Jörg Bernig ››Habe Mut …‹‹. Eine Einmischung – Meinungsfreiheit

Ein zentrales Thema der Rede ››Habe Mut …‹‹. Eine Einmischung  ist die Meinungsfreiheit und die aktuelle Politik:

In meinem 2014 erschienenen Roman »Anders« habe ich das
Schicksal eines Lehrers beschrieben, dessen Leben ruiniert wird. Der Grund dafür war, dass er eine Meinung vertrat, die nicht
dem Mainstream entsprach. Ich schrieb diesen Roman, weil ich beobachtet hatte, dass in Deutschland die Auseinandersetzung mit anderen Meinungen immer militanter geführt wurde, mit
immer unverhohlenerer Absicht, den Anderen fundamental zu
beschädigen. Dies ist in der Zwischenzeit massenhaft geschehen mit den Kritikern der sogenannten Flüchtlingspolitik.

Jenseits der inhaltlichen Frage, ob denn die Flüchtlingspolitik so oder so zu kommentieren und verstehen ist, ist der Vorwurf erschreckend. Wenn praktische Meinungs- und Zensurfreiheit derartig unterlaufen wird, dass viele hier dramatische Defizite melden, stellt sich die Frage: Ist das so?

Einerseits können wir festhalten, dass derartige Meinungen durchaus zu finden sind. Eine Zensur im klassischen Sinn findet offensichtlich nicht statt. Aber die Art und Weise, wie welche Meinungen in den führenden Medien mit größter Reichweite präsentiert wird, gibt Anlass zur Sorge. Die 60er, wo noch Lokführern wegen Mitgliedschaft in der DKP ein Berufsverbot drohte, sind sicher kein Vorbild, dem man nachtrauern müsste. Heute aber, wo der Verlust von Aufträgen und schnell wirksame gesellschaftliche Ächtung einsetzen kann, nimmt der erzwungene Konformismus neue Dimensionen an. Bekommt ein Autor heute den Stempel ‚Rechter‘ aufgedrückt, oder droht eben nur jener, so gefährdet das die eigene gesellschaftliche Existenz. Das bezieht sich nicht exklusiv auf die Frage nach der Flüchtlingspolitik, sondern auch auf Fragen des Klimawandels, Genderismus, Multikulturalismus, Nation, Geschichtsdeutung und einiger anderer Themen.

Eine kleine Analyse der Medien zeigt, dass eine Trennung zwischen Bericht und Kommentar schon nicht mehr besteht. Die wertende Attributierung im Bericht ist mittlerweile Standard, der keinen Aufschrei mehr auslöst, sondern akzeptierte Selbstverständlichkeit, und zuweilen als betreutes Denken charakterisiert wird.

 Im Sommer letzten Jahres konzipierte ich einen Essay, der dem Gedanken ›Sie wissen nicht, was sie tun‹ folgte.
Ich meinte damit die Systemverantwortlichen in Deutschland und ihr ignorantes und herablassendes Agieren dem Volk gegenüber, ihre Souveränitäts- und Staatsaufgabe nicht nur des Jahres 2015, ihre Unfähigkeit, in kulturellen Dimensionen zu denken.

Tatsächlich ist der Begriff Kultur als unterscheidbare Wertegemeinschaft heutzutage fragwürdig. Denn es gibt durch eine Migrationsbewegung, wie es sie allerdings auch in der Antike gab, keine ‚reinen‘ Kulturen mit scharfen Grenzen und statischer Verfasstheit, aber Gemeinwesen, die durchaus eine Ähnlichkeit mit dem Individuum und seiner Interaktion mit anderen haben. Denn auch das Individuum ist Teil einer oder mehrerer Gemeinschaften. Das Individuum teilt Ansichten mit anderen, und seine Ansichten verändern sich ggf. mit der Zeit – sie sind nicht zementiert und statisch, zumeist jedenfalls nicht. Dennoch wäre die Veränderlichkeit selbstverständlich kein Grund, die Identität, das Existenzrecht oder das Vertreten der Interessen des Individuums zu bestreiten.

