‚Das Sein bestimmt das Bewusstsein‘ wird im Allgemeinen Karl Marx und dem Historischen Materialismus zugeschrieben, auch wenn dies in dieser Diktion nicht belegt ist. Wenn man dieser These kritisch gegenüber steht und die Philosophie nicht nur als Überbau der materiellen Verhältnisse ansieht, so bleibt doch die Erkenntnis, dass wechselseitige Einflüsse der materiellen Verhältnisse und der geistesgeschichtlichen Entwicklung kaum zu bestreiten sind. Eine völlige Unabhängigkeit im Sinne des Idealismus erscheint hier naiv.
Die biologischen und soziologischen Triebkräfte des Selbsterhalts und Wachstums manifestieren sich mehr oder minder in den gesellschaftlichen Werten und Ideen. Kinder galten von Alters her als ein Segen. ‚Seid fruchtbar und mehret Euch‘ war das jüdisch-christliche Imperativ, dass sich in ähnlicher Weise auch in anderen Religionen findet. Doch diese Regel scheint in modernen Industriegesellschaften nicht mehr zu bestehen, denn die Reproduktionsrate bleibt nahezu überall hinter dem notwendigen Selbsterhalt zurück. Was bedeutet es für das Denken, die gesellschaftlichen Werte und aufkommende Problemlagen … und was wären geeignete Maßnahmen, darauf zu reagieren?
Die rein deskriptiven Analysen zeigen, dass in allen Industrienationen die Geburtenrate zwischen 1,2 und 1,7 liegt, wobei 2,1 erforderlich wäre. Dies ist weitgehend unabhängig von der jeweiligen ideologischen Verankerung und dem vorherrschenden Gesellschaftsbild. Darum wird das Thema auch zu einem philosophischen, denn objektive Gegebenheiten liefern einen wesentlichen Anteil des Einflusses auf das Denken. Philosophie für den Elfenbeinturm hat dagegen eher etwas mit Eskapismus zu tun.
Sozialpolitische Maßnahmen verändern die Rate relativ zu denen anderer Staaten, ändern aber nichts an dem Grundsachverhalt. Sicher bleibt es wünschenswert, dass sich derartige demographische Veränderungen nicht in aller Schärfe ereignen und möglichst abgefedert werden sollten, denn der Wirtschaft und der Altersversorgung werden immer schwerer zu bewältigende Lasten auferlegt. Auch eine Massenmigration kann diese Probleme nicht lösen, sondern verschärft sie nur.
Thilo Sarrazin hat sich in vielen seine Büchern mit dem Thema ausgehend beschäftigt, zuletzt in diesem Interview. Im Gespräch mit Thilo Sarrazin: Deutschland auf der schiefen Bahn – Wohin steuert unser Land?
Der gesellschaftspolitische Sprengstoff entschärft sich in der Tagespolitik, die in keinem Fall kurzfristigen Erfolge bewirken kann, und langfristige Strategien über eine Legislaturperiode hinaus sind für die Entscheider zumeist nicht handlungsrelevant. Das langfristige Problem wird damit erst recht nicht angegangen und lässt eine wachsende Katastrophe in der Zukunft erwarten.
Im Besonderen wird darin auf die Problem des Klimawandels, der weltweiten Bevölkerungsexplosion und allgemeiner Zukunftsangst verwiese als Gründe, warum Frauen häufig keine Kinder wollen. Das ‚Verzichten‘ auf eigene Kinder wird darin auch als moralisch geboten von nicht wenigen bejubelt. Jeglicher Verweis auf diese katastrophale Entwicklung des demographischen Wandels wird nahezu reflexhaft als Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau bekämpft. Der gesellschaftliche Wert der selbstbestimmten Frau, die oft kinderlos bleib, ist darin nicht zu hinterfragen und lässt das Bild des Orchesters erscheinen, dass angeblich bis zum Untergang der Titanic spielte.
