Nationalismus und Ethnopluralismus – Kampfbegriffe?

Manchmal werden wir mit bedeutungsschwangeren Begriffen konfrontiert, die eigentlich unklar bleiben. Durch einen Radiobericht wurde ich auf den Hessischen Verfassungsschutzbericht 2017  aufmerksam. Dort las ich:

Ethnopluralismus“ | Teile des Rechtsextremismus, vor allem die IB, propagieren das Konzept des „Ethnopluralismus“ und behaupten in einer verschleiernden Sprache, dass sie für die Vielfalt der Völker einstehen würden. In Wirklichkeit zielt dieses Konzept auf einen strikten Nationalismus, der „fremde“ Menschen ausgrenzt und dadurch Fremdenfeindlichkeit provoziert. Der „Ethnopluralismus“ beschreibt die Unterschiede zwischen den Völkern und meint damit letztlich die homogene nationale Identität der eigenen Ethnie.

Was aber ist dieser Nationalismus eigentlich? Nur etwas, dass sich auf die Nation bezieht? Oder eben strikter Nationalismus als totalitäre Ideologie?Das irritierte mich, denn ich  halte die verschiedenen Kulturen für tatsächlich unterschiedlich und darum auch für interessant und wertvoll.

Allerdings sehe ich darum keinen Grund für Fremdenfeindlichkeit, sondern für Neugier und das Recht auf eine Selbstbestimmung – bei Bedarf auch mit Bezug zur eigenen Kulturgeschichte.  Die Negativzuschreibungen wie ‚Ausgrenzungen‚ sehe ich keineswegs zwingend in dem Ansatz verwurzelt. Doch wie ist es denn darum bestellt? Sind jene, die der hessische Verfassungsschutzbericht als rechtsextrem einstuft und diesen Begriff verwenden tatsächlich so und verwenden sie diesen Begriff in verzerrender Weise, indem sie ihre wahren Absichten verschleiern? Oder handelt es sich um eine legitime Ansicht im demokratischen Meinungsspektrum, die man nicht teilen muss, aber hier lediglich durch Negativzuschreibungen dämonisiert wird? Immerhin sagen die Beschuldigten wie etwa Fabrice Robert, Leiter des Bloc Identitaire:

„Wir sind keine Nationalisten. Der Nationalismus war ein Drama für Europa“.

Der besondere Respekt und die Zusammenarbeit von Identitären zwischen jenen unterschiedlichen Ländern bestätigt diese Einstellung. Hier will ich die daraus resultierenden Fragen untersuchen.

Nun könnte man sagen, dass es vom Selbstverständnis jener, die diese Begrifflichkeit verwenden, auch die Grundlage sein muss. Ergänzend mag der Kontext zur Beurteilung herangezogen werden. Zunächst aber eine Eingangsbestimmung.

Meine Grundeinstellung zum Thema

Nach meinem Verständnis ist die Vielfalt der Kulturen eine Bereicherung des Denkens, die sich sehr wohl gegenseitig befruchten kann, aber zuweilen auch als Bedrohung des Eigenen wahrgenommen wird, wie die Geschichte der Kriege und Eroberungen unzweifelhaft belegt. Um die positiven Chancen am ehesten zu nutzen und zugleich die Gefahren zu minimieren ist ein respektvoller Umgang mit dem ‚Fremden‘ ein guter Ansatzpunkt. Natürlich schärft jeder Dialog, gerade auch der respektvolle, das eigene Selbstverständnis. Respekt heißt hier das Zugeständnis der jeweiligen Rechte der Selbstbestimmung, der Verdienste und Werte, und die Möglichkeit, voneinander zu lernen. Respekt heißt aber nicht, auf jedwede Wertung, sowohl diverser Details, als auch der fremden Kultur insgesamt, zu verzichten. Respekt heißt aber die Art, wie mit einer möglichen Wertung umgegangen wird und diese angemessen zu kommunizieren.

