Als politisches Schlagwort kursiert der Begriff seit geraumer Zeit. Er ist gemeinhin negativ konnotiert, bleibt aber stets sperrig und kaum greifbar. Denn Politiker wollen ja populär sein, aber nicht populistisch. Viele verstehen darum die Abgrenzung auch nicht. Jüngst machte die Studie
Die Stunde der Populisten?
Populistische Einstellungen bei Wählern und Nichtwählern vor der Bundestagswahl 2017 von Robert Vehrkamp und Christopher Wratil, Bertelsmann Stiftung, auf sich aufmerksam. Mich interessieren hier weniger die Implikationen oder eine generelle Kritik an der Studie, sondern die Begriffsbedeutungen, die in dieser Studie entfaltet wird.
Die Problematik des Begriffes sehen die Verfasser (S.14) auch:
Populismus ist in der öffentlichen Diskussion ein schillernder Begriff, vieldeutig und von zahlreichen Zuschreibungen überlagert. Politiker, Parteien und Wähler werden wahlweise als Populisten, Rechtspopulisten oder Linkspopulisten bezeichnet.
Obwohl dieser Begriff gerade darum problematisch bleibt und sich einer allgemein gültigen Definition entzieht, verwenden die Verfasser ihn in dem Glauben, eine hinreichende Definition gefunden zu haben, die dem beliebigen Verständnis eben nicht Tür und Tor öffnet.
Der Populismus-Forscher Cas Mudde definiert Populismus als „eine Ideologie, welche die Gesellschaft letztlich in zwei homogene und antagonistische Gruppen unterteilt, ‚das reine Volk’ gegen die ‚korrupte Elite’, und die argumentiert, dass Politik ein Ausdruck des volonté générale (des allgemeinen Willens) des Volkes sein sollte“
Es wird hier nicht kritisch geprüft, wie stark denn diese Unterscheidung und Trennung der ‚antagonistischen‘ Gruppen überhaupt sei. Denn in realen Gesprächen und Meinungen finden sich stets ein fleißende Kontinuum von Ansichten zum Thema. Das Macht und Geld korrumpiert, ist eine Binsenweisheit. Das sich daraus bestimmte persönliche Interessen herausbilden, die mehr oder minder das politische Handeln prägen, ist offensichtlich. Auch in Parteien, die als populistisch eingestellt angesehen werden, ist diese Versuchung der Korruption sehr wohl bekannt. Eine scharfe Trennung der Gruppen wird explizit wohl eher von den Ohnmächtigen wahrgenommen und gerade den Mächtigen, die zwar nie offen zugeben würden, dass sie das gemeine Volk und deren Meinungen nicht im Geringsten interessiert, sondern lediglich deren machtpolitische Implikationen. Es ist darum als Merkmal einer Populismusdefinition wenig geeignet, um Trennschärfe zu ermöglichen.
Im Zentrum dieser Populismus-Definition steht das „Volk“ (Englisch: „the people“) und die Forderung nach seiner direkten und unmittelbaren Herrschaft, der sogenannten „Volkssouveränität“
Man könnte meinen, dass dies die Gründungsidee der Demokratie sei, so wie sie auch im Grundgesetz beschrieben ist. Dies als Populismus zu bezeichnen lässt vermuten, dass hier antidemokratisches Gedankengut Eingang findet. Das Volk selbst wird verdächtigt, irgendwie nicht herrschaftsberechtigt zu sein.
Ein zweiter Aspekt ist die Kritik an politischen Eliten, dem „Establishment“, wie beispielsweise den etablierten Parteien und Politikern als den typischen politischen Eliten, die der Populismus als korrumpiert ansieht
Abgesehen davon, dass eine Trennung in einen ‚zweiten‘ Aspekt mir hier nicht nachvollziehbar ist. Bleibt auch dieser Aspekt verkürzt. Die Einsicht in die Korrumpierbarkeit von Menschen, die auch bis zur bangen Frage führt, ob man selbst in der Versuchung denn aufrecht bleiben könne, kann einerseits als Generalverdacht unter einem Neid-Effekt verstanden werden, sich aber auch auf eine inhaltliche Fehlentwicklung verstehen, die konkrete Trends für problematisch bis schädlich identifiziert und deren Zustandekommen aus der inneren Mechanik des Establishments erklärt. So zumindest die Analyse der 68er Bewegung.