Ebenso bei Kulturen: Obwohl diese weit weniger fassbar erscheinen als ein einzelner Mensch, sind doch unscharfe Wertvorstellungen in geschichtlichem Kontext prägend und identitätsstiftend für deren Mitglieder – ob nun implizit (auch gegen das Selbstbild), wie auch als explizites Bekenntnis. Wie wenig man hier von Unveränderlichkeiten ausgehen kann, so ist dennoch der Gestaltungswille der Mitglieder jener Gemeinschaft ein natürliches Anliegen. Eben das ist auch das ureigenste Anliegen der Demokratie: Der Bürger will Einfluss auf die Bewegung in der Geschichte ausüben. Aufgedrängte Entwicklungen, die unerwünschte Konsequenzen haben, sowohl von außen als auch von innen, werden zu recht bekämpft.

Wenn Bernig  nun eine kulturellen Dimension nennt, dann beruft er sich auf eine nachvollziehbare Ebene. Er identifiziert sich damit in der unscharfen Gruppe einer Kultur zugehörig, was auch objektiv nachweisbar ist. Es bleibt sowohl ihm als auch seinen Kritikern freigestellt, welch Zielvorstellung er verfolgt. So liegt es durchaus in der Freiheit eines jeden Einzelnen, ob er den Weg in eine multikulturelle Gesellschaft ohne ausdrückliche Leitkultur will, oder ob er die zitierte Kultur in der Geschichte und in den aktuellen Werten erhaltungswürdig sieht.

Begriffe wie ‚konservativ‘ oder ‚progressiv‘ sind hier eher irreführend. Denn auch ein national denkender mag ein progressive Veränderung herbeiführen, und den Status Quo keineswegs konservieren. Die moralische Qualität des gut und böse ist wiederum weder von der Dimension des Universalismus vs. Individualismus, noch von Freiheit vs. rigide Ordnung, noch von progressiv vs. konservativ geprägt, sondern eine eigene Dimension, in der alles mögliche gut oder böse sein kann. Ein Problem ist lediglich, dass man häufig Begriffsassoziationen begegnet, die das Eine sagen, aber das Andere meinen.

Unreflektierte Moral

Gerade in den Publikationen der Zeit begegnet uns eine Art normativer Setzung moralischer Dimensionen, die traditionell völlig anders orientiert waren. Vorangegangene Jahrhunderte waren von der normativen Setzung einer kirchlichen Moral geprägt, die oft jedoch nicht unwidersprochen blieb. Die Zirkel der Intelligenzia setzte mit humanistischen Ansätzen meist keinen Kontrapunkt, wohl aber eine andere Orientierung. In der Kunst zeichnete sich damit auch ein Wertepluralismus ab, der in Einzelfragen durchaus zu Verwerfungen neigte, insgesamt aber eine breite gesellschaftliche Entwicklung trieb.

Die Postmoderne ist nun von einer völlig anderen Grundstruktur geprägt. Die Kirche ist weitgehend entmachtet und oft zum Sprachrohr eines informellen Mainstreams geworden, der seinerseits die Deutungshoheit über die Moral beansprucht. Jene moralischen Leitlinien sind zum Teil geschichtlich erklärbar, aber weit weniger fassbar und nicht an einzelnen Menschen und Instanzen gebunden. Es ist vielleicht treffender mit ‚Zeitgeist‘ zu identifizieren. Alte Entwürfe, wie ein institutionalisiertes Christentum oder eine kämpferische Sozialbewegung, haben in der geschichtlichen Entwicklung ihre Signifikanz verloren und sind weitgehend in einer großen Koalition verschmolzen. Pate dieser Entwicklung ist aber weit weniger ein geistiger Fortschritt, den die Sozialutopisten herbeisehnten, sondern eine weit unreflektiertes Denken zu dem, was anscheinend Wert hat.