Eine Blut-und-Boden-Ideologie hat sich stets als ahistorisch und schädlich erwiesen. Selbst das nationalsozialistische Gerede vom ‚Lebensraum im Osten‘ löst das Verständnis der Heimatverwurzelung auf. Wir finden ein gedankliche Verknüpfung zum Raum vor allem im Islam, der es darauf anlegt, Territorien zu besetzen. Dagegen ist ein Ausweis eines Territoriums als Ort der Souveränität, Geschichte und Schutzraum nicht apriori als rassistisch zu denunzieren.   Denn die Völker wanderten in der Geschichte, amalgamierten und erfanden sich neu. Völker sind überwiegend durch eine unscharf begrenzte Kulturgeschichte, durch tradierte Werte und in den letzten Jahrhunderten durch eine Staatsorganisation definiert. Das Fehlen von scharfen Abgrenzungskriterien führt nicht zu einer Ablehnung des Begriffes Volk, sondern versucht diesen mit Inhalt zu füllen. Vielleicht hilft das Verständnis als Konglomerationspunkt, der auch ohne scharfe Abgrenzung auskommt und am Selbstverständnis des Einzelnen ansetzt. Die Alternative wäre die unstrukturierte Vermischung ohne Profil, die zu einem undifferenzierten Brei der Kulturgeschichten, Werte und Entwicklungsoptionen verkommt – die sich gerade allen kulturellen Erbes entschlägt und Werte erodieren lässt. Die Frage der Identität kann, muss aber nicht, mit der Frage der ethnischen Zugehörigkeit eng verknüpft werden.

Wohl gemerkt: Ein Wertewandel muss keineswegs stets negativ zu konnotieren sein, denn eine dynamische Entwicklung kann durchaus auch als kulturelle Leistungsfähigkeit verstanden werden, die die Identität ausmacht. Ein Sich-stellen der gewandelten Herausforderungen ist darum durchaus wünschenswert, ohne die eigene Herkunft und das kulturelle Erbe zu verraten. Die Werte eines Volkes lassen sich in der Regel nicht scharf abgrenzen, sondern stellen zumeist ein Bandbreite dar, die intuitiv erfasst werden kann. So kann der Wert der Toleranz andersdenkender klar als konstitutiv der westlichen Kulturen verstanden werden, die es in vielen anderen Völkern so nicht gibt.

Der Mensch ist als Individuum überfordert, sich stets selbst neu zu erfinden, sondern entwickelt sich in kritischer Auseinandersetzung mit einer tradierten Kultur, in dem er diese mehr oder minder bewusst adaptiert oder  sich von dieser distanziert.  Schlicht nur bestimmten kulturkritischen Strömungen (Antithese) zu folgen ohne vergleichbare Werte dagegen zu setzen (Synthese), halte ich für inhuman, selbstzerstörerisch und lehne dies ab. Eine Weiterentwicklung der eigenen Kultur – auch im Dialog mit anderen Einflüssen – ist aber weit vorzüglich gegen einem starren Festhalten einer illusioniert und statisch gedachten Kultur. So im Sinne des Briefes an die Thessalonicher: Prüft alles, das Gute behaltet.  Das schließt für mich das bewährte Tradierte, wie wohl das Innovative ein.

Möglicherweise denken viele ähnlich wie ich. Möglicherweise knüpfen andere – hier ale Rechtextreme bezeichnet – an dieser Einstellung an und schieben ein anderes Gedankengut darunter. Möglicherweise wollen Meinungsgegner mir aber bereits jene rechtsextreme Einstellung unterstellen und den Gedanken an sich diskreditieren, weil sie einer gegensätzlichen Agenda folgen. Dann aber sind vielleicht jene, die hier pauschal als rechtsextrem verfemt werden, vielleicht selbst keineswegs das, wofür sie gehalten werden.

Nationalismus und Rassismus

Der Verdacht, dass mit Ethnie und Nation auch der Begriff der Rasse gemeint ist, wird oft geäußert und im Diskurs beinahe inflationär vermengt und synonym gebraucht, zumal die Rassismusdefinitionen oft so wenig trennscharf sind, dass man kaum noch von einem klaren Sachverhalt sprechen kann.  Zuweilen wird die Religion, die man bekanntlich wechseln kann, oder die sexuelle Orientierung als Kriterium von Diskriminierung in die Rassismusdefinition eingebracht. Hier will ich auf einen engeren pragmatischen Ansatz von Karim Dabbouz in seinem Artikel Wenn von der Islamkritik nur noch Rassismus übrig bleibt ausgehen:

wenn ich von ethnisch oder Ethnie spreche, meine ich die Volkszugehörigkeit im Sinne natürlich wahrgenommener Abstammung.

