Kirche – Quo Vadis?

In Deutschland wird Christentum meist als in Vertretung durch Amtskirchen angesehen. Persönlicher Glaube und freikirchliche Gemeinschaften passen da zwar weniger ins Bild, aber diese Dissonanz wird oft nicht aufgelöst. Um so mehr sind die Entwicklungen der Amtskirchen auch dann von Interesse, selbst wenn ein distanziertes Verhältnis besteht. Sind es dann, auch bei aller Kritik, dennoch fehlbare Schwestern und Brüder, die die Solidarität der Christen brauchen, die ihnen fern stehen? Oder sollte man den Niedergang der Institution auf Raten auch aus christlicher Sicht begrüßen, denn die Amtskirche erweist sich möglicherweise nicht-reformfähige Institution, die ihre Berechtigung verloren hat?

Einige interessante Aufsätze beschäftigen sich mit der Frage, die durch die Corona-Krise an Brisanz gewonnen hat: Was wird aus der Kirche? Es ist schwer, von der Kirche in Deutschland zu sprechen, denn die Gliederung in evangelisch und katholisch zeigen zuweilen recht unterschiedliches Gepräge. Eine Ökumene , die ihre Verbindung in dem gemeinsamen Glauben als dem Apostolischen Bekenntnis verpflichtet erkennt, wäre zu begrüßen. Leider hat man aber den Eindruck, dass es nicht der gemeinsame Herr ist, die die Gliederungen zusammenführt, sondern eine konvergente Gesellschaftsentwicklung, die zugleich den Jesus-Glauben nicht mehr im Mittelpunkt hat, sondern lediglich als historisches Beiwerk behandelt. Die 11 Leitsätze der EKD/ Z-Team, Gebrauchsanleitung für das Endspiel? von Günter Thomas (Professor für Systematische Theologie ) und Bischöfliche Anleitung zum Kirchen-Suizid von Johannes Eisleben werden diskutiert.

Zusammenfassend versteht die hochkarätig besetzte Kommission der EKD die strukturellen Veränderungen, die durch die Corona-Krise verschärft werden, als Herausforderung, die zu einem erneuerten Selbstverständnis führen müssen. Die einzelnen Thesen und Formulierungen erscheinen weit weniger revolutionär und sind wohl gesetzt, aber das Problem lauert im Subtext. Beide zitierten Kritiker haben das in beachtlicher Weise heraus gearbeitet. Aber der reihe nach. Zunächst zum Ausgangstext und deren direkten Auffälligkeiten:

„Kirche auf gutem Grund – Elf Leitsätze für eine aufgeschlossene Kirche“

Der Anlass ist schwierig. Die Reaktion ist erforderlich, doch ist diese auch angemessen? Um vorweg zu greifen: Die Ansätze entbehren nicht einer gewissen Logik, aber die Formulierungen, die durchaus denen einer Glaubensgemeinschaft entsprechen können, haben einen erkennbaren Drift. Oft zeigt sich eine eklatante Distanz zwischen gelebter Wirklichkeit und formulierten Leitsatz – der es zudem an Prägnanz mangelt. Darin wird weniger diese Distanz erkannt und um Korrektur gesucht, sondern diese Differenz unter den Teppich gekehrt und wohl gar nicht erkannt. Heraus kommt dann eher ein ‚Weiter so‘ . Einige Beispiele sollten das belegen:

Öffentlichkeit

1. Zukünftig wird gezielter öffentliches Reden und diakonisches Handeln der Kirche gefördert, das geistliche Haltung und ethische Verantwortung glaubwürdig und erkennbar verbindet. Die Kirche wird sparsamer und konkreter zu gesellschaftlichen Prozessen öffentlich Stellung nehmen. Sie wird Zurückhaltung üben, wo der Rückbezug auf das Evangelium nicht deutlich und der Zusammenhang mit dem eigenen Handeln nicht exemplarisch erkennbar werden. 

