Alle diese Begriffe haben nicht nur gemeinsam, dass sie eine gewisse Ambivalenz verbindet, sondern dass sie auf eine seltsame Weise untrennbar verknüpft sind … wie wir im Folgenden sehen werden. Einerseits gibt es einen Dualismus zwischen Gut und Böse, andererseits das falsche Dilemma zwischen zwei Extremen, die sich aber beide als schlecht erweisen. Einerseits ist das Streben der Menschen stets nach Gewissheit über das Vertrauen hinaus … und das ist auch gut so. Andererseits führt das Verwerfen des Vertrauens in eine kalte Leere, in der der Mensch stirbt, und zudem jene Gewissheit nicht erreichen kann.
Um diese Spannungen ein wenig zu erleuchten werden wir höchst seltsame Quellen zu Rate ziehen, nicht nur die Aporien des Platon, die Kritik der reinen Vernunft und Poppers kritischen Rationalismus, sondern auch die Bibel, zeitgenössische Philosophen wie Gunnar Kaiser und Hollywood-Produktionen wie Assassin’s Creed. Fangen wir von hinten an …
Die bildgewaltige Umsetzung des Computerspiels Assassin’s Creed enthält nicht nur ein Sammelsurium von philosophischen Versatzstücken und Geschichtsklitterei, sondern stellt durchaus berechtigte Fragen, die politische und philosophische Relevanz haben. Die Frage nach der Willensfreiheit, der die ‚gewaltfreie‘ Weltordnung gegenüber gestellt wird, wurde bereits mehrfach auch in anderen action-reichen Hollywood-Filmen gestellt, z.B. in Demolition Man. Assassins Creed geht hier noch einen Schritt weiter. Das eigentliche Gute, nämlich die Bewahrung der Willensfreiheit, rechtfertigt hier auch Mord und Terror, in dem auch die Feinde jener Willensfreiheit übelster Verbrechen angeklagt werden.
Das wahre Böse ist aus Sicht jener fragwürdiger Ordnungssuchender eben der freie Wille, der letztlich zu Gewalt, Mord und Totschlag führen würde. Der Ungehorsam müsse ausgerottet werden, und zwar an der Wurzel. Um diesen freien Willen zu eliminieren, wenden sie selbst bedenkenlos und ungezügelt Gewalt, Mord und Totschlag an, der letztlich nur der eigenen Machtausübung und Kontrolle über die Menschen dient.
Die Assassinen – im Film – bekämpfen jene ebenso mit den Mitteln des Mordes und Terrorismus. Moral sei nur ein Hinderungsgrund, dem Bekenntnis der Assassinen zur Willensfreiheit zum Sieg zu verhelfen. Auch jene Assassinen meinen ebenso wie die Verfechter der Ordnungsreligion, dass Mord und Terror durch das höhere Ziel gerechtfertigt sei. Die Handlung der Geschichte wird dann so drapiert, dass die Assassinen die eigentlich Guten sei, deren Bekenntnis – zu deren Gehorsam sie sich verpflichtet haben – sie zum Kampf gegen das ungezügelte Böse zwingt.
Jene Ordnungsfanatiker und versuchten Weltretter werden assoziativ mit Christen und den Templern verknüpft. Die Assassinen verteidigen den Sultan von Granada, der doch eigentlich nur seinen Sohn aus den Fängen der bösen Templer auslösen will. Wir erinnern uns an die jüngere Geschichte, dass die Bereitschaft, die eigenen Kinder für ein vermeintlich höheres Ziel zu opfern gerade bei Muslimen wiederholt demonstriert wurde.
Es ist natürlich Geschichtsklitterei, dass der Islam für die Willensfreihit stünde, denn der Islam stand nie für die Willensfreiheit, sondern für die Unterwerfung. Das Kismet liefert das gottgewollte Schicksal. Der gläubige Muslim hat sich dem Willen Allahs zu unterwerfen, bzw. den hiesigen Kalifen. Das Wort der Freiheit steht eben nicht im Koran, aber in der Bibel und vor allem im NT. Für Christen ist Freiheit ein wichtiger und häufig gebrauchter Begriff, wurde in der Kirchengeschichte aber oftmals missbraucht. Aber das ist nicht der Grundlage der Bibel geschuldet, sondern deren Verdrehung. Denn da heißt es: Ihr seid zur Freiheit berufen!
