Die Spannungen hinsichtlich des Heils innerhalb des Christentums und auch davor bei den Juden ist unauflösbar. Während das Judentum und viel stärker das Christentum nicht nur vom guten Leben und der Gottesbeziehung spricht, liegt in der Heilshoffnung ein inhärentes Exklusives. Es war stets ein Zusammenprall von Lebenseinstellungen: Jenen, die sich auf dem Weg zum Heil sehen und jenes erwarten … und jenen die darauf pfeifen.
Dieser Antagonismus ist im AT bereits ausgeprägt, z.B. im Psalm 1 (nach Lutherbibel 2017):
1 Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen / noch tritt auf den Weg der Sünder noch sitzt, wo die Spötter sitzen,2 sondern hat Lust am Gesetz des HERRN und sinnt über seinem Gesetz Tag und Nacht!3 Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen, / der seine Frucht bringt zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht. Und was er macht, das gerät wohl.4 Aber so sind die Gottlosen nicht, sondern wie Spreu, die der Wind verstreut.5 Darum bestehen die Gottlosen nicht im Gericht noch die Sünder in der Gemeinde der Gerechten.6 Denn der HERR kennt den Weg der Gerechten, aber der Gottlosen Weg vergeht.
- Der bekennende Gläubige, der moralisch gut handelt
- Der bekennende Gläubige, der moralisch nicht gut handelt
- Der Ungläubige, der moralisch gut handelt.
- Der Ungläubige, der moralisch nicht gut handelt
Es gibt Grund zur Annahme, dass das AT im Gesamtzeugnis das Heil eher 1. und 3. zuweist und 2 und 4. verwirft. Die unmoralischen Menschen werden als Chiffre als Gottlose bezeichnet. Das Bekenntnis ist mehr die Hilfsgröße. die zu gutem Handeln führen soll. Aber nur auf jenes kommt es an.
Und das NT: Ist die Glaubensgerechtigkeit nicht ein Gegensatz?
Vor allem die Paulinische Theologie weist dem Glauben eine heilsschaffende Wirkung zu: Nicht die guten Werke schaffen Gerechtigkeit, sondern die Gnade zu der der Christ durch Glauben Zugang hat. Jesus Christus alleine schafft die Voraussetzung zum Heil: Man kann es nicht verdienen.
Diese Antagonismus Glaube vs. Werke ist aber ein Scheinwiderspruch, nicht nur bei Jesus der Evangelien, sondern auch bei Jakobus und nicht zuletzt bei Paulus selbst. Jakobus schreibt: Glaube ohne Werke ist tot! Und damit befindet er sich im besten Sinn in der Tradition des AT und der Lehre Jesus, die weit mehr auf das Leben in der Begegnung fokussierte als nominalistische und literale Gesetzesbefolgung oder einen fruchtlos theoretisiernden Glauben. Für Jesus war die innige Gottesbeziehung stets die eine Seite der Medaille, die sich in konkretem Verhalten auch äußerte. Kaum jemand befand sich so scharf in Frontstellung gegen Heuchler, denen der Schein wichtiger war als das Sein – oder solchen, die ernsthaft religösen Zielen folgen wollten, dabei aber das Wesentliche übersahen. Denn der Glaube drückt sich in den Werken aus. Ein inkonsequentes Leben ist das der Heuchler und Gottlosen.
Um auf diesem Hintergrund Paulus und in Folge auch Luther und die Pietisten zu verstehen, bedarf es des Verständnis des Missverständnis. Denn sowohl dem Juden nach dem alten Testament, als auch dem Heidenchristen oder Judenchristen war diese Spannung zwischen Werken und Glauben keineswegs klar. Allzu oft wirke ein triviales Denkmuster, das glaubte, sich mit guten Werken die Eintrittskarte in den Himmel zu erkaufen. Sowohl Paulus, als auch Luther und viele Andere führte ihre Glaubensvorstellung zu einem gestrengen Gott und Richter, der unerbittliche Forderungen an den Menschen stellte. Vor dieser Vorstellung blieben die realen Taten stets zurück, ein ernstes Mühen bleibt in diesem Bilde unzureichend. Das Evangelium nach Paulus sieht in dem Sühnetod Christi und der Auferstehung den zentralen Glaubensinhalt. Damit löst er sich von einer Erstarrung, die Jesus nie wollte. Paulus ist darum völlig konsequent in der Auslegung der Botschaft von Jesus, der ebenso die Gottesliebe als das zentrale Element verstand. Paulus adressiert hier lediglich ein populäres Missverständnis. Aber auch bei Paulus führt die Lehre lediglich in die Mitte: Das ist die Gottesbeziehung und das soziale Handeln.
Gerade die geschärfte Selbsterkenntnis führt aber oft in die existenzielle Verzweiflung: Ich kann dem Verständnis dessen, was ich als richtig erkannt habe, nicht entsprechen. Somit würde ich des Heils verlustig gehen.