EKD – 1. Leitsatz

Positiv erscheint, dass hier der Rückbezug auf das Evangelium gefordert ist. Allerdings ist nun bekannt, dass dieses recht unterschiedlich gedeutet wird. Darum ergibt sich ja eine oft erhebliche Bandbreite zu gesellschaftspolitischen Fragen. Wenn ein offener Diskurs unter Berücksichtigung gerade der Meinungspluralität angestrebt würde, ließe sich ein Verweis auf die Grundlagen gut an, nämlich die Lehre von Jesus Christus und die Kraft die daraus aus dem Glauben kommt. Die Forderung hier erscheint das Gegenteil zu sein. Durch das ‚Konkreter‘ scheint eine Abkehr von den Grundlagen und dem offenen Diskurs intendiert zu werden. Zudem scheint man die Deutungshoheit und den Vertretungsanspruch der kirchlichen Organisation ausbauen zu wollen. Das weckt Zweifel, ob dieses Rezept der Herausforderung Rechnung trägt.

Wäre es dagegen nicht sinnvoller, wenn sich Kirche nicht als Partei für ein selbstgewähltes Klientel geriert, sondern als Plattform eines werte-orientierten gesellschaftlichen Diskurs, der hier das Alleinstellungsmerkmal der besonderen Grundlagen enthält?

Öffentliche Theologie verheißt Orientierungs- und Sprachhilfe nicht nur in sozialethischen Fragen, sondern auch im Umgang mit Schuld und Vergebung, mit Tod und Sterben, mit dem Streben nach Glück und der Erfahrung der Öffentlichkeit Kontingenz. Entsprechend gilt es, Orte geistlicher Weitergabe und Erneuerung zu fördern und die in Gott gebundene Freiheit als Zukunftsmodell der Humanität stark zu machen. Zukünftig wird es noch wichtiger, die ideologiekritische Kraft des Evangeliums gegenüber totalitären und menschenverachtenden Positionen zeichenhaft sichtbar zu machen.  

EKD – zu 1. Leitsatz

Bei aller Kritik ist es angebracht, gute Erkenntnisse nicht unter den Teppich zu kehren, sondern auch dessen Wert anzuerkennen. Die hier gemachte Aussage ist allerdings zeitlos. Wenn die Krise dies in Erinnerung ruft, dann gebührt dem Lob.

Die evangelische Kirche lebt von Anregungen durch das „Priestertum aller Getauften“. Kirchliche Kammern und Kommissionen bleiben wichtige Instrumente einer partizipativen Urteilsbildung im Gespräch mit Vertretenden aus Politik, Kultur und Wissenschaft. 

EKD – zu 1. Leitsatz

Es scheint den Autoren der performative Widerspruch hier nicht aufzufallen. Wenn Kirche sich im Einzelnen manifestiert, kann dieser nicht durch anonyme Strukturen und Gremien ersetzt werden. Kirche sollte sich eher davon verabschieden normierte Meinungen zu kolportieren, sondern durch die Stärkung des Einzelnen die Kraft der Gemeinschaft stärken.

Frömmigkeit 
 

2. Zukünftig wird die Weitergabe evangelischen Glaubenswissens an Bedeutung gewinnen. In einer pluralen Gesellschaft, in der Christen in der Minderheit sein werden, gilt es die Förderung authentischer Frömmigkeit, die Anliegen einer diakonischen, auf Teilhabe zielenden Bildungsarbeit und die Stärkung der öffentlichen Dialogfähigkeit neu  auszubalancieren. Das kann helfen, kirchliche Traditionen neu als spirituelle Ressource zu entdecken und neue Formen geistlichen Lebens zu entwickeln. 

EKD – 2. Leitsatz

Das hört sich sehr löblich an, doch was sind nun die gemeinten Inhalte? Haben wir hier wahrlich einen gemeinsamen Grund? Oder unterscheidet sich das, was sich hinter den Begriffen verbirgt doch als unverdaulich?

Wo die evangelische Kirche sich öffentlich äußert, will sie nicht bevormunden, sondern konstruktiv zur öffentlichen Diskussion beitragen. Kirche gibt Rechenschaft über Gründe ihres Redens und Handelns. Sie setzt bei ihrem Eintreten für eine humane Gesellschaft auf Plausibilität und Einsichtsfähigkeit.