Die mehr als nur unterschwellige antichristliche Polemik im Film ist nur eine Schicht der vermittelten Philosophie.
Was ist Willensfreiheit und was nicht?
Einige diesbezügliche Diskussionen beruhen auf einem unterschiedlichen Verständnis der Begriffe. Denn die Anliegen der jeweiligen Positionen mögen unterschiedliche Aspekte betonen, die sich zwar augenscheinlich widersprechen, aber gegebenenfalls als perspektivische Unterschiede auflösbar sind.
Willensfreiheit wird hier nicht als Unbedingtheit und Grenzenlosigkeit verstanden, denn offensichtlich unterliegt jeder Mensch Bedingungen und Einschränkungen in biologischer, kognitiver, sozialer und kultureller Dimensionen. Wer den Aspekt dieser Bedingtheit für zentral hält, mag den Aspekt der Wesenhaftigkeit des Menschen übersehen. Denn jeder Mensch verfügt über die Wahl, ob er sich der Pflicht oder der vermeintlichen Einsicht, moralischen Erwägungen oder dem Druck durch andere beugt … oder eben nicht. Es mag durchaus sein, dass jener einem übermächtigen Zwang unterliegt, aber es ist von entscheidender Bedeutung, ob er dies widerstandlos tut oder ob er dagegen kämpft. Denn der Mensch erkennt allzu oft widerstrebende Kräfte und Motive, die seine Entscheidung fordern. Genau das ist Willensfreiheit. Gerade dann, wenn die Entscheidung teuer ist, wird der Adel des Menschen und seine Würde gefordert. Der widerstandlose Helfershelfer böser Kräfte bleibt Sklave seiner oder fremder Gelüste. Ohne diese Willensfreiheit gibt es keine Moral und keine Schuld, kein Ruhm und keine Würde, und keine Freiheit in irgend einem Sinn.
Weder die Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Entscheidung, noch ein möglicherweise existierendes Vorherwissen entbindet den Menschen von seiner Würde und Bürde, die Entscheidung in eigener Verantwortung zu treffen, auch und gerade wenn die Entscheidungsgrundlage auf nicht auf zureichendem Wissen beruht. Irrtum und Ungewissheit schränken diese Freiheit nicht ein, sondern sind geradezu die Voraussetzung der Freiheit.
Willensfreiheit als zentrale Gut
In der Tat ist die Willensfreiheit ein wesentliches Element der griechischen und abendländischen Philosophie, die auch oft angezweifelt wird. Ungehorsam und Misstrauen ist eine notwendige Bedingung für eine Willensfreiheit, und ebenso gehören Ungewissheit und Zweifel untrennbar damit zusammen. Denn nur wer sich über den (moralisch) richtigen Weg nicht sicher ist, kann eine alternative Handlung ausführen. Ist dagegen die Wahlfreiheit nicht gegeben, muss sich der Mensch in einer prädestinierten Weise verhalten. Er ist demnach auch nicht mehr verantwortlich für sein tun, denn er kann sich ja nicht per Entschluss anders verhalten – also weder besser, noch schlechter.
Die Ungewissheit führt aber zugleich zur Entscheidungsnot. Denn wenn nicht sicher ist, was das Richtige ist, kann sich der Mensch entweder im Vertrauen auf eine Erkenntnis oder einen Führer verhalten, oder eben erratisch. Das Gefühl der Gerechtigkeit kann ebenso in die Irre führen wie das Gefühl des Zorns und der Rache. Zumeist ist der moralische Kompass an eine Glaubensüberzeugung gebunden. Aber ist der Glaube an das Gesetz, die Führung Gottes oder des Heiligen Geistes bereits ein zuverlässiger Ausweg aus diesem Dilemma?
