Wird Religion zur Rechtfertigung von Gewalt missbraucht?

Immer mehr Medienberichte erklären, dass Religion missbraucht würde, um Gewalttaten zu legitimieren, z.B. hier und hier . Die Gegenthese von John Lennon war, das Religion ursächlich für die Gewalt sei. Was ist nun richtig?

Vorweg geschickt sei die Bemerkung, dass der gebräuchliche Begriff der Religion äußerst unscharf ist. Ist die Inbrunst am Leningrab religiös? Gibt es wirkliche Gemeinsamkeiten von Religiösen, die sie von den Nicht-religiösen unterscheiden? Je nach Definition ist hier mal das Eine, mal das Andere ‚religiös‘. Ohne belastbare Definition kann man aber gar nichts missbrauchen, weil auch der Gebrauch undefiniert ist.

Vermutlich wird aber der Religionsbegriff aus Lessings Ringparabel unterstellt. Demnach wären alle Religionen mehr oder minder gleich – eigentlich eine christliche Variante, die die Deutungshoheit über das Judentum und den Islam beansprucht – was aber von jenen Gläubigen meist abgelehnt wird.

Natürlich macht eine Pauschalisierung zur Beantwortung der Frage auf einen nebulösen Religionsbegriff gar keinen Sinn. Viel mehr ist es ein Versuch, das Kind nicht beim Namen zu nennen. Das Problem ist, dass es unbestreitbar viele Morde und Terroranschläge im Namen Allahs und des Islam verübt werden. Natürlich kann nicht bestritten werden, dass es in Vergangenheit und Gegenwart auch andere Gewaltätigkeiten mit religösem Hintergrund gab und gibt. Eine nähere Untersuchung wäre allerdings erforderlich, um diese Frage des Missbrauchs in jedem Fall zu prüfen. Wichtig ist jedoch die Frage angesichts der überwältigenden Mehrheit religiöser Gewalttaten seitens des Islam, ob denn der Islam hier immer oder systematisch missbraucht wird. Wer hätte daran Interesse?

Islam – Koran – Gewalt

Dieser Punkt wird oft sehr kontrovers diskutiert:

Viele, vor allem Muslime selbst, aber auch Wissenschaftler, antworten darauf, dass dies nicht „der Islam“ insgesamt sei, sondern lediglich eine extreme Auslegung dieser 1400 Jahre alten Religion mit mehr als zwei Milliarden friedfertigen Anhängern auf der Welt.

Abgesehen davon, dass andere Quellen lediglich 1,7 Milliarden Muslime ausweisen ist völlig unklar, wie viele jener friedfertig sind. Immerhin findet in vielen muslimischen Ländern eine Christenverfolgung statt und auch untereinander werden islamische Parteiungen oft gewalttätig ausgetragen.

Wer aber bestimmt, was Islam ist, was jener fordert und was nicht – also was rechter Gebrauch ist und was Missbrauch? Wenn es DEN Islam gar nicht gibt, sondern nur unterschiedliche Auslegungen, kann man ihn auch nicht einfach missbrauchen. Es sei denn, man verfüge über das Wissen über den rechten Gebrauch des Islam und darum auch dessen Missbrauch.

Entgegen der katholischen Lehre, die eine verbindliche Autorität gibt, die in Glaubensfragen entscheidet, gibt es derartige Autoritäten nicht im Protestantismus und auch nicht im Islam. In beiden letzteren ist es vor allem die Quellschrift, also Bibel und Koran, die getreulich und verantwortlich ausgelegt werden müssen, um verbindliche Aussagen zum Glauben zu machen.

Folglich ist das Urteil, dies oder das missbrauche eine Glaubenslehre, nur aus einer subjektiven Position heraus möglich, die sich allerdings auf objektive Grundlagen stützt. Nämlich der Koran und die Sunna sind anerkannte Glaubensgrundlagen – und zwar als unkritisch zu betrachtende Offenbarungen, die nicht hinterfragt werden dürfen = Merkmal für den Fundamentalismus, der im Islam oft Programm ist. Wenn diese jegliche Gewalt im Namen das Glaubens klar verbieten, könnte man in der Tat von einem Missbrauch sprechen. Dies aber ist nicht der Fall. Es gibt sehr viele Stellen im Koran, die zur Gewalt gegen andersgläubige im Imperativ auffordern. Exemplarisch daraus Sure 2: 190 ff:

Und kämpft auf Allahs Weg gegen diejenigen, die gegen euch kämpfen, doch übertretet nicht! Allah liebt nicht die Übertreter.

Und tötet sie, wo immer ihr auf sie trefft, und vertreibt sie, von wo sie euch vertrieben haben, denn Verfolgung ist schlimmer als Töten! Kämpft jedoch nicht gegen sie bei der geschützten Gebetsstätte, bis sie dort (zuerst) gegen euch kämpfen. Wenn sie aber (dort) gegen euch kämpfen, dann tötet sie. Solcherart ist der Lohn der Ungläubigen.

Wenn sie jedoch aufhören, so ist Allah Allvergebend und Barmherzig.

Und kämpft gegen sie, bis es keine Verfolgung mehr gibt und die Religion (allein) Allahs ist. Wenn sie jedoch aufhören, dann darf es kein feindseliges Vorgehen geben außer gegen die Ungerechten.

Muslime, die diese Stellen lesen, sehen in jeder entgegenstehenden Aktionen einen Angriff oder Verfolgung. Das wurde auch Weltweit im Karrikaturenstreit gezeigt, der viele Todesopfer forderte. Einen Frieden kann es demnach nur geben, wenn alle dem Islam unterworfen sind.

Ich kann hier nicht erkennen, wie es hier zu einem Missbrauch des Islam kommen soll, wenn hier mordend gekämpft wird, sondern nur dessen Umsetzung.

