Erinnerungskultur und deren Lehre

Sich zu erinnern ist nicht nur menschlich, sondern einer der Grundpfeiler der Kultur. Aus der Erinnerung an vergangene Ereignisse gilt es zu lernen. Das traumatischer Erbe der Nazidiktatur, des Holocausts und des verheerenden 2. Weltkrieges sollte darum nicht nur mit Entsetzen und Trauer gedacht werden, sondern auch zur Erweiterung unseres Denkens führen, aber nicht zur Lähmung. Bundespräsident Steinmeier sagte anlässlich des Gedenkens in Yad Vashem:

Ich wünschte, sagen zu können: Wir Deutsche haben für immer aus der Geschichte gelernt. Aber das kann ich nicht sagen, wenn Hass und Hetze sich ausbreiten.

Irgendwas passt hier nicht. Und was genau können wir lernen?

Können Deutsche etwas kollektiv lernen? Also vollständig, ohne Ausnahmen? Und wer sind dies Deutschen eigentlich? Ist es nicht eine Verharmlosung der grauenhaften Verbrechen, wenn man irgendwo Hass und Hetze pauschaliert und in eine Reihe stellt mit der industriellen Ermordung von Millionen von Menschen, hauptsächlich Juden?

Sicher, ein maßgeblicher Faktor der Verbrechen war ein Judenhass, der in seinem Ausmaß beispiellos war und bleibt. Aufs schärfste wollen wir dem wehren. Aber tun wir das auch konsequent? Karl Lagerfeld empörte mit der Aussage:

Selbst wenn Jahrzehnte dazwischen liegen, kann man nicht Millionen Juden töten und später dann Millionen ihrer schlimmsten Feinde holen.

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Sicher kann man über die Flüchtlings- und Asylpolitik umfassende Diskussionen führen, aber es sollte unstrittig sein, dass der aktuelle Antisemitismus in Deutschland wohl überwiegend von Moslems ausgeht. Können die etwas mit der Erinnerungskultur anfangen, zumal man unter jenen entweder Holocaustleugner vermuten kann und solche, die den Holocaust auch heute noch betreiben wallen – siehe Hamas.

Nein, die Bundesrepublik Deutschland schützt jüdisches Leben nicht.

Im August 2019, nur sechs Tage nach dem Mord an der 17-jährigen Israelin Rina Shnerb,  empfingen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Mahmud Abbas in Berlin. Eben jene Person, die permanent zur Ermordung von Juden aufruft, Mörder als „Helden“ und „Märtyrer“ verherrlicht und die Morde mit Geld honoriert.
Die Bundesregierung brüstete sich gegenüber der Presse sogar damit, der „größte bilaterale Geber“ zu sein: „Im letzten Jahr haben wir 110 Millionen Euro eingesetzt.“ Das ist ja mehr als ein Drittel der 300 Millionen, die die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) jedes Jahr für die Ermordung von Juden ausgibt.

Stefan Frank

Bei aller Empörung über vergangene und aktuelle Ereignisse will ich aber fragen: Wie ist erinnern angemessen? Was können und sollten wir wirklich daraus lernen?

Die richtigen Lehren: Vergebung

Die Frage der Vergebung ist eine äußerst wichtige. Natürlich sehnen sich Täter nach Vergebung, um möglichst unbehelligt für sich die Konsequenzen der bösen Tat zu vermeiden. Ist damit auch nicht die Verletzung des Rechts virulent, dass man den Opfern nicht genüge tut? Darum ist der Ruf nach Vergebung vor allem dann fragwürdig, wenn es eine Vergebung aus gnädiger Willkür wäre. Warum sollte dann den einen vergeben werden, den anderen nicht? Vergebung wäre dann eher ein Präzedenzfall, der entweder alle Täter schützt, oder neues Unrecht schafft.

