Nationalismus revisited

Wie an anderer Stelle beschrieben bin ich über den hessischen Verfassungsschutzbericht auf die Identitäre Bewegung gestoßen, der dort vorgeworfen wurde, einen strikten Nationalismus zu vertreten.

Ein Text der IB von Martin Sellner grenzt sich gegen den Nationalismus ab und scheint so gar keinen Bezug zur Darstellung im Verfassungsschutzbericht und in Wikipedia zu haben: Nationalismus revisited

Vorausschickend muss eine Definition geleistet werden: Wenn Nationalismus lediglich verstanden wird als die Wahrung der Interessen der Nation im Gegensatz zum Internationalismus und Globalismus, dann trifft dieser Text nicht. Der Verfassungsschutzbericht und auch der Text von Sellner meinen hier viel weitergehend eine Denkrichtung, in der die Nation einen zentralen Stellenwert einnimmt.

„Nationalismus ist Hass auf das Fremde und Überbewertung des Eigenen. Patriotismus ist Akzeptanz des Fremden und Liebe zum Eigenen.“ So oder so ähnlich klingt ein flotter Spruch, der immer wieder auftaucht, wenn es um die Frage des Nationalismus geht. Man könnte meinen, damit sei das Thema abgehakt. Identitäre sind Patrioten und Nationalisten sind rassistische Chauvis. Mitnichten!

Sellner versucht hier eine Neubestimmung, die sich einfachen Deutungsschemata entzieht. Dabei versucht er ein klares Bild zu zeichnen,das beim jeweiligen Selbstverständnis ansetzt:

Nationalist zu sein bedeutet für sie subjektiv, den Status Quo nicht zu akzeptieren, gegen Liberalismus zu kämpfen und sich der Multikulti-Idee in den Weg zu stellen.
Patriotismus ist ihnen als Begriff zu sanft. Sie wollen nicht mit den ganzen bürgerlich-konservativen „Verfassungspatrioten“, die unsere Selbstabschaffung milde ablächeln; nicht mit dem bierseligen Heer der WM-Patrioten auf eine Stufe gestellt werden.

Wie aber wird diese Kritik an den Nationalisten und Anderen begründet?

Ganz prinzipiell lehnen wir die drei modernen Ideologien ab und stellen uns gegen den Liberalismus und die Globalisierung, die derzeit als „1. politische Theorie“ den Globus beherrscht und uns mit Multikulti und Dekadenz die Luft abdreht.

Unsere Kritik an den drei politischen Theorien ist dabei vor allem gegen ihren Universalismus gerichtet. Jede dieser Ideologien hat ein fixes und dogmatisches Welt- und Menschenbild, das sie gegen die Vielfalt der Völker und Kulturen als absolute Wahrheit aufstellt und durchsetzen will.
Imperialismus, Internationalismus, Globalisierung, „Demokratisierung“, Weltrevolution, etc. sind die Schlagwörter dafür. Der Universalist tut so, als hätte er die absolute Wahrheit für sich gepachtet, als stünde sie bereits außer Frage und müsste nur mehr von ihm der ganzen Welt übergeben werden.
Anderen Völkern und Kulturen wird völlig abgesprochen ihre Rechte, ihre Wirtschaft, ihre Religion und Kultur frei zu entwickeln, da sie als „rückständig“, „primitiv“ oder „inhuman“ abgestempelt werden.

Zu den genannten drei modernen Ideologien – Liberalismus, Nationalismus/NS und Marxismus – sieht Sellner Gemeinsamkeiten im Universalismus. Darin wird auch die Vorstellung der Vormachtstellung für das Eigene generell zurückgewiesen. Persönlich kann ich dieser radikalen Kritik jedoch nur bedingt folgen.

a) Der Liberalismus, der aus der Aufklärung hervorging, kann als erste kompakte universalistische Ideologie bezeichnet werden (1. Politische Theorie: 1PT). Er will im Wesentlichen europäische Wirtschafts-, Technik-, Schul-, Rechts- und Denkstandards global verbreiten und dabei einen grenzenlosen „Weltmarkt“ schaffen. Er verabsolutiert das Subjekt und seinen persönlichen, rein willkürlichen Freiheitsanspruch „von“ allen Bedingungen. Er entfesselt den totalen Egoismus, zersetzt und zerstört organische gewachsene Gemeinschaften und Traditionen und lässt als Regelungen und Werte nur mehr den Marktwert und die Marktregelung zu.

Offensichtlich ist diese Kritik nicht beliebig, sondern adressiert reales Denken, die sich ja in den Phantasien zur Neuen Weltordnung, der Großen Transformation und der angestrebten Vorreiterrolle Deutschlands niederschlägt. Dennoch scheint der Text nicht zu akzeptieren, dass es eine Realität gibt, die alle Menschen und Kulturen teilen. Wenn es die menschlichen Grundbedürfnisse gibt, die in manchen Gesellschaften nur äußerst unzureichend erfüllt werden, dann ist es eben nicht mit einer Segregation getan. Ebensowenig kann man ausschließen, dass die Entwicklungen in einem Kulturkreis auf Dauer völlig Isoliert vom Rest der Welt geschehen.  Eine bewährte Marktwirtschaft kann darum durchaus als ein mögliches Rezept zur Problemlösung diskutiert werden, ebenso wie universale Menschenrechte.

b) Der Marxismus/Kommunismus kann als Antwort auf die 1PT betrachtet werden und setzt gegen ihren totalen Egoismus und Individualismus den Kollektivismus und die Gleichheit der Klasse. Er will einen einzigen Weltstaat nach westlich-modernem Muster schaffen, indem eine „rationale“ Planung die totale Gleichheit aller herstellt. Er verabsolutiert die Idee der sozialen Gerechtigkeit innerhalb einer konkreten Gemeinschaft zur totalen Vereinheitlichung der gesamten „Menschheit“, und den globalen Vernichtungskampf bis zur „Diktatur“ einer einzigen, gleichgeschalteten Klasse. Er zerstört die gewachsenen Gemeinschaften und Kulturen und beurteilt alles nur aus seiner ideologischen Perspektive heraus.

