Sapere aude … und was die anderen sagen

Sapere aude ist ein lateinisches Sprichwort und bedeutet Wage es, weise zu sein!  Meist wird es in der Interpretation Immanuel Kants zitiert, der es 1784 zum Leitspruch der Aufklärung erklärte: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“

Es wäre ein Missverständnis, wenn der Lob von Aufklärung und dem eigenen Denken als Ignoranz oder pauschale Ablehnung der Ansichten Dritter verstanden würde. Lediglich sollte der unkritische Übernahme von Ansichten der Autoritäten gewehrt sein. Durch Bezugnahme auf Denker der Geschichte und Gegenwart wird das eigene Denken geschärft und ein möglicher Dilettantismus bekämpft.

Aber nicht nur anerkannte Größen sind Referenz, sondern die dialogische Bezugnahme auf Dritte, die sich als fruchtbar erweisen kann. Im Zuge von Menschen, die einen ähnlichen Ansatz vertreten, bin ich auf Johannes Heinle und seine beachtliche Webpräsenz sapereaudepls.de gestoßen. Hier einige Gedanken dazu:

Viele Fragestellungen, die Heinle in interessanten Aufsätzen behandelt, ähneln überraschend den Punkten, die auch mich bewegen. Allerdings kommen wir oft zu anderen, meist gegensätzlichen Ergebnissen. Woran liegt das?

Einerseits bleibt es die Wahl, in manchen Fällen von nicht zwingenden Annahmen andere Präferenzen zu setzen. Dann ergibt sich die Vielfalt als begründung … und das ist auch gut so. Andererseits mögen Fehler in der Argumentation das Ergebnis in sein Gegenteil verkehren. Dann wäre es gut, wenn die Fehler als solche Erkannt und korrigiert werden. Natürlich kann ich grundsätzlich nicht ausschließen, dass auch mir Fehler unterlaufen, aber naturgemäß fallen die Fehler des Anderen eher auf. Hier möchte ich diesen Text diskutieren:  Das Argument der unverursachten Existenz

Letztlich ist Existenz unverursacht, d. h., kausal nicht determiniert. Das sage ich nicht so daher, das kann man beweisen – und zwar analytisch.

Ein starker Anspruch. Oft liegen Argumentationsfehler aber bereits im Ansatz. Heinle geht als gute Praxis von einer Definition aus:

Normalerweise, wenn wir sagen, dass A die Ursache von B ist, gehen wir davon aus, dass alle der folgenden vier Bedingungen erfüllt sind. und zwar ausnahmslos:

  1. A liegt zeitlich vor B oder geschieht gleichzeitig (Zeit als Voraussetzung).
  2. A ist im räumlichen Kontinuum nahe B (Raum als Voraussetzung).
  3. A überträgt auf B Energie (Energie als Voraussetzung).
  4. A hat das Potenzial, B zu verursachen (Potenzial als Voraussetzung).

Ist eine einzige dieser Bedingungen nicht erfüllt, können wir nicht von Verursachung reden oder davon, dass A die Ursache von B ist.

So herrscht natürlich Definitionsfreiheit und es ist löblich diese einer Betrachtung vornan zu stellen. Aber eine Definition muss bestimmten Kriterien erfüllen, um funktional zu sein:

  1. Nachvollziehbar und aussagekräftig.
  2. Trennscharf
  3. Dem allgemeinen Wortgebrauch entsprechend
  4. Nicht Selbstwiedersprüchlich
  5. Den Gültigkeitsbereich festlegend

Diese Definition scheint für materielle Objekte im Universum den Kriterien zu entsprechen. Aber es wird kein Gültigkeitsbereich angegeben. Das heißt, dass geistige Objekte – z.B. Texte, ein Gedanke, woher kommen Werte etc. – nicht berührt werden. Offen bleibt auch, ob diese Definition auf die ersten Dinge sinnvoll anwendbar ist, denn ein Analogieschluss, dass eine gültige Definition für materielle Objekte innerhalb des Universums gilt, auch für andere Fragen sinnvolle Grundlagen liefert, ist apriori eben nicht zu behaupten.

Nun wird auch behauptet, dass Existenz verursacht wurde. Das ist, wie wir noch sehen werden, falsch.

Es fällt auf, dass der Begriff Existenz  hier nicht definiert ist, aber vermutlich als abstrakte Eigenschaft zu eben jenen materiellen Objekten gedacht wird. Weder aber wird klar, was der Begriff ‚Existenz‘ auf sich selbst bezogen bedeutet: Existiert dieser Begriff? Wenn ja, dann offensichtlich in einer anderen Weise wie der Stuhl, auf dem ich sitze. Aber nicht erst seit Platon Höhlengleichnis dem Universalienstreit sollte klar sein, dass eine derartige Beschränkung auf materielle Objekte unzureichend ist.