Im Besonderen zeugen die Begriffe von Toleranz und Freiheit, die hierin zu den höchsten Werten zählen, von der Unreflektiertheit und Selbstwiderprüchlichkeit. In eben diesem Sinne gilt die Demokratie als der Garant der Moral. Mehrheiten sollten im Sinne einer postulierten Schwarmintelligenz Orientierung liefern, wo doch andere Grundlagen des Denkens wegbrachen. Nur traf das gerade durch Verweis  auf die Geschichte eben nicht zu. Demokratien haben keinen sicheren Mechanismus einer Selbst-Stabilisierung, sondern sind durchaus nicht vor Extremismus und Manipulationen gefeit. Herrschende Eliten versuchten stets eine Rechtfertigung ihrer Macht mit unterschiedlichen Mitteln umzusetzen.

Bei Diktaturen war es letztlich die propagandistische Hoheit, gepaart mit willkürlicher Gewalt, kritische Bestrebungen zu unterdrücken. Ein Königtum oder Aristokratie, die sich oft auch auf eine göttliche Rollenzuweisung beruft, basiert auf der allgemeinen Akzeptanz einer traditionellen Ordnung. Moderne Demokratien gewinnen ihre Rechtfertigung aus Mehrheiten, die sich in Wahlen äußern. Darin ist es allgemein anerkannt Praxis, dass alle Parteien ihrerseits die Mehrheiten nicht nur mit der Kraft guter Argumente gewinnen wollen, sondern zu allen möglichen Mitteln der Manipulation greifen. Im Besonderen werden die  weit weniger lauteren Mittel zuerst beim Meinungsgegner erkannt, durchschaut und gegeißelt. Dann aber als Rechtfertigung installiert, jene Mittel ebenso einsetzen zu können. Ein Schelm, wer da nach Henne und Ei fragt.

Toleranz als höchster Wert?

Pluralismus liefert in der Tat die Leinwand, auf der sich höchst unterschiedliche Bilder malen lassen. Dass die Vielfalt gegen eine Meinungsmonokultur bereits einen Wert in sich Selbst trägt, mag sicher wohl kaum jemand bestreiten. Somit kann die hierfür erforderliche Toleranz tatsächlich als ein konstituierende Tugend verstanden werden. Aber diese Tugend bleibt leer wie eine rohe Leinwand, wenn sie nicht von dem eigentlichen Bild veredelt wird. Mit dem engagierten Vertreten eines formgebenden Inhaltes kann eben jene Grundlage nicht zugleich oberster Wert sein. Das führt zum Selbstwiderspruch, denn die Toleranz würde dann selbstreferenzierend jene anderen Ansichten, die sie doch gerade vorgeblich schützen will, beherrschen und sich damit außer Kraft setzen.

Daraus folgt, dass Toleranz alleine keinen konsistenten Wert darstellt, sondern erst eingebunden in eine Wertestruktur ihre Rechtfertigung erhält.

Ist aber Toleranz ein in sich klarer, feststehender Begriff? Eher nein. Früher galt der literale Wortsinn: Das zu dulden, was eine gegensätzliche oder inkompatible Meinung war. Dies schloss ein, auch jene Meinung zu kritisieren und dessen vermeintliche Falschheit darzustellen. Duldung hieß lediglich, jene Meinung nicht per Ordnungsmacht zu verbieten.

Heute wird unter Toleranz oft verstanden, dass auch jede Kritik am Andersdenkenden unzulässig sei. Vielmehr müsse man jenen wertschätzen. dies aber führt zu unauflösbaren Widersprüchen. Denn toleriert man in dieser Weise den Andersdenkende A und B – jener A aber kritisiert B – so wäre ja auch die Kritik von A zu tolerieren, der aber selbiges B gegenüber verweigert. Wäre nun die Toleranzforderung ausschließlich an sich selbst und die Seinigen gerichtet, und toleriert man die Intoleranz Dritter, führt das zum Niedergang, denn jene Dritten werden einen selbst und die Seinigen nicht mehr tolerieren.

In der Praxis erkennt man natürlich die Grenzen der Toleranz, aber als Ergebnis wird keine Reflektion über jene diskutiert, sondern trotz der Offensichtlichkeit der Vernunft einer begrenzten Toleranz bleibt das Thema oft tabuisisiert – man argwöhnt, dass eine Prüfung der Grenzen der Toleranz zugleich eine Aushöhlung jenes Wertes darstellen würde. Was übrig bleibt ist ein unlösbares Dilemma.