In der Lehre von Jesus Christus geht es darum auch nicht um eine billige Gnade, die das Recht aushebelt, sondern um die Bestätigung der Sühne, die die böse Tat erfordert. Darum war auch nichts geringeres als der Tod Gottes zur Sühne erforderlich. So dass wir auch angesichts der übelsten Taten von Vergebung sprechen können. Keineswegs wird das Wort der Gnade angesichts des Schreckens von Auschwitz hohl und entwertet.

Vergebung kann man aber nicht einfordern, und schon gar nicht die Täter. Dritte können nicht die Opfer zur Vergebung verpflichten. Vergebung ist das Vorrecht jener, die in der Lage sind, zu vergeben, also die Opfer. Sie tun es jedoch nicht ohne Grund. Vergebung ist tief verwurzelt im Recht und dem Leben selbst.

Vergebung ist aber nicht nur etwas, von dem mögliche Täter profitieren, sondern Opfer haben die Möglichkeit, sich aus einer schicksalhaften Verkrümmung und Fixierung des Leides frei zu werden. Es ist darum die wichtigste Lehre: Wie kann ich vergeben?

Natürlich können wir keinem Holocaustüberlebenden oder deren Nachkommen zum Vergeben auffordern. Dennoch tun es viele. Aber auch wir Nachgeborenen selbst sind sekundäre Opfer. Mit der Schuld der Vorfahren belastete ist es ebenso erforderlich, dass wir den Täten vergeben lernen. Auch jene, deren direkte Vorfahren selbst aufrecht blieben, wurden mit in Sippenhaft genommen.

Die richtigen Lehren: Verantwortung

Und unsere deutsche Verantwortung vergeht nicht. Ihr wollen wir gerecht werden. An ihr sollt Ihr uns messen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Die Messung erbrachte ein erschütterndes Ergebnis. Doch kann es nicht eine Verantwortung für Taten sein, die wir nicht persönlich begangen haben. Es ist aber die Verantwortung für die Lehren, die ein jeder daraus zog.

Es geht also darum: Was tun wir heute? Wie verhalten wir uns gegen Dritte? Die Erkenntnis, dass schlimme Schuld keineswegs undenkbar ist, sollte uns des Abgrundes ermahnen, der gar nicht so fern ist. Das ist nicht nur in der großen Politik so, sondern im alltäglichen Leben. Der gute Wille alleine adelt nicht. Taten haben Konsequenzen. Manche nicht so auffällig, aber sie können dramatische Auswirkungen annehmen. Verantwortung tragen heißt darum, die Folgen zu bedenken. Es geht nicht um theatralische Gesten und große Worte, sondern um ein Nachdenken, was jede Tat zur Folge hat.

Wehret den Anfängen! Nie wieder …!

Mittlerweile sind das politische Kampfbegriffe geworden, die nach einer mehr oder minder willkürlichen Assoziation des Meinungsgegners mit einem vermeintlichen Anfang des Bösen als angebliche Lehre aus der Nazidiktatur gezogen wird. Das funktioniert nur dann, wenn man sich der Analyse über die Anfänge und Konsequenzen hinreichend gewiss ist. Doch woher rühren die Assoziationen und Gewissheiten?

In jenen finsteren Jahren wurde den Juden alle mögliche üblen Taten und finsteren Absichten zugeschrieben und somit die katastrophalen Maßnahmen in der Folge gerechtfertigt. Kennzeichnend war dabei auch die Massenpropaganda, die jene Ausgrenzung so lange in die Köpfe einhämmerte, dass die Menschen sie in großem Umfang glaubten.

Heute spricht man von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Jedweder Rassismus wird eng mit Antisemitismus und dem Holocaust assoziiert. So können sich alle echten und vermeintlich Verfolgten in die Gruppe der Opfer eingliedern. Sind die Juden was Besonderes? Ja, denn auch wenn jeglicher Rassismus – so er denn keine überzogene Anschuldigung ist – verabscheuungswürdig ist, so stellen die Juden eine außergewöhnliche Gruppe dar. Antisemitismus ist darum eine weitere Qualität des Bösen, die weder verharmlost noch isoliert werden darf. Juden sind darum weder exklusive Opfer, noch sind sie nur eine beliebige Ausprägung von Opfern, sondern bedürfen eines besonderen Schutzstatus.