Allerdings sind die praktischen Vorstellungen oft weit weniger politische Theorie als vielmehr ein wildes Konglomerat aus Schlagworten und Gefühlen. Die Wirkungen sind aber genau wie beschrieben.

Es erschließt sich uns Identitären fast von selbst, warum diese Ideologien absolut tödlich für jede ethnokulturelle Gemeinschaft sind und warum wir daher gegen Liberalismus und Marxismus ankämpfen müssen.

Was ist aber mit „Punkt c)“? Was ist mit der 3. politischen Theorie? Was ist mit dem Nationalismus und dem „nationalen Lager“?

Der eingangs geäußerte Verdacht, dass hier nur alter Wein in neue Schäuche gekippt wird, ist nun genau im Fokus:

„Nationalismus“, so seine Vertreter, „heißt nichts anderes, als die Interessen der eigenen Nation über alles andere zu stellen und ihr alle politischen, religiösen und wirtschaftlichen Fragen immer unterzuordnen. Es geht darum, immer einzig und allein das zu tun, was im Interesse der eigenen Nation liegt.“

Diese Haltung hat auf den ersten Blick eine stringente Logik.

Aber nur auf den ersten Blick. Sellner verbrämt im Weiteren nicht, sondern spitzt zu:

Versteht man „Nationalist“ als „jemand, der dem Interesse seines Volkes dient“ ist man also anscheinend entweder „Nationalist“ oder ein „Verräter am eigenen Volk“. Doch so einfach liegen die Dinge eben gerade nicht.

Dass man in Fragen der Politik ganz prinzipiell die Interessen der eigenen Gemeinschaft vertreten soll, ist richtig. Hier ergeben sich aber zwei Grundlegende Fragen, die uns von Nationalisten unterscheiden.

1. Was ist diese Gemeinschaft? Was sind ihre Interessen?

2. Wie stehe ich zu dieser Gemeinschaft? Auf welche Art und Weise beziehe ich mich auf sie?

Spätestens nun muss der unvoreingenommene Leser einen Respekt zollen der Konsequenz, mit der auch überzeugend vom Nationalismus abgegrenzt wird. Aber auch bei Sellner bleibt bislang der Volksbegriff diffus und kaum identifizierbar. Ist es eine evolutionsbiologische Einheit? Ein soziologisches Phänomen, der sich aus dem Sozialverbund der Sippe herleitet? Ein gedankliches Konstrukt einer Geistesgeschichte bestimmter Prägung? Oder doch irgendwie bestimmbare natürliche Einheit? Wir werden den Text weiter verfolgen.

Ich betrachte den Nationalismus als modernes Phänomen. Wichtig ist dabei, dass ich unter ihm eine Bezugsweise, also ein „Wie“ verstehe, nicht einen konkreten Gegenstand, also ein „Was“. Das, worauf er sich bezieht, die Völker und Kulturen, die ethnokulturellen Gemeinschaften, sind natürlich selbst kein solches neues Phänomen der Moderne Sie sind eine dynamische Traditionslinie, die sich über Transformationen und Wendungen bis zum Ursprung des Lebens selbst zurückführen lassen.

Man beachte, dass auch hier der Volksbegriff noch nicht erläutert wird, sondern lediglich der Nationalismus als Ideologie in den Fokus gerät, die Sellner ‚eine schlechte Art und Weise‘ nennt. Ist das nur eine Kritik an der Darstellung und Kaschierung oder eine substanzielle Kritik?

In der mittelalterlichen Weltsicht, mit der die Moderne brach, hatte der christliche Gott die Stellung des absoluten und höchsten Seins inne. Von ihm allein leitete sich alle Wahrheit, alle Moral und alles Recht ab. Er hatte sich für Christentum, Judentum und Islam in einer exklusiven, geschichtlichen Form geoffenbart und war damit zum universalistischen Dogma geworden. Die Christenheit, als internationale, überkulturelle Gemeinschaft, war sein „historisches Subjekt“ – also Träger dieser Idee. Als nun die Aufklärung die Hegemonie des Christentums brach, wurde zwar Gott „entthront“, der „Thron „selbst aber blieb gewissermaßen intakt“. Anders gesagt: Man suchte erstens nach einem Ersatzwert für das Podest der absoluten Wahrheit; man suchte zweitens ebenso nach einer Ersatzgemeinschaft für das historisch-missionarische Subjekt der Christenheit.

Es ist legitim, eurozentristisch zu argumentieren, ohne dies explizit herauszustellen, weil sich die relevante geistesgeschichtliche Entwicklung nun mal auf diesen Kulturkreis konzentriert. Natürlich gab es auch im Mittelalter den Begriff des Volkes, der Herrscher und damit Kriege auch innerhalb jener Christenheit Loyalitäten, für die man in den Krieg zog, gegen den das Christentum doch so stark Stellung bezog. Allerdings ist die Bemerkung durchaus beachtlich. Denn das Neue Testament trennt einerseits die weltliche Herrschaft von der universellen geistlichen Gemeinschaft der Gläubigen, die die Nationalitäten überwindet. Sellner identifiziert damit zu Recht den inneren Identifkationspunkt, der mehr oder minder bewusst und explizit das Denken prägte.

