Glaube und Staat – Ein Einstieg

Unser Selbstverständnis ist nicht zuletzt von unserer Position im Staatsgefüge geprägt. Ein freier Bürger hat offensichtlich andere Denkvoraussetzungen wie der Sklave, Revolutionär oder Untertan. Doch weder der Staat, noch der Mensch ist in sich absolut, sondern versteht sich in sich gegenseitig beeinflussenden Kräften. Die Weltanschauung ist hier das starke Bindeglied, aber ebenso dynamisch dem Spiel der Kräfte unterworfen. Weltanschauung ist das Verständnis der Welt, das sich bekanntlich nicht auf letzte Gewissheiten stützen kann. Überzeugung ist nichts weniger hier als Glaube, der sich sowohl in klassischen Religionen, als auch in anderen Ideologien finden, die allzu oft den Charakter von Ersatzreligionen tragen, auch wenn sie sich säkular gerieren.

In der westlichen Welt hatte das Christentum einen markenten und prägenden Einfluss, ohne den das modernen Denken nicht zu verstehen ist. Im Besonderen geht der Laizismus – Trennung von Religion und Staat -letztlich auf die Lehre Jesus zurück, dass sein Reich nicht von dieser Welt ist. Um diese Feinheiten im geschichtlichen Kontext zu erkennen bedarf es eingehender Betrachtungen, die den Rahmen eines überschaubaren Essays sprengen. Ich habe mich darum entschlossen, eine Aufsatzreihe zu beginnen, die hier unterschiedliche Aspekte beleuchtet.

Pluralismus ist die Idee, dass es erstrebenswert ist, ein Vielfalt von Meinungen und Lebensentwürfen zuzulassen. Es ist eine Konsequenz aus dem Freiheitsstreben, denn Freiheit kann es nur geben, wenn gangbare Alternativen existieren. Die Verengung und Eliminierung von Alternativen mündet im Totalitarismus, der keine Freiheitsgrade mehr zulässt. Der Lob des Pluralismus ist nicht zugleich der Verzicht auf die absolute Wahrheit der eigenen Überzeugung. Denn das Erkannte will allgemein richtig und wahr sein. Der Pluralismus hingegen schränkt lediglich ein, diese Überzeugung unbedingt durchsetzen zu wollen, sondern räumt ein, dass man selbst die Wahrheit eben nicht gepachtet hat und dass man sich nicht als irrtumsfrei wähnen darf.

Uns mag der Pluralismus selbstverständlich erscheinen, doch er ist lediglich eine Idee, die nie in seiner vollständigen Form umgesetzt wurde. Plural ist die Meinungsvielfalt unter dem Vorbehalt, dass alle Überzeugungen und Weltanschauungen mehr oder minder stark nach Dominanz streben. Manche tun dies offen als Teil eines Programms, andere eher intrinsisch und implizit ohne Plan und Theorie. Ein offenes Gleichgewicht der Kräfte bleibt fragil. Immer werden bestimmte Einstellungen in einer Gesellschaft ihren Stempel aufdrängen. Deren Proponenten sind von der Wahrheit und Notwendigkeit ihrer Sache meist überzeugt. Interessen der Macht und des persönlichen Vorteils modulieren die ideologischen Strömungen … oder anders herum.

Andererseits kann man die Staatsidee sich auch zwischen zwei Polen denken. Einerseits die Idee der individuellen Freiheit, die im Extrem zur Anarchie führt. Andererseits die Ordnung, die Schutz verheißt, aber letztlich in die Unfreiheit und Totalitarismus führt. Beide Extreme lassen erschrecken, und sollten unbedingt zu vermeiden sein. Aber die vermeintliche Mitte und damit die angestrebte Balance ist ebenso von Überzeugungen und Ansichten geprägt, die keineswegs leicht über einen Konsens zu erreichen ist.

