Die Bertelsmann Stiftung gibt wohl jährlich einen Populismusbarometer mit wissenschaftlichem Anspruch heraus. So auch 2020 … aber wie wissenschaftlich ist diese Studie? Oder handelt es sich doch eher um eine Propaganda-Schrift ohne Mehrwert? Die Probleme fangen vor allem in der Definition an: Wovon wird überhaupt gesprochen? Der Duden erklärt:
[Populismus:] von Opportunismus geprägte, volksnahe, oft demagogische Politik, die das Ziel hat, durch Dramatisierung der politischen Lage die Gunst der Massen (im Hinblick auf Wahlen) zu gewinnen
Duden
Hier finden wir eine eindeutig negative Konnotation, die sich kaum von der Definition von Demokratie abgrenzen lässt. ‚Opportunismus‘ erklärt dieser als: ‚allzu bereitwillige Anpassung an die jeweilige Lage aus Nützlichkeitserwägungen‚ – wohl eher im Gegensatz zur Prinzipientreue und Wertebezug. Und was ist die ‚Dramatisierung‘? Wohl eher, wenn die persönliche Einschätzung weniger Dramatisch ist … oder man gar dem so Bezeicheten unterstellt, dass er die Lage für weniger dramatisch hält, als er sie wegen der vorgeblichen Nützlichkeit darstellt. Die ‚Studie‘ benutzt allerdings völlig andere Kriterien, als der Duden. Damit wird der Begriff zur Beliebigkeit und im Grunde ohne jeweils die Definitionen zu nennen, leer. Das trift im Besonderen auch der Negation des Begriffs zu, den die Studie erfindet.
Dieses Essay beschäftigt sich mit der aktuellen Studie und schreibt somit Populismus – Ein Kunstbegriff? fort.
Populismus-Definitionen
Die Studie versucht, die Neigung zum ‚Populismus‘ zu messen. Dazu verwendet sie dies Definition:
Populismus als eine bestimmte Idee von Demokratie ist definiert durch die Unterscheidung zwischen einem
Populismusbarometer 2020
„wahren Volk“ und „korrupten Eliten“, die Idee eines allgemeinen Volkswillens und die Idee gesellschaftlicher Homogenität.
Diese Formulierung unterscheidet sich nicht nur von der Erklärung des Duden fundamental, sondern auch von den anderen verfügbaren Definitionen:
Der Ausdruck wird dann schlagwortartig gebraucht, um eine Manipulation und Instrumentalisierung der Bevölkerung für eigene Zwecke zu kritisieren. Er steht unter anderem für den Vorwurf, mit leeren oder unrealistischen Versprechungen Wählerstimmen gewinnen zu wollen, für persönliches Machtstreben und mangelndes Verantwortungsbewusstsein für die politische Zukunft des Landes und seiner Bürger. …
In den Sozialwissenschaften gibt es drei grundsätzliche Ansätze zum Verständnis von politischem Populismus: 1.) als („dünne“) Ideologie, 2.) als Strategie, 3.) als Stil; oder als Gesamtheit dieser drei Elemente.[6]
https://de.wikipedia.org/wiki/Populismus
Die Encyclopedia of Democracy definiert Populismus als eine „politische Bewegung, die die Interessen, kulturellen Wesenszüge und spontanen Empfindungen der einfachen Bevölkerung hervorhebt, im Gegensatz zu denen einer privilegierten Elite. Um sich zu legitimieren, sprechen populistische Bewegungen oft direkt den Mehrheitswillen an – durch Massenversammlungen, Referenden oder andere Formen der direkten Demokratie –, ohne großes Interesse für Gewaltenteilung oder die Rechte von Minderheiten.“
Auch hier ist eine klare Abgrenzung zum demokratischen Prinzip nicht erkennbar. Es stellt die Demokratie in einem Licht dar, wie die Aristokraten den Kampf für Demokratie charakterisieren. Die Behauptung, dass Gewaltenteilung oder Minderheitenrechte keine Interessen seien, ist zunächst eine negative Zuschreibung an die so Bezeichneten, die jeweils des Beleges bedürfte. Zumeist will der Vorwurf an jene, die des Populismus bezichtigt werden, ja deren Minderheitenrechte marginalisieren.