Nun gehen wir meistens davon aus (als „unbewusstes Vorurteil“), dass alles verursacht ist. Und da alles verursacht wurde, muss beispielsweise auch das Universum verursacht sein worden.

Dieses Verständnis führt allerdings zu einem performativen Widerspruch und müsste, um gültig zu sein, präzisiert werden:

Wir können davon ausgehen, dass alles, was einen Anfang hat, verursacht ist. Aristoteles ging sogar davon aus, dass die kreisförmige Bewegung der Fixsterne ewig seien und keinen Anfang hatten. Dennoch bedürfen sie der Ursache, die eben nicht mehr zu der o.g. Verursachungsdefinition passt: Weder setzt Aristoteles eine zeitliche Sequenz als Notwendigkeit voraus, noch das Entstehungsereignis, um eine logische Verursachung zu definieren. Das Herausnehmen der Zeit aus der Begründungskette ist gerade im modernen Verständnis, nachdem ein zeitlicher Fluss nicht zwingend ist, wirkt geradezu modern. Auch die Phänomene wie Teilchenverschränkung lassen sich mit dem Ansatz des Aristoteles beachten, und auch die Frage nach dem Ursprung der Zeit führt darin nicht zu einem Überschreiten des Gültigkeitsbereiches.

Auch wenn sich Aristoteles irrte, dass die Fixsterne ewig seien, so gilt doch seine Überlegung auch für potentiell ewige Befindlichkeiten, zumindest für einen postulierten infiniten Regress. Und damit driftet der Ansatz des Aristoteles bereits weit von dem Heinles ab:

Es gibt nur exakt drei logische Möglichkeiten (nicht mehr, nicht weniger):

(1) Die Kette der verursachenden Ereignisse ist unendlich lang.

(2) Die Kette hat einen Beginn.

(3) Die Kette ist kreisförmig.

Beim Universum können wir von einem Anfang ausgehen. Aber wir können annehmen, dass es auch Vorläufer zu jenem Universum gegeben hat, auch wenn wir kein Indiz haben, dass dem so sei. Damit wäre zunächst (1) noch denkmöglich. Der Ansatz (3) ist strukturell von (1) nicht zu unterscheiden, darum spare ich mir eine gesonderte Diskussion zu (3) was auch Heinle einräumt.

Fall (1): Es gibt keine erste Ursache (und, nebenbei, wenn dies der Fall ist, kann kein Gott der Verursacher aller Existenz sein). Aber: Die Existenz der Kette als Ganzes hat keine Ursache. Zwar ist jedes einzelne Glied dieser Kette verursacht, aber eben nicht die Kette als Ganzes. Warum diese Kette existiert, ist nicht erklärbar. D. h., letztlich ist die Existenz unverursacht.

Heinle zeigt selbst den performativen Widerspruch, rettet diesen aber mit Ignoranz: Denn wenn die Existenz der Kette nicht erklärbar ist, folgt daraus nicht, dass es keine Ursache gibt, sondern dass die Definition zu einem unauflösbaren Widerspruch führt. Eine Auflösung wäre nur mit der Anpassung der Definition und der Einführung des Begriffs des Zufalls möglich – aber dennoch unplausibel. In der gelieferten From handelt es sich lediglich um einen simplen Fehlschluss.

Fall (2): Die Kette hat einen Beginn, aber dieser Beginn (etwa Gott oder das Universum selbst) kann selbst keine Ursache haben. Warum diese Kette existiert, ist nicht erklärbar. D. h., letztlich ist die Existenz unverursacht.

Der auch hier behauptete performative Widerspruch zeigt die Unbrauchbarkeit der Eingangsdefinition. Aristoteles war hier weiter. Er kommt aus genau diesem Grund zu der Notwendigkeit der Existenz des Unbewegten Bewegers, also Gottes, die unverursacht sein muss.

Es wird also kein Grund geliefert, warum ein unverursachter Gott nicht der Grund jeglicher Existenz sein kann. Heinle nähert sich der Erkenntnis wenn er schreibt:

Aber Gott selbst kann nicht verursacht sein (seine Existenz etwas anderem verdanken). … Das bedeutet, dass man die Frage: „Warum existiert Gott?“ nicht beantworten kann, weil die Warum-Frage ja eine kausale Erklärung voraussetzt, also dass es eine Ursache für Gott gab (etwas hat Gott hervorgebracht),

Nun ist Heinle bei Aristoteles und der Scholastik angekommen. Bravo!