Zudem ist diese Polarität keineswegs unkritisch: Kann nicht die Formen des Totalitarismus mit den Methoden einer scheinbaren Anarchie durchsetzen? Also: Recht- und Ordnungslosigkeit als Mittel, um Herrschaft auf andere Weise zu gewinnen? Die Parole ‚Keine Macht für niemand!‘ ist abgesehen von ihrer sprachlichen Sperrigkeit offensichtlich fragwürdig. Auch wenn man jenen Proponenten sogar moralischen Furor und Freiheitswillen unterstellen mag, so bleibt doch offensichtlich, dass dieser Anspruch in sich selbst widersprüchlich und fragil bleibt. So ist es dafür erforderlich, die bestehende Herrschaft zu entmachten – und das wird ohne Gegenmacht nicht möglich sein. Bereits die Theorie und vielmehr die Praxis zeigt, dass die Sieger aus dem Konflikt die damit gewonnene Macht nicht abgibt. Es dem Volksmund nach, den Teufel mit dem Belzebub zu vertreiben. Was wäre gewonnen? Auch eine Anarchie im angestrebt theoretischen baut in gewissem Maße auf eine Art Totalitarismus und Ordnung auf.

Die üblichen Formen der politischen Skalierung im Rechts-Links-Schema bleibt ebenso fragwürdig. Denn wenn man den Nationalismus eines Hitlers oder Mussolinis als maximalen Gegensatz zur sozialistisch-internationalistischen Modells einschätzt, verwundert die offensichtliche Ähnlichkeit eines Nazi-Terrors mit einem Stalinismus und Maoismus. All die linken Exzesse bis hin zu den Roten Khmer und Kim Yong Il sind keine Betriebsunfälle, sondern notwendige Konsequenz aus dem Sozialismus, der sich eben nicht dauerhaft auf einen gutmenschlichen Humanismus einhegen lässt. Aber auch ein ‚milder‘ Sozialismus ohne Massenvernichtung, wie den in der DDR, ist deswegen nicht attraktiver. Denn die soziale Kontrolle, Bespitzelung, Mauertoten, und Repressalien können nicht als Zielvorstellung attraktiv sein.

Aber auch die sogenannt Mitte bleibt verdächtig, dass man hinter der vordergründig propagierten Freiheit lediglich andere Formen einer totalen Herrschaft etabliert.

Das Begriffspaar Nationalismus – Internationalismus ist kaum signifikant, denn das Streben nach größeren Einheiten der Machtausübung – eben multistaatlich, kann im Gegenteil im Inneren noch stärkeren Druck entfalten. Man nimmt dem Opfer des Systems die Fluchtmöglichkeit. Natürlich kann ein größeres Gebilde wie die EU auch nicht als Gegensatz zum Nationalstaat verstanden werden, sondern stellt eher das Streben nach einem Super-Nationalsaat dar, der unverhohlen als Konkurrenz zu anderen globalen Playern und der damit vermeintlichen Macht stilisiert wird. Je größer das politische System ist, desto machtloser wird der Einzelne. Nationalismus wird als übersteigerte Form des Chauvinismus als Popanz aufgebaut, um damit Munition in der Durchsetzung zur Erringung weiterer Macht zu gewinnen. Was versprechen sich die Internationalisten? Ist es ein Glaube, eine Ideologie, dass immer größere Einheiten, gar die UNO oder eine Weltregierung per se moralischer ist? Das sich hier leichter Gerechtigkeit und Freiheit durchsetzen ließe? Dass damit Pluralismus gefestigt würde? Allein, wenn man dieses formuliert wird deutlich, wie fragil diese Ideen sind und welche Gefahren des Totalitarismus darin lauern. Der beste Ansatz zur Sicherung eines Pluralismus ist der Nationalstaat, der innerhalb und außerhalb Alternativen zulässt. Seltsamer Weise werden derartige einfache Grundüberlegungen nicht mehr reflektiert, sondern durch schlagwortartige Parolen ersetzt.