Im Liberalismus entstand rasch die Ideologie der Menschheit, des Weltbürgertums und der „einen Vernunft“, welche die erste Rolle übernahmen und die christliche Weltsicht verweltlichten.

Sellner vereinfacht hier zu stark, denn das Christentum hat auch stare freiheitliche Aspekte, die dem Individuum eine zentrale Stellung einräumt und die persönliche Verantwortung betont.  Die Grundverfasstheit des Christentums bleibt damit dialektisch, denn sie liefert sowohl Impulse für das ein als auch das Andere. Erst durch den Wegfall als zentralen Bezugspunkt des Denkens wird dieses Vakuum durch andere und weit einseitigere Ideen gefüllt.

Wir sehen hier auch einen wichtigen Unterschied zwischen religiösem und ideologischen Universalismus. Der erste muss nämlich nicht zwangsläufig die konkreten ethnokulturellen Gemeinschaften zerstören, da sich seine Idee von Menschheit vor allem auf das Jenseits bezieht.

Die Formulierung hier bleibt schwach, denn Religion ist immer auch von der Kategorie ‚Ideologie‘ nicht zu trennen. Gemeint hat Sellner allerdings eine säkulare Ideologie im Kontrast zur spirituellen Ideologie. Der säkulare Universalismus hat allerdings tatsächlich die Konsequenz, die Sellner hier treffend identifiziert. In wie weit aber der Islam hierbei ebenso als Religion und spirtuelle Ideologie oder doch überwiegend als säkulare Ordnungslehre mit spirituellem Überbau verstanden wird, bleibt offen.

Nicht ein kosmopolitischer Bund gleicher Menschen, deren einzige Kultur die „Vernunft“ ist, war berufen. Das eigene Volk und die eigene Kultur wurden zum Zentrum der universalistischen Weltgeschichte gemacht. Es wurde, bildlich gesprochen, auf den Thron des zu Tode „aufgeklärten“ Gottes gesetzt. Alles Recht, alle Wahrheit, alle Moral leitete man aus dem Volk und seiner Kultur ab. Der Chauvinismus, der vorher nur gegenüber den „Heiden“ auf die „wahrere Religion“ bezogen war, wurde allmählich zum Rassismus gegenüber den anderen „minderwertigen Kulturen“.

Diese Nationalismuskritik als alternativer Universalismus wirkt auf mich überzeugend. Ich teile aber die pauschale Kritik Sellners am Christentum nicht, denn die Lehre, nach der die ‚Heiden‘ die zur ‚wahren Religion‘ bekehrt werden sollen, ist keineswegs generell als chauvinistisch zu verstehen, auch wenn der Vorwurf oft gerechtfertigt sein mag. In der Grundlage des NT wird dem Nichtchristen zwar die Konsequenz der Verdammnis vor Augen geführt und die eigene Erkenntnis für die absolute Wahrheit gehalten, aber die Entscheidung der Menschen stets respektiert und auf Freiheit und Überzeugung gesetzt. Zugleich wird die eigene Erkenntnis nicht verabsolutiert, sondern der Glaube als letztlich nicht beweisbar und auch irrtumsanfällig erkannt.

Die Altrechten und Nationalisten kritisieren in der Regel nur den amerikanischen und französischen Nationalismus, weil bei ihm der Volks- und Nationsbegriff nicht exklusiv ethnisch, sondern inklusiv und kulturell gefasst wird: d.h. jeder kann Mitglied werden. Ihr Nationalismus ist im Grunde, so die Kritik, ein versteckter Internationalismus, weil ihr Volk wie eine Kirche oder Internationale aufgebaut ist: jeder kann theoretisch Mitglied werden und das Schema ist auch „exportierbar“.

Sellner arbeitet hier sauber die unterschiedlichen Verständnisgrundlagen heraus, allerdings noch ohne den Begriff der Ethnie zu erklären. Er schlägt sich nicht auf die Seite des inklusiven Kulturnationalismus, sondern sieht in beiden eine Spielart des Universalismus, den er ablehnt.

Werte und Kulturreativismus

Man huldigt hier Universalisten! Allen voran Hegel. Wenn er etwa sagt:„ Der germanische Geist ist der Geist der Freiheit“, so will er nicht einen Wesenszug seines Kulturraums herausstreichen. Er sieht die christlich-germanischen Völker als Träger einer heiligen welthistorischen Mission; die Idee der „Freiheit“, die bei Hegel letztlich Internationalismus, Liberalismus und Weltstaat bedeutet, muss von ihnen allen anderen Völkern gebracht werden – ob sie wollen oder nicht.

Hinsichtlich der Werte vertrete ich keinen vollständigen Kulturrelativismus und Gegner des Universalismus, denn es gibt m.E. universelle Werte, die nicht der Kultur oder dem Zeitgeist unterliegen. Diese sind allerdings nicht leicht von den zeitgeistigen und kulturellen Ausprägungen zu unterscheiden, die hier ausgestalten, aber auch verzerren können, und die einer Bandbreite zulässiger Variation verfolgen können. Demnach sind unveräußerliche Menschenrechte eben nicht durch die Kultur zu veräußern. Aber auch die Ausgestaltung jener Menschenrechte scheint nicht stets zeit- und kulturübergreifend sein. So wird zur Zeit eines Menschenrechtes zur Migration gestritten, bei dem offensichtlich keine Einigkeit herrscht. Auch bei dem Glauben an die universelle Gültigkeit der Grundwerte bleibt es darum nicht zulässig, diese für die eigene Weltsicht exklusiv zu beanspruchen.