Sicher gab und gibt es viele Heuchler, die den Namen Gottes missbrauchen, um anderen Gestern Macht zu verleihen. Aber können wir sicher sein, dass alle, die im Namen des Glaubens schreckliche Verbrechen begingen, dies nicht aus tiefster innerer Überzeugung taten? Ich denke nicht. Und wie schützen wir uns vor ähnlichen Irrtümern?
Auch im Film ist es eben der Glaube, die Welt von der Gewalt befreien zu müssen oder eben jenes Bekenntnis (Creed) der Assassinen zur Willensfreiheit. Es ist darum klar, dass der Mensch Gewissheit erstrebt – symbolisiert durch die Wissenschaft. Zugleich aber wird fehlende objektive Gewissheit durch eine Überzeugung ersetzt, die fatal schief gehen kann. In diesem Sinn wird dann das Streben nach Gewissheit nicht mehr im wissenschaftlichem Geist des Zweifels voran getrieben, sondern jene vermeintliche Erkenntnis auch dadurch verteidigt, dass man Zweifel und Zweifler radikal bekämpft. Selbstkritische Nachdenklichkeit ist dann keine Tugend mehr, sondern gehört ausgemerzt.
Jedwede wirkmächtige Bewegung der Geschichte zeigt in diesem Sinn immer gleiche Muster, die zum Totalitarismus neigen. Ob es nun religiös oder politisch begründet wird, jene historischen und neuzeitlichen Jakobiner schrecken vor einer Terrorherrschaft nicht zurück, bemühen sich aber neuerdings lieber subtilerer Methoden der Propaganda, um den Totalitarismus moralisch besser rechtfertigen zu können. Nicht die Ausübung brutaler Gewalt ist das Markenzeichen des Totalitarismus, sondern die alles durchdringende Wirksamkeit der Unterdrückung eines abweichenden Denkens – so das Ergebnis von Hannah Arendt. Und diese verträgt sich nicht mit praktizierter Meinungsfreiheit und Zweifeln, sondern fordert auch da Gewissheit ein, wo sie nicht durch gute Argumente gedeckt wird.
Ungehorsam ist ein Aufbegehren gegen herrschende Meinungen und tonangebenden Eliten. Er wird dadurch auch moralisch von jenen geächtet. Ist der Ungehorsam darum bereits im Prinzip gut und gerechtfertigt? Ist der Rebell darum automatisch in einer moralisch überlegenen Position? Das kann keineswegs stereotyp beantwortet werden. Denn auch weise Herrschaft und die Existenz guter Regeln könnten durch Ungehorsam beantwortet werden. Lassen die guten Regeln nun viele Freiheiten, so wird der Rebell diese Grenzen der Freiheit erproben, auch wenn diese faktisch robust begründet sind. Üblicherweise neigen Kinder, denen viele Freiheiten gewährt werden dazu, dass sie auch die darüber hinaus gehenden Grenzen nicht akzeptieren wollen. Ungehorsam ist als notwendige Möglichkeit der Freiheit durchaus zu erkennen, aber das macht den Ungehorsam nicht stets zu einer Tugend.
Genau das sagt auch das Gleichnis des biblischen Sündenfalls. Gott gewährte Adam und Eva die Macht des Ungehorsams, in dem er ihnen die Möglichkeit zum Essen einer verbotenen Frucht gab. Freilich wurden sie auf fatale Konsequenzen verwiesen. Ohne die Möglichkeit des Ungehorsams aber wäre der Mensch nur die Marionette Gottes, und Willensfreiheit bliebe substanzlos. Das Ziel des Verbotes war damit nicht die unbedingte Einhaltung jenes Verbots. Denn ansonsten hätte Gott ja nicht jenen Baum erschaffen müssen, oder er hätte ihn mit einer undurchdringlichen Käseglocke versehen. Ziel war vielmehr, dass der Mensch im Vertrauen und Liebe zu Gott dem Gebot gehorsam blieb.