Die Überschneidung von gesellschaftlichen und statistischen Notwendigkeiten und individuellen Lebensentwürfen wirkt selten fataler. Auch die Versicherung, dass in die individuelle Lebensplanung keineswegs hineinregiert werden soll, bleibt ungehört, denn es wird im Umkehrschluss nicht nur die eigenen Entscheidungen und deren Freiheitsraum verteidigt, sondern auch der der anonymen Massen, deren vermeintlichen Rechte advokatisch vertreten werden. Das dies aber erkennbar in den Abgrund führt, wird geflissentlich übersehen und schlicht dem rechten politischen Spektrum zugerechnet – und gegen Rechts muss bekanntlich gekämpft werden.
Hier geht es darum zu verstehen, wie sich ein derartig suizidaler Zeitgeist, der den Ast absägt, auf dem er sitzt, heraus bilden konnte.
Gesellschaft als Organismus
Die einzelnen Zellen im Körper des Menschen wissen wohl kaum, dass sie einem höheren Ziel dienen, nämlich dem Leben des Menschen. Aus der Sicht der Zelle ist es die Erfüllung ihres Zwecks, die sie antreibt. Kann man nun die Menschen mit jenen Zellen vergleichen, die dem höheren Zweck, dem Gemeinwesen zu dienen, entsprechen? Sicher hinkt der Vergleich. Es gibt Soziopathen, aber auch erkrankte Zellen, Krebszellen …
Es ist erstaunlich, dass die Geburtenrate nach Kriegen und Katastrophen oft besonders hoch ist – obwohl doch die Bedingungen zur Kindererziehung besonders schwierig sind. Wie konnte es nach dem weitgehend zerstörten Deutschland innerhalb kurzer Zeit zu einem Baby-Boom kommen? Als ob der Organismus ‚Gesellschaft‘ die Bedrohung der Vernichtung wahrnimmt und unbewusst auf seine Mitglieder einwirkt, der Bedrohung durch Zuwachs zu begegnen. Denn es ist wohl kaum eine bewusste Entscheidung des Einzelnen, in einer existenziell bedrohlichen Zeit der Entbehrung und Armut auch noch das eigene Leben mit der Last des Kinderaufzugs zu erschweren.
Die These, dass es eben an den zu geringen Möglichkeiten der Verhütung lag, kann man folgen oder daran zweifeln, denn es gab zu allen Zeiten Möglichkeiten, die Geburtenrate zu beeinflussen.
Nun aber reagiert der Organismus ‚Gesellschaft‘ auf die Bedrohung der langsamen Vernichtung durch Aussterben nicht. Was könnten die Gründe dafür sein? Ist der Organismus ‚Gesellschaft‘ auf eine Art krank, bei dem die negative Demographie das Symptom, aber nicht die Ursache ist?
Sein und Bewusstsein … revisited
Widerlegt nun die ausbleibende Reaktion auf das gesellschaftliche Problem der unzureichenden Geburtenraten die These, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt? Immerhin erleben wir bereits eine gewaltige Bedrohung für den Fortbestand der Gesellschaft, und die Mehrzahl der Menschen haben lediglich das Problem, dass ihre persönlichen Rechte bedroht sein könnten … Das aber belegt noch nicht die Ursache für den empirisch fehlenden Zusammenhang. Immerhin könnte das Sein in einer kranken Gesellschaft genau diese suizidalen Tendenzen verursachen.
Vielmehr ist die Frage, wie dieses Sein eigentlich mit dem Bewusstsein in Verbindung steht. Für Marx und Engels war das Elend der ausgebeuteten Arbeiter jenes Sein, dass das Klassenbewusstsein hervor rief. Gerne wurde auch der Spartakus-Aufstand als Muster zitiert. Ausgeblendet blieben jedoch die Jahrhunderte und Millionen von Menschen, die ebenso ausgebeutet wurden. Viele waren ausgesprochen königstreu oder fanden Erfüllung im Dienst für ihre Herrschaft. Objektive und materielle Verhältnisse führten also keineswegs zu notwendigen Bewusstseinsschritten. Es ist offensichtlich die Ideologie und Wahrnehmung des Seins, die Einfluss auf das Bewusstsein hat.