Der Begriff des Volkes oder Ethnie hat hier eine negative Bestimmung, die an einen Reinheitsbegriff erinnert, der die Schrecken der Vergangenheit heraufbeschwört. Tatsächlich gibt es immer und allenthalben Impulse im einzelnen Menschen und der Gesellschaft, dass augenfällige Ähnlichkeiten zum Gruppen- und Ausgrenzungsmerkmal werden. Auch in der Tierforschung kann man derartige Verhaltensmuster beobachten.

Der Begriff Volk und Ethnie bleibt aber stets unscharf. Wikipedia  definiert:

Ethnie oder ethnische Gruppe (von altgriechisch ἔθνος éthnos „[fremdes] Volk, Volkszugehörige“) ist ein in den Sozialwissenschaften (insbesondere der Ethnologie) verwendeter Begriff. Er bezeichnet eine abgrenzbare soziale Gruppe, der aufgrund ihres intuitiven Selbstverständnisses und Gemeinschaftsgefühls eine Gruppenidentität als Volksgruppe zuerkannt wird. Grundlage dieser Ethnizität können gemeinsame Eigenbezeichnung, Sprache,  AbstammungWirtschaftsordnung, Geschichte, Kultur, Religion oder Verbindung zu einem bestimmten Gebiet sein.

Wichtig erscheint hier die Betonung auf intuitives Selbstverständnis das sich als Bekenntnis der Zugehörigkeit darstellt.  Dies ist zunächst eine innere positive Orientierung auf einen Bezug hin und lässt sich nur bedingt als Ausgrenzungsmerkmal identifizieren, da hier eben jene scharfen Grenzen fehlen. Darum ist auch die Unterstellung von Kritikern jenes Konzeptes, dass es sich um eine imaginierte Homogenität ginge, absurd. Woran sollte sich dann jene Homogenität festmachen?

Die Unterstellung, dass Ausgrenzung bei einigen Menschen das prägende Motiv ist, das stark Einstellungen bestimmt, ist nicht leicht vom Tisch zu wischen. Eine Bezeichnung jener als Rassisten sollte damit durchaus begründet gelten.

Aber es gibt sehr wohl die Reflektion oder ein anderes Empfinden, die keineswegs derartigen Impulsen zum Opfer fällt. Die einfache Kenntnis von integrierten Menschen aus erkennbar anderen Kulturkreisen, die aber völlig respektabel ihr Leben leben, gar unter Verfolgung ihrer Landsleute leiden, oder schlicht nur durch lange zurückliegende Migration ein anderes Erscheinungsbild haben, aber die gleiche Kultur teilen, sollte jenen Spuk beenden. Fahrt nimmt die Differenzierung erst dann auf, wenn durch ausdrückliche Segregation des sich selbst als Fremden stilisierten jene gemeinsame Identität verhindert.

Wer für rassistische Ansätze gar nicht anfällig ist, wird sich mit dem allgegenwärtigen Verdächtigungen dennoch konfrontiert sehen. Im Besonderen, wenn er aus anderen, wohl begründeten Argumenten zu Einstellungen kommt, die man auch mit einem rassistischen Motiv in Verbindung bringen kann. Dann wird der Rassismusvorwurf zur Manie, der jedweden Diskurs verhindert.

Ferner ist von einem Protorassismus auszugehen, der vor Allem mit der Political Correctness kollidiert. Manche losen Äußerungen und fragwürdige Wortwahlen rechtfertigen durchaus den Verdacht, dass sich hier problematische Grundeinstellungen offenbart. Oft aber ist dies gerade kein ausgeprägter Rassismus, der das Handeln prägt, sondern ein Impuls, der durch die Political Correctness lediglich nicht ausgefiltert wurde, aber ansonsten weitgehend folgenlos bleibt. Ein Fixierung auf derartige Vergehen und die unabgestufte Einschätzung als absoluten Rassismus verwischt aber die Unterschiede zu manifestem Rassismus, der gefährliche Ausmaße annehmen kann. Wenn der Diskurs sich dann darauf beschränkt, die Political Correctness von Äußerungen zu prüfen und selbst bei fehlenden Verstößen über wilde Assoziationen dann dennoch ein Verstoß zu konstruieren, ist aber kaum noch von einer konstruktiven Debatte zur Lösung diverser realer Probleme auszugehen.