Hier zeigt sich aber die wahre Aporie, denn hätten die Menschen in der Gleichnisgeschichte dem Gebot stets und unveränderlich Folge geleistet, müsste man annehmen, dass das Gebot keine echte Wahloption zuließ. Ein freier Wille wäre dann lediglich ein leeres Konzept geblieben. Andererseits ist das Ausüben von Wahloptionen auch dann leer, wenn diese (logisch) erzwungen wäre und nichts kostet. Beliebiges erratisches Handeln ohne Konsequenzen hat keinen eigenen moralischen Wert und wäre eine reine Sache des Zufalls … und damit wertlos.
Die notwendige Bedingung des freien Willens ist damit die Ungewissheit. Denn ein Vertrauen auf eine Aussage – nämlich der von schrecklichen Konsequenzen – macht nur unter Ungewissheit Sinn. Es wäre lediglich töricht, wenn unbestreitbare Klarheit über die negativen Konsequenzen einer Entscheidung bestünde, und man sie dennoch treffen würde.
Gut und Böse
Rebellion gegen das wahre Gute hat stets etwas pubertäres. Es ist die beklagte Sünde, die letztlich alles verliert und nichts gewinnt. Das Misstrauen führt in die Isolation und Tod und hat nichts heroisches. Es ist ein verlorenes Leben, dass letztlich nur dem Bösen dient. Die beanspruchte Freiheit ist dann einer stereotypen Sklaverei im Geist der Rebellion, in dem keine Verheißung ruht. Freiheit muss auch die Option des Gehorsams beinhalten.
Andererseits ist ein blindes Vertrauen und Gehorsam dann fatal, wenn es dem Falschen gilt. Dann wird der Mensch zum Diener des Bösen. Und auch der erste Augenschein, dass der Dienst dem Guten gelte, hat allzu oft den Menschen in die Irre geführt. Religionen und politische Ideologien versprachen Erlösung und führten letztlich nur in eine unheilige Knechtschaft. Die Absicht und das Gefühl, dem Guten zu dienen, führt dann zu Frömmelei und Fanatismus, bei dem die Heuchelei sogar das kleiner Übel ist. Wir sehen dieses Verhalten auch bei Paulus, der in seinem Eifer, das Gute tun zu wollen, zu einem brutalen Verfolger derer wurde, die wahrhaft dem Guten dienten. Wichtig ist dann die schwierige Erkenntnis, was das wahrhaft Gute sei. Der Augenschein hat jedoch oft getrogen und die Ungewissheit darüber bleibt ein Damoklesschwert, welches über unsern Häuptern hängt und droht, auf uns zu stürzen und uns zu vernichten. Aber man fällt diesem um so sicherer anheim, wenn wir die Gefahr durch eine falsche Sicherheit ausblenden wollen.
Also: Nicht die Absicht alleine ist eine notwendige und hinreichende Bedingung, dem Guten zu dienen, sondern auch die Erkenntnis, was denn das wahre Gute sei. Die Ungewissheit ist zugleich die notwendige Bedingung der Freiheit und des wahren Vertrauens, zugleich aber die Quelle jenes Irrtums, den wir besser vermeiden wollen. Das Streben nach Gewissheit ist zum einen durchaus tugendsam, zugleich aber ein letztlich unerreichbares Ziel. Eine falsche Gewissheit, die lediglich den Irrtum zementiert, ist dagegen das, was vielleicht als die Sünde wider den heiligen Geist der Wahrheit bezeichnet werden kann.
