Planspiele und Feindbilder

Die Gefahr eines 3. Weltkrieges, einschließlich eines Atomkrieges, beängstigt viele Menschen. Durch die Eskalation des Russland-Ukraine-Krieges sind die Risiken stark gewachsen. Bereits der Wirtschaftskrieg zeigt durch Inflation und Firmenpleiten deutliche Wirkung. Um so wichtiger ist das Nachdenken über Ursachen und mögliche Weiterentwicklung, kritische Prüfung der medialen Darstellung, Analyse der beteiligten Parteien und zielführende Strategien.

Aktuell könnten dazu viele Bücher geschrieben werden … allerdings nicht im Getümmel von Propagandameldungen. Das heißt, wir müssen uns über einige Grundüberlegungen klar werden und uns dieser im Wind der Informationsflut bewusst bleiben. Hier darum nur ein Anriss …

Feindbilder

In jedem Konflikt treffen Parteien unterschiedlicher Interessen und Befindlichkeiten aufeinander. Das Interesse einer Partei ist zumeist nicht homogen, sondern eine mehr oder minder diffuse Mischung aus mehreren Interessen. Wichtig sind dabei auch jene Interessen, die eben nicht klar formuliert werden, sondern die im Geheimen bleiben und über die nur spekuliert werden kann. Aber mangels klarer und nachgewiesener Erkenntnis bleiben diese vermuteten Interessen dennoch entscheidend. Die offen kommunizierten Interessen könne vielleicht wichtiger sein, sind möglicherweise aber auch nur Verschleierungen der wahren Motive.

Allerdings vermischen sich bei den Motiven rationale Elemente mit emotionalen. Darum sind Psychogramme der Entscheidungsträger nicht zu vernachlässigen. Innenpolitischer Druck, Blendung durch die eigene Propaganda etc. modulieren die Entscheidungen. Aber auch hier kann man nicht viel mehr als begründete Vermutungen ermitteln. Zur Aufklärung sind also verschiedene Szenarien parallel zu betrachten, aufgrund derer jeweils eine Strategie zu beurteilen ist.

Der Begriff Feindbild passt da sehr wohl, denn eben jene Eischätzung führt zu eigenen Handlungen. Erschwerend kommt aber hinzu, dass die Propaganda ihrerseits ein Feindbild ganz eigener Funktion erschafft: Kriegstreiber wollen den Feind als böse, zumeist unmenschlich charakterisieren. Pazifisten könnten die Aggressoren verharmlosen. Dieses Problem gilt beidseitig. Denn der Gegenseite kann man genau die gleiche Entwicklung unterstellen.

Wenn der Konflikt mit einem Sieg beendet wird, hat man keine Not, den Gegner respektieren zu müssen. Was aber, wenn ein Sieg gar nicht erreichbar ist, oder wenn dieser viel teurer kommt, als man selbst dies tragen kann. Was ist, wenn der Konflikt immer weiter geht und immer weitere Opfer kostet? Wenn vielleicht die eigene Niederlage oder Vernichtung droht? Oder was ist ein Sieg, der dann in einen konfliktbeladenen ‚Frieden‘ mündet, der sich zu einem Guerilla-Krieg oder zu einem neuen Konflikt ausweitet? Will man die Macht der Unterdrückung so weit treiben, dass man dies wirksam verhindern kann?

Es wäre darum von enormer Wichtigkeit, den Gegner zu respektieren, und ernsthaft das offene Gespräch zu suchen. Eine Konfliktlösung ohne ein solches Verhalten dürfte in den seltensten Fällen befriedend sein. Man muss dazu anerkennen, dass der Gegner durchaus valide Interessen haben kann und ein Gespräch mit unverrückbaren Maximalforderungen unfruchtbar bleiben muss.

Um dennoch einen Fortschritt bei verhärteten Fronten zu erreichen, ist die Deeskalation eine Voraussetzung. Dies könnte z.B. ein Waffenstillstand, eine respektvolle Ansprache des Gegners, die Rücknahme von Sanktionen etc. sein. Wer das nicht will, eskaliert, denn die Zeit fordert immer mehr Opfer, die einen Frieden erschweren. Wer glaubt, er könnte den Gegner in die Knie zwingen oder empfindlich schaden, muss damit rechnen, dass genau das dann der Gegner ebenso will, oder dass er sich durch diese Haltung ebenso genötigt fühlt, dasselbe zu wollen.