Bei dem ‚Nie wieder …‘ geht es allerdings nicht exklusiv gegen die Verbrechen an die Juden, sondern um ein massives Böses, dass gesellschaftliche Relevanz bekommt, und das Verbrechen insbesondere an den Juden ausschließen will. Um also mit dem ‚Nie wieder …‘ heute Politik zu betreiben ist im Namen der Seriosität zu fordern, dass nicht beliebige Assoziationen ausgeschlachtet werden, wie sie Propagandisten aller Zeiten benutzten.

Die Lehre der Verantwortung ist, dass man jeglicher Propaganda mit größter Vorsicht begegnet. Merke: Propaganda ist nicht immer das, was nur der Meinungsgegner tut. Dagegen hilft nur Nachdenken und Analysen, die die Dinge von unterschiedlichen Seiten betrachtet.

Die bösen Geister zeigen sich heute in neuem Gewand. Mehr noch: Sie präsentieren ihr antisemitisches, ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Antwort für die Zukunft, als neue Lösung für die Probleme unserer Zeit.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Fraglos gibt es böse Geister – ob nun metaphorisch gemeint oder substanziell. Fraglos ist Antisemitismus böse, denn deren Früchte sind klar erkennbar. Aber ist das Böse immer antisemitisch? Sind Antisemiten immer völkisch? Oder gibt es nicht auch den linken Antisemitismus? Ist alles, was autoritär auftritt, auch mit jenen zu assoziieren? Und sind nicht die modernen Formen der Machtausübung nicht eher eine Form des verkappt Autoritären? Mit welcher Autorität spricht hier der Bundespräsident? Ist das wahrhaft Gute entwertet, wenn man ihm das Attribut ‚autoritär‘ zuweist? Bannen wir die bösen Geister, wenn wir das Nationalbewusstsein ablehnen, damit keiner auf die Idee kommt, wir seien irgendwie ‚völkisch‘? Mir sind Steinmeiers Assoziationen äußerst verdächtig. Er scheint verdeckt eine Art Parteipolitik zu betreiben, die den Meinungsgegner pauschal de-legitimiert.

Es gibt Idiome wie ‚etwas auf die Goldwaage zu legen‘, oder die Bezeichnung vom Haarspalter oder Erbsenzähler. Geht diese Analyse nicht zu weit? Aber genau das ist doch die Frage bei dem ‚Wehren der Anfänge‘! Im Kleinen wirs etwas getan, das zunächst harmlos aussieht, sich dann zu einer verhängnisvollen Schieflage entwickelt.

Erinnerungskultur ist wichtig … zu wichtig, um sie für parteipolitische Grabenkämpfe zu rekrutieren und zu missbrauchen.

Die richtigen Lehren: Demut

Demut gilt als christliche Tugend. Nietzsche war sie verhasst. Demut ist sich der eigenen Schwäche und Unzulänglichkeiten bewusst. Aber es gibt nichts, was man nicht auch in sein Gegenteil verkehren könnte. Große Worte von Schuld, Verantwortung und Demut können theatralisch mit dem Anspruch daher kommen, dass man es zwar beansprucht, aber eigentlich schon längst überwunden hat. Böse und in mangelhafter Demut sind eigentlich nur die anderen, die ihre Lektion nicht gelernt haben. Man kann die Worte zu Worthülsen umfunktionieren, die ihrer Bedeutung enthoben sind.

