Andreas Körber zur Debatte um „Deutsche Kultur“ – Eine Replik

Mit Das Unbehagen mit Volk und Leitkultur habe ich bereits eine Bestimmung zu dem kontroversen Thema geliefert. Quentin Quencher hat auf Glitzerwasser ebenfalls einige Gedanken veröffentlicht: Ein neues Sinnbild für Deutschland.

Zum Thema hat Andreas Körber (AK) hat auf L.I.S.A. Wissenschaftsportal der Gerda-Henkel-Stiftung neben mehreren anderen empfehlenswerten Beiträgen, im Besonderen von

einen Beitrag geliefert, der m.E. einer Diskussion bedarf. Unglücklicherweise sind oft die hervorragenden Beiträge, zu denen man kaum mehr als applaudieren kann, weniger der Anlass der Auseinandersetzung als jene, die eben nicht auf Zustimmung stoßen. Somit dienen gerade die fragwürdigen Darstellung der Schärfung der eigenen Gedanken:

AK: ‚Ein geschlossener, hermetischer Kulturbegriff, der Individuen nur als Angehörige einer einzigen Kultur begreifen kann und diese als in sich homogen, sollte spätestens mit dem Kulturkonzept von (u.a.) Klaus-Peter Hansen und Stefanie Rathje überwunden sein‘

Ich frage mich, wie ein derartiger Kulturbegriff überhaupt von einem reflektierten Menschen vertreten werden konnte. Immerhin sind auch antike Kulturen nie so homogen gewesen, dass ein geschlossener Kulturbegriff jemals sinnvoll war. Der Verdacht liegt nahe, dass hier ein Strohmann konstruiert wird, der dann zum Abfackeln bereit gemacht wird.

AK: ‚Kultur(en) sind somit immer in einem (gewissermaßen inneren wie äußeren) Plural zu denken: Jede(r) von uns hat mit jeweils unterschiedlichen anderen Menschen Gemeinsamkeiten kultureller Art, die sich Sozialisationsprozessen und historischen „Prägungen“ verdanken – und andere mit anderen.‘

Diversifizierende Gemeinplätze sind wenig geeignet, die Erkenntnisse identitätsstiftender Befindlichkeiten analytisch herauszuarbeiten. Es geht eben nicht darum, dass Rauschen zu identifizieren, sondern das Signal im Rauschen zu finden.

AK:’Wer diese Einsicht(en) gewonnen hat, kann nicht mehr davon ausgehen, dass aufgrund irgendeiner selbst oder fremd formulierten kulturellen „Zugehörigkeit“ eine ganz bestimmte Art des Denkens, Fühlens, Glaubens, Handelns und Wertens erwartet werden kann – und zwar nicht nur im Sinne von Verlangen oder Anspruch (s.o.), sondern auch im Sinne einer Mutmaßung, dass etwas so sei.‘

Das zeigt lediglich, dass dieses Verständnis ein ungeeigneter Ansatz ist, sich dem Thema zu nähern.

AK: ‚“Kultur(en)“ sind eben nicht nur analytische Konzepte, sondern wirksame Denkmuster (ich sage: Sinnbildungsmuster; vgl.Körber 2010) der Vergesellschaftung.‘

Eben! Und darum ist es falsch, über ungeeignete Ansätze diesem Phänomen nahe kommen zu wollen.

AK: ‚… unsere kulturellen Standards, also diejenigen Aspekte des Denkens, Welt-Wahrnehmens, Glaubens, Fühlens, etc., die insofern kontingent sind, als andere Menschen sie auch anders haben beziehungsweise tun können, die von uns im Alltag aber nicht immer reflektiert werden, weil sie gewissermaßen „selbstverständlich“ geworden sind, dass diese Aspekte ja weder von allen Menschen einheitlich vollzogen werden (das ist in der Prämisse schon gesagt), aber auch nicht zufällig zwischen allen Individuen verteilt sind, sondern nach bestimmten „patterns“, die etwas mit Sozialisation und Kommunikation sowie Gemeinsamkeit zu tun haben‘

Das Problem ist hier die Ansicht, dass die Werte und damit auch die Kultur kontingent – also zufällig (im Gegensatz zu notwendig), beliebig, wirklich oder möglich aber nicht wesensnotwendig – seien. Es ändert nichts daran, die persönliche Notwendigkeit innerhalb einer Kultur zu erkennen, sondern die Frage betrifft die vermeintliche Kontingenz der Kultur schlechthin. AK versteigt sich darin in das falsche Dilemma, dass es eine Polarität zwischen einer strukturlosen und statischen Notwendigkeit gäbe und einer kontingenten Beliebigkeit. Auch wird keine Einheitlichkeit impliziert, sondern ein Begriffsfeld einer Wolke, die erhebliche Freiheitsgrade impliziert.

