Gotteserkenntnis: Der selbe Gott … ?

Monotheistische Religionen behaupten allesamt, dass es nur einen Gott gäbe. Immerhin kann man von philosophischer Seite auf Aristoteles verweisen, der ja zum gleichen Ergebnis kam. Oder auf das Prinzip ‚Occams Razor‘, das eine nicht notwendige Multiplizierung von Entitäten ablehnt. Abgesehen von der Ansicht, dass es keinen Gott gäbe, hat dieser Gedanke etwas bestechendes. Ist es darum notwendig der gleiche Gott, dem sich die verschiedenen Lehren von unterschiedlicher Seite nahen?

Und sind darum alle Versuche, sich jenem Gott zu nahen, wenngleich auch kulturell unterschiedlich bedingt, grundsätzlich gleichwertig? Lessings Ringparabel sagt ja genau das aus. Allerdings gibt es den Unterschied zwischen Identität und Abbild. Denn vorausgesetzt, dass es jenen einen Gott tatsächlich gibt, bleibt es möglich, sich  ein Abbild zu machen, dass diesen bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Unter dieser Prämisse wäre es nichts sagend, wenn man vom gleichen Gott spräche.

Interessanter Weise kennen alle montheistischen Religionen das Abbildungsverbot. Auch der Daoismus, der nun kein Bezug zur abrahamitischen Tradition kennt, identifiziert das Dao, dass im weiten Sinn der monotheistischen Gottesvorstellung entspricht, als unbeschreiblich und unfassbar.

‚Du sollst dir kein Bildnis machen‘

Dieses Gebot erscheint äußerst nachvollziehbar, denn es ist leicht erkennbar, dass die Menschen zur Zeit Moses einen weit geringeren Kenntnisstand hatten als wir heute. Ein Gottesbild, gleich jeder Art, müsste aus dem Zeitkontext heraus immer begrenzt bleiben, und darum falsch und irreführend. Der konkrete Anlass war wahrscheinlich die übliche Praxis, dass man Götzenbilder schuf und diese anbetete. Heute erscheint uns diese archaische Sitte eher lächerlich: Der Mensch, der einen Gott erschafft.

Allerdings ist dies zu kurz gesprungen und vor allem Zeugnis moderner Hybris, die sich nicht mehr in anderer Denkweisen hinein versetzen kann, sich selbst aber grundsätzlich für überlegen hält. Aus dem zitierten Bilderverbot wird dann der Kurzschluss erzeigt, dass es eben reine Fabrikation sei, die Menschen genau dazu veranlassen, sich selbst einen Gott zu basteln.

Moment mal … das ist doch kein Motiv: Warum sollte irgend ein Mensch überhaupt irgend etwas anbeten müssen, irgend eine Gottheit? Denn als säkularer Mensch scheint es sich durchaus leben zu lassen. Warum sollten andere Menschen zu anderen Zeiten das nicht genau so tun?

Irgend welche evolutionäre Erklärungen, die man leichter als irgend eine Gottheit erfinden kann, überzeugen da nicht: Gottesanbetung und Spiritualität ist ein kulturübergreifendes Phänomen, dass eben aus einem geschöpflichen Verlangen heraus erklärt werden kann. Und auch polytheistische und animistische Vorstellungen kennen meist eine einzige spirituelle Realität, die man durchaus auch monotheistisch deuten kann. Und selbst ausgesprochene Atheisten vertreten meist eine Weltsicht, die für sie zur normativen Grundlage wird und eine gewisse Moralität begründet.

Somit ist das Gebot, sich kein Bildnis Gottes zu machen, zweischneidig. Im engen Sinn ist die Herstellung von Götterbildern, die an Gottes statt verehrt werden, selbstverständlich nicht der Bibel gemäß. Was aber, wenn die Abbildungen nur als Zeichen und Hinwendung zum lebendigen Gott gedacht sind?

