Kosten/Nutzen-Betrachtungen in der Ethik

Der Gegensatz provoziert. Ein Kosten/Nutzen-Ansatz ist Kern ökonomischen Denkens. Dieses ist stets begleitet von dem Verdacht des unmoralischen Egoismus, der gerade der Kontrapunkt der Ethik ist. Aber ist es moralisch denn vertretbar, nicht nach Kosten/Nutzen-Analysen zu handeln?

Sicher ist ein spontanes Handeln in einer konkreten kurzfristige Situation ein Gebot der Stunde, welches langwiergem Abwägen widerspricht. Aber oftmals ist durchaus die Zeit gegeben, wohlüberlegt in moralischer Reflektion zu handeln. Nichts anderes ist die Frage nach der Verantwortung.

Denn jedwede Mittel sind auf Erden begrenzt, in der Sprache der Ökonomen: knapp. Und dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch um Zeit und Kraft, Anerkennung und Lustgewinn. Ein moralischer Impetus, der die Frage nach den Kosten empört als unmoralisch zurückweist, wird entweder inkonsequent nach Willkür seine Mittel verwenden, oder er wird unreflektiert seine Mittel bs zur Handlungsunfähigkeit verbrauchen.

Die Weigerung, ökonomisch mit seinen (moralischen) Ressourcen umzugehen, führt damit zwangsweise zu verantwortungslosen und damit unmoralischen Verhalten. Es ist die Haltung der Gesinnungsethik, die nur nach dem Motiv, nicht aber nach den Konsequenzen des Handelns fragt. Weder heiligt der Zweck die Mittel, noch kann der Zweck die Mittel verachten. Es landet beim Widerstreit zwischen Gefühl und Vernunft. Der Impuls, das Richtige oder das Falsche zu tun, kann durch den Verstand eine Rechtfertigung erhalten. Ist es das gefühlt Falsche, zu dem der Wille oder Drang den Menschen treibt, so kann der Verstand allerlei Gründe suchen und finden, warum das Falsche doch nicht das Falsche ist. War es denn je das Falsche, wenn es doch Gründe gibt, dass es gar nicht so falsch ist? Hat nicht das Gefühl in Form einer billigen Sentimentalität schlicht getrogen? Oder war doch der Verstand, einem Mietling des Willens gleich, zum Winkeladvokaten geworden, der ein klares Urteil verdreht?

Ist nicht gerade die ökonomische Betrachtung zum Hebel geworden, in dem man jede wahre Unterscheidung zwischen Gut und Böse pulverisiert? Denn es funktioniert ebenso in die andere Richtung. Nicht nur das Schlechte mag durch eine erfundene Rechtfertigung geadelt werden, sondern auch das Gute kann durch einen überkritischen Geist neutralisiert werden.

Der moralische und reflektierte Mensch ist sich dieser Gefahr bewusst. Er wird sich davor hüten, den Verstand durch unlautere Motive macht über das moralische Urteil zu geben. Auch hier kann es keinen einfachen Königsweg geben, denn Menschen sind zuweilen gut darin, sich selbst zu betrügen und ihre wahren Absichten und Motive vor sich selbst zu verschleiern. Ein vermeintlich edeler Anspruch verbirgt dann doch den Willen zur Macht oder zur Bequemlichkeit.

Aber auch der Selbstzweifel und die kritische Reflektion dürfen nie so weit gehen, dass sie jeden Entscheidungsprozess lähmen. Sie sind keine verlässlichen Verbündeten der Gesinnungsethik, die den Verstand entmachtet. Denn auch gerade in der plakativ edlen Gesinnung, die unüberlegt handelt, kann die Perfiedie unlauterer Motive lauern – zumindest unbewusst. Das unbewusste Böse sollte aber keine Macht über den Menschen mit moralischem Anspruch bekommen.

Kosten/Nutzen-Betrachtungen sind nach wie vor ein Pflichtübung zur den verantwortungsbewussten Menschen. Ein Beispiel mag das illustrieren:

Der Wert eines Menschenlebens

Moralische Menschen wollen Menschenleben nicht monetarisieren. Ist ein Mensch durch eine schwere Krankheit gebeugt und dem Tode nah, gilt es als unmoralisch, die Operation oder die Medikamente ja nach Kosten einzusetzen oder nicht. Das gesunde empfinden würde bei überschaubaren Kosten von 1000 Euro siche nicht zögern, die Maßnahme zu unterstützen. Auch bei 10 000 Euro würde es wohl kein Zögern geben, selbst wenn siich die Zahlenden damit hoch verschulden. Was aber wird bei Kosten von 100 000 Euro?  Noch keine Zweifel? Oder 1 000 000 Euro? Man kann die Kosten im Modell beliebig hoch treiben. Se ind offensichtlich auch von den Möglichkeiten der Menschen abhängig, die bereit sind, die Kosten zu tragen.

Ein beliebtes Dilemma ist, die Rettung eines Menschenlebens gegen die Gefährdung, gar den sicheren Tod von vielen anderen abhängig zu machen. Dem Nutzen der Rettung Weniger stünde der Tod vieler Anderer gegenüber.  So z.B. in der Diskussion, ob man ein entführtes Passagierflugzeug auf den Weg zu einer Großstadt oder einem Hochhaus abschießen darf oder gar muss.

Ist dieses Dilemma der Kosten nur dann moralisch geboten, wenn es sich um die gleiche ‚Währung‘, nämlich Menschenleben handelt? Ist es kein Problem, wenn man Geld gegen das Elend und den Tod einsetzen kann? Sicher kann man von einer anderen Dringlichkeit und Verpflichtung ausgehen, wenn es um einen Angehörigen geht. Dieser hat sicher vor unbenannten Dritten größere Rechte. Was aber, wenn wir wissen, das Menschen an Hunger und Durst sterben, oder leicht bekämpfbaren Krankheiten, bei denen nur wenige Euro fehlen. Ist es dann moralisch vertretbar, anstelle von Hunderten, die gerettet werden könnten, Unsummen für den Lebenserhalt von Wachkoma-Patienten auszugeben?

Wenn der Reiche zum Lebenserhalt seiner komatösen Eltern bereit ist, eine Million oder mehr auszugeben, würde dann die Moral nicht fordern, dass er mindestens ebenfalls eine Summe von dem gleichen, dem Zehnfachen oder gar dem Millionenfachen für all die anderen notleidenden Menschen auszugeben? Macht sich nicht derjenige der unterlassenen Hilfeleistung schuldig, wenn er sein Geld jenen verweigert, die doch viel dringender und mit wenig Einsatz der Hilfe bedürften?

Im Besonderen befremdet es die ökonomisch denkenden Moralisten, wenn mit viel Aufwand eine Maßnahme betrieben wird, die aber nicht zielführend sind.

Herz und Irrationalismus

Das alles wirkt doch recht blutleer. Kann man wirklich Menschenleben gegeneinander verrechnen? Ist nicht der Tod oder Rettung eines Menschenlebens nicht den Einsatz on Tausenden wert? Ist der Mörder weniger schuldig, der nur ein Menschenleben auf dem Gewissen hat als der Fahrlässige, der 10 oder 100 Todesfälle verursachte?  Oder der Selbstmordattentäter mit 20 Toten wenige als ein Pol Pot oder Stalin?

Hier müssen wir vorsichtig situativ unterscheiden. Wer in eine Situation gerät, in dem seine moralische Entscheidung in der konkreten Begegnung mit anderen Menschen gefragt ist, gelten andere Entscheidungsregeln als bei der kühlen distanzierten Betrachtung. Wären in der Interaktion zu Recht auf das Herz verwiesen wird und eine Präsenz aus der Beziehung erwächst, verbieten sich perfide Kalkulation im Angesicht der Not. Wer aber Verantwortung für Entwicklungen und Strukturen, Auswirkungen auf Dritte und Allgemeingültigkeit hat, kann sich eben nicht auf Gefühl und Emotionen berufen, sondern ist auch für die Konsequenzen seines Handelns verantwortlich. Der Mensch in Not, dem wir begegnen, ist eben lebendig und man muss und darf hier nicht über den Rest der Welt verantwortlich. Hilfeleistung ist hier geboten!

Spricht man aber von allgemeingültigen Instituten der humanitären Hilfe, so können diese nicht nur in die konkrete Situation sprechen, sondern verändern die Rahmenbedingungen. Es sind ‚Game Changer‘. Wenn ein Mensch von einer allgemeingültigen Hilfszusage hört, wird es nicht nur, wenn er in existenzieller Not ist, sondern auch wenn er sich eine Verbesserung seiner Lebensumstände verspricht, versuchen, diese Hilfe in Anspruch zu  nehmen. Man hat damit neue Strukturen installiert. Darum bedarf es hier auch völlig anderer moralischer Überlegungen als in einer situativen Hilfe. Während in der konkreten Not der Verstand weit weniger gefordert ist, gilt es im Politischen eben anders herum.

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