich benennt. Um langwierige Diskussionen zu vermeiden, die zu dem Thema der Unterscheidung und Argumentationen Bibliotheken füllen könnte, setze ich bei der Metaphysik des Aristoteles an: Der erste Grund, der unbewegte Beweger ist ein einziger Gott, Ursache aller Kausalketten und Schöpfer aller Dinge. Unerheblich bleibt darin, ob es hier um eine kontinuierliche Reihe von Schöpfungsakten geht, oder die Ingangsetzung einer evolutiven Mechanik.

Dieser Gott ist zugleich der Knoten, der auch die geistige Grundlage allen Denkens, Hoffens und Liebens ist: Der Mensch ist gewollt und dazu berufen in Freiheit er selbst zu werden. Seine Rahmenbedingungen sind nicht rein zufällig und sein Leben und Ethik stehen unter einer nachvollziehbaren Richtung. Er selbst kann seiner Bestimmung folgen und diese in Freiheit selbst suchen oder ihr widersprechen und sich darin versuchen, selbst neues zu schaffen.

Die Ungewissheit und die Art jenes Gottes sind zugleich Programm: Freiheit entsteht eben erst da, wo es mögliche Alternativen gibt. Alternativlose Erkenntnisse geben keinen Entscheidungsspielräume. Ein Gottesglaube, der sich im Determinismus erschöpft, führt in performative Widersprüche und entspricht auch nicht den Beobachtungen. Er muss darum verworfen werden.

Darüber hinaus gibt es nichts, was einem Gottesglaube grundsätzlich widerlegen würde. Zwar erklärt dieser weder, was der Ursprung jenes Gottes ist und kann es auch grundsätzlich nicht, denn dann wäre Gott ja nicht der erste Ursprung. Aber die Alternative, die Herkunft des Zufalls und dessen Wirkmächtigkeit, blieben ebenso wenig klar. Vielmehr konvergiert die Vorstellung eines Zufalls mit der eines blinden und unpersonalen Gottes.

Doch wenn wir die Hauptlinie verfolgen, dann sind wir bei einem personalen Gott, der die Welt und uns selbst willentlich geschaffen hat, auch die Quelle für Gut und Böse liefert, und uns Sinn und Ziel gibt. Es bleibt die Aufgabe des Menschen, sich diesem zu stellen und an Erkenntnis zu gewinnen. Er gewinnt darin an eigenständiger Substanz, denn er wurde ja gerade darum geschaffen, nicht nur zum alternativlosen Erfüllungsgehilfen seines göttlichen Willens zu werden. Hierin beruht die Ebenbildlichkeit Gottes: Der Mensch erhält Freiheitsgrade seines Denkens und Handelns. Er ist für seine Taten verantwortlich und kann sein Schicksal wenden.

Dies alles bleibt nicht nur im Lichte der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnis denkmöglich, sondern wird auch bei weiterem Erkenntnisfortschritt keine wesentliche Änderung erfahren. Mehr noch: Diese Weltsicht liefert ein erstaunlich konsistentes Modell zu unseren Erkenntnissen, sowohl wissenschaftlicher Natur, als auch der Alltagserfahrung.

Wie oben bereits erläutert: Trifft diese Sicht der Welt trotz Unsicherheit zu, ist alles gewonnen, einschließlich Glaube, Hoffnung und Liebe. Erwiese sie sich dennoch als Irrtum, ist nichts verloren: Denn der ins Nichts vergehende Mensch hätte dennoch ein erfülltes Leben gehabt und nie von seinem Irrtum Kenntnis erhalten. Wenn es also keine zwingenden Gründe gäbe, diese Weltsicht zu verwerfen, dann ist diese klar vorzüglich.

Varianten des Gottesglaubens, die den Menschen knechten, eine Fremdherrschaft rechtfertigen sollen, negative Sozialverhältnisse schön reden oder andere nachteilige Aspekte letztlich unbegründet rechtfertigen, sind scharf abzulehnen. Denn sie widersprechen dem Grundsatz, dass der Mensch zur Freiheit geschaffen wurde. Die Existenz repressiver Möglichkeiten, des Irrtums, ja dem Bösen schlechthin, ist nach Leibnitz das notwendige Übel, dass uns die Wahlfreiheit und Erkenntnis erst ermöglicht.

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