Wir können festhalten: Sowohl die objektiven Verhältnisse für den Einzelnen und für die Gesellschaft, als auch deren Wahrnehmung und Deutung erweisen sich als bewusstseins- und handlungsrelevant. Innerhalb dieser Parameter hat der einzelne Mensch Freiheitsgrade, seinen eigenen Weg zu suchen. Um so mehr das Ideal des mündigen Menschen gesucht wird, um so mehr muss dieser die Einflüsse kennen, die ihn beeinflussen, um diesen Einflüssen gemäß seines Urteils zu folgen oder zu widerstreben. Ernesto Cardenal, katholischer Priester und Revolutionär, fasst das in dem Begriffspaar zusammen: ‚Widerstand und Ergebung‘. Man kann sich der Natur, Gott, der Gerechtigkeit, der Freiheit oder der Notwendigkeit ergeben, die jeweils als gut erachtet werden und die zum Widerstand gegen das Lebensfeindliche, Ausbeuterische oder Böse auffordern.
Zeitgeist und Demographie
Die Vermutung dass eine kranke Gesellschaft zu derartigen Entwicklungen führt, wurde bereits geäußert. Allerdings bleibt die Idee von Gesellschaft nebulös und kaum greifbar. Am ehesten kann hier von Zeitgeist gesprochen werden, also vorherrschenden Ideen und Werten, die in der Gesellschaft Deutungshoheit und Handlungsrelevanz darstellen.
Dieser Zeitgeist scheint einerseits eine eigene Dynamik zu entfalten und Menschen für seine Ziele zu rekrutieren, als auch Gegenstand der Einflussnahme von mächtigen Spielern zu unterliegen, die diesen Zeitgeist steuern wollen. Zuweilen ist es aber schwer zu unterscheiden, ob es sich bei den jeweiligen Frontleuten aktueller Bewegungen um souveräne Akteure und Puppenspieler handelt, die eigene Interessen treibt, oder ob sie seinerseits nur die Rekruten jenes Zeitgeistes sind, der längst ein Eigenleben und Macht gewonnen hat. Da diese beiden Deutungsvarianten oft kaum unterscheidbar sind, soll hier nicht nach Verschwörungen gesucht werden – auch wenn diese möglicherweise existieren. Vielmehr gehen wir hier von der Phänomenologie des Zeitgeistes aus, der aber kein unumschränkte Herrschaft ausübt.
Ein Trend des Zeitgeistes ist oft das Streben nach der totalen Macht, also dem Eindringen in die Köpfe der Beherrschten, um jeden Widerstand als zwecklos erscheinen zu lassen. Aber der Widerstand rührt sich, zumeist im Einzelnen und in der Bildung einer Gegenöffentlichkeit. Das kindische und pubertäre Querulantentum erweist sich darin als Verbündeter, der den Machtansprüchen den Zweifel entgegen setzt. Auch wenn sich der Querulant nicht immer berechtigt im Recht fühlt, so bildet gerade die Kraft des Zweifels jenes Korrektiv, die Angelpunkt des notwendigen Widerstands sein kann.
Doch was ist nun jener Zeitgeist, der nahezu global jene Industriegesellschaften in einer Vielzahl von Varianten befallen hat, die jedoch übergreifend zu den verheerenden demographischen Entwicklungen führten?
Zum einen ist die gesuchte Art Lebensqualität in den Industriestaaten gekennzeichnet von Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung, beruflichem Erfolg, Hobbies, Genuss und Reisen. Kindererziehung und ist diesem allen nicht förderlich, sondern stellt viel mehr ein Armutsrisiko dar. Jene Lasten werden auch weniger gemeinschaftlich in Groß- oder Kleinfamilien geschultert, sondern die Ehe als Institution wurde brüchig. Die alleinerziehende Mutter ist nicht mehr seltene Ausnahme. Kinder werden auch nicht mehr als Altersversorgung verstanden, sondern man vertraut eher auf Rentenversicherungen und staatlicher Fürsorge.
In Zeiten, in denen von Überbevölkerung und Klimawandel der Kindersegen fragwürdig ist, gewachsene Vorstellungen von Volk und Kultur nicht mehr gelten, wird es geradezu heroisch, auf eigene Kinder zu ‚verzichten‘. Warum sollten auch die Aufgabe, als Teil der Gesellschaft zu deren Erhalt beizutragen, handlungsrelevant sein? Ein Schelm, der hier eine Nützlichkeit im Sinn der gesuchten Lebensqualität erkennt.