Wesentlicher aber ist die zweite Bedeutung: Denn jedes Denken ist zugleich ein Abbilden und Projizieren. An Gott zu denken ist immer ein Abbilden von Vorstellungen. In diesem Sinn ist das Bildnisverbot keineswegs ein Verbot, über Gott nachzudenken oder ihm zu begegnen, sondern die Mahnung einer kritischen Distanz zur Vorstellung von Gott. Fehlt diese kritische Distanz, wird man seine Vorstellung von Gott für eben diesen halten – und da ist ein berechtigter Vorwurf zur Projektion nicht weit.

Der Gott, der aber die ultimative Realität darstellt, übersteigt notwendig jede Vorstellung, die wir uns von ihm machen können. Es ist nicht der selbe Gott, den wir uns vorstellen. Das Wissen von der Vorläufigkeit unserer Erkenntnis und Anschauung lässt uns aber offen werden für die Gottesbegegnung – wir klammern uns an kein notwendig falsches Gottesbild, sondern öffnen uns der Offenbarung. Die notwendigen Vorstellungen sind im besten Fall Hilfen auf dem Weg in die Gottesbegegnung.

Kriterien und Ebenen der Gemeinsamkeit und Trennung

Wo also liegt die Grenzlinie zwischen dem gemeinsamen Gott und gemeinsamen Handeln … und eben den Anderen? Mögliche Ebenen könnten sein:

  1. Die sektiererische Sicht: Nur die eigene Teilgruppe und Gemeinschaft, die eine exklusive Lehre vertritt, kann sich im Besitz der Wahrheit wähnen. Alle Anderen bleiben außen vor.
  2. Die Unterscheidung nach Religionen: Die Zugehörigkeit zum bekennenden Christentum, dem Islam, dem Hinduismus, Buddhismus, etc. bis hin zum Atheismus kann und wird als Kriterium heran gezogen: Die Frage nach dem Bekenntnis im Groben.
  3. Die Unterscheidung Religion / atheistisch: Gerade Atheisten argumentieren gerne gegen jedwede Religion, wobei der Religionsbegriff oft sehr unterschiedlich definiert wird.
  4. Monotheismus vs. der Rest: Manche Atheisten und auch der Islam grenzen zwischen monotheistischen Gläubigen und sonstigen ab. Atheisten machen vor allem Monotheisten für allerlei Übel in der Welt verantwortlich
  5. Die kulturelle Sicht: Alle jene, die einem Kulturkreis entstammen und damit einer unscharf definierte Wertesicht sozialisiert sind, gehören dazu. Die anderen kann man zwar respektieren, teilen jedoch nicht diese identifizierbaren Kriterien.
  6. Die spirituelle Sicht: Jene, die der mystischen Erfahrung Gottes folgen, erkennen einander an, ganz gleich, welcher Kultur oder Lehre sie ursprünglich entstammen.
  7. Die ethisch-pragmatische Sicht: Wer moralisch nach Werten handelt, die einander entsprechen, grenzt sich von jenen ab, die das nicht tun. Dann würde der mitfühlende Shintoist und dem humanistische Atheist dem diakonischen Christen näher sein, als dem Verbrecher, der sich auch zum Christentum bekennt. Wenn sich die Werte und Verhaltensweise ähneln, lässt das auf einen gemeinsamen ‚Gott‘ schließen, selbst wenn sich Lehre und Bekenntnis krass widersprechen.

Für all diese Ansätze, und vielleicht noch weitere, gibt es durchaus vertretbare Gründe. So kann sich die 1. sektiererische Sicht ja auf Offenbarungen berufen, zu der jene Dritten eingeladen werden. Aber die Vielfalt der Möglichkeiten der Unterscheidung zeigt, dass es keineswegs ausgemacht ist, wo vernünftige Grenzen gezogen werden, um sich selbst zu identifizieren oder Klarheit zu schaffen.