EKD – zu 2. Leitsatz

Angesichts der letzten Verlautbarungen scheinen hier Anspruch und Realität weit auseinander zu klaffen. Tatsächlich wird allem, was neuerdings dem Etikett ‚rechts‘ angeheftet wird, vom Diskurs ausgeschlossen. Das ist m.E. Diskursverweigerung und Ausgrenzung ohne hinreichende Rechenschaft. Darum kann eine Diskursverweierung auch nicht zur Plausibilität und Einsichtsfähigkeit führen.

Dialogfähigkeit, Zeugnishaftigkeit und Rechenschaft über den eigenen Glauben sollen in gleicher Weise die öffentliche Kommunikation der Kirche prägen.

EKD – zu 2. Leitsatz

Und warum betreibt die ED dann das krasse Gegenteil?

So durchzieht sich der EKD-Text mit Aussagen, die sich zunächst positiv darstellen, dann aber vor Fragwürdigkeiten strotzen. Im Text über Mission ist nicht erkennbar, dass die Verbreitung der christlichen Botschaft und die Einladung zum Glauben der Kernpunkt ist, der dann in der Konsequenz auch diakonisches Handeln einschließt. Das aber ist die evangelische Botschaft, die ansonsten beschworen wurde.

Sieben Problemfelder

Günter Thomas‚ Kritik geht hier nicht kursorisch durch den Text, sondern setzt vorher bei der Problemanalyse an und erkennt, dass der Text im Ansatz bereits gravierende Probleme aufweist:

Diese offenen Baustellen werden in den 11 Leitsätzen nur indirekt thematisiert, zum Teil nur touchiert, zum Teil aber auch laut beschwiegen. Sie springen einem nachdenklichen Leser regelrecht aus dem Text entgegen. Werden die Baustellen nicht offen angegangen, dann sind die 11 Leitsätze nicht weniger als eine Gebrauchsanleitung zum Endspiel. 

Günter Thomas

Ihm geht es zunächst im die Bestimmung von Kirche, und wo will sie hin?

Gemeindekirche oder NGO-Bewegungskirche?

Thomas fragt nach dem Spezifischen von Kirche, die sich von einer beliebigen NGO unterscheidet.

Die 11 Leitsätze erwarten von der Kirche als Gemeinde keine Impulse für die Zukunft. Weder von ihrem Pfarrpersonal, noch von ihrer Sozialform. Die Leitsätze der EKD setzen auf eine irgendwie dynamisch gedachte NGO-Bewegungskirche, die irgendwie spontan an vielen neuen Orten präsent ist.

Günter Thomas

Nun mag man dem entgegen halten, dass physische Präsenz und Lokalität eben in der Verschärfung durch Corona eine weit geringere Bedeutung hat. Aber auch ohne die aktuelle Krise war der Weg in die Virtualisierung bereits erkennbar. Die frage aber Bleibt: Wie ist mit diesem Trend umzugehen? Ist es ein Trend zur Anonymisierung und Entmenschlichung? Sollten wir dieses nur hinnehmen als unabänderlich? Oder doch einen Kontrapunkt setzen?

Thomas thematisiert die Inhalte jener gesellschaftlichen Initiative nicht, sondern die Bedingungen unter denen sie existieren soll:

Das Problem dieser Option ist, dass die NGO-Bewegungskirche nicht nachhaltig ist, weder finanziell noch personell. Die NGO-Bewegungskirche lebt in Wahrheit von den vielen Stillen im Lande, denen die Gemeinde, auch aus der Distanz betrachtet, sehr wichtig ist. Die dynamischen Kämpfer der NGO-Bewegungskirche, die alle nahe am Puls der gesellschaftlichen Gerechtigkeitsempfindungen leben, leben ökonomisch von denen, die sie im Grunde genommen verachten.

Günter Thomas

Daraus resultiert auch zwangsläufig:

Kurz: Die in den strukturellen Passagen der 11 Leitsätze überall durchscheinende Option für die vermeintlich am Puls der Zeit agierende NGO-Bewegungskirche ist schlicht selbstzerstörerisch für die Kirche – und zwar langfristig auch für die NGO-Bewegungskirche.

Ohne lebendige Ortsgemeinden wird die Kirche schlicht untergehen.  

