Intellektualismus und Jörg Bernig ››Habe Mut …‹‹. Eine Einmischung

Jörg Bernig, ein deutscher Erzähler und Lyriker, anerkannt im Kulturbetrieb, hat einen Eklat ausgelöst mit o.g. Rede. Weniger vor dem Publikum der 3. Kamenzer Rede, das sich mit reichlich Applaus bedankte, sondern mit dem Umgang damit. Ein Anlass, genauer hinzuschauen.

Hier ging es um die Aufklärung, Toleranz, deutsches Selbstverständnis, Medien und aktuelle Politik – aus Perspektive Lessings und Kants. Die Anregungen waren dicht und sollten in mehreren Artikeln behandelt werden. Hier aber vom Ende her – Der öffentlichen Rezeption: Der MDR wollte diese Rede aus dem Programm nehmen, machte sie dann aber dennoch öffentlich, nachdem es Kritik hagelte.

Vera Lengsfeld schrieb:

Die Sendung zu der Veranstaltung vom 7. September 2016 wurde angekündigt, dann aber kurzfristig abgesetzt.

Als „Ersatz“ verlegte „MDR Kultur“ die Ausstrahlung ohne Hinweis auf den Programminhalt auf einen Sendeplatz am 3. Dezember 2016 um 22:30 Uhr. Bernig fragte nach, was diese Änderung bedeute, erhielt jedoch keine Antwort. Der Sender versah die Ausstrahlung mit dem seltsamen Hinweis, es handele sich bei der Rede „ausschließlich“ um die „sehr persönliche Sichtweise und Meinung“ von Jörg Bernig, nicht um die Meinung der Redaktion. Seltsam deshalb, weil es sich von selbst versteht, dass ein Schriftsteller nicht der Verkünder einer MDR-Meinung ist.

Das macht hellhörig und irritiert. Sind nun die intellektuellen Zirkel bedroht durch eine Meinung, die offensichtlich außerhalb dessen liegt, was die Redaktion noch unter Meinungsfreiheit akzeptiert? Was genau war passiert?

Der Zuhörer bekommt nach der 3. Kamenzer Rede von Jörg Bernig, gehalten am 7. September 2016 präsentiert:  Aufklärung als neu-rechte Mythologie | NachDenkSeiten zum Nachlesen im Text:

Ein Leserbrief eines Markus L. wird verlesen:

Fernab aller Emphase, die Fackel der Aufklärung im Sinne Lessings und Kants weiterzutragen, entwerfen sie eine Art Mythos, eine große Erzählung, deren Versatzstücke man aus den Diskussionen in den nationalkonservativen und neu-rechten Kreisen dieser Republik nur zu gut kennt: Danach stünden die politischen und zivilgesellschaftlichen Eliten des Landes unter der Führung der Bundeskanzlerin im Begriff, das tradierte gesellschaftliche Gefüge Deutschlands in ein „Versuchslabor einer ethnischen Modifizierung“ zu verwandeln (S. 10).

Der Verfasser ist offensichtlich nicht der Ansicht Bernigs, setzt sich aber mit den Thesen nicht kritisch auseinander, sondern verweist auf die zugewiesene Schublade: nationalkonservativen und neu-rechten Kreise ohne nähere Belege. Damit sei wohl alles gesagt. Eine inhaltliche Auseinandersetzung ist dann wohl nicht mehr nötig.

Nach einer selektiven Zitation und leicht modifizierenden Zusammenfassung meint Markus L.:

Auch wenn man das alles schon einmal gehört zu haben glaubt (u.a. aus den Mündern der Herren Gauland und Höcke), wird es durch die sublimierte Fassung aus der Feder eines Vertreters des intellektuellen Establishments nicht besser. Problematisch erscheint nicht nur die absurde Annahme, die politischen Eliten planten aus Verachtung des eigenen Volkes einen groß angelegten Bevölkerungsaustausch oder die bornierte Vorstellung geschlossener „Kulturkreise“, die keine Veränderung kennten und das Verhalten derer, die in ihnen aufgewachsen sind, für alle Zeiten determinierten.

Obwohl Bernig wahrlich viele bedeutungsschwere Themen anriss, war dieser Gedanke allerdings nicht zu identifizieren. Die Existenz von Kulturkreisen in Frage zu stellen ist allerdings ebenso lächerlich, wie diese dann mit dem Attribut ‚geschlossen‘ zu versehen und als statisch zu markieren.  Es erinnert an die rhetorische Figur des Strohmanns, der eine verzerrte Darstellung des Meinungsgegners entwirft, um jenen dann zu attackieren.