Was will Sellner hier sagen mit dem Bezug  auf den Willen der Völker? Denn Träger eines Willens kann letztlich nur der Einzelne sein, der Volkeswille trägte einem virtuellen Gruppendenken Rechnung. Was aber, wenn der autokratische Herrscher einen Willen entgegen dem des Volkes hat, diesen aber langfristig durchsetzt? Was ist dann der Volkeswille und wie ist dieser definiert? Delegitimiert der Ethnopluralismus jeden missionarischen Ansatz, das Gute in der Welt zu befördern? Ich teile Sellners Kritik an Hegel damit ausdrücklich nicht. Aber ich sehe eine übergriffigen Dirigismus, der unzulässige Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht macht, kritisch.

Viel mehr sehe ich im Glauben an das absolute Gute und der irrtumsbehafteten Erkenntnis davon die Verantwortung abgeleitet, eben jenes Gute zu befördern. Die jeweilige Kultur und der vermeintliche jeweilige Volkeswille ist darum nicht die letzte Instanz des Rechts, auch wenn ich dem Respekt und der Toleranz – also einem schwachen Ethnopluralismus – zustimme. Möge mich der Bannstrahl Sellners namens ‚Universalismus‘ dafür treffen.  Aber daraus folgt keineswegs, dass ich einen gewalttätigen oder imperialistischen Interventionismus eine Carte Blanche geben will.

Warum? Weil sie die jeweils neuen Träger eines Universalismus, eines nationalen „Minimonotheismus“ geworden waren, dessen Gott sie selbst waren.
Die Franzosen dachten, sie müssten der ganzen Welt ihre Kultur bringen, die Engländer sahen ihre Rasse als göttliche Zivilisationsbringer und die „verspäteten“ Deutschen meinten, an ihrem „Wesen“ müsse „die Welt genesen“.
Das ist Universalismus reinsten Wassers! Es ist die Totalisierung des eigenen Welt- und Menschenbildes als „überlegen“ und der Wahn, alle damit „beglücken“ zu müssen.

Ein missionarischer Ansatz muss weder als anmaßend universalistisch, noch als übergriffig verstanden werden, sondern kann als dialogisch aufgefasst werden.  Denn wenn es eben eine universelle Wahrheit gibt – die der Realität schlechthin – kann sie nicht exklusiv beansprucht werden, denn eine Irrtumsfreiheit kann nie sichergestellt werden. Es gibt aber Überzeugungen, die man verantwortungsethisch propagieren kann … auch kulturübergreifend.

Dagegen würde der ethische Relativismus sich nicht auf die Ebene ‚Volk‘ reduzieren lassen. Warum sollte man nun Völker und Kulturen alleine als absolut souverän betrachten, in der sich jegliche Einmischung verbietet? Mit der gleichen Argumentation könnte man dem einzelnen Menschen jene Souveränität zusprechen. Dies aber hieße, man könne Mörder nicht mehr verfolgen, so sie denn auf ein krudes Rechtsverständnis verweisen. Nationales Recht wäre dann ebenso unter einer Rechtfertigungskrise wie kulturübergreifende Gepflogenheiten, die dann auch beliebige Eroberungszüge, zu denen man ja auch stets Rechtfertigungen gefunden hat, mit rechtlichen Mitteln verurteilen könnte. Letztlich fiele alles einer Beliebigkeit zum Opfer.

Aber das war der erste Teil von vier Teilen … Bis hier können wir bereits erkennen, dass die breite Kritik am Konzept und der IB in der Regel stereotyp fehlschlägt. Dennoch bleiben hier offene Enden und eine Kritik, die aber bislang noch nichts feststellen konnte, was den Vorwurf ‚rechtsextrem‘ begründen könnte. Im weiteren mag Sellner vielleicht die offenen Fragen klären:

Nationalismus revisited – Teil 2

Sellner sieht in Johann Gottlieb Fichte DEN Vordenker eines deutschen Nationalismus, den er ebenso scharf kritisiert.

Was er ihm allerdings als „Patriotismus“ entgegensetzt hat, und was später als Nationalismus Karriere macht, hat mit einer identitären Weltsicht wenig zu tun. Es ist im Gegenteil die Grundlage des nationalistischen Denkens, das für Europa katastrophale Folgen haben sollte. Fichte sieht als Universalist die Aufgabe der Menschheit in einer allgemeinen Verwirklichung der Vernunft.

Erstaunlich bleibt, dass Sellner hier nicht wankt, seiner Linie treu zu bleiben und eine bildungsbürgerlichen Attitüde des Respekts vor großen Namen nicht annimmt. Ich dagegen halte die Pauschalkritik – auch an Fichte – für zu einseitig.

Fichte will nicht die Eigentlichkeit und Identität Deutschlands gegen eine internationale, universalistische Ideologie verteidigen. Er ist nur der Ansicht, dass kein anderer als Deutschland das Recht hat, diese universalistische Ideologie zu erkennen, zu vertreten und der Welt aufzuzwingen. Nicht am französischen, sondern am „deutschen Wesen“ sollte die Menschheit „genesen“. Das ist nichts anderes als universalistischer Neid – keine identitäre Kritik. Es ist ein universalistischer Binnenkonflikt, mit dem wir Identitäre nichts zu tun haben.

Sicher ist es rühmlich, diesen Aspekt klar heraus zu stellen und zu kritisieren. Aber das inkludiert nicht, dass der kritisierte Universalismus zu eben jenen Auswüchsen kommen muss.