Populismus kann als eine besondere politische Logik definiert werden. Im Zentrum steht die Idee, dass die Macht dem Volke gehört und dass die Politik Ausdruck des Volkswillens sein soll. Populismus idealisiert das Volk und baut Feindschaft zur Elite auf. Hier fungiert der Führer als Stimme des Volkes. Populismus erzählt die Geschichte des von der Elite betrogenen Volkes: Durch den Anführer merkt das Volk, dass es von der korrupten Elite unterdrückt wird, und geht den Weg seiner Befreiung, an dessen Ende, so verspricht es der Populismus, die Macht dem Volke zurückgegeben wird.
Dr. Paula Diehl in Bundeszentrale für politische Bildung
Auch hier ist die Abgrenzung zum demokratischen Prinzip, im Besonderen des Wesens der Opposition nicht erkennbar. Denn es gehört zu dem Grundverständnis, dass die Opposition eben den Kurs der Regierung nicht für richtig hält. Die Darstellung dieses Prinzips stellt eine ins negative gehende Verzerrung dar. Abhängig davon ist die Frage, ob die herrschende Elite denn tatsächlich den Willen des Volkes repräsentiert oder tatsächlich die Macht durch Manipulationen und Propaganda erworben hat. Sollte letzteres zutreffen, ist der Vorwurf des Populismus nicht mehr als Propaganda, der automatisch unterstellt, dass die nicht der Fall sei.
Ist Populismus also nur der politische Kampfbegriff, um die Opposition zu marginalisieren?
Kriterien des Populismus
Woran also messen die Autoren der Studie den Populismus? Immerhin behaupten sie ja einen abschwellenden Populismus der politischen Mitte auszumachen. Dies ist angesichts der Tatsache, dass man die Definition an oppositionellen Einstellungen zur herrschenden Elite festmacht, wenig verwunderlich, denn die sogenannte politische Mitte stellt ja die herrschende Eliten. Die Studie versucht dies an Fragen fest zu machen – Seite 16. Doch sind diese Fragen wirklich geeignet, das Thema zu messen?
Die Bürger sind sich oft einig, aber die Politiker verfolgen ganz andere Ziele.
Diese Frage, und ob man dem zustimmt ist kaum zu trennen von der Frage, ob sich der Wähler von den Politikern repräsentiert fühlt. Wie kann derjenige, der sich selbst der Opposition zuordnet, diesem widersprechen? Offensichtlich gibt es ein Interesse der Politiker an persönlichen Zielen, wie Macht und Geld. Dies bleibt in gewissen Maße auch unvermeidbar. Die Frage ist viel mehr, ob der Befragte von der politischen Vertretung repräsentiert sieht. Irrelevant ist darin, ob sich Bürger einig sind oder nicht. Die Frage hat demnach keine Trennschärfe und bildet nicht ab, ob es eine Dichotomie zwischen Volk und Elite dominant ist, sondern nur, ob sich der Befragte mit den herrschenden Eliten identifiziert.
Mir wäre es lieber, von einem einfachen Bürger politisch vertreten zu werden als von einem Politiker.
Auch diese Frage liefert eher erratische Ergebnisse. Was ist denn ein einfacher Bürger? Dazu mag jeder unterschiedliche Ansichten haben. Und wird nicht jener einfache Bürger automatisch mit dem Mandat zum Politiker? Wenn aber die herrschenden Politiker eher Grund zum Missrauen liefern, wird der unzufriedene Bürger eher auf die unpassende Frage positiv antworten.
Die Parteien wollen nur die Stimmen der Wähler, ihre Ansichten interessieren sie nicht.
Auch dies ist eher ein Gemeinplatz. Es ist offensichtlich, dass Politiker Zustimmung erheischen müssen, um überhaupt einen Einfluss ausüben zu können – egal ob der ‚guten Sache‘ wegen oder des persönlichen Vorteils. Dies zum Kriterium des Populismus zu machen unterstellt, dass man im Gegenzug bei ‚Unpopulisischen‘ die Naivität unterstellt, dass Politiker keine Eigeninteressen mehr hätten.
Die politischen Differenzen zwischen den Bürgern und Politikern sind größer als die Differenzen der Bürger untereinander.
