Entscheidung unter Ungewissheit

Obwohl es eigentlich selbstverständlich ist, dass wir meist die Konsequenzen von Entscheidungen nicht völlig überblicken, müssen wir uns dennoch ständig entscheiden. Auch die Ansicht, etwas nicht zu entscheiden, ist praktisch auch eine Entscheidung. Dabei tun wir oft so, als wären unsere Entscheidungen überwiegend von Vernunft bestimmt. Diese Entscheidungen sind im praktischen Leben z.B. beim Autofahren, oder welchen Lebenspartner ich wähle, wo ich mein Geld investiere, welche Arbeitsstelle ich annehme, ob ich an Gott glaube, den Klimawandel bekämpfe oder welcher politischen Partei ich mein Vertrauen gebe. Kurz: Das Grundproblem umgibt uns ständig.

Es gibt auch wissenschaftliche Ansätze in der Entscheidungstheorie und Einträge in Wikipedia: Entscheidung unter Ungewissheit . Hier wird meist davon ausgegangen, dass man meist sehr wohl Entscheidungen unter Kenntnis von Wahrscheinlichkeiten unter rationalen Regeln trifft, nur in der Ausnahme kennt man eben keine Wahrscheinlichkeit. Meines Erachtens ist der Entscheidungsbereich, in denen wir recht sichere Wahrscheinlichkeiten haben, eher unkritisch. Meist wird überschätzt, dass wir zuverlässig Wahrscheinlichkeiten abschätzen können.

Manche Atheisten behaupten, dass es wahrscheinlich keinen Gott gäbe. Aber sie können diese Wahrscheinlichkeit nicht quantifizieren oder mit einem schlüssigen Modell erläutern. Wahrscheinlichkeit wird hier nicht im wissenschaftlichen Sinn gebraucht, sondern als Chiffre für ihre letztlich irrationale Überzeugung, der man einen pseudorationalen Anstrich geben will. Allein darum ist es unlauter und ein Zeichen von Selbstbetrug, wenn nicht schlimmeren.

In der Tat ist es aber sinnvoll, die Ungewissheit so weit als möglich zu reduzieren, um bessere Entscheidungen treffen zu können. Denn wenn völlig unklar ist, auf welcher Basis eine Entscheidung erfolgt, ist man fragwürdigen Intuitionen, ein unbegründetem Vertrauen oder üblen Manipulation schutzlos ausgesetzt. Darum ist das rationale Vorgehen, sich möglichst viel relevantes Wissen anzueignen, um die Ungewissheit zu reduzieren. Darum betreiben wir Wissenschaft, um systematisch und Methodisch Wissen zu erlangen. Im Diskurs kann man dann Argumente austauschen und bewerten. Zwar wird es in den meisten Fällen keine absolute Sicherheit geben, oder erst recht klar werden, wie groß die Unsicherheit entgegen einer geglaubten Sicherheit eigentlich ist, aber es gibt als denkende Menschen keine Alternative zum rationalen Umgang mit dem Grundproblem.

Die Erkenntnistheorie weiß seit Platon, dass es das absolute Wissen nicht gibt. Auch die Bibel nennt Erkenntnis grundsätzlich Stückwerk. Dies wird im Besonderen aktuell im kritischen Rationalismus vertreten, auch wenn wir viele verlässliche Gesetzmäßigkeiten in der Welt kennen. Wir können die Wirkung der Schwerkraft präzise berechnen, uns auf die Funktion der Computer und Verbrennungsmaschinen verlassen und auf den Sonnenaufgang am morgigen Tag hoffen. Hier gehen wir von einer stabilen Umwelt aus. Aber das hilft uns nichts für viele der o.g. Fragen.

Der Wille zur besseren Entscheidung?

Der Treiber ist der Wille: Was treibt mich an? Will ich Macht, dann sind meine Entscheidungen davon getrieben, was mir auf dem Weg mehr Macht verheißt. Die bewusste Lüge kann dann hilfreich sein.

Suche ich Wahrheit? Dann verabscheue ich die Lüge und gebe mich mit dieser nicht zufrieden. Auch den Zufall und bloßes Meinen halte ich für unbefriedigend.