Die Folgen wurden bereits oben genannt: Die Geburtenrate sinkt weit unter den Selbsterhalt. Weitgehend individualisierten Menschen erscheint der Appell, einen biologischen Beitrag zum Erhalt der Gesellschaft zu liefern als absurd. Einzig der biologisch getriebene Kinderwunsch und Reste tradierte Werte sorgen dafür, dass die Lage nicht noch dramatischer wird.
Die neutestamentliche Sicht
Paulus schreibt zum Zeitgeist im Epheserbrief beachtliches:
Ihr hattet euch nach den Maßstäben dieser Welt gerichtet und wart dem gefolgt, der über die Mächte der unsichtbaren Welt zwischen Himmel und Erde herrscht, jenem Geist, der bis heute in denen am Werk ist, die nicht bereit sind, Gott zu gehorchen.
Epheser 2,2 – Neue Genfer Übersetzung
Bzw. in einer anderen Übersetzung:
1 Auch euch hat er ‹mit Christus› lebendig gemacht, obwohl ihr durch eure Sünden und Verfehlungen tot wart. 2 Darin habt ihr früher gelebt, abhängig vom Zeitgeist dieser Welt, jener unsichtbaren Geistesmacht, die in den Menschen am Werk ist, die Gott nicht gehorchen.
Epheser 2 – Neue evangelistische Übersetzung
Paulus zeigt hie in einem Dualismus, dass die Einflüsse der Welt für den Menschen verderblich sind. Es ist nicht der freien Entscheidung des Menschen geschuldet wie er denkt, sondern unterliegt jenen mächtigen Einflüssen, die wir Gesellschaft und Zeitgeist nennen. Diesen Einflüssen kann sich der Einzelne nicht gemäß eigener Kräfte nicht entziehen, aber kann aufgrund der Gegenkräfte des von Gott gegebenen Glaubens diese Einflüsse eindämmen. So auch im Römerbrief:
Und gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung des Denkens, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene!
Römer 12,2 – Einheitsübersetzung 2016
Auch hier in einer anderen Übersetzung
Und richtet euch nicht nach den Maßstäben dieser Welt, sondern lasst die Art und Weise, wie ihr denkt, von Gott erneuern und euch dadurch umgestalten, sodass ihr prüfen könnt, ob etwas Gottes Wille ist – ob es gut ist, ob es Gott gefallen würde und ob es zum Ziel führt!
Römer 12,2 – Neue evangelistische Übersetzung
Dem Menschen ist es nach Paulus möglich auszuwählen, was ihn bestimmen soll. Dank Gottes Hilfe kann er sich vom Zeitgeist emanzipieren. Empirisch ist zu beobachten, dass der christliche Glaube die Gesellschaften deutlich veränderten, aber zuweilen nicht so radikal, wie es der Text andeutet.
In der Tat können christliche Gemeinschaften oder traditionell orientierte Peer-Groups auch deutlich höhere Geburtenraten aufweisen.
Flüchtlinge und Muslimische Zuwanderung
In den letzten Jahren ist ein starker Zuzug aus anderen Kulturen zu entdecken. Am prominentesten sind darin die Migration aus den Muslimischen Kulturkreisen. Im Gegensatz zu den ‚Gastarbeitern‘ des letzten Jahrhundert findet eine Integration in die deutsche Gesellschaft, bzw. in die Gesellschaften anderer Industrieländer in weit geringerem Maße statt. Die ist vor allem von der Zahl und der Ausprägung von Subkulturen geschuldet, als auch dem Erstarken der islamischen Ideologie, gepaart mit einer fundamentalen Ablehnung westlicher Werte. Das Bild im öffentlichen Raum verändert sich, da die Zuwanderer immer prominenteren Einfluss ausüben. Muslimisch geprägte Subkulturen haben ebenfalls eine deutlich höhere Reproduktionsrate.