Ich kann nicht ermessen, was Bürger (im Allgemeinen) für Differenzen haben, oder wie diese mit den zwischen denen von ‚Bürgern‘ und (herrschenden) ‚Politikern‘ zu vergleichen wären. Ich kann lediglich feststellen, ob ich Differenzen herrschenden Politikern habe und ob es solche gibt, die meine Ansichten teilen. Ich bezweifele, ob der Befragte hier unterscheiden kann, da im Besonderen die ‚Politiker‘ und ‚Bürger‘ unüberschaubare Gruppen sind, aber das mangels Alternativen keine sachgerechte Antwort möglich ist.
Wichtige Fragen sollten nicht von Parlamenten, sondern in Volksabstimmungen entschieden werden
Dazu:
Und wieso soll es für populistisch eingestellte Menschen charakteristisch sein, dass sie etwa auch der Ansicht zuneigen, «Politiker im Bundestag sollten immer dem Willen der Bürger folgen», oder dass sie sich für Volksabstimmungen bei wichtigen Fragen erwärmen? Kann aus diesen beiden Punkten nicht eine glühende Liebe zur Republik sprechen, eine besonders hohe Wertschätzung der Volksherrschaft? Das Schweizer Modell der direkten Demokratie wird von der Bertelsmann-Stiftung unter Generalverdacht gestellt. Im Vorhof des Populismus bewegt sich, wer sich Schweizer Verhältnisse für Deutschland erhofft.
Alexander Kissler in der Neuen Züricher Zeitung
Die Politiker im Bundestag sollten immer dem Willen der Bürger folgen.
Ist das nicht der Sinn der Volksvertreter? Warum sollte es sonst Parlamente geben? Was wäre die Alternative? Das Folgen nach Fraktionszwang? Vertretung der Eigeninteressen? Oder dem Gewissen und eigener Überzeugung zu folgen? Der Befragte kann sich dazu nun was aussuchen.
Die Bürger in Deutschland sind sich im Prinzip einig darüber, was politisch passieren muss.
Die Bürger in ihrer Gesamtheit sind dies ganz offensichtlich nicht. Die Behauptung wäre damit absurd. Allerdings kann es der Befragte so verstehen, dass es gleichgesinnte Bürger gibt, die eine klare Vorstellung haben. Wie also wird der Befragte antworten?
Was man in der Politik „Kompromiss“ nennt, ist in Wirklichkeit nichts Anderes als ein Verrat der eigenen Prinzipien
Abgesehen davon, dass ich den Kompromiss für das wesentliche Element der pluralen Demokratie halte, gibt es sehr wohl faule Kompromisse, die eine Bindung an eigene Aussagen vermissen lassen und durchaus als Verrat an den behaupteten Prinzipien erscheinen. Der Befragte mag sich nun im Sinn der Frage auf das Prinzip beziehen, oder die faulen Kompromisse vor Augen haben, wenn er die Antworten wählt. Menschen neigen dazu, Gründe einer konkrete Verärgerung ins Allgemeine zu übertragen.
GIGO
Garbage In – Garbage Out. Dieses Schlagwort sagt, dass bei fragwürdigen Grundannahmen oder Eingangsdaten kein vernünftiges Ergebnis zu erwarten ist. Die Fragen der Studie geben höchst unvollkommen und um die Ecke gefragt die Zufriedenheit der Bürger mit der aktuellen Entwicklung wieder. Durch den Deutungspielraum und Auslegungsmöglichkeiten der nebulösen Fragen ist kein aussagekräftiges Ergebnis zu erwarten. Keine der Fragen kann als signifikant für den Kampfbegriff ‚Populismus‘ herangezogen werden.
Unter diesen Umständen ist es erstaunlich, wer in derartig fragwürdige Untersuchungen Geld investiert. Es ist darum davon auszugehen, dass es sich hier entgegen der Behauptung keineswegs um Wissenschaft, sondern um reine Propaganda handelt. Der Sinn von Wissenschaft wird durch deren permanenten Missbrauch unterminiert. Der Wert absurder Befragungen bleibt obskur: Ebenso kann man fragen, ob Grillen sexy sei. Es wird darauf ebenso erratische Antworten geben, über die man dann berichten kann … oder auch nicht.