Günter Thomas

Heil und Glaube

Thomas wirft aber auch eine theologische Bestimmtheit der Gemeinde auf:

Heil und Unheil trennt nicht mehr die Kirche von der Welt. Schließlich geht der Himmel über allen auf. Schließlich wird die faktische Versöhnung der Welt nicht durch den Akt des Glaubens in der Kirche ins Werk gesetzt, sondern gilt vorgängig der ganzen Welt.

Günter Thomas

Implizit setzt Thomas hier das Verständnis voraus, das Kirche die Gemeinschaft der Geretteten ist, die letztlich der Welt des Untergangs entronnen sind. Diese Kirchenverständnis findet zwar Ansätze im NT, ist aber keineswegs zwingend. Jesu lehre kennt den Untergang und die Rettung: In Jesu Name, seinen stellvertretenden Tod und Auferstehung liegt die Hoffnung:

16 Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. 17 Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. 18 Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet, denn er hat nicht geglaubt an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes.

Johannes 3

Hier ist das erste Kriterium das Heilshandeln Gottes, dass sehr wohl die ganze Welt zum Ziel hat. Der Zugang zum Heil ist hier aber der Glaube, nicht die Kirchenmitgliedschaft. Das abgeleitete Verständnis von organisierter Kirche als Mittlerin des Heils ist zwar nachvollziehbar, aber problematisch.

Ob das Heilshandeln Gottes alleine hinreichend sein kann, und den (wahren) Glauben nicht zwingende Bedingung des Heils ist, lässt der Text offen. Die Verheißung aber, dass die Gemeinschaft der Gläubigen den Auftrag hat, das Heil zu vermitteln, ist unstrittig. Die Frage der Exklusivität kann aber nicht einfach entschieden werden.

Indem die leitenden Geistlichen explizit das Interesse an Menschen verstärken wollen, die sich auch ohne Mitgliedschaft der Kirche verbunden fühlen, problematisieren sie direkt die Kirchenmitgliedschaft: Auf die kommt es offensichtlich gar nicht an. Warum sollte man noch ‚Vollmitglied‘ sein? Wird man erst durch die ‚richtige‘ Mitarbeit zum anerkannten Vollmitglied? Warum sollten engagierte Mitarbeiter nicht austreten, dennoch „dabeisein“ und für die Dinge spenden, die ihnen am Herzen liegen? 

Günter Thomas

Thomas erkennt das Problem, aber ich sehe keine konstruktiven Umgang damit. Wenn Kirchnemitgliedschaft eben nicht als Bedingung des Heils ist, kann sie durchaus die Konsequenz aus dem Heil sein. Hier bleibt aber die Frage: Welche Kirche? Es geht also einerseits um den Glauben des Einzelnen, seine persönliche Beziehung und Konsequenz in einer verbindlichen Mitgliedschaft. Die resultierende Frage liegt dann in der Ausgestaltung jener Kirche, zu der sich der Gläubige bekennt, wiewohl um die Konkurrenz der Kirchen, die eben durchaus Alternativen kennt.

Das Möglichkeit einer unverbindlichen Mitarbeit und Teilnahme kann nur durch einen Erkenntnisprozess der Zugehörigkeit seitens des Gläubigen beantwortet werden. Ein Drohung mit dem Heil, dem er verlustig gehen könnte, ist nicht nur nicht zeitgemäß, sondern kann auch theologisch nicht gehalten werden.

Die Überlegungen zu Mission legen offen, dass es den Verfassern im Kern um eine Ethik geht, wenn es ihnen um Glauben geht – eben um den Einsatz „für die Schwachen, Ausgegrenzten, Verletzten und Bedrohten“. Genau diese ethische Ausrichtung ist zweifellos die Schubkraft hinter der Suche nach zivilgesellschaftlichen Partnern (unter dem Titel Mission!). Diese Ausrichtung ist aber zugleich auch die Offenlegung einer simplen Tatsache: Die Kirche hat nichts zu bieten, das nicht auch irgendwelche anderen sozialmoralischen und politischen Akteure zu bieten haben. Dies reicht aber, so meine These, am Markt der Aufmerksamkeit nicht aus.