Jesus und mit ihm Paulus kennt dieses Problem in aller Tiefe. Darum spricht er jenen Verzweifelten den Mut zu: Die Vergebung auf Grundlage des Heilshandelns Gottes auch anzunehmen und zu aktualisieren. Das liefert die Grundlage und Kraft, sich aus der fatalen Verstrickung von Unzulänglichkeit und Schuld zu lösen. Dann führt das Leben wieder in die Verantwortlichkeit und den Neubeginn, die Entwicklung, nicht in Zerbruch und Elend.. Aber sowohl bei Jesus als auch bei Paulus hat jener Glaube konkrete Konsequenzen im Handeln zur Folge.
Eine Gegenüberstellung als Glaube vs. Werke wäre hier ein Kategoriefehler, denn es sind Aspekte unterschiedlicher Ebenen, die nur lose untereinander verknüpft sind. Die paulinische Gerechtigkeit aus Glauben an die Gnade ist nie die billige Gnade, vor der Bonhoeffer warnte, sondern eine zum Handeln befreiende Gnade. Die unterschiedliche Fokussierung der biblischen Bücher ist eher als dialektische Spannung denn als Widerspruch zu verstehen.
Es soll weder eine falsche Werkgerechtigkeit, die sich mit Halbheiten begnügt, noch die Verzweiflung am eigenen Versagen, noch eine billige Gnade bedient werden sondern eine lebendige Glaubensbeziehung, die zur guten Tat befreit und keinen falschen Stolz kennt.
Zurück zur Ausgangsfrage: Welcher Glaube führt zum Heil?
Der moralische Atheist vertritt vordergründig keinen Glauben, und will auch seinen negativen Glauben nicht als solchen verstanden wissen. Wenn er aber trotz dieser Voraussetzung, die eben jenes moralische Handeln eigentlich nicht begünstigt, dennoch zu einem Lebensvollzug kommt, der den moralischen Werten jener entspricht, drückt dieser einen ungestalteten Glauben aus, der weit weniger eine schlüssige Ideologie, aber dennoch gute Ergebnisse liefert. Es wäre ein impliziter Glaube im Sinne des NT.
Jesus erläuterte das in mehreren Gleichnissen und Lehren. Der Barmherzige Samariter handelte, obwohl seine Herkunft ihn eben nicht als Rechtgläubigen auswies (Lukas 10,30 ff). Aber darauf kam es eben gar nicht an. Beim Gleichnis der ungleichen Brüder handelte der Trotzige, der dem Vater zunächst die Bitte abschlug, gut – nicht aber jener, der vordergründig gehorsam sein wollte (Matthäus 21,28 ff). Und schließlich im Endgericht, wo jene belohnt wurden, die einfach ohne Lohnabsicht gut handelten, ohne sich damit den Himmel erwerben zu wollen (Matthäus 25,34 ff). Um in das der Sprache der Pietisten auszudrücken: Jesus selbst weist auf einen zweiten Heilsweg.
Diese Betrachtungen weisen aber klar auf disjunkte Heilsvorstellungen hin: Einerseits haben wir den Gläubigen und bekennenden Nachfolger Jesus, der in Unvollkommenheit und Demut sein Kreuz aufnimmt und sich so der moralischen Verantwortung stellt. Ihm gelten Verheißungen der Gnade. Er hat keinen Grund für irgend einen Dünkel und kann keine höhere praktische Moral beanspruchen. Er weiß sich stets von der Gefahr der Heuchelei umgeben.
Jener aber, der sich darauf nicht einlassen will, sondern selbst nach gut und böse unterscheiden will und das auch tut, hat keine Verheißungen und lebt nicht in expliziter Glaubenshoffnung, fällt aber ebenso wenig aus der Gnade, auch wenn er sich nicht auf jene berufen kann. Jesus sagt: Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht. Der moralische Atheist ist kein Gottloser, selbst wenn er es zuweilen behauptet.
Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.
Johannes 14,6
Auch hier kann mindestens in zweifacher Hinsicht gedeutet werden. Zunächst die exklusive Annahme, dass nur Christen eben zum Vater kommen. Das steht da aber nicht. Die christliche Mystik – einschließlich der einschlägigen Stellen bei Paulus und Johannes – hat in Jesus als den verstanden, der objektive Heilstatsachen durch sein Handeln und Opfertod schuf. Wenn aber Jesus in diesem Sinn tatsächlich der Weg zum Vater ist, dann kann diese Gnade allein von Gott auch vermittelt werden. Menschliche Kriterien, wie z.B. der Glaube, können dann kein exklusives Merkmal sein. Gerade der Kontext spricht hier nicht vom Glauben, sondern von einer mystischen Bestimmung.
Was bleibt ist ein Evangelium, dass man nur durch Verkürzung und eigenem Deutungsanspruch zu einer mehr oder minder leicht verdaulichen Kost wird. Das gilt sowohl für Bibeltreue, kritische Theologen, als auch für Atheisten. Einerseits wird zum Glauben und zur persönlichen Entscheidung gerufen, andererseits scheint die Bibel noch ganz andere Kriterien des Heils zu kennen.