Demut heißt hier konkret, dass wir eben nicht vor dem Bösen gefeit sind und das wir völlig sicher sein können, nicht wieder – unbewusst – zum Handlanger des Bösen zu werden. Wir können zwar sehr wohl intendieren, dem Bösen in jeder Gestalt zu wehren, aber wir sind uns nie völlig sicher, nicht doch einer Täuschung aufzusitzen. Das zeigt sich in der Analyse, welchen Anfängen denn zu wehren sind. Denn es gibt mindestens zwei Seiten, um vom Pferd zu fallen.

Wenn uns erscheint, dass im Meinungsgegner das Böse und Gefahren lauern, dann liegen wir damit vielleicht auch richtig. Denn das das Böse existiert, lehrt uns die Geschichte. Und es muss seinen Anfang genommen haben. Aber seine Gestalt ist keineswegs so leicht zu identifizieren. War Chamberlain Teil des Bösen, denn es wehrte dem Bösen durch Appeasement nicht? Waren die alliierten Kräfte, die schließlich das abscheuliche Hitlerdeutschland niederrangen, die Guten, auch wenn die Bombenkriegsführung über 600 000 Zivilisten töteten?

So bleibt auch die Frage immer offen: Muss man bereit sein, im Kampf gegen das Böse sich selbst schuldig zu machen?

Die richtigen Lehren: Liebe

Hass ist eine sehr starke Emotion – und keineswegs immer schlecht. Denn das Böse zu hassen ist nicht falsch. Aber Hass kann blind machen und Menschen zu Dingen führen, die wahrlich böse sind. Den Menschen den Hass zu verbieten führt höchstwahrscheinlich dazu, dass er in neuer Verkleidung auftritt. Meist wird Hass in Assoziation mit Hetze verwendet, also zum Hass auf andere aufzustacheln. Seltsamerweise führt es aber zum Hass, wenn man glaubt, dass Derjenige, dem Hass und Hetze bezichtigt wird, auch schuldig ist. Es führt zum Selbstwiderspruch.

Wie entkommt man dem Teufelskreis des Bösen? Denn wer sich allzu sehr mit dem Bösen beschäftigt gerät in Gefahr, auch zu dem vermeintlich Bekämpften zu werden. Das Rezept dagegen ist: Liebe!

Jesus fordert im Rückgriff auf das Alte Testament das Doppelgebot der Liebe:

Das höchste Gebot ist das:
„Höre, Israel,
der Herr, unser Gott, ist der Herr allein,
und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben
von ganzem Herzen, von ganzer Seele,
von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft“ (5. Mose 6,4-5).
Das andre ist dies:
„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (3. Mose 19,18).
Es ist kein anderes Gebot größer als diese.

Markusevangelium 12,29-31

Es ist kein Wunder, dass hier die Quellen jüdischer Identität zitiert werden. Eben jener Juden, die aufs übelste zu Opfern wurden. Erinnerungskultur heißt auch, der Opfer und das, was sie ausmacht, zu gedenken. Wenn es überhaupt eine Lehre gibt, die aus dem massenhaften Judenmord zu ziehen ist, dann die, die Lehren jener zu ehren, die zu Opfern wurden. Das steht in klarem kausalen Zusammenhang.

Wer dieser Liebe folgt, kann nicht vom Hass beherrscht werden. Wer dennoch hasst, kann es höchstens als untergeordnete Teilfunktion im Kontext der Liebe tun: Das Böse hassen.

Kann man Liebe befehlen oder gebieten? Das Alte Testament tat es. Jesus tat es. Es kommt darauf an, was man unter Liebe versteht. Wenn sich Liebe in einer warmen Emotion der Attraktion erschöpfen würde, wäre die Produktion derartiger Gefühle fragwürdig und oft nicht vom Erfolg gekrönt. Wer sich nur von zufälligen Attraktionen leiten lässt, wird bestenfalls nur zufällig die Liebe finden.

Liebe ist aber weit mehr. Liebe ist eine Entscheidung, eine bewusste Hinwendung zum Geliebten. Wer lieben will, wird dies vielleicht nicht immer und ohne Mühe erreichen, aber er wird auf dem Wege sein.

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