Die Reaktionen der ursprünglichen Bevölkerung sind geteilt. Weite Teile der Politik und Bevölkerung begrüßen dies Entwicklung, da sie der Überalterung der Gesellschaft entgegen wirken. Man erhofft sich Kontinuität in der Bereitstellung von Arbeitskräften und der Altersversorgung. Dies lässt sich empirisch aber nur eingeschränkt belegen, da viele Zuwanderer dauerhaft die Sozialsysteme belasten. Befürworter feiern sich aber wegen der praktizierten Hilfe für jene Zuwanderer, die sie für ethisch geboten und hochwertig erachten. Die Vielfalt, die sich aus den unterschiedlichen Subkulturen ergeben, wird positiv konnotiert und jede Kritik an den Veränderungen als rassistisch gebrandmarkt.
Andere Teile der Gesellschaft bewegt ein steigendes Unbehagen. Diese erkennen keine Vielfalt, sondern eine Verdrängung ihrer eigenen Identität. Traditionelle Werte und Brauchtümer verschwinden: Weihnachtsmärkte werden wegen Terror-Gefahr unattraktiver, abendliches öffentliches Leben wird durch steigende Kriminalität ins Private zurück gedrängt. Viele Menschen fühlen sich zunehmend fremd im eigenen Land, da ihre Lebensweise – sowohl im traditionellen als auch zeitgeistlich-modernen Sinn – radikal abgelehnt werden. Zudem sehen sie sich auch marginalisiert von jenen, die diese vermeintliche Vielfalt bejubeln und sie als ‚rassistisch‘ moralisch abwerten. Damit steigt das Konfliktpotential an. Wenn es dem vorherrschenden Mainstream der Unterstützung massiver Migration gelingt, jene Unzufriedenen zum Schweigen zu bringen, sehen die sich in ihren Ängsten der Marginalisierung und des ‚Aussterbens‘ bestätigt, haben aber nicht mehr die Kraft, sich dagegen erfolgreich zu wehren. Falls die Unzufriedenheit mit dieser Entwicklung aber wächst, können unvorhersehbare Konflikte folgen.
Gesellschaftliche Handlungsoptionen
Abgesehen von dem Problem der Migration als demographisch relevanter Trend, der hier nicht in der Breite diskutiert werden kann, stellt sich die Frage, wie diesen Problemen begegnet werden kann. Man kann festhalten, dass eine Reproduktionsrate – etwa 2,1 – zum gesellschaftlichen Selbsterhalt anstrebenswert ist. Dies würde eine gewisse kulturelle Kontinuität sicher stellen und die Probleme der Masseneinwanderung eindämmen.
Wenig erfolgversprechend wären Initiativen, traditionelle Wert zu propagieren oder auf einen breiten Trend zur Re-Christianisierung zu hoffen, da dies von den meisten Menschen wohl als Eingriff in ihre Privatsphäre angesehen wird und nicht kompatibel zum herrschenden Zeitgeist ist. Man kann keinen Frauen verordnen, mehr Kinder zu bekommen, wenn es nicht deren Wille ist. So sehr es auch funktional erscheint, eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte wiederzubeleben, so gering sind doch deren Erfolgsaussichten in gesellschaftlichen Dimensionen.
Politische Maßnahmen sollten daher weniger die ideologischen Grundlagen als maßgeblichen Faktor zu ändern versuchen, sondern pragmatischere Maßnahmen in den Fokus nehmen. Den gesellschaftlichen Willen zum Gegensteuern in der unzureichenden Geburtenrate vorausgesetzt, müssen Maßnahmen des materiellen Ausgleichs gesetzt werden:
Kinder großzuziehen muss als gesellschaftliche Aufgabe erkannt werden und nicht Privatvergnügen der Familien. Darum sind die Kosten der Kindererziehung nicht auf den Einzelnen abzuwälzen. Keine Belastung durch Kindergarten-Beiträge und sonstiger Kosten.
Im Gegenteil: In der Ansicht des Konsumismus hat nur das einen Wert, das auch was kostet. Die Gesellschaft kann die Wertschätzung der Mütter nicht mit kostenlosen Worten nahe bringen. Vielmehr muss Müttern materiell Incentives entgegen gebracht werden, und auch die Rentenerwartung von Müttern, deren Kinder schon erwachsen sind, muss erhöht werden. Immerhin sollen jene Kinder die Beiträge auch jener erwirtschaften, die kinderlos waren.
