Leitkultur: Gleichheit oder Gleichberechtigung

Weiter in meiner Reihe zum Grundgesetz: Der Artikel 3 behandelt die Gleichberechtigung.


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
Damit sind jedoch nicht Menschen unterschiedlicher Bürgerschaft gleichgestellt – Ausländer haben kein Wahlrecht. Auch gelten für Kinder andere Rechte als für Erwachsene. Darum geht es hier nicht, sondern um die grundsätzliche Gleichheit der Menschen. Aber ab wann ist jemand Mensch? Der lebend geborene Säugling sicherlich – aber was ist mit dem ungeborenen Menschen? Gelten jenem auch die Rechte? Was ist mit Dementen oder Komatösen? Hier besteht offensichtlich Auslegungsbedarf. Oder gilt das empfindende Tier – z.B. Schimpanse – auch als Mensch? Wenn nein, warum nicht? Oder von möglichen Cyber-Persönlichkeiten, die vielleicht ein menschenähnliches Bewusstsein tragen könnten? Es bedarf der Kriterien des Menschseins, um gerade auch in Grenzfragen belastbare Urteile zu sprechen.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
Hier wird bereits 1948 die Gleichberechtigung eingefordert, die auch heute nicht vollumfänglich besteht. Aber viele gesetzliche Regelungen wurden geändert. De jure ist die Gleichberechtigung erreicht, nicht aber de facto.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Während uns nun einiges selbstverständlich erscheint, gibt doch dieser Satz sowohl in Praxis als auch in der Theorie komplexe Probleme auf. Wenn jemand religiöse Propaganda betreibt, die in der Konsequenz zu Totalitarismus führt, kann er nicht die Meinungsfreiheit beanspruchen … oder doch? Wenn sein Glaube ihm die Befolgung eines Gesetzes verbietet, wird entweder dieser Nichtbeachtung freigestellt, was bedeutet, dass das Gesetz ausgehebelt wurde. Die Freiheit des Glaubens kann nur so weit gewährleistet werden, wie dieser sich auf persönliche Ansichten ohne Widerspruch zu den Gesetzen beziehen kann. Eine Glaubensfreiheit kann nicht beansprucht werden, wenn dadurch Rechte Dritter oder die staatliche Ordnung bedroht wird.

Hier ist zunächst vom Glauben die Rede, nicht vom Bekenntnis. Denn Glaube bleibt persönlich, so lange er nicht öffentlich bekannt wird. Man kann aufgrund folgender Artikel – im Besonderen der Meinungsfreiheit – auch davon ausgehen, dass das Bekenntnis hier eingeschlossen ist. In jedem Fall handelt es sich aber um Persönlichkeitsrechte. Es ist kein Imperativ für den Respekt für jedwede Ideologien, vor allem, wenn sie sich als religiös titulieren. Denn eine Kritik an jenen Lehren ist ebenso freigestellt. Dies kann dann nicht als Diskriminierung jener verstanden werden, die eben jene Lehre vertreten.

Die Frage der Religionsfreiheit führt genau dann zum performativen Widerspruch, wenn diese den Prinzipien der Diskriminierungsfreiheit widersprechen. Im Besonderen im Islam gibt es explizite Anweisungen, Menschen eines anderen Bekenntnisses für minderwertig anzusehen und zu bekämpfen. Wenn diese Ansicht toleriert wird, ergibt sich dadurch eine implizite Ablehnung jenes Grundgesetzes dass immer bedeutsamer Teile der Bevölkerung umfasst.

Auch problematisch: Rasse – denn wenn der Mensch keiner ‚Rasse‘ angehören kann, weil es diesen Begriff in der Realität der Menschen gar nicht gibt, kann er auch nicht deswegen  diskriminiert werden. Rassismus meint dagegen eine zugeschriebene ‚Rasse‘, also irgend welche Kriterien, die zur einer Gruppenidentifikation eignen und damit zur Begründung einer Ungleichbehandlung führen. Klassisch sind hier genetische Kriterien – ggf. im Phänotyp – gemeint. So ist zu unterscheiden, ob die Kriterien, die zu einer Diskriminierung führen, fixiert sind, z.B. Hautfarbe, Gesichtsform, oder ob sie einer Entscheidung des Menschen unterliegen, also z.B. das Bekenntnis.

Offen bleibt darin, dass Menschen, sein Charakter und Wesen von der Genetik beeinflusst sind. Diese bestimmen aber eben nicht sein Wesen und Denken, sondern sind als individuelles Vermächtnis zu verstehen. Es bleibt bei jedem Menschen, was er daraus macht. Darum ist ein Urteil aufgrund sekundärer Indikatoren in keinem Fall moralisch zu rechtfertigen.

Abgesehen davon, dass diese Bestimmungen in mehrfacher Hinsicht offen bleiben und ggf. missbraucht werden können, ist an diesem Artikel der Geist der Freiheit erkennbar: Zunächst geht es um die Grundlagen des Rechts, das entsprechend den Prinzipien der blinden Justizia folgt. Nicht die Stellung oder bestimmte Attribute bestimmen die Rechte, sondern vor dem Gesetz ist jeder gleich. Und das ist eine großartige Errungenschaft, die es zu verteidigen gilt, denn entgegen mancher Ansichten ist dies nicht selbstverständlich.

Dies zieht sich auch als moralische Leitlinie in das Miteinander und den gesellschaftlichen Diskurs: Unbegründete Urteile aufgrund sekundärer Attribute sind scharf abzulehnen. Die Gleichheit bezieht sich eben nicht auf alle Attribute, einschließlich Herkunft, Genetik und Glaube, sondern auf die Rechte, die der Mensch in der Gesellschaft und vor dem Gesetz genießt. Die Scharia, die wachsende Teile der Bevölkerung für vorzüglich halten, kennt dieses Prinzip nicht.

Dies ist elementares Verständnis unserer Leitkultur. Weder kann ein offener Widerspruch dazu toleriert werden, noch eine nominelle Zustimmung die lediglich beschwichtigen will, ohne jedoch völlig den Grundsatz zu adaptieren.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert