Leitkultur: Visualisierte Verhältnisse

Im Zuge der Leitkultur-Debatte wurde deutlich, wie schwer ein gegenseitiges Verständnis der Begriffe und Vorstellungen ist. Der Kulturbegriff selbst bleibt stets unscharfe Summierung von Werten (die nicht von allen Mitgliedern geteilt werden), Gesetze, Sprache, Tugenden, Brauchtümer, Geschichte, Kunst, Identität etc. Noch schwieriger ist es dann, die Verhältnisse der Kulturen zueinander in den jeweiligen Vorstellungen klar zu machen. Generell gilt nicht, dass ein Bild mehr sagt als tausend Worte, in einigen Fällen vielleicht doch. Im Besondere soll dieser klären, was mit dem Begriff  Leitkultur gemeint sein könnte.

Das Ausgangsbild zeigt das Problem. Bestimmte kulturelle Ausprägungen stehen zum Teil isoliert dar, und haben ein Sondergut, dass sich nicht in einer einfachen Hierarchie abbilden lässt. Exemplarisch sind hier nur drei deutsche lokale Kulturen gekennzeichnet man darf sich hier einige mehr vorstellen. Bayern verstehen ihr Verhältnis zu Deutschland entsprechend differenziert. Vieles an ihrem Selbstverständnis ist deutsch, aber Einiges wird als spezifisch bayerisch verstanden, was nicht unter den Begriff deutsch zu subsumieren ist.

Ähnlich auch in den anderen Kulturkreisen. Der Islam ist eine stark prägende kulturelle Krafft, der im Kern in der Geschichte recht wenig auf die europäische und auch die deutsche Kultur einwirkte. Unbestritten gab es einige Berührungspunkte, die aber oft auch ablehnend oder in orientalischer Faszination in deutlicher Distanz blieb. Das Problem entstand durch die große Zuwanderung von Menschen aus dem islamischen Kulturkreis, die ihrerseits auch wieder aus unterschiedlichen Kulturen konstituierte.

Der Begriff Islam als solcher bleibt schwierig: Ist hier die reine Lehre und Ideologie gemeint? Nach welcher theologischen Schule? Gar die unspezifische Bezugnahme auf Koran und Sunna als verbindliche Glaubensgrundlage? Oder auch oder nur die Menschen, die sich zum Islam bekennen? Alles kulturelle, was Bezug zum Islam hat? Darum haben sich auch die Diskussionen zur Aussage ‚Der Islam gehört zu Deutschland‘ auch zu einer Art Grabenkrieg entwickelt. Ich neige zu dem Verständnis, dass der Islam als Ideologie nicht zu Deutschland gehören kann, denn er ist nicht für Deutschland konstitutiv, dagegen sind Menschen, die sich hier integriert haben selbstverständlich Teil Deutschlands, aber nicht Vollständig. Deutschland versteht sich nicht als totaler Staat, der alles vollständig umfasst. Unklar bleiben die Menschen, die hier leben, sich selbst aber als fremd und nicht zugehörig verstehen. Es beschädigt die Zugehörigkeit von Menschen nicht, wenn einzelne Dritte sie von der Zugehörgkeit ausschließen wollen. Das Ausgangspbld stellt dieses Thema allerdings noch nicht dar, denn es lässt die Frage der Zugehörigkeit teilweise offen.

Das Ausgangsbild stellt auch eine gewisse Parallelität dar, die exemplarisch  keine Schnittmenge hat. Dies zeigt ein Negativ-Verständnis als Parallel-Kulturen, die einen Zerfall der Gesellschaft mit wachsenden Spannungen bewirken und darum zu vermeiden gilt. Dies wird auch von den Kritikern der Leitkultur nicht angestrebt, sondern nach einer verbindenden Basis gesucht. Die Namen dieses Verbindung schwanken zwischen Verfassungspatriotismus und Gesellschaftsvertrag, und auch der Begriff der Leitkultur ist nicht selbsterklärend und bedingungslos treffend. Er wurde oft unterschiedlich verstanden. Das Problem der Zuordnung wurde auch in Bezug zur Europäischen Kultur genannt

Ausgehend von Bassam Tibis Beiträgen wird dem Begriff der Leitkultur nicht als Begriff der Überkultur verstanden, unter dem sich alles unterzuordnen habe, dass also alles assimiliert. Tibi sprach stets von einer europäischen Leitkultur, die aus Aufklärung und Humanismus besteht. Tibi nennt hier nicht das Christentum, dass das kulturelle Selbstverständnis auch bei jenen prägte, die heute die christliche Lehre ablehnte. Auch Aufklärung und Humanismus sind vor Allem aus dem Christentum entstanden, auch wenn es sich zum Teil auch als Emanzipation von der Kirche angetrieben verstand. Die europäischen Leitkultur als gesuchter Konsens-Begriff einer Wertegemeinschaft bleibt aber auch aus weiteren Gründen problematisch. Denn die große humanistische Gemeinsamkeit vereint keine gemeinsame Sprache und vermittelt darum auch nur bedingte Identität. Dagegen ist es mehr als statthaft, die Leitkultur innerhalb der nationalen Kultur Deutschlands zu verorten, die auch als Teil einer Europäischen Kultur gesehen werden kann, aber bestimmte Ausprägungen aufweist.

Vielmehr ist Leitkultur als eine verbindende Schnittmenge zu verstehen:

Hier ist Leitkultur eine spezifische Ausprägung innerhalb der deutschen Kultur, an der auch die jeweiligen Landeskulturen partizipieren. Die Idee Tibis und vieler anderer ist nun, dass Menschen unterschiedlicher Kulturen sich verpflichtend diese gemeinsame Basis zu eigen machen und somit in ihre Kultur aufnehmen. Sie ist kein Zwang zur Assimilation, sondern lässt eigenes zu, aber der Kern der Leitkultur bleibt verpflichtend. Dies wird dann als Integration verstanden. Natürlich bleibt dem Einzelnen eine freie Entscheidung, in wie weit er selbst eine Assimilation will, also die Distanz zum Deutschtum halten will.

In der Diskussion stellt sich zuerst die Frage, ob man hierzu ein gemeinsames Grundverständnis und Begriffe erreichen könnte. Daran scheiterte es oft, da man entweder aus schlichtem Unverständnis die Begriffe ablehnt, oder sich durch die eigene Ideologie vor Allem dem Grabenkampf und Dissens verpflichtet fühlt. Dabei fordert das Grundmodell noch keine Vorfestlegung auf die Inhalte, die zur Leitkultur gehören sollen.

Falls man sich auf das Grundmodell und Begriffe einigt, ohne ein fertiges inhaltliches Konzept, ist zu klären, was denn nun die Leitkultur sei und was nicht. Einige Beiträge gehen von einem minimalistischen Kern aus, der über Sprache und Gesetz nichts enthält. Andere ersetzen diese Minimalkern durch einen unbestimmten Verweis auf Werte. Andere, auch Bassam Tibi, halten diese Definition für unzureichend und nehmen Verkehrsformen und einen konkreten geistesgeschichtlichen Hintergrund, den der Aufklärung, mit auf. Das Positionspapier der AfD Fraktion im thüringischen Landtag geht darüber hinaus und tendiert eher zur Empfehlung einer weitgehender Assimilation, die die Akzeptanz der Brauchtümer und Tugenden fordert. Eine eingehende Diskussion dazu will hier nicht geleistet werden. Lediglich der Verweis zu den Beiträgen zur Leitkultur sei hier genannt.

 

2 Gedanken zu „Leitkultur: Visualisierte Verhältnisse“

  1. Für mich ist die Europäische Kultur wesentlich Christliche Kultur. Der folgende Satz aus dem Artikel: „Auch Aufklärung und Humanismus sind vor Allem aus dem Christentum entstanden, auch wenn es sich zum Teil auch als Emanzipation von der Kirche angetrieben verstand.“ ist goldrichtig, und ich möchte etwas ergänzen. Wenn man sich die Frage stellt, ob Aufklärung und Humanismus eher neue, vorher nicht gekannte Werte generiert, oder am Ende die christlichen Werte bestätigt und verstärkt hat, dann tendiere ich zur zweiten Aussage. Wo immer Antichristliches erwachsen ist, bspw andere Kalender, Krieg den Palästen, Revolution als Grundprinzip, Göttin der Vernunft uam – all das ist im wesentlichen wieder abgestorben ( es fehlt noch die Überwindung der Sexuallügen, heute „Gender“ ) Aber die Menschenrechte, die Soziallehren, Demokratie, Regierungen als „Diener“ des Volkes ( Stichwort: „Minister“ ) der Kampf gegen Hunger und Armut, sogar in der pervertierten Form der „offenen Grenzen“ – das ist alles urchristlich. Daher habe ich keine gedanklichen Probleme, die Christliche Kultur mit dem Besten und Bestimmendsten der Europäischen Kultur zu identifizieren.

    1. Das sehe ich nicht nur als eine begründete Meinung an, sondern als eine gut belegte Tatsache: Der christliche Glaube war konstitutiv für die westliche Geistesgeschichte. Dies zu verleugnen gefährdet die Kontinuität und Fortbestand des Erreichten. Zugleich aber wird der christliche Glaube als Bekenntnis zu den Lehrsätzen – im Besonderen dem apostolischen Bekenntnis – nicht von seinen Menschen gefordern, sondern bleibt ein Angebot auf Freiwilligkeit. Man kann die tradierten Werte durchaus bejahen, auch wenn man die biblische Grundlage dazu ablehnt.

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