Grundgesetz – Präambel: Gott und Volk

In der aktuellen Diskussion wird oft vorgetragen, wir bräuchten keine Diskussion um eine Leitkultur, denn wir haben das Grundgesetz, das alles hinreichend definiert. Dies kann selbstverständlich so nicht sein, denn es geht im Grundgesetz im Wesentlichen um den gesellschaftlichen Rahmen, der jedoch mit Inhalt und Deutung gefüllt werden muss. Allzu oft wird das Grundgesetz als leere Chiffre in die Diskussion geworfen, gerade, um sich auch jenem nicht zu stellen.

Hier will ich es anders machen. In einer kleinen Reihe will ich mich mit Grundgesetz und deren Bedeutung für Selbstverständnis und Gesellschaft detailliert auseinander setzen. Nicht, dass es vielleicht klügere Kommentare dazu gäbe, aber es ist wichtig, dass man sich selbst mit den Themen beschäftigt. Es genügt nicht, dass es irgendwo steht. Für den Anfang habe ich mir die Präambel des GG vorgenommen. Immerhin geht es darin um Problembegriffe wie Gott und Volk.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Präambel

Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen,
von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.
Hier werden bereits wesentliche Setzungen gemacht, die sehr wohl erheblich zum Selbstverständnis beitragen:
Verantwortung vor Gott
Dieser Rückgriff wird vor allem als kulturprägende Bezugnahme auf das Christentum verstanden.  Zwar wird weder eine konkrete Konfession genannt, noch gar das Christentum erwähnt, sondern auch unterschiedliche Glaubensvorstellungen, im Besonderen der Jüdischen allen Raum gelassen. Im Besonderen werden auch Glaubensvorstellungen der griechischen Antike und einer spirituellen Deutung germanischer Kulte keine Ablehnung gegeben, aber es ist völlig klar, dass eine Grundverfasstheit einer Gottesgegenüberstellung im christlich-jüdischem wurzelt. Im Besonderen ist dies die Eigenverantwortlichkeit des Menschen als Ebenbild Gottes, die eben nicht ausschließlich als Unterordnung unter starre Gesetze verstanden wird. Gerade auf jene Eigenverantwortung in Freiheit wird hier Bezug genommen.

Ein bekannter Gegenentwurf zu diesem Verständnis liegt im Islam: Hier ist es eben nicht die Frage der Eigenverantwortlichkeit, sondern die unbedingte Hingabe und Unterwerfung, die die theologische Grunddünung ausmacht. Sofern sich aber modern Muslime von dieser Basisbestimmung lösen können und ihrerseits die Bereitschaft zur gesellschaftlichen Partizipation als verantwortliche Bürger für sich annehmen können, werden sie auch ihren Glauben positiv in der Präambel wieder finden können.

Mittlerweile sind über ein Drittel der Bundesbürger keine Mitglieder einer christlichen Kirche oder Glaubensgemeinschaft. Und auch bei den verbleibenden ist der Verdacht oft gerechtfertigt, dass ein Gottesglaube keine Bedeutung für ihr Leben hat. Sie verstehen die Bezugnahme auf Gott darum auch nicht als bindend für sich, wohl aber als historisch begründete Referenz auf eine höhere Macht, der man Verantwortung schuldet.

Atheisten lehnen den Gottesbegriff teils entschieden ab, bekennen sich aber oft zu einer humanistischen Verpflichtung, die annähernd vergleichbar verstanden werden kann. Die kulturelle Prägung der Moral hält sich nicht zwingend an konkreten Begriffen auf. Praktisch macht es dann zuweilen keinen Unterschied, ob sich der Christ in Verantwortung vor Gott gebunden weiß, oder ob der bekennende Atheist, diese Verpflichtung den Menschen gegenüber akzeptiert. Inhaltlich kann man dann oft auch gleiche Anliegen vertreten … und auch das deckt die Formel in der Präambel ab: Ausgehend vom christlichen Selbstverständnis wird hier kein konkreter Glaube gefordert, sondern ein Grundverständnis von Individuum und Volk, dass durch Freiheit und Verantwortung bestimmt ist.

… als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa
Gemeint ist hier eine gute Nachbarschaft und Zusammenarbeit der Staaten und Menschen in Europa. Der Begriff der Vereinigung war bei der Abfassung der Präambel weit davon entfernt, was eine EU oder ein möglicher europäischer Staat bedeuten könnte. Im Besonderen, weil der Bezugspunkt das deutsche Volk ist. Ziele des Friedens betreffen die Welt als Ganzes.

… hat sich das Deutsche Volk …
Aber es war sehr wohl der Begriff des identitätsstiftenden deutschen Volk die Rede. Wer ist das? Gemeint sein kann nur das Staatsvolk, denn eine ethnische Engführung ist abgesehen von dem rassistischen Unsinn des Dritten Reiches keineswegs zu erreichen. Das Staatsvolk ist aber im rechtlichen Sinn als die Träger der Staatsbürgerschaft zu verstehen. Gäste sind diesem nicht gleichgestellt. Wer aber die Staatsbürgerschaft erworben hat, ist eben diesem Volk Mitglied und gleichgestellt.

Es geht um nichts weniger als implizites Nation Building, wenn von einem deutschen Volk die Rede ist. Es ist nichts weniger als eine Identifikationsfigur, die jüngst oft in Frage gestellt wird: Warum sollen mir Wahlverwandte oder Menschen in ähnlicher Lage und Meinung in einem anderen Land nicht näher stehen als ein sogenannter Volksgenosse?
Die Idee des Staatsvolks ist eine andere: Durch Geburt oder Erwerb lebt der Staatsbürger in einer Schicksalsgemeinschaft, die eben nicht an persönliche Sympathie oder Zustimmung gebunden ist. Die Verantwortung ist entsprechend auch dieser Gemeinschaft als Ganzes gegenüber. Es geht nicht mehr nur um persönliche Beziehungen, sondern um gesellschaftliche Verantwortung. Dies geht nur mit einer Identifikation.

Man kann lediglich darüber streiten, ob den Vätern des Grundgesetzes dies als Selbstverständlichkeit erschien, oder ob man dieses Nation Building in Abgrenzung zum Nationalsozialismus bewusst herstellen will. Unstrittig sollte aber sein, dass man sich sehr bewusst war, dass es um nichts weniger als um eine deutsche Identität geht, die eben nicht in einem rassistischen Kontext zu verstehen ist. Wie aber sollte Demokratie funktionieren, wenn es keine Identifikation mit der Gemeinschaft gibt?

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