Der völkische Nationalismus ist dabei mörderischer und brutaler, da die eigene Überlegenheit vor allem biologisch fixiert ist und man die anderen Völker erst einmal als ewig mindere Rassen unterwerfen und erziehen will. Der etatistische Nationalismus ist er dafür viraler und grassierender, da er die unterworfenen Völker integriert, assimiliert und seine Kultur zum „internationalen Selbstläufer“ werden kann. So oder so ist Nationalismus, ideengeschichtlich betrachtet, nichts anderes als der Versuch, das eigene Volk und/oder die eigene Kultur als Ersatz für die universalistische Religion zu missbrauchen. Es ist eben ein typischer „-ismus“, wie Anarchismus, Liberalismus, etc. Er verabsolutiert einen bestimmten Aspekt des Daseins und bringt es in eine Schieflage.

Diese scharfe Kritik könnte auch vone einem linksintellektuellen stammen.  Sie hat rein gar nichts völkisches oder revisionistisches. Und er setzt noch etwas darauf:

Der Nationalismus ist nichts anderes als das Zerfallsprodukt des religiösen Universalismus, indem das Volk Gott und der Staat die Kirche ersetzt. Sein Universalismus zeigt sich im fanatischen, totalen Kampf gegen alles, was außerhalb liegt –  im missionarischen Expansions- und ideologischen Welteroberungsdrang. Nach innen äußert er sich in totaler Vereinheitlichung, Zentralisierung, Durchorganisierung und Zerstörung der regionalen Vielfalt. Der Universalismus ist Gift für die ethnokulturelle Identität. Gift bleibt Gift, auch wenn man es „national“ verabreicht.

Sellner versucht nun gegen die 3 universalistischen Irrwege eine Alternative zu setzen:

Der 4. Weg und die identitäre Erkenntnis

1. Es gibt keine einheitliche Menschheitsgeschichte mit einem einheitlichen konvergenten Fortschritt. Es gibt verschiedene Pfade, die von ethnokulturellen Gemeinschaften beschritten werden.

Aber auch hier bleibt noch unklar, was denn die ethnokulturellen Gemeinschaft denn sei und wie sie sich von anderen Volksbegriffen unterscheidet. Lediglich die Andeutung dass es etwas mit kultur zu tun habe, ist zu entnehmen. Aber auch das bleibt schwammig, denn Kulturen sind in sich wiederum differenziert und keineswegs monlihisch aufzufassen.

2. Es gibt kein überlegenes Volk oder eine überlegene Kultur. Um diese „Überlegenheit“ feststellen zu können, bräuchte man einen objektiven Maßstab, der nicht in der eigenen Kultur selbst liegt – sonst wäre das ein Zirkelschluss.

Der Begriff der Überlegenheit ist zu pathetisch, aber in Ansätzen kann man diesen tatsächlich an objektiven Maßstäben fest machen. Zum Beispiel, welches Land als Ziel für Migranten am ehesten gesucht ist. Lange Zeit war dies die USA, heute macht sich Deutschland daran, dies zu werden. Merkmale daran orientieren sich an den Menschenrechten, die Freiheiten und nicht zuletzt der wirtschaftliche Erfolg.  Dagegen sind Migrationen in andere Problemländer eher marginal oder der reinen Not und Mangel an Alternativen geschuldet. Denn es ist nun ein kulturelles Merkmal, wie sich eine Volkswirtschaft entwickelt und Herausforderungen löst.

3. Es gibt keine absolute und ewig gültige Wahrheit, die in einer Kultur oder einer Zeit exklusiv auftritt. Wahrheit ist immer eine Offenbarung des Seins und der Welt, die ein bestimmtes Dasein, einen Menschen in seiner Sprache und Kultur trifft. Diese Vielfalt ist prinzipiell kein Widerspruch gegen eine Wahrheit.

Sellner scheint hier den Unterschied zwischen Wahrheit und Erkenntnis nicht zu versäumen. Denn gerade der Glaube an die eine absolute Wahrheit kann nicht ihrerseits exklusiv sein, wenn sie sich der Irrtumsanfälligkeit der eigenen Erkenntnis bewusst bleibt. Genau das drückt aber bereits das Wort ‚Glaube‘ aus.

Relativismus ist nicht die einzige Alternative zu Universalismus. Wahrheit ist damit immer in die Vielfalt der Völker und Kulturen und die Zeit gestellt. Es gibt hier nur den Austausch und den Dialog, die Suche und die immer neu gestellte Frage. Niemals aber eine Endgültigkeit oder gar einen einseitigen Missions- und „Zivilisierungs“-Auftrag.

Dies bleibt unscharf, aber man kann es als Versuch goutieren, den Spagat zwischen dem Wahrheitsanspruch und der Pluralität nicht im Relativismus zu verflachen. Indes, das Argument ist nicht konklusiv, sondern bleibt bei der Erkenntnis, dass hier ein ungelöster Konflikt schlummert.

Die identitäre Weltsicht erkennt all das und überwindet damit auch den universalistischen Nationalismus. Sie zerschlägt auch, um bildlich zu sprechen, endlich den Thron für den Götzen der absoluten Wahrheit.

Wenn aber Wahrheit stets objektiv bleibt, Erkenntnis aber subjektiv ist und die Möglichkeit des Irrtums nicht ausschließen kann, dann ist eine derartige Darstellung irreführend. Wenngleich die Exklusivität der Wahrheitserkenntnis als falschen Götzen tatsächlich zurückzuweisen ist, so ist durch diese Unschärfe jener Wahrheit ein Bärendienst erwiesen und eine Abgrenzung zum Relativismus kaum zu leisten. Ein Motiv zum Austausch und Dialog mag dann nur noch ein beliebiges sein.