Grundsätzliche Ungewissheit
Platon zeigt sowohl in den Aporien der sokratischen Dialoge, die keine klare Auflösung kennen, als auch im Höhlengleichnis das Problem, dass eine Erkenntnis grundsätzlich nicht sicher ist, sondern stets unter einem Irrtumsvorbehalt bleibt. Auch Kant zeigte in der Kritik der reinen Vernunft, dass sich Gewissheiten über das Wesen der Welt, und damit auch über gut und böse, nicht zweifelsfrei gewinnen lässt. Das aber öffnet nicht der völligen Erkenntnislosigkeit und Beliebigkeit Tür und Tor, sondern stellt der praktischen Vernunft die Aufgabe, wie sie trotz jener Unauflösbarkeit der letzten Ungewissheit zu hinreichenden Ergebnissen kommen kann. Und das ist dann auch die Quintessens des Kritischen Rationalismus von Karl Popper, der die Grenzen der Erkenntnis herausarbeitet: Ungewissheit ist ebenso ein grundsätzliches und unauflösbares Problem wie die Heisenbergsche Unschärfereation.
Dies aber führt nicht zwingend in einen Agnostizismus in moralischer Beliebigkeit, sondern versucht sich durch die Erkenntnis von Irrtümern der Wahrheit zu nähern. Wahrheit ist dann keineswegs subjektiv, denn wäre dem so, gäbe es kaum einen Irrtum. Die Wahrheit bleibt absolut und unerbittlich, wird jedoch nicht sicher erkennt. Es ist darum eine vornehme Aufgabe, mittels des Werkzeugs des Verstandes Irrtümer aufzuspüren und jene aus den möglichen Ansichten über die Welt zu streichen. Mittels dieser Methode ist eine letzte Gewissheit wohl auch nicht zu erreichen, aber sie nähert sich der Wahrheit an, da sie den Lösungsraum verengt. Die Möglichkeiten der Wahrheitserkenntnis, die im Extrakt aus den Irrtümern übrig bleiben, haben darum um so mehr die Plausibilität, kohärent mit der absoluten Wahrheit zu sein.
Dies ist in der Tat das Prinzip der Wissenschaften, die aber damit im Kern ambivalent bleiben. Denn die Wissenschaft sucht einerseits nach objektiver Erkenntnis, also Gewissheit. Andererseits muss sie stets methodisch den Irrtum der bisherigen Ergebnisse für möglich halten und stets nach Fehlern in der eigenen Verfahren suchen. Diese Spannung zwischen objektiven Erkenntnisstreben und einem methodischen Skeptizismus wird oft von jenen simplifiziert, die dazu auffordern, der ‚Wissenschaft‘ zu folgen – und zwar ausschließlich den Aussagen von Wissenschaftlern, die auf der Linie der eigenen Ideologie liegen.
Irrtümer erkennen
Auch wenn eine positive Erkenntnis nicht gegen jeden Irrtum feit, so ist es dennoch möglich, Irrtümer zu erkennen. Hier verweise ich auf die Kohärenztheorie der Wahrheit. Einfach ausgedrückt: Eine Aussage, die im unvereinbaren Widerspruch zu einer zweiten Aussage, bzw. zu einem System von Aussagen führt, kann nicht in gleicher Weise wahr sein. Im Besonderen empirische Sätze haben hohe Plausibilität, auch wenn diese kein Grant der Wahrheit liefern … wir könnten ja in einem System der Illusion gefangen sein. Ist jenes System aber kohärent und führt nicht zu jenen Widersprüchen, darf man getrost auf die Wahrheit jener Sätze bauen. Stehen zwei Sätze im Widerspruch, muss also mindestens einer falsch sein. Es könnten aber auch beide falsch sein. Erst in der Summe der Sätze, die zunächst für wahr gehalten wird, erweist sich die Vertrauenswürdigkeit des Gedankengebäudes – sofern dieses eben nicht zu Widersprüchen führt.
Die Entscheidung, ob ein Satz wegen inhärenter Widersprüche falsch ist, kann in Einzelfällen schwierig sein. Oft aber lassen sich derartige Widersprüche klar identifizieren. Denken wir an das ‚unsichtbare rosa Einhorn‘. Abgesehen davon, dass ein Einhorn klar einer Mythologie zuzuordnen ist, die keinen Bezug zur Naturbeobachtungen ergeben, sind doch die Attribute ‚unsichtbar‘ und ‚rosa‘ widersprüchlich. es bedarf dann keiner weiteren Überlegung mehr, derartige Behauptungen zu verfolgen.