Als Gegenargument werden wahrscheinlich die Kosten ins Feld geführt, die bei einem begrenzten Steueraufkommen von andern Budgets abgezweigt werden müssen. Allerdings gibt es bereits viele fragwürdige Ausgaben des Staates, die keineswegs den gesellschaftlichen Nutzen mehren, z.B. Rüstungsausgaben oder die sogenannte Demokratieförderung.
Die Frage bleibt bestehen, ob diese Anreize nicht zuerst jenen Bevölkerungsgruppen zugute kommen, die ohnehin bereits kinderreich sind, im Besonderen muslimischen Zuwanderern. Dies bleibt unvermeidlich, kann aber durch entsprechende Anrechnung auf Sozialleistungen etwas abgefedert werden. Dennoch bleibt es unverzichtbar, die inländische Geburtenrate zu erhöhen und die Zuwanderung zu begrenzen.
Sollten diese Maßnahmen installiert worden sein, können nun auch flankierende Maßnahmen ergänzen, im Besonderen die das Ansehen der Mütter in der Gesellschaft erhöhen und den sozialen Wert ihres Beitrags herausstellen. Es ist dann kein leerer Appell zum Verzicht auf das eigene Lebensglück mehr, sondern der Erhalt der materiellen Lage zuzüglich des Mutterglücks, der eben kein soziales Stigma mehr ist.
Als folgen für den Zeitgeist wäre zu erwarten, dass Frauen, die keine Mutterschaft wollen und dies mit Klimawahn oder Überbevölkerung begründen, kaum mehr gelobt werden können, denn die gesellschaftliche Fragwürdigkeit dieser (vorgeschobenen) Gründe würde auch ohne ausufernden gesellschaftlichen Diskurs klar.
Philosophische Konsequenzen
Werden die beschriebenen gesellschaftspolitische Maßnahmen wirksam, ist auch mit einer Änderung des Denkens zu rechnen. Allein darauf zu vertrauen ist allerdings eher eine technokratische Sicht. Ohne den Anspruch, die Politik maßgeblich zu steuern, ist die Frage nach dem Sinn des Lebens und deren Einbindung in das Denken der Menschen hinsichtlich ihrer Werte und Ziele sinnvoll. Warum sollte das Lebensglück, dass Traditionelle einer Familie trotz Belastungen und enormer Risiken des Scheiterns, zum Erfolgsmodell machte, nichts mehr wert sein? Sowohl aus individueller als auch gesellschaftlicher Sicht ermöglichte erst die biologische Reproduktion menschliches Leben und gesellschaftliche Entwicklung. Dies schlichte und offensichtliche Tatsache scheint allerdings völlig in Vergessenheit zu geraten und keinen Bezug mehr zu eigenen Lebensvorstellungen zu haben.
Sicher mag der Wunsch nach individueller Lebensgestaltung oder äußere Umstände einer Umsetzung des Kinder-Bekommens entgegen stehen und sich keine unmittelbare Pflicht für den Einzelnen ergeben, aber dies gilt vor allem dann, wenn die gesellschaftliche Statistik eben jene Varianz ermöglicht. Die Trennung zwischen gesellschaftlichen Entwicklungen und individuellen Präferenzen ist in einer gesunden Gesellschaft auch problemlos. Gesund ist eine Gesellschaft dann, wenn sie sich selbst nachhaltig erhalten kann.
Dekadent wird entsprechend eine Gesellschaft genannt, die sich nicht selbst erhält und ihrem Verschwinden und Vernichtung entgegen strebt. Gerade schleichende Prozesse wirken für die Betroffenen oft weniger augenfällig. So stehen die Präferenzen, Werte und Moral eines Mitgliedes eine dekadenten Gesellschaft in Korrespondenz. Eine Gesellschaft, die stirbt, vermittelt ihren Teilhabern die Botschaft des Nihilismus: Das Leben, weder das individuelle, noch das gesellschaftliche ist nicht auf Dauer angelegt, sondern auf deren Vernichtung. Kurzfristiges Glücksempfinden steigt an Wert, bleibt aber letztlich bedeutungslos.