As in der DDR skandiert wurde: ‚Wir sind das Volk‘ waren es viele, aber vermutlich gab es ebenso viele oder mehr, die sich mit dem System arrangiert hatten. Natürlich kann der Demonstrant, der sich als Mitglied des Volkes versteht, diesen Anspruch auch äußern, ohne vorher akribisch untersucht zu haben, ob sich ohne Manipulationen und Propaganda auch Mehrheiten für die vertretenen Ansichten finden würden. Es ist darum kein vernünftiger Alleinvertretungsanspruch im Sinne von ‚Nur wir sind das Volk‘. Jene aber, die derartigen Protesten die Legitimität absprechen wollen, sagen damit nicht nur, dass sie diese für eine zu vernachlässigende Minderheit halten, sondern versuchen sie argumentfrei zu marginalisieren.
Populismus und Diskurs
Abgesehen von der Poblematik der Definitionen und der Messbarkeit sind die Fragen, die Dr. Paula Diehl an der Bundeszentrale für politische Bildung durchaus diskussionswürdig:
Vielmehr können Politiker/-innen mehr oder weniger populistisch sein, und sie können auch populistisch werden. Das erklärt, dass man manchmal einen „populistischen Moment“ erlebt wie jetzt. In dieser Situation drängt sich die populistische Logik in den Vordergrund. Man beobachtet, dass mehr sogenannte populistische Parteien in Erscheinung treten und etablierte Politiker populistischer werden. Dies passiert, wenn die Demokratie in die Krise gerät und das Vertrauen der Bürger/-innen in die politischen Institutionen schwächer wird. Daher ist Populismus auch immer ein Symptom. Doch Populismus ist ein ambivalentes Phänomen. Er hat einen demokratischen Kern: das Prinzip der Volkssouveränität. Bezogen darauf kann der Populismus durchaus positive demokratische Impulse setzen, wenn es darum geht, mehr Kontrolle der Repräsentant/-innen durch die Bürger/-innen, mehr Transparenz oder mehr Partizipationsmöglichkeiten zu fordern, zu politisieren und zu mobilisieren.
Dr. Paula Diehl
Eingedenk des immer noch nebulösen Begriffs sind dies wolkigen Zuschreibungen nur nachvollziehbar, wenn hier der Begriff als unsachgemäße Vereinfachung und Polarisierung verstanden wird. Politik gerät aber nicht in die Krise, wenn ein komplexes Problemfeld wegen des Umfanges nicht mehr in der Breite diskutiert werden kann. Unterschiedliche, durchaus problembewusste Positionen können sich in vereinfachten Schlagworten ausdrücken, ohne dass diese notwendig das Problem in der Tiefe ignorieren müssten. Eine Delegation an handverlesene Experten, die dann ersatzweise die politische Willensbildung ersetzten und zu denen Vertrauen gefordert wird, ist keineswegs ‚unpopulistisch‘ und auch nicht unpolitisch, sondern ein naiver Freibrief an die Herrschenden, unkontrolliert und ungehindert ihre Agenda durchzusetzen. Es wird unter diesem Deckmantel der angeblich alternativlosen Sachzwänge unklar, ob sich dahinter tatsächlich ein weises Abwägen verbirgt, ein sinistrer Herrschaftsplan oder eine ideologisch Verblendung. Eine öffentliche Kontroverse bietet zumindest die Möglichkeit, komplexe Positionen aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Der sogenannte ‚Populismus‘ als oppositionelle Haltung liefert dazu fruchtbare Ansätze … sofern ein Interesse an einer sachlichen Klärung überhaupt existiert.
Dies aber muss bei Beobachtung vieler politischer Problemfelder der jüngeren Zeit stark bezweifelt werden. Seitens der herrschenden Elite ist nicht zu beobachten, dass eine sachgerechte Lösung unter Einbezug aller Betroffenen und des Sachverstands gesucht wird. Vielmehr werden eigene Positionen, und seien sie noch so fragwürdig, mit allen verfügbaren Mitteln durchgesetzt. Entgegenstehende Argumente werden ignoriert, Kritiker diskreditiert.