Untersuchungen zum Begriff Ethnopluralismus

Der Brockhaus in 24 Bänden von 1997 kennt diesen Begriff nicht. Wikipedia  klassifiziert diesen als Begriff der Neuen Rechten.

Historische Wurzeln können bereits bei Carl Schmitt gesehen werden, der von einem Pluriversum gleichberechtigter, in sich (relativ) homogener Völker ausging. In den Betrachtungen zur „geistesgeschichtlichen Lage des heutigen Parlamentarismus“ hatte Schmitt 1923 argumentiert, zur Demokratie gehöre innere Homogenität und gegebenenfalls die Ausschaltung des Heterogenen.

Begriff und Konzept des Ethnopluralismus gehen im Wesentlichen auf Henning Eichberg zurück, der als einer der führenden Köpfe der Neuen Rechten beides in den 1970er Jahren als sog. „nationalrevolutionäre Befreiungsphilosophie“ entwickelte.

Einer der bekanntesten Vordenker des Ethnopluralismus ist der Rechtsintellektuelle Alain de Benoist, der wichtigste Denker der französischen Nouvelle Droite, in dessen Theoriezirkel GRECE das Konzept des ethno-différencialisme maßgeblich geprägt wurde. Von de Benoist wurde der Ethnopluralismus damit begründet, dass „jedes Volk, jede Kultur ihre eigenen Normen“ habe, dass „jede Kultur eine sich selbst genügende Struktur“ bildet und dass jedes Individuum primär durch seine „kulturelle“ und „völkische“ Zugehörigkeit bestimmt sei.

In der Darstellung von Wikipedia mischen sich sachliche Informationen mit einer wertenden Darstellung, die das Konzept insgesamt diskreditieren wollen. Als Quellen werden überwiegend jene gewählt, die das Konzept ablehnen und ihrerseits bereits die Analysen mit Negativassoziationen spicken. Die Vertreter dieser Ansicht kommen nicht oder nur fragmentarisch zu Wort.

Persönlich lehne ich einen den Begriff ‚völkisch‘ als an eine vermeintliche genetische Homogenität insinuierenden Begriff ab. Jeder Mensch ist verschieden, eine Vermischung in genetischer Hinsicht ist so weit verbreitet, dass das Konzept, z.B. der Arier, weitgehend absurd ist und lediglich einer negativen Wertbestimmung Tür und Tor öffnet. Ist aber diese Assoziation tatsächlich den Begriff prägend und charakterisierend? Selbst Wikipedia behauptet dies trotz der Andeutungen nicht. Dabei bleibt dahin gestellt, ob Wikipedia, in er sich immer bestimmte weltanschauliche Gruppen durchsetzen, stets die Deutungshoheit über die Begriffe haben sollte.

Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) unterstützt alle interessierten Bürgerinnen und Bürger dabei, sich mit Politik zu befassen. Ihre Aufgabe ist es, Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern, das demokratische Bewusstsein zu festigen und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stärken.  Grundsätze sind Überparteilichkeit und wissenschaftliche Ausgewogenheit. Diese Bildungsaufgabe beansprucht sie in eigener gesellschaftspolitischer, pädagogischer und publizistischer Verantwortung zu erfüllen. Darum kann man erwarten, dass eine sachliche Darstellung zum Begriff Ethnopluralismus zu finden ist:

Mit dem Begriff „Ethnopluralismus“ bezeichnet die sogenannte Neue Rechte ein Theoriekonzept, das den für Rechtsextreme typischen Rassismus neu und weniger angreifbar begründen soll. Kritiker nennen ihn einen „Rassismus ohne Rassen“.

