Hybris und Demut

… eine Wahl zwischen Pest und Cholera? Hybris, die Überheblichkeit und Hochmut, galt seit je her als verwerflich. Nicht nur die Bibel hält diese für eine schlimme Sünde, sondern allgemein gilt sie als abstoßende Untugend und Charakterschwäche. Arroganz heißt der Verwandte der Hybris. Allerdings relativiert sich das harsche Urteil in der Praxis, wenn man dem Erfolgreichen den Respekt zollt. So mancher Erfolg aber gründete sich auf Anmaßung, die durch das Motto ‚Frechheit siegt‘ überhaupt erst den Triumph feiern konnte. Und mit der Demut ist es auch nicht besser bestellt.

Bezogen auf die theologische Diskussion der letzten Jahrzehnte fiel auf, dass es geradezu zum guten Ton gehört, sich selbst über Gott oder den Glauben des Anderen zu stellen. Man beanspruchte oft die normative Kraft über Realitätsvorstellungen zu haben, nicht erst seit Bultmann.

Aber auch jenseits der Theologie ist der Anspruch einer Meinungsführerschaft, der Deutungshoheit implizit stets auf Hybris zurück zu führen. Denn es entsteht gerade in der Postmoderne ein seltsamer Widerspruch zwischen einer öffentlichen Ablehnung letzter Wahrheiten bei gleichzeitiger Dominanz diverser Realitätsdeutungen, die zumeist unterschwellig propagiert werden. Die sogenannt selbsternannten Experten – also stets die Anderen – sind gegen das eigene Lager und Denken zurückzuweisen. Wie aber sind jene zu rechtfertigen? Der Mangel an sicherer Erkenntnis letzter Dinge, die Wissenschaft und Philosophie bereits während der Aufklärung anriss und in der Postmoderne zum Allgemeingut werden ließ, bleibt völlig unbefriedigend. Die Orientierung geht verlustig. Eine Ungewissheit ist auch für den unreflektierten Lebensvollzug unerträglich. Ein Defizit, das der Heilung bedarf.

Ein offenes Adressieren dieses Dilemma würde zu einem einfachen Lösungsweg führen: Man trifft bewusste Entscheidungen unter Ungewissheit und bleibt sich dieser Ungewissheit und Entscheidung bewusst. Man kann auch diese Position auch mit Leidenschaft vertreten, zugleich aber den Irrtumsvorbehalt aufrecht erhalten. Gegensätzliche Meinungen treffen dann aufeinander, die sich aber wegen des Irrtumsvorbehaltes respektieren müssen. Eigentlich kein Problem, aber dennoch finden wir derartige Strategien eher selten … warum eigentlich? Diese Strategie würde sich des Vorteils berauben, die Dominanz über konkurrierende Ansichten zu beanspruchen. Es wäre Demut erforderlich, die eigenen Defizite zu akzeptieren. Aber auch das ist schmerzlich und wird gerne vermieden.

Wir finden derartige Ansprüche unberechtigter Deutungshoheit bei religiösen Fundamentalisten, missionarischen Atheisten, die Hoheit über die Wissenschaft beanspruchende Naturalisten und bei Vertretern jedweder politischer Parteien oder weltanschaulicher Gruppen. Aber auch bei jenen, die sich aus dem Diskurs zurück ziehen, und die mehr oder minder das vertreten, was sie für die Meinung der schweigenden Mehrheit hält, ist ein gewisses Realitätsverständnis jeweils normativ. Gerade darum wird der Diskurs zunehmend schwieriger bis hin zur Unmöglichkeit. Die Wurzel darin liegt in der gut kaschierten Hybris, die sich selbst nie eingestehen will, was sie ist.

Demut wird zwar als biblische Tugend gepriesen, ist aber auch bei sogenannten Bibeltreuen keine Selbstverständlichkeit. Meist existiert sowohl dort als auch in öffentlichen Leben die Maske der Demut, die den Verdacht der Überheblichkeit zurück weist, nur um diese hinter dieser Maske den Hochmut umso ungenierter zu betreiben.