Vielmehr liefert der Glaube in eine fortschreitende Erkenntnis das Motiv, eben jener Wahrheit näher zu kommen. Wenn dies aber apriori als aussichtslos klassifiziert wird, fällt das Motiv der Entwicklung fort, und damit ein wichtiger Grund des interkulturellen Austauschs. Wird dagegen der Glaube an die Annäherung der Wahrheit als konstitutiv angesehen, so ist damit auch möglich, einige Kulturen als fortschrittlicher zu verstehen, andere als Irrlichter zu erkennen. Und das, wohlgemerkt, unter Irrtumsvorbehalt und ohne Imperativ, jenes auch anderswo auch gegen den Willen der Betroffenen durchzusetzen.

Dieser Begriff umfasst Familie/Sippen, Volk, und Völkerfamilie. Region, Nation und Europa sind komplementäre Teile unserer Identität. … Nur die regionale Identität wird in der Regel direkt persönlich erfahren, die nationale Identität ist vor allem Stifter von Kultur und Allgemeinheit, während die europäische Identität nur als Verein freier Völker und gemeinsamer Block denkbar ist. Der Identitäre wahrt die Grenzen und Unterschiede dieser Ebenen genau, ohne eine zu totalisieren. Er ist damit gegen Separatismus, Nationalismus und Internationalismus gleichermaßen. Alles sind universalistische Totalisierungen eines gewissen Aspekts der ethnokulturellen Identität.

Dieses Konzept, dass sich gegen Vereinnahmungen wehrt, bleibt hier aber im Nebel. Wie steht es zur Frage der Ab- und Ausgrenzung? Was ist nun konstitutiv für die eigene Identität und was nicht? Und es wird auch nicht besser:

Genau wie die Abgrenzung und die Wahrnehmung des anderen zum identitären ethnokulturellen Bewusstsein gehört, so braucht der extremistische Nationalismus zur übersteigerten Selbstbestätigung den Hass auf das Andere.

Sellner bleibt in seiner Abgrenzung aber schuldig, wie er denn eine positive Abgrenzung versteht, die strukturell ohn den Hass der Extremisten auskommt.

Es gab ein identitäres Gefühl der Verbundenheit zum Eigenen, dieses kann aber in verschiedenen Schattierungen und Formen auftreten. Identitär sein heißt, über allen temporären Strömungen und Begriffe hinweg für die eigenen Wurzeln zu kämpfen und damit auch über sinnlosem Revanchismus, überkommenen Erbfeindschaften und schädlichen Gebietsstreitigkeiten zu stehen.

Bei allem Respekt für den Versuch Sellners, hier etwas Substanzielles zu liefern, bleibt er doch im Vagen, in einem kaum greifbaren Gefühl, das man nicht als Kriterium zur Unterscheidung verstehen kann. Wie aber kann dann dieses Gefühl des Eigenen, das wohl kaum wahrhaft deckungsgleich zwischen den Menschen sein kann, eine Grundlage der Abgrenzung liefern?

Sowie der Nationalismus die größere Dimension der ethnokulturellen Identität ausblendet, so blendet er auch die ganze Weite der Frage nach Wahrheit, Sinn und Ethik aus. Das Volk wird zum universalen Lösungsmittel, in dem sich die ganze Vielfalt menschlichen Fragens im plumpen Darwinismus und Subjektivismus auflöst. Wenn im religiösen Universalismus allein aus dem eigenen Dogma, dem heiligen Buch oder Propheten Wahrheit, Recht, Moral und Wert ableitbar sind, so bezieht der Nationalismus all diese Werte einzig und ausschließlich aus „dem Volk“, das seine eigenen Werte selbstherrlich in ein waberndes Nichts setzt.

So sehr man auch dieser Kritik zustimmen kann und muss, so wenig wurde die Alternative dazu erkennbar. Bis jetzt fanden wir sehr viel Antithese, aber eigentlich keine Synthese. Und auch hier bleibt er sich darin treu:

So wie der Universalist glaubt, dass außerhalb seiner Bewegung nur Heiden, Rassisten, Kapitalisten, Unmenschen, etc. bestehen, so glaubt der Nationalist, dass außerhalb seines Volkskokons nur der wilde erbarmungslose Kampf ums Dasein herrscht, alles also nur potentielle Feinde sind. Dem ist nicht so. Diese Sicht ist im Gegenteil eine selbsterfüllende Prophezeiung, wie der europäische Nationalismus gezeigt hat.

Ich als bekennender Universalist sehe hier aber ein nicht notwendige Verkürzung. Denn auch im so bezeichneten Universalismus ist reichlich Platz für Pluralität und unterschiedliche Erkenntnis als dem Streben nach Wahrheit.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens führt immer über die bloße Erhaltung und Steigerung des Daseins hinaus. Sie führt damit auch über das Volk als empirische und soziologische Realität hinaus. Es gibt eine Wahrheit, die über dem Volk, also über der ethnokulturellen Verwurzelung des eigenen Daseins steht.

Hier wieder setzt mein donnernder Applaus ein. Denn erst in der Transzendenz  (hier im formalen, nicht notwendig im spirituellen Sinn) kann der Knoten bilden und die Frage der Grundbestimmung, die sich schließlich in der Wahrnehmung der eigenen Identität und der politischen Verortung ausprägt.

Aber nur über das Volk, also über das eigene ethnokulturell geprägte In-der-Welt-Sein kann man diese Wahrheit erfahren. Die Wahrheit steht über dem Volk, aber nur über das Volk kommt man zur Wahrheit. Das klingt etwas kompliziert, ist aber herrlich einfach.