Mit dieser Eingangserklärung, die sich von Wikipedia nicht erkennbar unterscheidet, wird aber der Zweifel am Anspruch der bpb erkennbar, dann sie charakterisieren das Urteil bereits vor einer neutralen Darstellung jenes Konzeptes, das ja genau das nicht sein will. Wie kann es sein, dass man hier ein negatives Motiv feststellen kann, bevor man sich mit dem Inhalt überhaupt beschäftigen hat? Ein weitergehender Aufsatz auf dieser Plattform Kulturelle Homogenität und aggressive Intoleranz. Eine Kritik der Neuen Rechten wird separat besprochen.

Es bleibt damit unabdingbar, auch die originalen Quellen der Vertreter jenes Begriffes zu sichten, denn in einer aufgeladenen Debatte ist es kein Diskurs, unkritische einer Partei zu folgen, sondern erfüllt den Verdacht der Propaganda. Nur ängstliche Menschen werden die Berührung zu den Quellen meiden wie der sprichwörtliche Teufel das Weihwasser.

Selbstverständnis der Vertreter

Die im o.g. Verfassungsschutzbericht so charakterisierte identitäre Bewegung (IB) beschreibt ihr Verständnis so:

Unter Ethnopluralismus verstehen wir die Vielfalt der Völker, wie sie sich über Jahrtausende entwickelt hat. Wir setzen diesen Begriff bewusst als positiven Gegenentwurf zur heutigen One-World-Doktrin ein, um zu verdeutlichen, dass eine rücksichtslose globalistische Entgrenzung diese Vielfalt bedroht. Es gibt ein Recht auf Verschiedenheit. Jede Ethnie hat das Recht, ihre Kultur, ihre Bräuche und Traditionen, also ihre ethnokulturelle Identität, zu erhalten. Wir treten für diesen Erhalt ein, hierzulande und in der Welt. Immer wieder wird der Begriff Ethnopluralismus fälschlicherweise als weltweite Apartheit ausgelegt. Das ist ungefähr so richtig, als wenn man den amerikanischen Ureinwohnern Rassismus vorwerfen wollte, weil sie sich gegen die Landnahme der Europäer wehrten. Ethnopluralismus bedeutet lediglich: bewahren, nicht zerstören; Unterschiede wertschätzen, nicht nivellieren.

Diesem Text kann ich völlig zustimmen. Allerding lässt er Fragen offen, wie es dann um eine mögliche Ausgrenzung, Integration und Dialog bestellt ist. Eine Unterstellung, dass hier nur Übles verbrämt wird, lässt sich durch diesen Text nicht bestätigen, aber auch nicht völlig ausschließen.

Ein Text der IB von Martin Sellner grenzt sich gegen den Nationalismus ab –  und scheint so gar keinen Bezug zur Darstellung im Verfassungsschutzbericht und in Wikipedia zu haben: Nationalismus revisited. Ich habe diesen Text einer ausgiebigen Besprechung zugewiesen.  Ich sehe als berechtigte Kritik des Textes vor allem die Auslassung, den Begriff der Ethnie und der dazu gehörenden Kriterien im Nebel zu belassen. Dennoch erscheint die Distanzierung vom Nationalismus  ernst gemeint und gut begründet. Die Unterstellung des Gegenteils passt da nicht und ist darum als üble Propaganda zu werten, egal ob die Verfasser des Verfassungsschutzberichtes, von Wikipedia oder de bpb derartige Behauptungen entgegen der Konzeptdarstellung dafür stehen.

Der Identitären Bewegung und dem Ethnopluralismus muss es um die Überwindung dieses Denkens gehen. Es darf nicht nur mit neuen Begriffen und Logos übertüncht werden. Es geht hier nicht darum, anderen zu gefallen oder um abgehobene akademische Debatten. Das nationalistische Denken hat den Völkern Europas schwer geschadet. Es ist mitverantwortlich für den großen, selbstzerstörerischen „Bürgerkrieg“ der Moderne.