Aber die Demut ist als anerkannte Tugend auch nicht mehr unhinterfragt. Eine Unterordnung der Untertanen gilt als Herrschaftsinstrument, um das Volk, das Kirchenvolk oder Staatsbevölkerung beherrschen zu können. Demut hat den Geruch, als Werkzeug Dritter Macht zu entfalten. Demütigungen sind klare Verletzungen der Würde. Neue ‚Tugenden‘ wie Selbstbestimmung, Selbstbewusstsein, Gestaltungswille und Erfolgsstreben passen nicht mehr zu dem als mittelalterlich empfundenen Ideal der Demut. Der Mensch, der sich selbst erfindet, ist eher das Zielbild des Individualismus. Demut hat darin keinen Platz. Wenn es keine allgemeingültige Wahrheit mehr gibt, der man sich erzwungen oder aus Einsicht beugen muss, ist auch kein Ruhm mehr in einer Demut. Der Mangel aber an einer nicht mehr angestrebten Demut führt zugleich in eine implizite Hybris, die dann kein Gegengewicht mehr hat.

Somit ergibt sich ein Irrgarten aus einer uneingestandenen Ohnmacht gegenüber einer unvermeidbaren und schier unerträglichen Erkenntnisunschärfe und einem Gestaltungswillen, der aber ohne Grundlage handlungsunfähig bleibt. Aus dieser Analyse ergibt sich zwangsläufig, dass derjenige, der sich der Erkenntnis eben gar nicht gewiss sein kann, jene Gewissheit als Fiktion fabriziert, sie aber gar nicht als Fiktion erkennen will. Demut ist dann weder eine Kardinaltugend, noch überhaupt erstrebenswert, denn sie könnte das Kartenhaus einstürzen lassen, dass eben den Rechtfertigungsfilm liefert, auf das sich das Selbstverständnis stützt. Die Postmoderne entzieht sich in der Konsequenz die Grundlage, auf die sie aufgebaut ist und führt sich selbst ad absurdum.

Wer mir bis hier hin folgen konnte und auch das eine oder andere bei sich selbst erkennt, wird fragen: Was mache ich mit dieser Erkenntnis? Ist das irgendwie operationalisierbar? Gibt es einen Lösungsraum? Ist dieses Dilemma im Rückgriff auf Traditionen und bewährte Dogmen heilbar? Augen zu und durch?

Man kann das Problem als dialektische Spannung auffassen:

  • These: Tradierte Denk- und Seinsweisen haben sich als unzuverlässig erwiesen. Sie sind als Machtmittel Instrumente der Unterdrückung und ignorieren die Erkenntnis der Wissenschaften, die uns alte Fesseln abschütteln lässt. Keine falsche Demut mehr!
  • Antithese: Jene Postmoderne entlässt den Menschen in eine sinnentleerte Beliebigkeit, die menschliche Existenz absurd erscheinen lässt. Kein Grund zur Überheblichkeit!

Als Metapher mag man an Odysseus denken, der einen Weg zwischen Scilla und Charybdis durchsegeln muss und das kleinere Übel sucht. Oder man zieht das Bild von Dantes göttlicher Komödie vor, dass den Weg, einst durch das Tor der Hölle durchschritten, ganz durchlaufen werden muss. Ein Weg zurück ist versperrt.

Wie könnte die Synthese aussehen? Ich mag es die neue Demut nennen. Eine Demut, die nichts kriecherisches hat und kein Hebel ist, um Machtmissbrauch zu erwirken. Diese Demut hat Mut, die eigene Unzulänglichkeit zu ertragen und sie nicht zu verleugnen. Diese Demut kann die Schätze der Tradition heben, aber sich darin nicht in ihren Fallstricken verheddern. Eine Demut, die sich nicht fürchtet, als Hochmut angeklagt zu werden, sondern sich selbst stets der Gefahr bewusst bleibt. Diese Demut hat den Mut, eine Entscheidung zu treffen, auch wenn es keine letzte Gewissheit gibt. Diese Demut stellt sich in den Dienst von etwas größerem, der Liebe.

Denn die Liebe ist die Kraft, die das Leben selbst ist. Sie treibt uns, auch unter schwer erträglichen Umständen das Schöne zu entdecken. Sie lässt den Todgeweihten lächeln, sie ist die Transzendenz, die Auferstehung und das Leben selbst. Die Absurdität des Lebens löst sich in einem Knoten auf, der stärker ist als die zersplitternde Vielfalt und die scheinbaren ad hoc Lösungen. Diese Demut wagt sich auf die Ungewissheit zu stützen, sich selbst nicht als letzte Instanz zu sehen und sich gerade darin als die Antithese zum Tod erkennt. Diese Demut ermöglicht die  wahrhaftige Begegnung, Jakobs Kampf am Jabbok. Die Liebe aber wurzelt nicht in dem Willen des Menschen, sondern wird verliehen durch die Gnade des Lebens.  So verstehe ich das Evangelium von Jesus Christus und der Nachfolge.

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