Trotz des Mangels an klarem Verständnis, was das Volk denn nun einmal sei, verstehe ich dies positiv als partikulare Ausprägung des individuellen Lebensweges über die spezifischen Wurzeln. Sellner hat aber ein Konsistenzproblem:

Werte sind nicht deshalb wahr und gut „weil es das Volk will“. Ganze Völker wählten damals Nationalsozialisten und Marxisten, ganze Völker „wählen“ heute Multikulti und Selbstabschaffung. Es gibt Wahrheiten, die unabhängig von Mehrheiten und Meinungen sind. Etwas anderes zu sagen, würde jede Würde des Menschentums in den Dreck stoßen.

Diese Erkenntnis, der ich aus vollem Herzen zustimme, sehe ich allerdings als Kontrapunkt zu seiner Abgrenzung zum Universalismus. Was anderes ist es denn sonst, wenn man erkennt, dass die Fixpunkte im eigenen Denken weder relativistisch schwimmen, noch seich an beliebigen Partikularien festmachen ließe. So bleibt bei mir die Vermutung, dass Sellner doch in weiten Teilen ähnlich denkt wie ich. Nämlich dass eine Näherung an die universelle Wahrheit, gleichwohl diese nicht verfügbar ist, grundsätzlich möglich ist. Seine scharfe Ablehnung des Universalismus ist vor allem der Zuschreibung geschuldet, dass sich diese unkritisch im Besitz jener Wahrheit wähnt. Und dann passt zwischen meiner Ansicht und dieser kein Blatt mehr. Die Unterschiede in der Darstellung sind dann eher im Sprachlichen und der Betonung, weniger in der Sache zu sehen.

Es gibt grundlegende Bedürfnisse und Wesenszüge, die alle Menschen gemein haben und die Verständnis und Verständigung ermöglichen. Wir alle sind sprachfähige Lebewesen, die ihre Umwelt und ihre Geschichte selbst schaffen, die sich in den anderen einfühlen können, die andere Kulturen erfahren und verstehen können.

Auch diese Erkenntnis ist wesentlich. Ich hätte sie eher dem Universalismus zugeordnet.

Es gibt auch die Möglichkeit des Missverständnisses, es gibt unübersetzbare Begriffe, es gibt gegensätzliche Weltsichten, kurz: Es gibt eine Vielfalt, die man ohne schwere Verluste und brutale Einschnitte niemals auf einen Nenner bringen kann.

So geht Pluralismus, wie ich ihn meine: Keine starre Abgrenzung und nicht zwingend eine Wertung, sondern zunächst die Akzeptanz der Vielfalt.

Der Identitäre ordnet seine ethnokulturelle Identität in eine ganzheitliche Weltsicht ein, in der gegenseitiges Verstehen, Einklang mit der Natur, Vervollkommnung des eignen Wesens, Ehre und Würde und Wahrhaftigkeit unverzichtbare Werte sind. Sein Bezug zu seinem Volk ergibt sich aus dieser ganzheitlichen Sicht.

Trotz des nach wie vor nicht aufgelösten Nebels um einige Begriffe kann ich dieser Darstellung viel Respekt entgegen bringen. Ein Bezug der Kritik des Verfassungsschutzes, Wikipedia oder des bpb ist nicht erkennbar.

Zwar drücken sich Ethik, Recht und Würde in jedem Volk anders aus, indem der Identitäre in ihnen aber keine subjektivistische Erfindung, sondern den Zuspruch einer Wahrheit erkennt, ist es ihm möglich, auch die anderen ethnokulturellen Ausdrucksformen zu akzeptieren.

Ich halte es für eine zulässig vereinfachtes Modell, wenn man von zwei Schalen der Wertebildung: Im Kern sollte die universelle Wahrheit stehen, die aber nicht direkt und unmittelbar zugänglich ist. Die Schale der Ausprägung kann diese in unterschiedlichen Formen gießen und ist darum Mittler zu jener Wahrheit, wie sie in Platons Höhlengleichnis dargestellt werden. Schwierig bleibt es, wenn Irrtum und Lüge jene Ausprägung verzerren, dass man schließlich nicht mehr ohne weiteres erkennen kann, was davon nun der Wahrheit entspricht, und was die Verzerrung ausmacht. Aber diese Ungewissheit führt eben auch zum Pluralismus, der sich nicht einfach auflösen ließe.

Nationalismus revisited – Teil 4 geht hier weiter:

Der Identitäre überwindet also mit dem Universalismus auch die Ideologie des Nationalismus. Er durchschaut ihn in seiner „biologischen“ sowie seiner „staatlichen“ Form als „Nationalisierung“ des Universalismus. Es wechselt immer nur der Inhalt, aber nicht die Systematik und Struktur. Er äußert sich nach außen mit missionarischem Erlösungswahn, fanatischem Imperialismus, rassischem und kulturellem Chauvinismus und nach innen mit Vereinheitlichung, totaler Mobilmachung, Zentralisierung und Totalitarismus.

Wie gesagt: Ich verstehe diese Kritik vor allem als Kritik am exklusiven Deutungsanspruch. Und dieser kann überwunden werden durch kritische Rückfragen, die schließlich nach dem Sinn fragen muss

Das Dasein fragt sich notwendig nach dem eigenen Sinn, der nicht allein in der nackten Daseinserhaltung selbst liegen kann. Denn wäre diese der einzige Sinn, dann könnte eine derartige sinnlose, „selbstkritische“ Frage gar nicht aufkommen können. Wir erleben es aber in Sinnkrisen ständig am eigenen Leib. Wir wollen mehr!