Es soll lediglich ein kurzer Auszug das vertiefen:

 Es äußert sich in jeder Weigerung, den Gegner zu entmenschen und in die billige Hetze mancher Rechten einzustimmen, in der bewussten, wachen und kritischen Übernahme der Tradition, nicht ihrer dumpfen und unterschiedslosen Vergötzung. Vor allem äußert es sich darin, dass wir nach wie vor auf der Suche sind und nicht einmal den Anschein erwecken wollen, dass wir „fertige Antworten haben“. In diesem Sinne ist auch die 4. politische Theorie zu verstehen, die, wie Dugin sagt, kein fertiges Konzept, sondern eine „richtig gestellte Frage“ ist. Diese Frage geht über das Volk hinaus, niemals aber vergisst sie auf das Volk. Wie ein Baum, dessen Äste in den Äther dringen, niemals ohne seine Wurzeln, die tief im Boden verhaftet sind, stehen kann.

Der Umgang mit dem Vorwurf der Ausgrenzung bleibt allerdings nicht diskutiert. Allerdings sollte die Gegenfrage erlaubt sein, ob man beliebige Vorwürfe machen kann, wenn man diese nicht substantiiert und erst durch Unterstellung konstruiert.

Immerhin, der Hessische Verfassungsschutzbericht 2017 widmet der Identitären Bewegung ganze 8,5 Seiten (39 bis 47) von 250. Eine genaue Lektüre zeigt allerdings nichts, was die Einschätzung des Verfassungsschutzes rechtfertigen würde außrer den Umdeutungen, dass angeblich mit dem Begriff Ethnie und Volk doch so etwas wie Rasse gemeint sei. Auch bei direkten Zitaten gibt es keine Anhaltspunkte:

Das Recht auf Widerstand in unserer jetzigen Situation rechtfertigt zivilen Ungehorsam, keine Gewalt.“

Es fällt schwer, darin irgend einen Extremismus zu erkennen, zumal keinerlei Straftaten und auch keine Gewaltbereitschaft von der IB berichtet wurden.

Anders dagegen der bundesdeutsche Verfassungsschutzbericht 2017  unter der Überschrift ‚Verdachtsfall „Identitäre Bewegung Deutschland“
(IBD)‚ Seiten 80 und 81 , von 350.  In der Fußnote wird darüber Informiert, dass eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz noch eine gerichtliche Klärung anhängig ist. Aber auch hier wird behauptet:

Die IBD bekennt sich offen zum Konzept des Ethnopluralismus, wonach die Idealvorstellung einer staatlichen beziehungsweise gesellschaftlichen Ordnung in einem ethnisch und kulturell homogenen Staat besteht. Vor diesem Hintergrund lehnt die IBD den sogenannten Multikulturalismus ab, da dieser bewusst eine Heterogenisierung der Gesellschaft fördere und das Konzept der Integration aushebele. Die IBD will Zuwanderung vielmehr nach ethnisch und völkisch-abstammungsmäßigen Kriterien steuern.

Dazu liegt eine Stellungnahme der IB vor:

Einmal mehr wird das Konzept des Ethnopluralismus als eine Idealvorstellung des ethnisch und kulturell homogenen Staates bewusst fehlinterpretiert. Die Identitäre Bewegung hat nie von absoluter, sondern von relativer Homogenität gesprochen. Die historischen Entwicklungslinien in Mitteleuropa, die auch immer durch Migrationsströme und Einwanderung geprägt waren, sind evident und dennoch sind Staaten, Nationen und Völker immer durch ihre Exklusivität und Grenzziehung gekennzeichnet gewesen, die sich aus einem identitären Mosaik aus ethnischer Herkunft, Kultur, sozialen Normen, Sprache und Geschichte ergeben. Einen Staat lediglich als beliebigen Personenzusammenschluss ohne gemeinsam verbindendes Element darzulegen, ist eine reichlich absurde Vorstellung, die auch gewiss nicht im Sinne der Väter des Grundgesetzes stand. Ein bindendes – wenn auch kein absolut gültiges – Element bleibt jedoch auch die gemeinsame Herkunft und tradierte Geschichtslinie. Daher lehnt die IB das Konzept des Multikulturalismus ab.

Dies ist erkennbar in deutlicher Distanz zum Verfassungsschutzbericht. Allerdings bleibt hier die Abgrenzung unscharf. Sind integrationswillige Migranten grundsätzlich befähigt, auch Deutsche zu werden? Wenn ja, ab wann? Wenn nein, warum nicht? Wegen der Herkunft?

 

 

 

 

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