Passender ist es eher, von der Varianz funktionierender Systeme, z.B. eines Proteins auszugehen. So ist ein Protein wie z.B. Cytochrome b sehr komplex und an der Atmungskette, in Chloroplasten an der Photosynthese oder im Steroidstoffwechsel beteiligt. Ohne Cytochrome b gibt es kein Leben wie wir es kennen. Aber es gibt zigtausende funktionale Varianten dieses Proteins. Es ist somit zugleich notwendig, als auch nicht in einer bestimmten Ausprägung erforderlich. Diesen Umstand als ‚kontingent‘ zu bezeichnen, trifft hier genau so wenig wie für Kultur und Werte zu. Die Existenz von Varianten und Vielfalt ändert nichts an der Notwendigkeit der Kultur. Und selbstverständlich gibt es Kulturen, die in Hinsicht auf bestimmte Merkmale und Anforderung funktional und effizient sind, oder eben dysfunktional. Um im Bild zu bleiben: Braucht der Organismus möglichst viele Varianten von Cytochrome b? Kann er überhaupt mit einer Vielzahl derartiger Varianten zurecht kommen?

AK: ‚Macht es nicht einen Unterschied, ob ich den Begriff „Kultur“ (a) analytisch gebrauche, um die Wahrnehmung von (partieller, s.o.) Gemeinsamkeit auszudrücken, um etwa festzustellen, dass die jeweilige (weil veränderliche) deutsche Gesellschaft durchaus bestimmte Gemeinsamkeiten im Umgang miteinander und mit der Welt ausgeprägt hat, die nicht nur sprachlicher Natur sind, oder ob ich ihn (b) in dem Sinne normativ gebrauche, dass ich bestimmte Formen des Umgangs mit Welt und Kontingenz in einer solchen Gesellschaft für wünschenswert und zu pflegen (kultivieren) halte, oder ob ich (c) sie in einem anderen Sinne normativ verwende, dass ich nämlich ihre Einhaltung einfordere mit der enthaltenen Drohung, eine Abweichung gewissermaßen als Grund für Exklusion aus der Gemeinschaft (oder für Strafen) zu verwenden?‘

Diese Frage gilt nun … wo? Kulturspezifisch hier und jetzt? Oder kulturübergreifend überall, gewissermaßen objektiv? Kultur nur analytisch oder deskriptiv zu betrachten mag von akademischem Interesse sein, bleibt aber stets außen vor und vermeidet den spezifischen Charakter der Kultur, nämlich durchaus normativ zu wirken. Die Unterschiede zwischen dem ‚Normativen‘ nach (b) oder (c) ist aber ein künstlicher. AK unterscheidet hier den Grad der Normdurchsetzung, die sicherlich eher ein Kontinuum, weniger einen qualitativ unterschiedlichen Bezugsrahmen ergibt. Und dann verlassen wir den Raum von einer externen Betrachtung von beliebigen Kulturen, sondern wechseln in den Raum der Kultur, der Innensicht. Denn die Beantwortung dieser Frage ist in hohem Maße von den kulturprägenden Werten abhängig, die es eben nur im kulturellen Kontext gibt. Im Rahmen der pluralen Gesellschaft fordert die Leitkultur einen weitgehend nicht-restriktiven Umgang mit unterschiedlichen Wertvorstellungen. Damit ist auch schon gesagt, was hier deutsch ist: Die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO) formuliert die Werte aus, die das deutsche Selbstverständnis prägt.

Die Frage, die AK hier meint, ist die Frage, ob Kultur auch konsistent im Kontext der FDGO gedacht wird. Aber auch die FDGO kennt Grenzen der Freiheit. Inkompatibles Verhalten und Ansichten sind jene, die die Grenzen des Freiheitsraums überschreiten.

AK: ‚Im Sinne von (c) von „deutscher“ Kultur zu sprechen, dass daraus ein Exklusions- oder sanktionsbewehrter Anspruch an das Verhalten des Einzelnen abgeleitet wird (wer nicht xx so sieht/denkt/fühlt/glaubt/wertschätzt etc., wie „man“ es „als“ Angehörige(r) der Gruppe xx – hier: der „Deutschen“ – tut, gehört nicht dazu, nicht hierher, sei zu deportieren, etc.) -, ist ein theoretisch unplausibler und auch unter humanistischen Gesichtspunkten unzulässiger Gebrauch des Kulturbegriffs. Dies ist der Kulturbegriff des „Leitkultur-Konzepts“.‘

Hier formuliert AK sein Strohmann-Argument aus. Er projiziert ein restriktives Verhalten auf den Begriff ‚Leitkultur‘, den weder Bassam Tibi so gemeint noch beschrieben hat, noch viele, die diesen Begriff aufgriffen. Denn Leitkultur meint offensichtlich eine verbindende Kultur über eine Pluralität von Kulturen. AK deutet ihn in eine restriktive Monokultur um.