Will ich einfach nur Leben und Lustbefriedigung? Auch dann werden sich meine Entscheidungen an dem Ausrichten, was den Zielen dient.

Suche ich vor allem soziale Anerkennung, werde ich mich dafür entscheiden, was am ehesten der Akzeptanz der Mitmenschen bewirkt.

Allen Motiven gemeinsam bleibt aber das Interesse, dass die Entscheidungen den Zielen dienen sollen. Entscheidungen, die nicht zielführend sind, sollten vermieden werden. Darum gilt es stets, den Irrtum zu minimieren und sich zugleich über die eigenen Ziele im klaren zu werden. Das schließt Selbsterkenntnis ein, denn wenn die effektiven Motive weit weniger edel sind als wir glauben, dann sollten wir uns nicht über diese täuschen. Jeglicher Irrtum und Täuschung führt weg von der Zielerreichung.

Der Einfachheit halber gehe ich im Folgenden davon aus, dass die Liebe zur Wahrheit das bestimmende Motiv ist, auch wenn dies nicht immer so ist.

Der Pfad der Erkenntnis

Um die Ungewissheit zu minimieren, müssen alle Mittel ausgeschöpft werden, mögliches Wissen zu erwerben, also die Wissenschaft zu nutzen. Nur haben wir hierin ein doppeltes Problem: Einerseits ist es schwierig, die Wissenschaft von ihrem sachlichen Gehalt her hinreichend zu verstehen, andererseits hat die Wissenschaft auf viele Fragen keine hinreichenden Antworten. Und es ist schwierig, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Denn auf dem Weg der Wissenschaft begegnen uns nicht nur mühsam zu erarbeitende Sachverhalte, sondern auch Experten, die sich oft genug in wesentlichen Punkten widersprechen. Ein Vertrauen auf den Experten der Wahl bleibt dann ein Roulette-Spiele, wenn es keine anderen sicheren Kriterien gibt, die den einen Experten vom anderen sicher bewerten kann. Diese Kriterien werden oft gesucht. So gehört es zum Standard-Unterfangen, dass man versucht, jeweils den gegnerischen Experten zu diskreditieren, in dem man ihn als Agenten finsterer Mächte stilisiert. Ob es nun die Industrie ist, die sich Experten kauft, oder Ideologen, die nicht minder einer Verblendung anhängen, an deren Ende auch Macht, Geld und Einfluss steht: Kein Experte bleibt in einer aufgeladenen Debatte über jede Kritik und Zweifel erhaben.

Wie sehr werden nun Menschen bei ihren Verlautbarungen tatsächlich von Interessen geleitet, die die Wahrheitserkenntnis verzerrt? Ist eine ideologische Prägung oder ein kommerzielles Interesse derart, dass die Aussagen und Argumente dadurch vollständig invalide werden? Oder kann eine Integrität auch bei bestehenden Drittinteressen aufrecht erhalten werden? Wird ein Argument falsch, wenn der Argumentierende von einer Interessengruppe alimentiert wird? Ist es möglich, überhaupt eine unbestechliche und unbeeinflusste Forschung ernsthaft anzunehmen? Und ist es nicht absurd, einer Seite eben jene Interessenvertretung vorzuwerfen, der anderen Seite dagegen ein unbegründetes Vertrauen zu gewähren?

Anscheinend ist das einfache Experten-Urteil oft nicht vertrauenswürdig genug. Dann müssen es eben gefühlte Mehrheiten richten. Wenn die Mehrheit der Experten eine Meinung hat, wird diese wohl stimmen, so wie bei Galileo. Offensichtlich irren Mehrheiten ebenso, dass eine Entscheidung auf dieser Basis ebenso beliebig ist. Also kann das Urteil weder durch Verweis auf Experten entschieden werden, noch durch den Verweis auf Mehrheiten, die oftmals auch nur zu manipulierenden Zwecken suggeriert werden.

