Warum ist der Kulturrelativsmus falsch?

Kulturrelativsmus ist in Deutschland zur Zeit in Mode und gilt als politisch korrekt. Ist es nicht gerade moralisch, die Anderen in ihrer jeweiligen Kultur grundsätzlich als gleichwertig zu erachten, und fremdenfeindlich und chauvinistisch, das nicht zu tun?  Ich halte das für grundfalsch und unmoralisch, denn damit wird der Beliebigkeit und Morallosigkeit Tür und Tor geöffnet.  Das aber ist näher zu begründen:

1. Wenn es eine übergreifende absolute Moral gibt, die sehr wohl das Gute vom Bösen scheiden kann, so kann es dennoch unterschiedliche Implementierung dieser absoluten Moral geben, wobei sich die einzelnen Vorstellungen durchaus unterscheiden können. Nicht jeder Unterschied in der Bewertung und Auffassung widerspricht einander oder der Idee eines übergreifenden Absoluten.  Dann ist aber nicht ausgeschlossen, dass die jeweiligen Moralsysteme eine mehr oder minder große Distanz zur absoluten Moral gibt. Eine Moral der Nazis, die Juden und andere beliebig töten lässt, wird zu recht als abscheulich und amoralisch erkannt. Aber warum? Wenn alle Moralsysteme per se gleichwertig wären, dann auch das der Nazis. Sind die aber nicht. Denn manche Systeme sind in sich pervertiert, andere haben große erkennbare Abweichungen vom wahren Guten. Wenn es keine Referenz der Moral im Absoluten gibt, dann fehlt die Grundlage, das System der Nazis zu verurteilen. So weit auch Kant.

2. Wenn man die Toleranz als hohen, gar den höchsten Wert erachtet, dann ist das unter der Annahme, dass dies eine absolute Forderung sei bereits eine Widerspruch in sich selbst. Denn viele Systeme unterscheiden scharf und schätzen Toleranz als nicht anstrebenswert an. Man würde dann damit implizit deren Wertesystem nur noch eingeschränkt tolerieren, nämlich als Bruch zum absoluten Standard. Ist aber Toleranz nur ein relativer und subjektiver Wert, dann ist auch keiner genötigt, diesen anzustreben. Mit welchem Recht würden dann die Intoleranten abgelehnt?

3. Will man der kulturellen Eigenständigkeit einen besonderen Wert zuweisen, dann gilt das ebenso für jene, die sich selbst als Deutsch identifizieren und ein Recht auf Heimat, Unversehrtheit, Sicherheit etc. fordern. Eine erzwungene Öffnung für Fremde verletzt eben jene Rechte.

Ist Toleranz darum keine Tugend? Das hätte das Kind mit dem Bade ausgegossen. Aber es gilt, die Moralität der Toleranz und deren Grenzen zu zeigen. Ausgehend von der Goldenen Regel kann man annehmen, dass ein jeder Mensche die Freiheit und Toleranz sucht, seine Vorstellungen vom Guten auch ausleben kann. Freiheit und Toleranz leitet sich darum auch als Wert aus der Goldenen Regel her. Diese Herleitung aber zeigt, dass die Forderung nach Toleranz nur ein abgeleiteter Wert ist, der eben nicht der höchste Wert sein kann. Es ist auch keineswegs ausgeschlossen, dass dieser Wert mit anderen Werten in Konflikt gerät. Zum Beispiel nach Unversehrtheit von Leib und Leben. Es kann darum nicht toleriert werden, wenn jemand eine Ansicht ausleben will, die einen Anderen massiv schädigt und seiner Rechte beraubt. Somit ist das Recht auf Freiheit und Toleranz durch andere Rechtsgüter stark begrenzt.

Ein weiterer Aspekt der Toleranz ist die Erkenntnisunschärfe: Wenn jede Erkenntnis, sowohl die des Anderen als auch die Eigene, grundsätzlich unter dem Irrtumsvobehalt steht, so kann es keinen Anspruch geben, das Absolute autoritativ zu vertreten. Sondern es sind sowohl fremde wie auch eigene Irrtümer bis zu einem gewissen Grad zu tolerieren. Diese Grenze liegt ebenso in der Verletzung der Rechte Dritter.

Die Wahl ist nun nicht zwischen Toleranz und Intoleranz, sondern in einer Wertbestimmung und Priorisierung, was zu tolerieren ist und was nicht. So mag ein Brauchtum, das keine Rechte Dritter wesentlich verletzt, vom Toleranzgebot geschützt sein. Die Einschränkung auf ‚wesentlich‘ ist erforderlich, denn ansonsten könnte ein Dritter eine Verletzung, z.B. von persönlichen Gefühlen, konstruieren, mit der dann jegliche Toleranz ausgehebelt würde.

Klare Entscheidungen sind hier schwierig. Denn Regeln, die für das Individuum gelten, sind ggf. in Gemeinschaften unterschiedlich zu bewerten. Auch ist die Frage der Gestaltung des öffentlichen Raums und des Umgangs der sozialen Interaktion nicht immer leicht zu entscheiden. Aber eine derartige Entscheidung kann nur dann angemessen sein, wenn man sich über die Grundsätze im Klaren ist und einen gewissen Konsens dazu erreichen kann.

Anlass für diese Überlegungen gab dieser Beitrag von Roger Letsch: Kandel und kein Wandel – Kulturrelativismus auf dem Vormarsch

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