Zum Einen wird Populismus hier nicht an der politischen Position festgemacht, zumindest nicht direkt. Indirekt aber bilden die Herrschenden stets das Establishment. Die Eigenschaft, selbst an der praktischen Macht beteiligt zu sein, bewahrt per Definition vom Populismus-Vorwurf. Damit aber wird der Begriff zunehmend sinnentleert und nähert sich der Bedeutung der APO.
Ein dritter Aspekt ist die Vorstellung von Homogenität, sowohl der politischen Elite als auch des Volkes, die jeweils als Einheiten ohne Differenzierung nach Gruppen oder Individuen gesehen werden (z. B. Müller 2016; Mudde 2007). Populismus begreift gesellschaftliche Auseinandersetzungen als Konflikte zwischen dem „einen“, guten Volk und dem „einen“, korrupten Establishment.
Ist es wirklich denkbar, dass irgend jemand genau das denkt? Oder handelt es sich nicht vielmehr um eine doppelseitige Zuspitzung? In Reden vermeintlicher Populisten werden zwingende Vereinfachungen vorgenommen. Wenn von DEM Volk die Rede ist, dann ist es fraglos dem Umstand geschuldet, dass eine penible differenzierte Darstellung unterschiedlicher Ansichten nicht immer und überall möglich ist. Das Volk ist stets als Gemeinschaft zu verstehen, das über hinreichende gemeinsame Merkmale verfügt, um es als Ganzes ansprechen zu können. Das impliziert keine Homogenität.
Die ‚Populismuskritiker‘ hingegen überzeichnen die Position jener Meinungsgegner, wobei sie nicht deren Positionen korrekt abbilden, sondern einen Strohmann konstruieren, der sie seinerseits in Verdacht bringt, den Geist des Grundgesetzes und den Artikel 20 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland zu ignorieren. In Absatz 2 heißt es:
Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
Es impliziert, dass das Volk hinreichend homogen ist, um jenen Volkswillen auszuüben. Die Kritik an dem ‚Populismus‘ stellt hier die Grundlagen der Demokratie in Frage.
Weiter zur Studie:
Die Zustimmungen zu diesen drei Aspekten lassen sich als populistische Einstellungen auch in Umfragen messen. Je stärker Wähler Aussagen und Positionen vertreten, die „Pro-Volkssouveränität“, „Anti-Establishment“ und „AntiPluralismus“ sind, umso populistischer sind sie.
Es lässt verwundern, wie derartig fragwürdige Ansätze zu einem Text verdichtet werden können, der weder der Komplexität des Meinungskontinuums, noch der Stringenz ihrer Thesen verpflichtet sein kann. Die Kriterien „Pro-Volkssouveränität“ und „Anti-Establishment“ entsprechen bester demokratischer Grundlagen und bieten keinen Anlass einer Pauschalkritik.
Der behauptete „AntiPluralismus“ erscheint dagegen kaum mehr als ein konstruierter Strohmann zu sein. Es ist eher der Ausdruck von Hilflosigkeit, derartige Entstellungen heranzuziehen, um Meinungsgegner auszugrenzen. Viel mehr erscheint es, dass diejenigen, die Dritten „AntiPluralismus“ andichten, selbst jene alternativen Ansichten pauschal ausgrenzen wollen und tatsächlich selbst dem Ansatz des „AntiPluralismus“ entsprechen.