Allerdings gibt es tatsächlich kulturelle Grenzen. Wenn man es als eine kulturelle Eigenheit hält, aus Gründen verletzter Ehre Töchter zu töten, oder Ungläubige zu köpfen, dann ist das in unserer Kultur absolut nicht zu tolerieren. Wir haben keine Beliebigkeit der Werte, sondern stecken einen Freiheitsrahmen ab. Im Einzelfall kann es zu kontroversen Ansichten kommen, aber das Prinzip sollte bereit eine Selbstverständlichkeit sein.

AK: ‚Wo ich vielfältige, sich durchdringende und überlappende, nicht aber in ihrer Gesamtheit verpflichtende Gemeinsamkeiten als Kultur(en) oder Kulturalitäten anerkenne, müssen sie auch normativ verhandelt werden können.‘

Verhandelt werden hört sich so an, dass natürlich auch über jene Werte diskutiert werden kann und muss. Das ist auch zum Kernbestand unserer Kultur zugehörig. Nicht irgendwelche Autoritäten, ob nun klerikal oder durch die schiere Macht legitimiert, setzen den normativen Rahmen, sondern dieser wird im gesellschaftlichen Diskurs aktualisiert. Eine Verhandlung dieser Leitkultur, dass man gleichberechtigt eine repressive Kultur in Co-Existenz im gleichen Raum duldet, erscheint absurd. An dieser Stelle gibt es auch keine Verhandlungen mehr, und hier ist die Leitkultur auch notwendig restriktiv.

Kurz: Leitkultur ist mehr als nur die Spielregel zum Abgleich pluraler Kulturen, sondern erlegt auch jenen, die partizipieren wollen, feste Grenzen und einen Minimalkonsens an Werten auf. Freilich, in dem aber ausdrücklich die Freiheitsräume für einen weiten Bereich an Ansichten konstituierend sind.

AK: ‚Eine Feststellung, dass es kulturelle Formen, Gemeinsamkeiten des Denkens und Handelns, des Sich-Verhaltens gibt, die eben nicht irgendwo, sondern in Deutschland entstanden sind (und die eben auch nicht nur positiv sein müssen: der analytische Kulturbegriff greift auch „Un“-Kultur, also nicht zu kultivierende, sondern zu überwindende Gemeinsamkeiten), und für die man etwa von einer deutschen (nicht: „Deutschen“) Erinnerungskultur etc. sprechen kann, ist m.E. gerechtfertigt,‘

Das erscheint geradezu widersprüchlich zum vorher gesagten, das den Kulturbegriff in der Konsequenz negierte und in beliebigkeit auflöste. Es geht mir hier nicht darum, den Autor der Inkonsistenz anzuklagen, sonder die Inkonsistenz weiter Teile jener zu erkennen, die ähnlich argumentieren. Sie versuchen mit den Begriffen der kulturellen Werte, die im Besonderen den Deutschen zu eigen sind, einen Wertekanon zu konstruieren, diesen aber für wesensverschieden von dem darzustellen, was gemeinhin mit Leitkultur gemeint sind. Tatsächlich sind in weiten Teilen kaum signfikante Unterschiede zwischen diesen Vorstellungen erkennbar und der vorgebliche Unterschied nicht substanziell. Durch die Verweigerung, aber jene Werte im Diskurs auch transparent zu machen, statt dessen einer breiigen Diversifizierung das Wort zu reden, ist denkbar kontraproduktiv.

Nun: In welchem Sinne hat Frau Özoguz das Konzept abgelehnt? Meint Sie: es gibt keine „Deutsche Kultur“ mit großem D? Worüber sprechen die anderen? Und worüber ich?

In der Tat scheint AK zusammen mit Frau Özoguz eine Position zu vertreten, die bestenfalls auf einem falschen Dilemma oder einer großen Konfusion beruht. Man fühlt sich bemüßigt, gegen Strohmänner zu kämpfen, irgendwelchen sinistren Gestalten ein Zerrbild einer Deutschtümelei anzudichten, um dann mit einem Anti-Bild in den ideologischen Kampf zu ziehen. Das Thema selbst bleibt dann auf der Strecke.

Würde man allerdings der Überzeugung sein, Frau Özoguz wüsste genau, was sie tut, dann müsste man ihr einen kulturzersetzenden Plan attestieren. Und das ist keineswegs zu unterstützen oder unkritisch hinzunehmen.

 

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