… aber dann hätten wir es nicht mit „dem“ christlichen Gott zu tun.

Nun diese Behauptung, obwohl doch die Scholastik gerade die Identität des aristotelischen Ansatzes mit der christlichen Gottesvorstellung zeigt!  Ohne auf christliche Philosophie und Theologie zu referenzieren sagt 2. Mose 3.14 (nach Elberfelder Übersetzung)

Da sprach Gott zu Mose: „Ich bin, der ich bin.“ Dann sprach er: So sollst du zu den Söhnen Israel sagen: Der „Ich bin“ hat mich zu euch gesandt.

Dieser grundlegende Text wirkt im Gegensatz zu dem Mose der Erzählung keineswegs aus Zeit und Kontext geboren. Die gedankliche Tiefe, dass Gott hier als der durch Drittes nicht referenziert auftritt, verwundert. Im Apostolischen Glaubensbekenntnis wird Gott als der Schöpfer des Himmels und der Erde identifiziert. Im Mose-Text hätte man das auch erwarten können, aber hier kommt etwas völlig anderes. Es liegt ein besonderer Kniff in dieser Erklärung. Denn wenn Gott rekursiv aus der der Schöpfung erklärt wird, wäre die Frage nach Gottes Existenz an das Universum geknüpft. Aber das trifft den Kern eben nicht, wie ja schon Aristoteles unabhängig davon zeigte.

Heinle erklärt das nicht und scheint den Fehler auch nicht zu entdecken.

Wenn Gott existiert, dann kann er selbst die Frage danach, warum er existiert, nicht beantworten. Nicht einmal der allwissende Gott weiß, warum er existiert, nicht einmal er kann seine Ursache kennen (weil es keine gibt). Gott muss seine eigene Existenz ebenso als ein unlösbares Rätsel ansehen wie wir unsere Existenz!

Es erscheint nun nicht nur anmaßend und dreist, zu behaupten, was Gott wissen könne und was nicht, sondern logisch auch durch einen performativen Widerspruch belastet. Denn wenn Heinle selbst zeigte, dass die Existenz Gottes unverursacht ist, ist die Frage nach dem Warum sinnlos, denn sie impliziert die Frage nach der Ursache. Um diesen Fehler zu erkennen muss man nicht mal Gott sein. Unsinnige Fragen zu stellen ist aber keine Tugend, und diese nicht beantworten zu ‚können‘, ist kein Mangel.

Es hilft auch nichts, wenn man nun einfach behauptet, dass Gott „irgendwie“ auf eine ganz spezielle Art und Weise existiert – existieren muss er, aber eben unverursacht, d. h. ohne dass er selbst erklären könnte, wieso es ihn gibt und nicht nichts. Was auch bedeutet: Letztlich erklärt die Existenz Gottes überhaupt nichts!

Ex falso quodlibet. Wenn die Existenz Gottes als unverursacht postuliert wird, und jegliche weitere Existenz als letztlich verursacht verstanden wird – wie es auch Aristoteles und die Scholastiker taten, dann ist das eine weitgehend konklusive Antwort, die letztlich in jedem Schöpfungsglauben enthalten ist und als zufriedenstellende Erklärung verstanden wird. Nur, weil Heinle diesen Glauben ablehnt, ist die Erklärung darum nicht nichtig.

In jedem Fall lautet die Antwort auf die Frage nach der Existenz also:

Existenz existiert unverursacht, alle Fragen nach dem „Warum“ sind letztlich unsinnig. Letzten Endes gibt es für Existenz keine Erklärung, ja, es kann keine geben, vor allem keine kausale.

So ist es falsch. Richtig wäre: Die Fragen nach dem Warum sind nur in dem Kontext sinnvoll, sofern man von einem unverursachten Schöpfer ausgeht. Lehnt man diesen ab, bleibt nur noch die Ignoranz – also das Unwissen – als Alternative übrig. Damit entfällt aber auch die Grundlage jedes weiteren Wissens: Denn wenn nicht mehr hergeleitet werden kann warum irgend etwas ist, kann auch nicht mehr hergeleitet werden, warum ein konkrete Objekt existiert. Es wären nur Wirkketten unter Vorbehalt und einer begrenzten Anzahl von Gliedern erkennbar. Da aber letztlich der Grund dafür fehlt, könnte plötzlich alles ganz anders sein.

Heinles Betrachtungen bleiben zwar nicht ohne Reiz aber sie zeigen, wie kleine Fehler in der Eingangsdefinition sich lawinengleich fatal auf die Gesamtergebnisse auswirken.

 

 

 

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