Man kann darum weit eher davon ausgehen, dass das Konstrukt ‚Populismus‘ eine buntes Konglomerat von dispersen berechtigten Ansätzen und zugeschriebenen Verzerrungen bezeichnen will, dass sich in keiner Weise konkretisieren, und schon gar nicht quantifizieren lässt.
Radikale Populisten fordern die Entmachtung der herrschenden Politiker, um den Einfluss des Volkswillens zu stärken. Sie propagieren weitreichende Reformen des politischen Systems und als Politiker behaupten sie, dass sie alleine den wahren Bürgerwillen repräsentieren.
Politische Rhetorik der Opposition bedient sich oft genau dieser Muster. Es ist sozusagen Teil des politischen Geschäftes. Darin bleibt völlig offen, ob hier die Forderung nach Reformen Ausdruck wahrer Überzeugung jener Politiker ist, die ggf. völlig korrekt auf Missstände reagiert oder lediglich leere Rhetorik ist, um Zustimmung zu populären Thesen zu erheischen.
In seiner moderaten Variante setzt sich Populismus kritisch mit den etablierten demokratischen Institutionen auseinander und wünscht sich mehr direkte Beteiligung der Bürger sowie eine bessere Berücksichtigung ihrer Interessen bei politischen Entscheidungen.
Hier wird es vollends offenbar, dass sich die Verfasser mit jenem Establishment identifiziert, dass sich gegen Kritik immunisieren will und damit die ‚eigene‘ Machtbasis gegen das Volk bewahren will.
Fazit: DEN Populismus gibt es gar nicht. Er lässt sich nicht abgrenzen und auch nicht messen. Es gibt in der politischen Auseinandersetzung aber Positionen, die auf seriöse Analysen und Forderung fußen und jene, die lediglich auf massenwirksamen Einfluss rekurrieren. Zwischen diesen Extremen spannt sich ein ganzes Kontinuum von Ansichten auf.
Das Gespenst des Populismus ist lediglich ein schlapper Versuch, Kritik pauschal zu neutralisieren und die eigene Machtbasis der Eliten zu erhalten. Der Mangel an trennscharfen Kriterien soll mit kaum nachvollziehbarer Rhetorik verschleiert werden.
Nachwort – Messung konkret:
Die Studie will ja jenen ‚Populismus‘ messen. Was das inhaltlich heißt, zeigen die konkreten Fragen:
„Die Parteien wollen nur die Stimmen der Wähler, ihre Ansichten interessieren sie nicht.“
M.E. ist das eine nüchterne Einschätzung, aber die Studie nennt es Populismus.
„Wichtige Fragen sollten nicht von Parlamenten, sondern in Volksabstimmungen entschieden werden.“
Dies ist laut Studie ein Gradmesser des Populismus. Wer hier zustimmt, wie es auch in den Verfassungen vieler anderer EU-Ländern und der Schweiz steht, gilt als Populist.
Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie … Hier zeigt sich deutlich, dass die populistisch eingestellten Wahlbürger sehr viel unzufriedener mit dem Funktionieren der Demokratie sind als die unpopulistischen.
Derartige Tautologien lassen verwundern. Zunächst wird ‚Systemtreue‘ als nicht-populistisch gewertet, und Systemkritik als populistisch, dann bestätigen die ‚Messergebnisse‘ diesen Ansatz.
Populismus verbindet sich mit vielen „populären“ Forderungen und Thesen – mit der Stärkung der Volkssouveränität und des Einflusses der Bürger auf Politik, mit der Bekämpfung korrupter Eliten und mit der verheißungsvollen Idee, zu einem größeren Ganzen, dem „Volk“, zu gehören.
Die Distanz zum Grundgesetz wird im Unterton deutlich. Das Volk steht nun nur in Anführungsstrichen. Zwischen den Zeilen: Wer mehr will, als nur sein Kreuzchen bei den Wahlen zu machen, ist grundsätzlich verdächtig.
Ein Gedanke zu „Populismus – Ein Kunstbegriff?“