Schöpfung und Evolution

Für unser Selbstverständnis ist es maßgeblich, wie wir unsere Herkunft denken. Aktueller Anlass dieses Aufsatzes ist ein Artikel in der FAZ – Natur und Wissenschaft- vom 24. Februar 2021. Der Autor Joachim Müller-Jung behauptet im Untertitel: ‚Vor genau 150 Jahren stieß Charles Darwin den Menschen endgültig vom Thron der Schöpfung‘. Abgesehen davon, das der Mensch nie als der Schöpfer oder Regent der Schöpfung behauptet wurde, meint der Verfasser wohl, dass es eine Schöpfung als intentionaler Akt Gottes widerlegt sei. Das wäre jedoch falsch. Darwin hat lediglich die Behauptung aufgestellt, dass natürliche Auslese ein hinreichender Grund für die Entwicklung der Arten sei. Dies aber ist bislang unzureichend belegt, denn Modelle der Makroevolution, also von evolutiven Innovationen aus reinem Zufall, bleiben ohne starke Indizien. Hier wollen wir uns mit dem Gedanken der Schöpfung, der Quellen und der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse beschäftigen.

Zunächst soll aber einiges geklärt werden, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen. Der Fossilienbericht aus der Paläontologie und einige genetische und morphologische Ähnlichkeiten lassen hinreichend begründet vermuten, dass eine Verwandtschaftsbeziehung und Entwicklung der Arten existiert. Das geologische Erdalter von rund 4,3 Mrd. Jahren wird nicht bestritten. Auch wurde nachgewiesen, dass es Artenfamilien gibt, die durchaus durch rein evolutive, nicht notwendig intentionale Veränderungen begründet sind. Aber was nach wie vor im Dunkeln bleibt, sind die Sprünge, die die Entwicklung angeblich ohne Plan zustande brachte. Sieh hierzu Evolution – Theorie, Tatsache, Glaube und Wahrscheinlichkeit.

Somit kann es kein hinreichend gesichertes Wissen um die Schöpfung oder deren behauptete fehlende Notwendigkeit geben. Der Verweis auf den angeblichen Zufall ist in der Regel auch wenig begründet, siehe Vom Wesen des Zufalls.

Viele Schöpfungläubige haben mit den Ergebnissen der naturwissenschaftlichen Forschung wenig Probleme: Offensichtlich bediente sich der Schöpfer der Mechanismen der Evolution. Es ist zwar weniger offensichtlich, dass dies alles seinem Plan entspricht, aber der Glaube liefert eine widerspruchsfreie Deutung der Naturwissenschaft, die auch die persönlichen Existenz als das Ergebnis des Schöpfungswillen Gottes ausgeht. Philosophen können sich nach wie vor auf Aristoteles beziehen, der die Notwendigkeit der unbewegten Bewegers als dem ersten Grund erläuterte.

Nun sind aber die biblischen Erzählungen von der Schöpfung mit der rekonstruierten Naturgeschichte nicht in direkte Übereinstimmung zu bringen. So genannte Kreationisten gehen von der Realität einer wörtlichen Deutung der Schöpfungserzählungen aus. Die Wissenschaft habe darum eine Fehldeutung der Fakten vorgenommen. Ungläubige sehen das als irratonal, gar lächerlich an.

Bevor wir aber den kreationistischen Ansatz kritisch beleuchten, zunächst eine Darstellung der Argumente:

  • Die Bibel sei gänzlich Offenbarung Gottes. Da aber Gott nichts falsches sagt, müssen die wissenschaftlichen Thesen, die dieser Darstellung widersprechen, eben Irrtümer sein.
  • Eine klare Erkennbarkeit als gleichnishafte Erzählung sei nicht aus dem Text erkennbar, es wäre darum nur eine Gefügigmachung, wenn man dem wörtlichen Verständnis nicht folgt.
  • Auch im Neuen Testament wird wiederholt auf die Schöpfung und Adam im Besonderen verwiesen, was die Bedeutung der Texte weiter belegt.

Diese Argumente sind jedoch nicht wirklich stichhaltig, den abweichenden Befund der Naturwissenschaften hinreichend zu erklären. Eine wörtliche Deutung der Texte ist sogar aus theologischer Sicht, ohne Bezugnahme auf die Naturwissenschaften, wohl dem Texten nicht angemessen.

Die Bibel, die Offenbarung Gottes

Juden und Christen, die der Autorität von Genesis 1 – 3 keine zentrale Bedeutung beimessen, und natürlich alle Andersgläubigen, können dieser Argumentation ohnehin nicht folgen. Aber auch jene Gläubige, die die Bibel als von Gottes Geist inspiriert ansehen, müssen dieser Deutung eher skeptisch gegenüber stehen. Dies gilt es zu begründen:

Die Texte der Bibel sind von vielen Menschen verfasst worden und überliefert worden. Im Prozess der Kanonisierung wurden jenen Texten eine verbindliche Bedeutung zugesprochen. Andere Texte die durchaus Ähnlichkeiten mit dem biblischen Texten haben, wurden jedoch nicht in den Kanon aufgenommen. Die Bibel in ihrer heutigen Gestalt ist demnach als Ergebnis einer historischen Entwicklung zu verstehen. Das heißt nicht, dass die Inspiration Gottes nicht das verbindende Element sei. Gerade was die Schöpfungserzählungen (Genesis 1, Genesis 2-3 ) angeht, so verstehen Gläubige diese eher als Visionen und Offenbarungen an die menschlichen Autoren. Um einen historischen Bericht eines menschlichen Beobachters kann es sich dabei nicht handeln, dann die Menschen sind ja erst am Ende der Erzählung entstanden.