Günter Thomas

Das Argument besteht, dass der Glaube auf eine bestimmte ethische Position reduziert wird. Fragen des Heils, der Ruf zum Glauben, Vermittlung der Heilsbotschaft etc. bleiben außerhalb des Fokus.

Kirche versteht sich gemäß dem NT aber al Gemeinschaft der Glaubenden, in dem der Einzelne Hilfe und Trost empfängt, zugleich auch das Korrektiv. Gemeinschaftlich werden aufgaben wahrgenommen, die die Herrschaft des anbrechenden Reich Gottes erkennbar werden lassen. Und zwar als Zeugnis des empfangenen Heils, nicht als moralische Pflicht. Kirche als Sachwaltern des Heils ist gemäß des NT möglich, aber nicht zwingend. Weniger das Sakrament als Knoten des Zusammenhalts, sondern die Gemeinschaft an sich ist die Idee, die den Einzelnen zu Mitglied werden lässt.

Es gibt keinen Unique Selling Point mehr – außer vielleicht einen spezifisch spirituellen Motivationsbooster kombiniert mit etwas religiöser Symbolfolklore. Natürlich werden noch gewissermaßen im Sinne eines dekorativen Zuckergusses semantische Reste gepflegt, aber deren operative Bedeutung wird in den 11 Leitsätzen der bischöflichen Kommission nicht deutlich. 

Günter Thomas

Der Begriff des Unique Selling Point erscheint hier seltsam, aber in gewisser Hinsicht trifft es. Kirche braucht Mitglieder, um den erkannten Auftrag auch umzusetzen. Und das trifft nicht nur in die Gewinnung neuer Gläubigen zu, sondern auch das Halten und Aktivieren jener, die im Stand der Mitgliedschaft sind.

Thomas diskutiert die sogenannte Bodenbildungsstrategie des  EKD-Ratsvorsitzende, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm: Die Kirche soll sich gesund schrumpfen auf die, die wirklich hinter dem Auftrag stehen, die er für Kirche hält. Thomas meint,das dieser Boden bei 0 liegt. Mir sind oft Menschen begegnet, denen der Glaube sehr wichtig ist, und die soziales Engagement auch für wichtig halten: Eigentlich die idealen Kandidaten für dien ‚kirchlichen‘ Boden. Aber auch unter jenen wenden sich viele ab, weil sie sich in der Ausprägung der Kirche nicht wieder finden. Und das sind nicht nur AfD Anhänger.

Wenn die 11 Leitsätze die „Steuer“ als Vereinsbeitrag zur Förderung des Protestantismus deuten, sozusagen Mitgliedschaft als eine Frage des sozialmoralischen Lifestyles behandeln, so offenbart dies ein tiefes Missverständnis von Kirche und von den Bedürfnissen der Menschen. Ohne eine spirituell-theologische Deutung der Mitgliedschaft wird sich der Exodus nicht aufhalten lassen, ja wahrscheinlich beschleunigen. 

Günter Thomas

Mir als Freikirchler ist die Methode der Kirchensteuer ohnehin suspekt. Thomas führt aber konsequent aus, dass es eben Folgen hat, wenn man das System nicht gänzliche reformieren will.

Eine Frage, die in den 11 Leitsätzen äußerst präzise vermieden wird, ist so banal wie zentral, so einfach wie kompliziert, so peinlich wie befreiend. Und sie steht für alle sichtbar im Raum: Woher kommen sie eigentlich, die Christenmenschen? Wie werden die das?

Günter Thomas

Thomas legt seinen Finger in die offene Wunde des Papiers.

Vier mögliche Antworten laufen offensichtlich auf das Riff der Realität. …  „Wir müssen effektiver, innovativer und vor allem offensiver missionieren“ (die evangelikale und charismatische Antwort) … – all diese Antworten greifen gegenwärtig nicht mehr. 

Günter Thomas

Mir ist nicht klar, wie Thomas zu dieser Ansicht kommt. Empirisch gesehen wachsen evangelikale und charismatische Gemeinschaften oder halten ihren Mitgliederbestand. Auch wenn der Zeitgeist den christlichen Glauben nicht begünstigt, so hinterlässt er doch eine Sinnleere, die sehr wohl Ansatzpunkte für den Glauben liefern. Natürlich ist es mit dem Missionieren nicht getan, sondern es erfordert eine lebendige Gemeinschaft.