Diehl stellt ebenso einen Mangel an einer nüchternen öffentlichen Sachdiskussion fest, doch sie macht dafür den Populismus verantwortlich:
Doch hat er auch eine undemokratische Seite: Populismus propagiert oft einfache Lösungen, bei der komplexe Zusammenhänge unter den Tisch fallen. Die Realität wird verkürzt dargestellt, und zwar mit dem Argument, dass alles andere den Eliten dazu dienen würde, das Volk zu betrügen. Durch die extreme Vereinfachung, die Schwarz-Weiß-Malerei und das Denken in Gegensätzen kann der Populismus die politische Debatte dermaßen polarisieren, dass der notwendige Meinungsaustausch innerhalb der Demokratie nicht mehr möglich ist. Damit verliert die demokratische Debatte die Pluralität ihrer Stimmen. Je nachdem wie stark die populistische Logik auftritt, können die negativen oder die positiven Effekte des Populismus den Ton angeben.
Dr. Paula Diehl
Dies ist verwunderlich, denn vielmehr erscheint es, dass gerade die oppositionellen Stimmen seitens der herrschenden Eliten systematisch ausgegrenzt werden und es dadurch zu einer Polarisierung und Grabenkämpfen kommt. Fraglos kann es uninformierte und ressentimentbeladene Stimmen von unterschiedlichen Seiten geben, die keine wirklich sachliche Auseinandersetzung wollen oder zu dieser beitragen können. Dies Zuspitzung gewinnt aber vor allem dann an Eigendynamik, wo auch der rationale Diskurs abgeblockt wird und Herrschende argumentfrei ihre Ansichten durchsetzen wollen. Gerade der rationale Diskurs kann ja den Charakter untauglicher, zu stark simplifiziernder Vorschläge offenbaren, und damit den Wind aus den Segeln nehmen. Das aber wird zwar oftmals behauptet, aber in der jüngsten Entwicklung des mangelnden Diskurses vermieden wie der Teufel das Weihwasser.
Exemplarisch sei hier die Rede der Bundeskanzlerin Merkel in Davos genannt:
Aber da wir in einer Zeit leben, in der Fakten mit Emotionen konkurrieren, kann man immer versuchen, durch Emotionen eine Antifaktizität zu schaffen, die dann genauso wichtig ist. Das heißt also, wir müssen die Emotionen mit den Fakten versöhnen. Das ist vielleicht die größte gesellschaftliche Aufgabe. Um diese anzugehen, setzt zumindest voraus, dass man miteinander spricht. Die Unversöhnlichkeit und die Sprachlosigkeit, die zum Teil zwischen denen herrschen, die den Klimawandel leugnen, und denen, die ihn sehen und dafür kämpfen, dass wir ihn bewältigen, müssen überwunden werden.
Angela Merkel in Davos 2020
Das ist ein guter Ansatz, auch wenn die Sprache bereits ein Vorverurteilung und Verzerrung enthält. Denn es gibt wohl niemanden, der einen Klimawandel leugnet. Vielmehr sind die Skeptiker des Katastrophismus der Ansicht, dass es seit dem Bestehen der Erde kein dauerhaft konstantes Klima gegeben habe. Über die Ursachen des jüngsten Klimawandels, den Anteil den der Mensch daran trägt, die Gefährlichkeit und sachgerechte Maßnahmen ist man sich allerdings uneins. Hier verkürzend zu behaupten, der Kritiker würde den Klimawandel leugnen, ist allerdings eine Methode, die man nach o.g. Definitionen durchaus als populistisch benennen kann. Allerdings sollte der angeregte Diskurs hier zu Fortschritten führen, wenn er denn ernsthaft gesucht wird.
Wenn wir in eine Welt hineingehen, in der die Sprachlosigkeit vielleicht manchmal noch größer als im Kalten Krieg ist, als es ziemlich geordnete Austauschmechanismen gab, dann haben wir ein Problem. Deshalb plädiere ich dafür, dass man, wenn es auch noch so schwerfällt, sich austauscht – auch zwischen Gruppen mit den kontroversesten Meinungen –, weil man ansonsten nur in seinen Vorurteilen und seinen Blasen lebt.