Recht und Moral

Fraglos sind in einem Konflikt nicht immer beide Seiten gleichermaßen schuldig. Wer sich im Recht sieht, wird dieses eben durchsetzen wollen … wenn er es nach eigener Einschätzung auch kann. Die Verteidigung gegen eine Aggression wird nicht nur als gutes Recht verstanden, sondern auch als Hilfe um einen Angegriffenen zu stärken. Aber die wirkliche Welt ist oft nicht so einfach.

Vielfach haben Konflikte Vorgeschichten, die eine differenzierte Sicht auf den Akt der Aggression liefern. Wer dies ignoriert und dem Aggressor vorschnell die alleinige Schuld zuweist, spielt das Spiel der intriganten Kriegstreiber mit, die vielleicht nicht zuerst schossen aber einen Kriegsgrund – Casus belli – lieferten, d.h. so in die Enge trieben, dass Krieg als vermeintlich einzige Option noch verfügbar schien.

Zudem ist bei der Rechtslage zu unterscheiden, wie sie einerseits im kodifizierten Recht hinterlegt ist oder wie dieses Recht von der jeweiligen Partei empfunden wird. In jedem Fall ist die eigene Perspektive mit Sicherheit eine andere wie die des Gegners. Aber selbst im Völkerrecht, das oft genug missachtet wird, ist die Lage oft weniger klar als vermutet:

Zum einen gilt die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten als Gebot. Andererseits gilt das Selbstbestimmungsrecht, das auch verteidigt werden kann oder muss. So ist bei einem Diktator, der sein Volk oder Volksgruppe brutal unterdrückt, keineswegs Recht, diesen als Souverän gewähren zu lassen. Den Unterdrückten fehlen oft die Mittel, sich hinreichend zu wehren.

Aber auch dieser Sachverhalt erweist sich oft als undurchsichtig: Liegt wirklich eine menschenverachtende, massive Unterdrückung vor? Oder werden kleinere Verstöße gegen das Recht nur aufgebauscht oder gar erfunden? War es nun Recht, im Kosovo-Krieg die Grenzen Serbiens zu missachten? Wenn ja … können dann andere Länder das gleiche – z.B. in der Ukraine – beanspruchen? Wenn nein … ist dann dieses Verhalten der NATO zugleich eine Disqualifikation, sich in andere Konflikte einzumischen?

Auch gilt die Analogie: Wenn man in vielen Fällen wegschaut, und Kriege und Unrecht auf der Welt als gegeben akzeptiert … bei der Menge der Kriege und der Begrenztheit der Möglichkeiten durchaus ein schmerzlicher, aber akzeptabler Standpunkt … mit welchem Recht greift man dann selektiv in ausgewählte Konflikte ein? Ist es dann nicht Bigotterie, dass man dort die Augen verschließt vor Unrecht von Dritten, gar der eigenen Bündnispartner, nun aber hier das Recht einfordern und sich darauf berufen will?

Handelsbeziehungen: Ist es moralisch verantwortbar, Handel mit Ländern zu treiben, die die Menschenrechte mit Füßen treten? Da stellt sich die Frage, welcher Maßstab hier zu Grunde gelegt wird. Selbst in Deutschland gibt es Unrecht und Unterdrückung … müssten dann nicht Dritte den Handel mit Deutschland vermeiden? Welche Länder auf der Welt haben dann eine reine Weste, die sich nicht kompromittieren und als Handelspartner nicht disqualifizieren? Lange Zeit galt im Sinne des kantischen ewigen Friedens, dass intensive Handelsbeziehungen einen Frieden festigen, weil der Preis für beide Seiten zu hoch wird, diesen Frieden zu opfern.

Zwar gibt es ein absolutes Gut und Böse und manche mögen weit mehr im Recht sein als andere, aber im Konkreten wird es schwierig, das sicher zu bestimmen wenn man alle Perspektiven berücksichtigt. Unter diesen Umständen wird das Vorbringen und Beharren auf einer vermeintlichen Rechtsposition einen Krieg befeuern und einen Friedensschluss erschweren.

Planspiele

Ausgehend von einem Satz von Annahmen sind entsprechende Strategien zu entwickeln, die am ehesten zielführend sind und Risiken minimieren. Wohlgemerkt: Die Annahmen könnten auch falsch sein und invalidieren dann die Strategie. Aber es wäre denkbar, dass unterschiedliche Annahmen zu einer ähnlichen Strategie – möglicherweise mit unterschiedlichen Begründungen führen können. Dies wird am Beispiel des Russland-Ukraine-Krieges in verschiedenen Varianten durchgeführt. Grundsätzlich gilt ähnliches für vertauschte Rollen.