… die Frage „Woher kommen eigentlich die Christenmenschen?“ zur Leitfrage werden. Sie wie die 11 Leitsätze beiseite zu schieben, dokumentiert heute nicht mehr eine mutig-aufrechte anti-evangelikale und befreiungstheologische Haltung, sondern ist ein lautes Zeichen einer Verweigerung und Verdrängung.

Günter Thomas

Für den, der de EKD noch liebt ist es eine bittere Erkenntnis, dass die Kirchenführer dies nicht erkannt haben und nur noch die Rolle des Totengräbers wahrnehmen.

Sieht man sich das aktuelle Engagement der EKD an, dann fällt vor allem die Aktionen für Flüchtlinge auf, Und diese hat nicht etwa vorrangig die Sorge für Glaubensbrüder zum Mittelpunkt, sondern allgemein humanitären Ansatz, wobei dieser zwei problematische Aspekte umfasst: Faktisch werden vor allem Muslime gerettet, die tendenziell die nationalen Sozialsysteme belasten. Bezüglich Gottesglaube stellt der Islam tatsächlich eine Konkurrenz dar, die eine klare Glaubensbotschaft und Sinnvermittlung liefert, wo die Botschafterfunktion der EKD versagt.

Es wurde ferner bezweifelt, ob dies tatsächlich die weltweite Not lindert. Denn durch die ‚Rettungsaktionen‘ werden immer mehr Menschen bewegt, sich auf die gefährliche Migrationsreise zu begeben, die viele eben nicht überleben. Man mag fragen, ob die Helfer-Attitüde tatsächlich mehr Menschen rettet, als sie zu einer Todesreise zu verführen. Sie wirkt eher, wie eine etwas kopflose Aktivismus, der mehr schadet als nutzt, sich aber als hypermoralisch geriert.

Der Kern des Christentums

Johannes Eisleben setzt an diesen beiden Texten auf, besinnt sich aber auf den wahren Kern der Kirche … zumindest, was ihre Grundlage sein sollte:

Die christliche Religion umfasst drei fundamentale transzendente Grundbekenntnisse: Gnade Gottes, Präsenz Gottes und Umkehr zu Gott (metanoia). Die Gnade drückt sich in der bedingungslosen Liebe Gottes zum Menschen, der sich ihm glaubend zuwendet, aus. Durch Gnade, d.h. ohne jedwede Selbstoptimierung, wird uns die „Befreiung eines Christenmenschen“ (Martin Luther) aus den Ambivalenzen unserer conditio humana, unserer Gottesferne und Fehlerhaftigkeit (Sünde), zuteil. Die Präsenz Gottes ist unsichtbar wirksam und personal erfahrbar. Sie drückt sich in seiner incarnation, der göttlichen Menschwerdung in Jesus von Nazareth, dem gekreuzigten und auferstandenen Christus aus. „Wahrer Gott und wahrer Mensch“, „in der Einheit des heiligen Geistes“ – das ist das trinitarische, das zentrale theologische Alleinstellungmerkmal des Christentums gegenüber dem Judentum, seiner Mutterreligion. In der Nachfolge Jesu Christi und in der Erwartung seiner Raum- und Zeitgrenzen transzendierenden Wiederkehr werden uns Hoffnung und Lebensmut geschenkt. Die Umkehr zu dem, der „die Welt im Innersten zusammen hält“ (Goethe), gibt uns die Courage, uns aktiv dem dreieinigen Gott in unserem Mitmenschen zuzuwenden.

Johannes Eisleben

Es liegt ein unglaublich starke Kraft in diesen Worten, die von Vielen in ihrer Bedeutung nicht mehr erkannt wird. Erst wenn die Dinge aber in einem klaren Kontext gerückt werden, kann sich diese Kraft auch in der Kirche entfalten. Kurz: Ohne den Heiligen Geist ist die Kirche ein NGO-Sozialverein, der sich von anderen NGOs nicht wesentlich unterscheidet.

Was bedeutet das für die Kirche? Wenn die Kirche ihre Wurzeln verlässt, ist sie wie ein Blatt im Wind, sie wird verwehen …

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