Angela Merkel in Davos 2020
Wenn das Merkel ernst meinte und nicht lediglich Lippenbekenntnisse ablegte, hätte sie Applaus verdient. Allerdings gibt der Fortgang der Ereignisse den schlimmsten Befürchtungen Nahrung. Dr. habil. Sebastian Lüning nahm die Anregungen der Bundekanzlerin ernst und schrieb:
Ich stimme Ihnen hier vollumfänglich zu. Ich selber gehöre sicher zu den fünf einflussreichsten Kritikern klimaalarmistischer Warnungen in Deutschland und sehe viele Aktivitäten des von Ihnen routinemäßig konsultierten PIK-Instituts äußerst kritisch. Als promovierter und habilitierter Geowissenschaftler sowie offizieller Gutachter des IPCC habe ich gute wissenschaftliche Gründe für meine Kritik, die ich Ihnen bzw. Ihren Mitarbeitern gerne einmal vorstellen möchte.
Weiterhin möchte ich anregen, dass Sie einen „Runden Klimatisch“ einrichten, an dem die Vertreter der verschiedenen Meinungen regelmäßig zu ausgewählten Themen strukturiert und professionell moderiert miteinander fachlich sprechen können. An diesem „Runden Klimatisch“ könnten Diskrepanzen und Gemeinsamkeiten klar herausgearbeitet werden und in konkrete Forschungsfragen übersetzt werden. Auf diese Weise kann Kritik an der Alarmlinie ernstgenommen, systematisch überprüft und ggf. in unabhängigen Forschungsprojekten wissenschaftlich geklärt werden.
Dr. habil. Sebastian Lüning
Diese Anfrage wurde weiter konkretisiert, aber recht barsch abgefertigt: Die Bundeskanzlerin hat keinerlei Interesse an einen derartigen runden Tisch, an dem Sachfragen geklärt werden können.
Auf diesem Hintergrund erscheine die Verantwortlichen der Diskursverweigerung klar – es sind nicht diejenigen, denen Populismus vorgeworfen wird.
Sachklärung unerwünscht
Verwunderlich an der Entwicklung ist nicht nur der Mangel an einem offenen Diskurs, sondern jegliche Frage nach sachlicher Richtigkeit. Kaum jemand macht sich die Mühe des kritischen Wissenserwerbs. Es scheint, das man von vorne herein keine ernstes Interesse an eine Aufklärung der Sachzusammenhänge zu haben. Statt einer inhaltlichen Durchdringung und Gewichtung der Argumente werden Expertenurteile als Surrogat verwendet. Der Treppenwitz daran ist, dass die Auswahl der nun maßgeblichen Experten nicht an Sachfragen orientiert ist, sondern nach politischer Opportunität.
Exemplarisch sei eine kleine Szene bei der Vorstellung des Fünften Sachstandsbericht (englisch Fifth Assessment Report, AR5) des IPCC genannt. Auf dem Podium saßen neben Ottmar Edenhofer (PIK) die zuständigen Fachministerinnen Barbara Hendricks und Johanna Wanka. Edenhofer erläuterte nach 19:10, dass die 3 Teile jeweils 2000 Seiten umfassen und dass man diese doch durchlesen möge . Darauf die Reaktion der Ministerinen war Gelächter. Das haben sie offensichtlich nicht getan und auch nicht vor , das zu tun. Im Gegenteil, Frau Hendricks meinte im Eingang der Veranstaltung, dass sie keinerlei Expertise in den Klimawissenschaften habe und machte den Eindruck, dass sie diese auch nicht erwerben wolle.
Kurz: Selbst die zuständigen Entscheider haben inhaltlich kein Kenntnis, wollen diese auch nicht erwerben und sind darum auch nicht in der Lage, angemessene Urteile zu treffen. Statt dessen wird das blinde Vertrauen in ein Papier von ausgewählten Wissenschaftlern, dass in einer Summary for Policymakers (36 Seiten lang) politisch reduziert wird – die Abstimmung über den Wortlaut ist die intensivste Diskussion – und nur darauf kommt es letztlich noch an.
Wenn nun selbst die Entscheider zu keiner inhaltlichen Durchdringung bereit sind, ist kein rationaler Diskurs zu brennenden Fragen der Zeit zu erwarten.
Da ist es dann auch ziemlich gleich, ob ein sogenannter Populismus zu unzulässigen Vereinfachungen neigt oder nicht – weil das auch kaum jemand beurteilen kann. Die Aufklärung wurde bereits zu Grabe getragen.