Es bleibt die Notwendigkeit, sich selbst hinreichende Sachkenntnis anzueignen, um die Argumente zu verstehen und zu beurteilen. Nur bleibt dieser mühsam und erfordert mehr Zeit, als wir in der Entscheidungssituation verfügbar haben. Wir müssten uns also vorher sachkundig machen, also prophylaktisch Wissen aneignen, um für die Entscheidung hinreichend gerüstet zu sein. Angesichts des erforderlichen Wissens ist dies für Viele abschreckend. Zudem zeichnet sich auch immer wieder zu vielen Fragen ab, dass selbst das beste verfügbare Wissen keine hinreichende Gewissheit ergibt. Neben den fragwürdigen Ersatzkriterien – die Wahl eines beliebigen Experten, die Orientierung an gefühlten Mehrheiten – entscheiden Menschen oft nach dem, was ihnen aufgrund ihres Kenntnisstandes plausibel erscheint.

Ein pragmatischer Rat

  • Halte den soliden Stand der Grundbildung seit der Schule auf einem aktuellen Stand.
  • Informiere dich zu aktuellen Themen. Im Fall von Kontroversen prüfe die Argumente beider Seiten.
  • Bei der Prüfung der Argumente werden oft unlautere Methoden erkannt: Man versucht den Meinungsgegner zu diskreditieren oder bringt Fragwürdiges und Unplausibles vor. Lass dich nicht auf derartige Argumente ein.
  • Auch ohne spezielle Fachkenntnis und nur mit Kenntnis von Logik und Argumentationsführung lassen sich oft ungültige Argumente identifizieren. Schwache Vertreter einer Ansicht verwenden zuweilen auch dann, wenn es gute Argumente gibt, schlechte Argumente. Darum ist der Einsatz ungültiger Argumente noch kein absolutes Kriterium gegen die vertretene Position, schwächt diese aber.
  • Allerdings: Das Fehlen von gut belegten Sachargumenten diskreditiert die jeweilige Position.
  • Bleib beim Motto der Aufklärung: Habe den Mut, deinen eigenen Verstand zu gebrauchen.

Ein kleiner Exkurs in zwei Problembereiche soll dies illustrieren:

Klimakastatrophen und Maßnahmen

Die Warner vor dem Unheil geben es zumeist zu: Es gibt keine verlässlichen Beweise für eine drohende Katastrophe und deren Ursachen. Wir können lediglich aus einigen Beobachtungen, vor allem dem Anstieg der weltweiten Temperaturen, und einigen physikalischen Zusammenhängen, der Wirkung sogenannter Treibhausgase, einen Zusammenhang herleiten. Da diese Kenntnis nicht ausreichend ist, einen verlässlichen Mechanismus zu begründen und zu quantifizieren, und auch andere Beobachtungen dem entgegen stehen, wird es wiederum schwierig, eine verlässliche Prognose und wirksame Maßnahmen daraus herzuleiten.

Nun vertreten jene Warner oft folgende Ansicht: Auch wenn Fragen zum Klimawandel oft nicht robust zu klären sind und vieles Ungewiss bleibt wäre es fatal, wenn wir ohne Gegenmaßnahmen weiter in die Katastrophe hinein schlittern. Denn würden wir warten, bis die Fragen hinreichend geklärt wären, würde es vermutlich zu spät sein, wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Wir müssten darum trotz Ungewissheit handeln, um Schaden abzuwenden.

Die Gegenseite verweist auf die massiven Zweifel in die Prognose von kommenden Katastrophen und realen Gefahren, die angeblich drohen. Aber auch wenn man den Thesen folgen würde, so können wir wissen (!), dass die angestrebten Maßnahmen diese Katastrophe trotz großem Aufwand nicht wirksam verhindern können. In der Tat kann man dies in Modellrechnungen sehr klar belegen, vor allem, da man sich auf die Grundannahmen der Warener ja eingelassen hat – z.B. Björn Lomborg hat das in Modellrechnungen immer wieder belegt. Hier kann man mit Gewissheit entscheiden, dass die Maßnahmen unter allen möglichen Prämissen nicht zielführend sind.

Existiert Gott?