Faktisch erleben wir auch die praktische Intoleranz von allen Meinungen, die außerhalb eines sich verengenden Korridors zulässiger Meinungen auftritt. Diese werden durch Attributierung und Assoziation mit Bösem pauschal vom Diskurs ausgeschlossen. Es wirkt darum skurril, wenn jene Meinungswächter plakativ die Toleranz für ihre Meinungen exklusiv beanspruchen.

Freiheit?

Obgleich die Freiheit ein stark positiver Begriff ist, entzieht er sich einer klaren Deutung. Zuweilen wird Freiheit negativ definiert: Freiheit von Zwang. Oder aber positiv: Freiheit wozu?

Ist Freiheit zum Waffenbesitz – wie in den USA – ein unveräußerliches Grundrecht? US-Amerikaner würden dies bestätigen, Europäer in der Regel verneinen.

Ist Freiheit zum Religionswechsel ein unveräußerliches Grundrecht? Muslime würden dem zustimmen, solange es zum Wechsel zum Islam angeht, nicht aber wenn ein Moslem fortan dem christlichen Glauben anhängen will.

Gibt es eine Freiheit zum Kopftuch-Tragen, oder zur Vollverschleierung, wenn zugleich einige jener, die es nicht tun wollen, dazu gezwungen werden?

Es kann stets nachgewiesen werden, dass es statistisch signifikantes Verhalten in bestimmten gesellschaftlichen Gruppen existiert. Es gibt Sitten und Gebräuche, ungeschriebene Regeln und verfasstes Recht zur Sicherstellung der Ordnung. Ist dann noch von der Freiheit des Einzelnen auszugehen?

Im Zuge der Neuro-Philosophie hat die Lehre des Determinismus neue Brisanz erhalten. Wenn der menschliche Geist ausschließlich als Epiphänomen des Gehirns angesehen wird, jenes aber deterministischen Gesetzen folgt, dann würde sich jedes Denken nur als Illusion der  Freiheit erscheinen. Warum aber sollte man eine Illusion als Ideal stilisieren und vertreten?

Dieses Denken atomisiert den Freiheitswunsch, der sich wie ein roter Faden durch die gesamte Kulturgeschichte zählt. In diesem Sinne wäre er nur das Werkzeug eines vorgegebenen Schicksals oder eines planlosen Zufalls, das keine echte – also wahrhaft freie – Entscheidung mehr kennt. Ich widerspreche diesem Denken aufs leidenschaftlichste.  Nicht, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, sondern weil die Grundlage dieses Denkens äußerst dünn ist: Es gibt keine hinreichenden Belege, die uns in aller Redlichkeit nötigen, diesem Gedanken zu folgen.

Allerdings gibt es oft Konsequenzen und Sachzwänge, Prägungen und Einflüsse, die eine grenzenlose Freiheit als Illusion erkennen lassen. Dem eigenen Empfinden nach sieht sich der Mensch als frei, unterschiedliche Wege zu gehen. Das Bild der Weggabelung, das sich auch als Freiheitsgrad beschreiben lässt, trifft hier zu. Manche Entscheidungen werden aus dem Moment oder Gefühl geboren. Dieses Gefühl hat aber eine Bildungsgeschichte und ist nicht unvermittelt. Andere Entscheidungen sind Ergebnis reiflicher Überlegung unter einem moralischem Diktum.

Wie wohl ich nun diese Freiheit für unverzichtbar und wesentlich halte, so ist sie doch nicht der oberste Wert. Denn Freiheit ist ebenso wie eine leere Leinwand. Wenn kein Bild darauf gemalt wird, bleibt sie bedeutungslos. Ist aber das Bild vorhanden, weiß man lediglich um den Wert der Leinwand als Träger.

In diesem Sinn ist die Meinungsfreiheit konstitutiv für den Diskurs, und zwar nicht, um diese lediglich nominell zu loben, aber nicht in aller Konsequenz zu praktizieren. Das führt aber weder zur Kritiklosigkeit der entgegen stehender Meinungen, noch zur Diffamierung und Ausgrenzung jener. Das Ideal des Diskurses setzt die Verfasstheit der Meinungsfreiheit voraus.

wird fortgesetzt.

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