Offensichtlich war das in der Geschichte zwar wiederholt der Fall. Gesellschaften sind verschwunden, äußere Einflüsse mögen dies getrieben haben, aber viel Gesellschaften hatten auch bei massiven Krisen und Kriegen bestand. Folglich ist dieser Sachverhalt keineswegs als erzwungen anzusehen. Im Besonderen hat die christlich-jüdische Kultur trotz heftigster Rückschläge ein 2000-jährige Geschichte. Dies Lebenseinstellung, die aus der christlichen Lehre folgt, ist keineswegs nihilistisch, sondern weist stets über sich hinaus. Der Verweis auf Ewigkeit und Seligkeit des Himmels haben die Härten persönlicher und gesellschaftlicher Katastrophen stets gedämpft und maßgeblich zu deren Überwindung beigetragen. Empirisch erkennbar hat die christliche Lehre erheblich zur gesellschaftlichen Entwicklung und ihres Erhalts beigetragen.
Die Frage ist darin weniger, ob die christliche Lehre hier exklusiv diese lebensbejahende gesellschaftliche Entwicklung trägt, denn offensichtlich existieren auch andere Kulturen über lange Zeiträume. Aber im interkulturellen Vergleich entstehen auffällige Gemeinsamkeiten. Nihilismus und Dekadenz gehören in keinem Fall dazu. Manche Kulturen, die einst blühten, stagnierten und führten über tausende von Jahren zu einem gesellschaftlichen Stillstand. Lebensbejahung und Selbsterhalt sind nicht die einzigen Kriterien zur Beurteilung einer Kultur.
All das bleibt aber weitgehend unsichtbar, wenn man sich auf einzelne Ereignisse der Geschichte orientiert. Zuweilen stehen dann Kriege und Verbrechen, Umwälzungen der Herrscherhäuser und andere Katastrophen im Vordergrund. Übersehen wird dabei die langfristige Wirkung, auch und gerade der Ideologien (hier wertfrei für Weltanschauung).
Wer aber diese Vogelperspektive einzunehmen vermag und die Entwicklungen und Wirkungen der Ideengeschichte im Zusammenhang zu erkennen, wird daraus nicht zwangsläufig seine Weltbild auf den Kopf stellen. Es ist wohl eher nicht zu erwarten, dass ein Atheist zum Christen wird, wenn er den gesellschaftlichen Nutzen der christlichen Lehre zu schätzen beginnt. Zwar mag der Atheist eher dazu neigen, einer anderen Geschichtsdeutung anzuhängen, aber auch das Eingeständnis einer vorteilhaften Nachhaltigkeit lässt eher Verwunderung angesichts der Skurrilität praktizierter Religösität wachsen und weniger einen Impuls liefern, sein eigenes Denken zu reformieren.
Auch führt das Erkennen der Dekadenz unserer Gesellschaften nicht zu einem individuellen Gegensteuern, denn jeder weiß, dass das eigene Denken und Verhalten wohl kaum gesellschaftliche Relevanz hat. Apelle zur Weltrettung haben über kurzfristige Beachtung wohl kaum Bedeutung, wenn sie nicht in ein umfassendes Selbstverständnis eingebettet sind. Der Nihilist mag sich für Wochen und Monate zum Moralisten mausern, aber wie sollte das Bestand haben, wenn er dennoch die Vergänglichkeit als das Grundthema seines Lebens ansieht?
Eine Lebensgestaltung, die sich auch an der gesellschaftlichen Wirkung orientiert, bedarf einer tieferen Verankerung. Wer das Christentum als Opium für das Volk ansieht, mag anderen Utopien folgen oder funktionale Aspekte zu würdigen wissen, aber das ist wohl kaum die Grundlage für ein eigenes nachhaltiges Selbstverständnis.
Dieses existenzielle Selbstverständnis wächst oder wird sprunghaft durch Ereignisse und Begegnungen verändert. Überlegungen, wie gesellschaftliche Entwicklungen in Bezug zum eigenen Leben stehen, können Impulse dazu liefern, aber nicht eine vollständige Prägung erwirken. Im Besonderen kann eine Gesellschaftskritik, hier der Dekadenz, zu einer Distanzierung vom Zeitgeist ermöglichen und Aufbrüche in eine neues Denken ermöglichen.