Wenn man der These nun folgt, dass es sich wahrlich um inspirierte Texte handelt, so ist noch immer die Frage nach dem Textverständnis aktuell. Die Kernfrage ist hierbei die der Mitteilungsabsicht: Warum überhaupt eine Offenbarung? Was wollte Gott den Menschen mitteilen? Und wer ist der Adressatenkreis?

Der biblische Text – wäre er nicht geschrieben – hätte folgende Anforderungen, sollte sich der Mensch als durch Gottes Schöpfung gewollt zu verstehen:

  • Der Text muss kurz und prägnant sein und alle Menschen adressieren, schlichte Gemüter von nativen Kulturen des Altertums bis hin zu hochgebildeten Wissenschaftlern des 21. Jahrhunderts und darüber hinaus .
  • Der Text kann darum nicht ein Evolutionsgeschehen nach heutigem Verständnis entsprechen, denn dies würde den Rahmen deutlich sprengen, wenn dann die Details hinreichend deutlich sein sollten. Die erkennbare Kernbotschaft würde bis zur Unkenntlichkeit verwässert.
  • Ein literales Verständnis bei einfachen und antiken Menschen schadet nicht. Denn die Kenntnis der realen Naturgeschichte macht hier keinen Unterschied hinsichtlich der Bedeutung.
  • Gebildete Menschen der Neuzeit sollten dagegen kognitiv in der Lage sein, den biblischen Text im Sinne der Vermittlungsabsicht zu verstehen. Dies schließt eine literale Deutung weitgehend aus.

Das heißt, der Text kann durchaus ‚wahr‘ sein, ohne dass es eine wörtliche Deutung intendiert ist.

Warum Gleichniserzählung?

Die Bibel ist voller Gleichniserzählungen. Bilder sollen einen komplexen Sachverhalt verdeutlichen und verständlich machen. Oft werden diese auch klar als Gleichnis tituliert. Heißt es nun, dass alle bildhaften Texte mit gewichtiger Aussage, die nicht ausdrücklich als Gleichnis bezeichnet werden, keine Gleichnisse sind, sondern zumindest einen historischen Kern haben müssen, um wahr zu sein? Vieles spricht dafür, dass in altertümlichen Geschichten Erzählungen und Sagen die Frage nach einer historischen Wahrheit so nie gestellt wurde. Eine phantasievolle Ausschmückung der Sagen, mangelnde Präzision und Stil lassen erkennen, dass die Vorstellung der Erzählung ein wichtiges Element war, und das historische Exaktheit nicht erforderlich ist. Auch die Menschen des Altertums sollten einen Unterschied wahrgenommen zwischen der biederen Alltagserfahrung und der sagenhaften Ausgestaltung. Auch heutige Fantasy-Literatur und Filme versuchen zuweilen, Inhalte, Werte, menschliche Problemstellungen uns andere in einem fantastischen Kontext zu verstärken. Dabei geht es zumeist eben nicht nur um unterhaltsame Phantastereien, sondern um ein Medium, um Inhalte zu transportieren.

Was ist nun Wahrheit? Der zu vermittelnde Inhalt ist also weniger die unrealistisch anmutende Handlung, die eher nur das Transportmedium ist, sondern die Botschaft, die hinter dem Vordergründigen lauert. Hier kann durchaus auch ein Irrtum oder eine Lüge vorliegen. Lügengeschichten sind auch bekannt als Betrüger-Methoden oder Propaganda. Selbst wenn die Geschichte sich exakt so zugetragen hat, die Mitteilung allerdings einen Inhalt vermittelt, der unlauter ist, kann man dies sehr wohl als Unwahrheit erkennen. Ebenso ist ein Gleichnis, dass sich so nicht in der Geschichte zugetragen hat, aber eine Botschaft vermittelt, die zutiefst wahr ist, nicht der Unwahrheit zeihen. Selbst einfache sprachliche Redewendungen machen die selbstverständlich: ‚Die Sonne geht unter‘ wäre wissenschaftlicher Unsinn, denn der Beobachtungspunkt auf der Erde dreht sich lediglich in den Schatten der Sonne. Kein Mensch meint darum , dass der Ausdruck ‚Die Sonne geht unter‘ unwahr sei.

Der Glaube an die Wahrheit der Offenbarung also liegt vor allem im Kern der Botschaft. Eine Anforderung an historische oder wissenschaftliche Exaktheit besteht in diesem Fall nicht nur nicht, sondern würde geradezu die Mitteilungsabsicht und Verständlichkeit erschweren, wenn das historische Ereignis so komplex ist, dass der Mitteilungskern darin verschwindet..