Variante A: Militärische Überlegenheit der NATO – kein Atomkriegsrisiko

Annahmen
  1. Die Russen werden auch im Fall einer empfindlichen Niederlage vor dem Einsatz von Atomwaffen zurückschrecken – aber sicher ist diese Annahme nicht. Im Besonderen falls Russland irrational handelt und tatsächlich ‚irre‘ ist.

2. Die militärische Überlegenheit der NATO ist gesichert. Auch hier ist die Einschätzung Schlagkraft und Kriegsbereitschaft schwer einzuschätzen.

3. Die Bündnisse mit anderen Ländern mit Russland führen nicht zu einer Ausweitung des Krieges. So wird davon ausgegangen, das China nicht Taiwan angreift.

Strategie unter der Annahme von Variante A: Maximahle Drohung, Militärische Entscheidung suchen

Eskalation: Ob das Recht auf Seiten der Ukraine ist oder nicht, spielt beim Recht des Stärkeren keine Rolle. Ein militärischer Showdown wird mit einem Sieg beendet.

Risiken

Die Annahme, dass es nicht zu einem Atomkrieg kommt, ist fragwürdig. Selbst eine Sicherheit von 99 Prozent ist angesichts der Konsequenzen zu niedrig.

Die Ausweitung zum Weltkrieg ist gegeben. Die gesamte Weltordnung ist in Gefahr.

Selbst bei einem Sieg könnten die Verluste so groß sein, dass es den Sieger ruiniert.

Ein dauerhafter Frieden ist nicht sichergestellt.

Eine Spekulation darauf, dass Russland eben vorher kapituliert, ist eine unsichere Annahme.

Variante B: Militärische Überlegenheit der NATO – signifikantes Atomkriegsrisiko

Annahmen
  1. Die Russen werden im Fall einer empfindlichen Niederlage vor dem Einsatz von Atomwaffen nicht zurückschrecken .

2. Die militärische Überlegenheit der NATO ist gesichert. Auch hier ist die Einschätzung Schlagkraft und Kriegsbereitschaft schwer einzuschätzen.

Strategie: Einhegen und Deeskalieren

Ob das Recht auf Seiten der Ukraine ist oder nicht, spielt bei einem Atomkrieg keine Rolle. Ein militärischer Showdown wird mit großem Zerstörungen beendet. Es ist dann irrelevant, wer Sieger ist, oder ob es noch einen Sieger gibt.

Ziel: Verhandlungslösung zu beidseitig akzeptablen Bedingungen.

Risiken

Die Annahme, dass ein Atomkrieg droht kann als Erpressungspotential gewertet werden, dass dem Gegner zu viel Macht einräumt.

Das Recht – so es denn besteht – kann nicht durchgesetzt werden.

Variante C: Keine Militärische Überlegenheit der NATO – kein Atomkriegsrisiko

Annahmen
  1. Die Russen würden im Fall eines konventionellen Krieges keinen Einsatz von Atomwaffen benötigen.

2. Die militärische Überlegenheit der NATO ist unklar oder nicht gegeben gesichert.

Strategie: Einhegen und Deeskalieren

Ob das Recht auf Seiten der Ukraine ist oder nicht, spielt bei einem Krieg, der verloren wird, keine Rolle. Ein militärischer Showdown mit einer möglichen Niederlage sollte unbedingt vermieden werden.

Ziel: Verhandlungslösung zu beidseitig akzeptablen Bedingungen.

Risiken

Die Annahme, dass ein konventioneller Krieg zur Niederlage führen kann, sollte ernst genommen werden und darum vermieden werden.

Das Recht – so es denn besteht – kann nicht durchgesetzt werden.

Fazit

Man sieht: Die Rolle der Moral und des Rechts ist sicher im Kontext der Propaganda wichtig, aber für strategische Überlegungen in einem Konflikt irrelevant.

Was aber, wenn das Recht der russischstämmigen Bevölkerung in der Ostukraine tatsächlich schwer verletzt worden ist? Vor welchen Karren haben wir uns dann spannen lassen? Was ist Wahrheit und wer hat die Deutungshoheit?

Weitere Betrachtungen zur Spieltheorie am Beispiel:

Nordstream Pipeline-Anschlag: Wer war es? (Spieltheorie)
Prof. Dr. Christian Rieck

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