Aus der Existenz der Welt, die ihrerseits höchst komplexe Zusammenhänge aufweist, wird oftmals auf einen Schöpfer geschlossen. Der Volksmund vereinfacht: Von nichts kommt nichts!

Aristoteles schloss mit den Mitteln der Logik aus Beobachtungen der Welt auf den Unbewegten Beweger, also auf Gott als den ersten Grund. Dieser wurde in Offenbarungslehren des Judentums und des Christentums näher beschrieben.

Allerdings bestanden bereits sehr früh Zweifel an diesem behaupteten Sachverhalt: Kant meinte, dass es keine zwingende Herleitung sei, aus der Beobachtung auf Gott im Allgemeinen, und auf die christliche Offenbarung im Besonderen zu verweisen. Vieles bleibe dazu ungewiss.

Eben die Ungewissheit führe dazu, sich eben nicht für eine Gottesexistenz und einen konsequenten Glauben zu entscheiden. Oft wird diese Haltung als Agnostizismus beschrieben: Man könne Gott eben nicht sicher erkennen, darum halte man sich in dieser Frage offen. Das aber heißt faktisch, dass man sich weder an jene Gebote halte, keine Anbetung betreibe und auch keine Hoffnung aus der Existenz Gottes ziehe. Es ist also faktisch eine Entscheidung gegen den Glauben an die Existenz Gottes.

Mit der Pascalschen Wette wird eine frühe rationale Entscheidungstheorie umgesetzt:

Pascal argumentiert, es sei stets eine bessere „Wette“, an Gott zu glauben, weil der Erwartungswert des Gewinns, der durch Glauben an einen Gott erreicht werden könne, stets größer sei als der Erwartungswert im Fall des Unglaubens.


Nun, auch hierzu gibt es Kritik. Denn es ist keineswegs so, dass man aus der binären Alternative eine Wahrscheinlichkeit herleiten könne, oder dass jener Glaube hinreichend homogen wäre.

Pascal selbst gesteht jedoch zu, dass es jedenfalls möglich ist, dass man gezwungen ist „die irdischen Freuden“ zu opfern, um sein Leben dem Glauben an Gott in angemessener Weise zu widmen. Der Gedanke dabei ist, es könne Kosten geben, direkte Kosten (Zeit, Gesundheit, Wohlstand) und „Opportunitätskosten“.

Pascal setzt diesem Einwand jedoch entgegen, dass selbst in diesem Fall die Wette noch zugunsten des Glaubens ausgeht:„Nun aber ist hier eine Unzahl von unendlich glücklichen Leben zu gewinnen mit gleicher Wahrscheinlichkeit des Verlustes und des Gewinnes und was du einsetzest, ist so wenig und von so kurzer Dauer, daß es eine Tollheit wäre, es bei dieser Gelegenheit zu sparen.“

Blaise Pascal

Die Annahme Pascals, dass es sich unter Fehlen eines robusten Wahrscheinlichkeitsmodells eben von gleicher Wahrscheinlichkeit auszugehen sei, ist fragwürdig und eher unbegründet. Das Interessante daran ist nun, dass die Unsicherheit ohne Wahrscheinlichkeitsangabe tatsächlich für Überlegungen offen bleibt, die aber letztlich auf eine persönliche existenzielle Entscheidung zurück fällt: Beide Entscheidungen sind möglich. Es gibt keinen zwingenden Grund, das eine oder andere zu wählen, wie es auch keine Möglichkeit gibt, sich der Wahl zu enthalten. Wie oben gezeigt ist der Agnostizismus bereits auch eine Wahl, selbst wenn er dies formal bestreitet.

Gleichsam ist die Wahl offensichtlich nicht vom Wissensstand abhängig. Der schliche Mensch kann ebenso wählen wie der Gebildetste, und wählen sie unterschiedlich bleibt ungewisse, wessen Wahl die Bessere ist. Natürlich kann jemand auch zu einer Wahl überredet werden, mit falschen Argumenten, sozialem Druck oder anderen unlauteren Mitteln, aber das Grundproblem ändert sich darum nicht, denn auch diese Störungen der freien Wahl bleiben von der Richtung her divers.

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