Es gilt eine paternalistisch Haltung – Am deutschen Wesen soll die Welt genesen – als verstaubt, doch hat sie einen rührenden Charme, der sicher nicht übergriffige Dominanzansprüche rechtfertigt. Dennoch wird sie in Reinform von jenen praktiziert, die sich als Internationalisten und Globalisten von jenem Gedanken vordergründig scharf distanzieren. Man kaschiert lediglich das eigene Programm eben nicht als ’national‘, sondern attribuiert hier andere Rechtfertigungen in Ignoranz der Kulturgebundenheit des eigenen Denkens.

Ein anderes Begriffspaar, welches eine Dimension aufspannt, ist konservativ – progressiv. Zuweilen wird dies mit einem rechts-links-Schema assoziiert, was aber falsch ist. Denn die sogenannte extreme Rechte will ja gerade nicht die bestehenden Errungenschaften und Ordnungen bewahren, sondern radikal ‚progressiv‘ verändern. Auch das Restaurieren einer vermeintlichen vergangen Ordnung ist keineswegs ‚konservativ‘, denn jenes Argument kann in Wirklichkeit die Geschichte nicht zurück drehen, sondern strebt eine Änderung an, deren Ziele sich eben von denen der sogenannten ‚Progressiven‘ mehr oder minder unterscheiden – hier meist in einer Idee, die sich an einer vermeintlichen Vergangenheit orientiert. Es ist darum zwischen Konservativen und Revisionisten klar zu unterscheide. Der signifikante Unterscheid zwischen Konservativen und wahrhaft Progressiven ist weniger die Art der Zielvorstellung, sondern der Wille zur Veränderung versus dem Bewahren von Errungenschaften. Auch Konservative wollen oft eine Veränderung und Anpassung, meist jedoch in einem Tempo, die die Errungenschaften nicht Preis gibt und vergeudet.

Eine zentrale Idee der Neuzeit ist die ’soziale Gerechtigkeit‘, die allerdings oft unscharf bleibt. Die Vermeidung von Ausbeutung, eine möglichst gleiche Bedürfnisbefriedigung – also Verteilungs-‚Gerechtigkeit‘ – wird darunter meist verstanden. Das Verständnis überschneidet sich mit dem Begriff der Leistungsgerechtigkeit: Wer viel leistet, soll auch mehr erhalten als jener, der wenig leistet. Diese natürliche Ordnung dients zugleich als Leistungsanreiz, schafft aber letztlich eine ungleiche Verteilung. Manche Menschen aber können nicht in gleicher Weise eine Leistung für die Gesellschaft erbringen. Behinderte müssen ebenso wie Kranke, Kinder und Alte eine auskömmliche Perspektive haben – dafür hat ein Sozialwesen zu sorgen, aber eine völlige Gleichverteilung zerstört jenen Antrieb zur Leistungserbringung.

In traditionellen Gesellschaftsformen war das Bedürfnis nach einer stärkenden Identität im Selbstverständnis keine Frage, die sich über den Raum der philosophisch Interessierten hinaus stellt. Es war mehr oder minder klar, wozu man gehörte oder was man war – die Aufgabe war mehr, in die Rolle hineinzuwachsen. Heute aber zerbrechen traditionelle Formen des Verständnisses in atemberaubender Geschwindigkeit. Um so bedeutsamer sind die Versuche der Selbstidentifikation in einer sich rasch wandelnden Gesellschaft. Glaube und Staat stellen darin wesentliche Faktoren.

Themen der vertieften Beschäftigung ranken sich um

  • Die antike Idee der Demokratie, der Macht und des Imperators
  • Biblische Befunden aus AT und NT
  • Spätantike Rezeption und Staatskirche – Augustinus Gottesstaat
  • Germanische tribale Strukturen
  • Reformation und Luthers 2 Reiche
  • Aufklärung und Revolution
  • Christliche Sozialbewegungen, Befreiungstheologie und Sozialismus
  • Totalitarismus und Kirche
  • Islam und dessen Anspruch
  • Zeitgeistige Strömungen, Gender, Klimaangst etc.

Alle diese Themen haben mehr oder minder bewussten Einfluss auf unser Denken und werden in loser Folge untersucht werden.

Fortsetzung folgt

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