Mein Standpunkt

Es genügt nicht, mehr oder minder allgemein gültige Argumente zu Fragen des Glaubens vorzutragen. Denn Glauben bleibt stets unter einer Rest-Ungewissheit, die eine Entscheidung erfordert: Lasse ich mich darauf ein oder nicht? Beides, auch die Ablehnung, sind Glaubenspositionen.

Der Philosoph, der um Redlichkeit und Objektivität bemüht bleibt, kann manche Fragen schlicht so nicht mit der notwendigen Sicherheit beantworten. Er steht vielmehr in der Gefahr, seine Glaubensüberzeugungen in scheinbar objektiven Argumenten zu verbergen. Das aber widerspricht dem Gebot der intellektuellen Redlichkeit. Hier muss mit offenen Karten gespielt werden.

Ich habe mich dazu entschieden, der Überlieferung der Bibel zu vertrauen. Demnach offenbart sich Gott in der Geschichte und hilft da weiter, wo der menschliche Verstand auf seine Grenzen trifft. Die Erkenntnis dieser Offenbarung aber bleibt menschlich und damit irrtumsanfällig. Der Verweis auf die Offenbarung enthebt den Menschen aber nicht von der Prüfung.

Prüft alles, das Gute behaltet

Paulus fordert im 1. Thessalonicherbrief 5,21 genau dazu auf, obwohl er sehr wohl von der Offenbarung (Prophezeiung, Weissagung) weiß. Denn er weiß auch, dass diese nicht alle Fragen eindeutig klären kann. Der Irrtum ist auch bei Offenbarungen nicht auszuschließen. Viele Ausleger meinten, dass Paulus hier das Prüfkriterium der Schrift, also der anerkannten kanonisierten heiligen Schriften meinte.  Das steht da aber nicht. Vielmehr muss das ‚alles‘ auch jene Schriften mit einbeziehen, was ja auch faktisch zumindest im Kanonisierungsprozess geschah. Ich verstehe es nicht als Mangel der Prüfanweisung, sondern als Verweis auf das Kohärenz-Prinzip: Wahrheit kann sich nicht widersprechen!

Widersprüche sind damit entweder aufzulösen oder aber Irrtümer zu erkennen. Es ist keineswegs so, dass man beliebige Hilfsannahmen treffen kann, um jedwede Widersprüche zu glätten, zumal die stets vorhandene Möglichkeit des Irrtums eine Annahme ad absurdum führen würde, bestimmte Dogmen ungeprüft anzunehmen: Das entspräche einer Beliebigkeit im Gegensatz zum paulinischen Imperativ. Auch das Dogma muss zumindest dem Anspruch genügen, dass es möglich sein muss. Die Grenzen der Möglichkeiten liegen allerdings nicht in unserer Vorstellungskraft oder der Alltagserfahrung, sondern in der Widerspruchsfreiheit der Wahrheit.

Ein Glaube an eine Offenbarung hat darum stets eine sektiererischen Aspekt: Wenn man eine Offenbarung für existenziell wichtig hält, dann impliziert dies, dass die Unkenntnis oder Ablehnung jener Offenbarung zu einem existenziellen Defizit führt. Im NT ist das bereits angelegt, was ja bekanntlich von der ’sektiererischen‘ Abspaltung vom Judentum und auch in der Kirchengeschichte zu immer neuen Abspaltungen führte.  Die Frage daraus ist: Wer spaltet sich von wem ab?

Sind es Menschen, die sich vom kirchlichen Mainstream abspalten, oder sind es Kirchen und Gemeinschaften, die sich selbst bereits von der Wahrheit getrennt haben, die Reformer zu restaurieren gedachten?

Aus diesem Blickwinkel wäre jede Richtung, die sich davor fürchtet, als sektiererisch angesehen zu werden, eine Verflachung, die der Beliebigkeit Tür und Tor öffnet. Die ‚Sekte‘ wird dann nicht mehr negativ konnotiert, sondern als notwendiges Übel der Entscheidung und Treue zur Wahrheit verstanden. Die paulinische Prüfung impliziert stets ein negatives Prüfergebnis: Es kann immer ein zu Prüfendes geben, das eben der Anforderung des Guten nicht stand hält und damit zwangsläufig zur Trennung von jenen führt, die dennoch daran fest halten.