Als Gegenargument wird oft für den friedlichen Islam die Sure 5:32: (meist in verkürzter Form) angeführt:

Aus diesem Grunde haben Wir den Kindern Isrāʾīls vorgeschrieben: Wer ein menschliches Wesen tötet, ohne (daß es) einen Mord (begangen) oder auf der Erde Unheil gestiftet (hat), so ist es, als ob er alle Menschen getötet hätte. Und wer es am Leben erhält, so ist es, als ob er alle Menschen am Leben erhält. Unsere Gesandten sind bereits mit klaren Beweisen zu ihnen gekommen. Danach aber sind viele von ihnen wahrlich maßlos auf der Erde geblieben.

Unheil stiften ist offensichtlich ein hinreichender Grund, Menschen zu töten – und das sind im Zweifel praktizierende Homosexuelle oder Andersgläubige. Überdies ist auffällig, dass hier Israel in auffälliger Diktion markiert ist: Also ein Gebot an die Juden. Wollte der Übersetzer dies nun verschleiern oder betonen?

Selten wird dann der unmittelbar folgende Vers Sure 5:33 zitiert:

Der Lohn derjenigen, die Krieg führen gegen Allah und Seinen Gesandten und sich bemühen, auf der Erde Unheil zu stiften, ist indessen (der), daß sie allesamt getötet oder gekreuzigt werden, oder daß ihnen Hände und Füße wechselseitig abgehackt werden, oder daß sie aus dem Land verbannt werden. Das ist für sie eine Schande im Diesseits, und im Jenseits gibt es für sie gewaltige Strafe,

Gerd Buurmann fasst beide Verse so zusammen:

„Wir haben den Juden verordnet, wer tötet, tötet eine ganze Welt. Für Euch aber gilt, wenn jemand ein Unheil im Lande anrichtet, dann hackt ihnen die Hände und Füße ab.“

Natürlich kann man die These vertreten, dass andere Motive – vorwiegend psychischer oder politischer Natur – die Auslöser der Gewalt seien, und der muslimische Glaube eben lediglich die Rechtfertigung liefert, zumal das Paradiesversprechen zum Lohn winkt. In den jeweiligen Biografien der Attentäter gibt es jedoch Zweifel: Oft waren es freundliche und unauffällige junge Männer, teils aus wohlhabenden Verhältnissen, die plötzlich ohne ansonsten erkennbaren Grund zu Massenmördern wurden.

Als weiteres Argument zur Beschwichtigung der Vorwürfe gegen den Islam als Ursache der Gewalt wird vorgetragen, auch das Judentum und das Christentum hätten die Religion für Gewalttaten missbraucht. Abgesehen davon, dass historische Urteile über Dritte in keiner Weise aktuelle Gewalttaten rechtfertigt, muss auch dieser Vorwurf detailliert geprüft werden:

Judentum

Im Tanach, bei Christen als Altes Testament bekannt, wird vor allem im Kontext der Landnahme von grausamen Völkermord im Auftrag Gottes berichtet. Auffällig daran ist, dass es keinen allgemeinen Imperativ gegen irgend welche Ungläubigen gibt, sondern ein Prophetenwort, dass die Bestimmung der Zehn Gebote außer Kraft setzt.

Die Deutung dieser Schriftstellen durch heutige Juden ist auch nicht, dass dies eine Rechtfertigung für aktuelle Gewalt sein kann. Einige sehen es als historische Besonderheit, die vor allem geschichtliche Bedeutung habe. Andere halten es für eine legendäre Erzählung, die eher geistlich interpretiert werden müsse. Letztere erhielten Unterstützung durch die Historiker Finkelstein und Silbermann – Keine Posaunen vor Jericho: Die archäologische Wahrheit über die Bibel

Weiterhin sind im Tanach ebenfalls drakonische Strafen genannt, z.B. bei Götzendienst, dem Bruch der Sabbatheiligung oder Ehebruch. Nichts davon wird heute noch als gültig erachtet.

Es ist hier auch nicht erkennbar, worin hier ein Missbrauch des Judentums denn liegen sollte.

Christentum

Vor allem die Kreuzzüge wurden genannt, wo mit religiöser Rechtfertigung Gewalttaten verübt wurden. In der Tat gab es einen Aufruf von Papst Urban II am 27. November 1095, im Namen Gottes dem Hilfegesuchen des byzantinischen Kaisers Alexios I im Namen Gottes zu entsprechen. Es sei umstritten ob das Motto Deus lo vult! (Gott will es) darin bereits geprägt worden war.

Sucht man allerdings nach Belegen im Neuen Testament, die dies rechtfertigen könnte, wird man nicht fündig. Jesus spricht zwar von Zwietracht und Streit – im Besonderen in  Matthäus 10,34 im Kontext:

34 Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.
35 Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.
36 Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein.
Hier ist kein Imperativ die Rede, sondern eine Klärung, dass die Wahrheit eben den Konflikt nicht scheuen darf. Nicht der Friede an sich ist der höchste Wert. Das Schwert ist hier nur in symbolischer Bedeutung. Kurz zuvor erging aber die Forderung, seine Nachfolger sollen die Feinde lieben in Matthäus 5,43 ff
44 Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, 45 auf dass ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
Jesus setzt auf Deeskalation. Und weiter präzisiert Jesus in Matthäus 26,52
Da sprach Jesus zu ihm: Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, der wird durchs Schwert umkommen.
Im gleichen Sinn auch Paulus in Epheser 6:12
Denn unser Kampf ist nicht gegen Fleisch und Blut …
Somit kann man Gewaltaufrufe im Namen Gottes im Christentum tatsächlich als Missbrauch bezeichnen, im Fall des Islams geben dies die Quellschriften nicht her.

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