Das erkennen der Sinnkrise ist eine wesentliche Voraussetzung zur Lösung der Probleme.

Heidegger bringt es so auf den Punkt: Man will sich nicht eingestehen, dass man keine Ziele hat.

Dies allerdings geht von der Annahme aus, dass man im christlichen Glauben keine adäquate Lösung sieht. Warum eigentlich nicht? Weil es nicht mehr ‚modern‘ ist?  Immerhin ist das kulturelle Selbstverständnis, auch schließlich Humanismus und aktuelle Werte so ohne Christentum kaum erklärbar. Bestenfalls könnte man das Christentum in seiner metaphysischen Aussage als ein historisches Moment verstehen, aber warum keine aktive Antwort auf die Fragen der Zeit? Immerhin ist das Christentum nach wie vor die Glaubensgemeinschaft mit weltweit den meisten Anhängern. Auch wenn nicht alle dies mit aktiven Glauben verbinden, so bleibt die Frage nach einer Begründung, warum das Evangelium und der Glaube an den auferstandenen Jesus Christus nicht mehr tragfähig sein sall, im Raum. Ein atheistische Religionskritik bleibt zumeist an fragwürdigen Argumenten hängen oder bemüht Negativbeispiele von jenen, die sich Christen nennen, aber keineswegs repräsentative Vertreter des Christentums sind. Wer ist denn dann ein repräsentativer Vertreter des Christentums ? Katholiken würden sagen: Der Papst. Andere Christen würden sagen: Es gibt keinen hinreichend repräsentativen Vertreter und ist auch aufgrund der pluralen und dialektischen Struktur des Christentums auch nicht erforderlich.

Sellner scheint die Antworten des Christentums hier nicht ernsthaft zu adressieren, auch wenn er die richtigen Fragen stellt. Zurück zu seinem Text:

Sein Volk ist kein „Urvolk“, das reiner, besser oder „völkischer“ als andere Völker ist. Er verlangt keine Vorrechte und Sonderrechte gegenüber anderen. Er vertritt aber stolz und selbstverständlich die eigenen Interessen, den eigenen Standpunkt in einer dynamischen Welt der Spannung.

Diese Bestimmung bleibt so bestechend schlicht wie selbstverständlich, dass man sich fragen muss, wer das ablehnen kann.

Die eigene Identität steht in ihrer Vielfalt und Tradition für sich und soll unverfälscht erhalten und undogmatisch weitergeführt werden.

Es bleibt die Feststellung, was dies denn mit dem Fremden im eigenen Lande, ob nun als Einzelner oder  als Massenphänomen zu tun habe. Der Text drückt sich bislang um die Antwort. Was heißt da ‚unverfälscht‘?

Der Identitäre erkennt, dass mit der Tatsache, dass er zu einem Volk gehört, dass er zu ihm steht und es erhalten will, noch nicht alles über sein Leben ausgesagt ist; dass seine Heimat und sein Volk unabdingbare Aspekte seiner Identität sind, dass diese sich aber nicht vollkommen in ihnen erschöpft. Er kämpft heute mit voller Kraft um den Erhalt seiner ethnokulturellen Identität, weil sie wie noch nie bedroht ist …

Erkennbar bleibt hier das konservative Anliegen der Bewahrung, nicht das der Ausgrenzung, und schon gar nicht ein extremistischer oder totalitärer Anspruch.

Man braucht keinen, modernen, materialistischen, biologistischen „Ismus“, um die eigene Identität zu bewahren und zu verteidigen.

Bei aller doch recht weit greifenden Kritik und Argumentation kommt Sellner auf den schlichten Kernpunkt seiner Ansicht zurück, dem auch der Respekt vor dem Anderen ein wichtiger Aspekt bleibt. Ich sehe als berechtigte Kritik des Textes vor allem die Auslassung, den Begriff der Ethnie und der dazu gehörenden Kriterien im Nebel zu belassen.

Der Identitären Bewegung und dem Ethnopluralismus muss es um die Überwindung dieses Denkens gehen. Es darf nicht nur mit neuen Begriffen und Logos übertüncht werden. Es geht hier nicht darum, anderen zu gefallen oder um abgehobene akademische Debatten. Das nationalistische Denken hat den Völkern Europas schwer geschadet. Es ist mitverantwortlich für den großen, selbstzerstörerischen „Bürgerkrieg“ der Moderne.

Ich denke, das ist ernst gemeint und gut begründet. Die Unterstellung des Gegenteils passt da nicht und ist darum als üble Propaganda zu werten, egal ob die Verfasser des Verfassungsschutzberichtes, von Wikipedia oder de bpb derartige Behauptungen entgegen der Konzeptdarstellung dafür stehen.

 Es äußert sich in jeder Weigerung, den Gegner zu entmenschen und in die billige Hetze mancher Rechten einzustimmen, in der bewussten, wachen und kritischen Übernahme der Tradition, nicht ihrer dumpfen und unterschiedslosen Vergötzung. Vor allem äußert es sich darin, dass wir nach wie vor auf der Suche sind und nicht einmal den Anschein erwecken wollen, dass wir „fertige Antworten haben“. In diesem Sinne ist auch die 4. politische Theorie zu verstehen, die, wie Dugin sagt, kein fertiges Konzept, sondern eine „richtig gestellte Frage“ ist. Diese Frage geht über das Volk hinaus, niemals aber vergisst sie auf das Volk. Wie ein Baum, dessen Äste in den Äther dringen, niemals ohne seine Wurzeln, die tief im Boden verhaftet sind, stehen kann.

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