Gravierender ist das Schweigen über den wahren Konflikt unserer Tage, über den die NDS täglich informieren: Dieser besteht nicht in der Alternative zwischen „Bevölkerung“ oder Volk“, sondern in der Frage, ob es gelingt, der neoliberalen Zerstörung unserer natürlichen, sozialen und kulturellen Lebengrundlagen das Projekt einer freien, demokratischen, gerechten und solidarischen Gesellschaft entgegen zu stellen. Ein solches Projekt ist (ganz im Sinne des Kantischen „öffentlichen Vernunftgebrauchs“, dessen Implikationen Bernig in seiner Rede einfach unterschlägt) universalistisch angelegt.

Es mag jedem Menschen anheim gestellt sein, selbst zu entscheiden, welches er für ein wichtiges Thema hält. So  auch Bernig und Markus L. … aber es wirkt skurril, einem Dritten vorzuwerfen, etwas über Dinge zu sagen, die er selbst für weniger wichtig hält als etwas anderes. Wäre da nicht der schlichte Hinweis angemessen, eben eine völlig andere Problemanalyse zu propagieren? Betreibt nicht Markus L. und die NachDenkSeiten, die jenen ausdrücklich propagieren nicht vielmehr den normativen Anspruch der Weltdeutung?

Dies erscheint auch nachvollziehbar, denn „Initiative zur Verbesserung der Qualität politischer Meinungsbildung e.V.“ (IQM) ist der Förderverein der NachDenkSeiten.

Es begreift die „Verdammten dieser Erde“, die vor den Verheerungen des globalen Kapitalismus fliehen, ausdrücklich mit ein.

Dies erscheint dann doch als ideologischer Mythos, der dem Teufel einen neuen Namen gibt und ihn hinter jedem Übel der Welt zu erkennen sieht. Viel mehr ist das Elend in der Welt allenthalben bekannt. Einen organisierten Kapitalismus, den man gesamtschuldnerisch zur Verantwortung ziehen könnte, gibt es aber genau so wenig wie eine jüdische Weltverschwörung.

Bernig hat dagegen völlig andere Themen und Ansätze. Er will mit seinem Aufruf zum ‚Mut haben‘ nicht die Welt retten oder gar Teil eines globalen Projektes werden, sondern fragt, wie der Ansatz der Aufklärung Lessings und Kants heute verstanden werden kann. Man muss ihm darin keineswegs in allem folgen, denn er fordert ja das selber denken. Eine Manipulation der Ansichten, ein betreutes Denken ist ihm zuwider, und er will es auch nicht mit vertauschten Rollen. Bernig würde vermutlich eine sensible Kritik weit mehr begrüßen als frenetischen Applaus.

Mich beschäftigt da die Frage, ob eine eher theoretische Erörterung ohne feste Zeit- und Politik-Kritik, aber literarisch netter verpackt, nicht weit gefälliger, unverbindlicher und weniger provokant gewesen wäre, vor allem das Diktum der Meinungsfreiheit nicht verletzte.

2 Gedanken zu „Intellektualismus und Jörg Bernig ››Habe Mut …‹‹. Eine Einmischung“

  1. Jörg Bernig zitiert alle und jeden. Auf Englisch: „to show off“. Dabei kommt seine Begrifflichkeit unter die Räder. „Das Volk“ zum Beispiel ist bei Heine etwas sehr anderes als das (nach-hitlerische) bei ihm. Nämlich: Entgegensetzung zum Feudalismus. Agrarisch geprägt. Nicht der Hauch eines Mythos. Bernig täte gut daran, nicht gerade einen Dichter der Revolution zu zitieren und dann von sich zu behaupten, er wäre selbst einer.
    Rechte (Vor-)denke?
    In der Tat.

    1. Die Frage bleibt, wer Deutungshoheit beanspruchen kann. Im Besonderen, wenn offensichtlich unterschiedliche Deutungen möglich sind. Natürlich kann sich der Begriff des Volkes bei Heine nicht auf den Zustand nach Hitlerdeutschland beziehen. Heine beschwört darin weder einen statischen Zustand, noch lässt er sich exklusiv auf eine Deutung fixieren. Vielmehr beschreibt Heine unscharf einen Mythos, der wohl nicht die Herrschaft der Mächtigen zur Referenz hat, sondern eher der demokratischen Grundidee folgt. Die Kritik am Feudalismus, der eng verknüpft ist mit der Wirtschaftsweise, erkenne ich bei Heine nicht. Wer aber ‚Deutschland‘ beschwört, der beschwört einen Mythos, im Besonderen zur Zeit Heines war es erst zur Bildung von Deutschland als Nation gekommen: Siehe die Frankfurter Nationalversammlung 1848/49. Ich erkenne nicht, warum Bernig nicht bei Heine anknüpfen dürfte.

      Zum Thema ‚Rechte (Vor-)denke‘: Mir ist die Klassifizierung nach binärem rechts/links-Schema zuwider, das zugleich eine Verweigerung zum Diskurs gleich kommt. Warum sollte man auch mit dem vermeintlich bösen Lager des Feindes reden? Weder das pauschale Exkludieren von Linken seitens konservativer oder rechter Kreise, noch das Gegenteil halte ich für hilfreich.

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