Intrinsische Textmerkmale

Bei den Schöpfungserzählungen in Genesis 1 und Genesis 2-3 handelt es sich jeweils um unterschiedliche Texte mit unterscheidbarer Mitteilungsabsicht. Beide Texte entsprechen einer durchdachten literarischen Komposition, die aber dennoch knapp und prägnant die Absicht der Botschaft vermitteln. Beide Texte werden gemeinhin unterschiedlichen Texttraditionen zuerkannt, die aber beide parallel kanonisiert wurden, obwohl diese nur schwerlich zu harmonisieren sind.

Wäre das Ziel der Kanonisierung diese der Vermittlung einer widerspruchsfreien und klaren Geschichte gewesen, so hätte man sich für eine der beiden Varianten entschieden, und die andere aus dem Kanon entfernt. Da dies nicht geschehen ist, ist es ein Hinweise darauf, dass die Texte ursprünglich auch nicht als Naturgeschichtsschreibung verstanden wurden. Es wurde nicht wirklich gemeint, dass historische Vergangenheit präzise beschrieben wurde. Es wäre demnach gegen die Vermittlungsabsicht, die Texte vor allem unter ein historisches Interpretationsmuster zu stellen. Das ehrenwerte Ziel der Kreationisten, in möglichst treuem Verständnis den Text nicht umzudeuten, würde damit verfehlt.

Ferner liefert der Text Hinweise der literarischen Komposition, die einer historischen Chronik nicht entsprechen. Genesis 1 erinnert mit seinem 7-Tage Aufbau einem Hymnus. Die Tage 1 bis 3 werden in weiterer Präzisierung in den Tagen 4 bis 6 neu aufgegriffen. Zugleich werden die zeitgenössischen Vorstellungen, den Himmelskörpern oder Tieren ein göttliche Bedeutung zuzuweisen, radikal widersprochen: Es sind lediglich Objekte der Schöpfung Gottes. Die Darstellung, dass Gott den Menschen als Mann und Frau schuf, die zugleich die Ebenbildlichkeit Gottes spiegeln, spricht für einen Offenbarungscharakter. Denn seit jeher, auch später im Judentum und Christentum wurden Geschlechter höchst unterschiedlich verstanden. Es wirkt drum revolutionär und eher an die Emanzipationsbewegung erinnert, wenn hier den Geschlechtern gleiche Bedeutung zugewiesen wurde.

Genesis 2 bis 3 verweist dagegen auf ein anderes Geschlechterverhältnis, dass aber letztlich auch bei der Gemeinsamkeit der Geschlechter ansetzt und auch ein Wortspiel beinhaltet. Auch hier ist eine andere Mitteilungsabsicht erkennbar als eine exakte Geschichtsschreibung. Ohne Kenntnis der naturwissenschaftlichen Forschung müsste man darum die Auffassung von einer Naturgeschichtsschreibung zurückweisen.

Intellektuelle Verantwortung

Menschen sind recht unterschiedlich kognitiv ausgestattet. Darüber hinaus ist der Zugang zu Bildung, einschließlich des verfügbaren Wissens, sehr verschieden. Dies heiß nicht, dass klügere und gebildetere Menschen irgendwie ‚besser‘ oder höherwertig seien. Selbst der schlichteste Mensch kann moralische das beste Vorbild sein, und der Klügste seinen Verstand nur für Böses oder ideologische Verblendung einsetzen.

Wer aber über eine reichere Ausstattung mit kognitiven Fähigkeiten verfügt, ist auch dafür verantwortlich, diese Kompetenzen zu nutzen. Es wäre darum verwerflich, die Nase zu rümpfen über die Schöpfungserzählungen und sie nur für unbedeutende Märchen ohne Wahrheitsanspruch zu halten, bloß weil man unvereinbare Unterschiede zwischen einer wörtlichen Deutung und dem Stand naturwissenschaftlicher Erkenntnis ausmacht. Es bleibt in der Verantwortung des Menschen, eine Botschaft zu erkennen und dieser zu vertrauen oder auch nicht.

Wenn aber die Gründe für eine (negative) Entscheidung intellektuell nicht vertretbar sind, dann wäre es skurril, diese Entscheidung als eine intellektuelle Notwendigkeit zu stilisieren. Somit ist der Schöpfungsglaube weder bewiesen im strikten Sinn, noch zu widerlegen. Irrational heißt hier lediglich, dass eine Entscheidung, das eine oder andere zu glauben, sich nicht auf zwingende Gründe beziehen kann. Aber eine Entscheidung wird unvermeidlich gefällt. Ein Gottvertrauen mit der letzten Naturdeutung als Schöpfung kann entweder akzeptiert oder zurück gewiesen werden. Durch wechselnde Stärke des Vertrauens und unterschiedlicher Ausgestaltung ist es zwar nicht einfach eine binäre Entscheidung, kann aber als solche abstrahiert werden. Ein Unentschieden hieße dann, dass kein Vertrauen in die Schöpfung besteht, und damit kein wesentlicher Unterschied zu plakativem Unglauben.

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