Einheit und Universalismus

Das Christentum kennt andererseits die Sehnsucht nach Einheit und Versöhnung: Trennendes soll überwunden werden. Die Liebe soll Nebensächlichkeiten als unwichtig erkennen lassen. Erkenntnis ist der Liebe untergeordnet – 1. Korinther 13.

Es entsteht hier eine dialektische Spannung, die eine Abtrennung im Namen der Wahrheit und eine Vereinigung im Namen der Liebe fordert. Die Synthese weist auf keine faulen Kompromisse, sondern wird möglich durch den Verweis auf die Vorläufigkeit der Erkenntnis. Auch das, was als wahr erkannt wurde, steht unter Irrtumsvorbehalt und kann keine unüberbrückbare Gräben begründen. Aber auch die Preisgabe der Wahrheit ist nicht erforderlich.

Moderner Pluralismus ist nicht notwendig im Lichte einer postmodernen Indifferenz geschuldet, sondern als Fortführung antiken Verständnisses und neutestamentlicher Lehrsätze zu verstehen.

Mystizimus

Der Volksmund meint im Mystischen vor allem die unheimliche Erzählungen jenseits der Rationalität und Alltagserfahrung  zu entdecken. Also etwas, das wir belächeln oder als gruselndes Interesse suchen können. Aber das trifft die Mystik nicht, die den Gespenstergeschichten ebenso fern ist wie der Rationalismus.

Mystik reflektiert eine existenzielle Erfahrungsebene, die das Leben und Sein als Geheimnis versteht und sich auf die Begegnung Gottes einlässt. Da, wo die Ratio das Leben sezieren will, und es damit in unfassbare Ferne rückt, will die Mystik die Ganzheit stehen lassen. Es geht auch nicht mehr nur um ein Gefühl, dass auch künstlich erzeugt werden könnte, sondern die Demut der mystischen Schau rückt Dinge in ein anderes Licht. In der Mystik finden auch unterschiedliche religiöse Lehren eine gemeinsame Basis. Denn es geht hierbei nicht mehr um orthodoxe Richtigkeit, sondern um den Mut, sich selbst auf die Begegnung einzulassen. Es erstaunt dann, wenn sich Mystiker völlig unterschiedlicher Traditionen finden und eine gemeinsame Ebene erkennen – ohne damit ihre Lehrüberzeugungen aufgeben zu müssen.

Zur Ausgangsfrage

Die Frage, ob man den selben Gott anbetete ist im Sinne des Universalismus ein Appell, kleinliche Rechthabereien zu unterlassen, aber auch eine Bedrohung jedweden Offenbarungsglaubens und der Ablehnung der Möglichkeit des Irrtums. Wenn Menschen Gott in unvereinbaren Vorstellungen treu sein wollen, kann eben nicht alles wahr sein. Eine Nivellierung der Glaubenssätze bedroht die Glaubenssubstanz und kann nicht billiger Weise gefordert werden. Aber ein gegenseitiger Respekt, der die Frage nach Irrtum und Wahrheit insgesamt offen lässt, ist zumindest aus christlicher Sicht völlig konform mit der Lehre.

Wenn es nur einen Gott gibt, müsste die Suche nach jenem allen Menschen gemein sein. Die Erkenntnis Gottes ist grundsätzlich nicht irrtumsfrei. Darum wäre die undifferenzierte Akzeptanz von jedweden Gottesvorstellungen nicht anzustreben, sondern die Akzeptanz des fehlbaren Menschen als Gegenüber. Die Gottesvorstellungen bleiben jedoch meist unvereinbar. Diese als Einheit zu beschwören, ist vielleicht gut gemeint, trifft aber das Wesen des Glaubens nicht.

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