Um weiter zu einer hinreichenden Näherung zu kommen, kann von der Wertschätzung von Basissätzen ausgegangen werden. Beispiele:
- Das Leben ist wertvoll und erhaltenswürdig
- Die Liebe ist ein hohes Gut, vielleicht das Höchste überhaupt
- Gott hat uns nach seinem Bild geschaffen
Das dritte Beispiel fällt hier ein wenig aus der Rolle von möglichst einfachen Grundsätzen, die selbstevident sind. Aber auch diese Grundsätze sind keine unhinterfragbaren Dogmen, sondern müssen sich auch beim Aufbau eines Systems von Sätzen wieder der Kohärenzprüfung unterziehen. Letztlich können Sätze und Schlussfolgerungen, die jene Grundsätze in Frage stellen oder gar negieren verworfen werden. Nur das Filtrat, das kohärent mit den grundlegenden Werten ist, wird darum Bestand haben.
Die Zeichen der Zeit
Philosophische Grundfragen, wie die nach Wahrheit und Erkenntnis, sind zeitlos. Aber sie treffen auf einen zeitbezogenen Kontext, in dem mal die eine, mal die andere Tendenz die Ergebnisse beeinflusst. Aktuelle Beobachtungen des politischen Klimas sind darum nicht nur Niederungen, die von dem Wesentlichen ablenken, sondern sind zur Reflektion unabdingbar. Denn wir müssen davon ausgehen, dass wir nicht über den Dingen stehen, sondern selbst vom Wind der Gezeiten beeinflusst werden. Wollen wir vermeiden, dass unser Denken erheblich Schlagseite bekommt, müsse wir jene Einflüsse deuten und verstehen, gerade um sich davon unabhängig zu machen.
Der zeitgenössische Philosoph Gunnar Kaiser leistet einen wesentlichen Beitrag mit Von der Abschaffung der Ungewissheit, in dem er den Trend, nur noch eine Meinung zuzulassen, analysierte … Es keine keine Meinung mehr, zu der es Alternativen gäbe, sondern die Wahrheit schlechthin. Abweichler sind dann keine Meinungsgegner, sondern Gedankenverbrecher, die gemeldet werden müssen. Immerhin müsse konsequent gehandelt werden. Nachdenken hindert nur daran. Gewissheit ist notwendig. Offener Diskurs und Freiheitsrechte sind da nicht mehr zeitgemäß. Im Reflektieren wird die Gefahr dieser Ansichten erkennbar.
Natürlich ist dann der freie Wille nur ein Störfaktor, der eigentlich nur unmoralisch sein kann. Vielmehr wird jener freie Wille selbst verdächtig: Gibt es überhaupt diesen freien Willen? Wird er nicht als ’nur scheinbar‘ entschärft? Ist das Selbstverständnis des Menschen und seiner Würde ohne die Ungewissheit nicht bereits im Kern massiv beschädigt?
Und der Glaube?
Glauben heißt nichts wissen, sagt der Volksmund. In der Tat beinhaltet jedes explizite und implizite Glaubensbekenntnis ein Eingeständnis der Ungewissheit. Denn bestünde unbestreitbare Gewissheit, wäre ein Glaube überflüssig, so wie es unsinnig wäre, die Richtigkeit eines mathematischen Ergebnisses mit Glauben zu titulieren. Wenn aber die Ungewissheit die unvermeidbare Grundbefindlichkeit unserer Existenz ist, kann man nur eine der folgenden Optionen ausüben:
- Wir bestreiten die Ungewissheit und behaupten eine Gewissheit, die wir nicht mehr ‚Glaube‘ nennen, in purer Ignoranz des berechtigten Zweifels.
- Wir neigen zu einem radikalen Skeptizismus und geben vor, gar nichts mehr zu glauben.
- Wir bekennen uns zu einem Glauben, den wir aber auch stets auf einen Prüfstand stellen, um mögliche Irrtümer zu erkennen.
Manch ein Gläubiger ist eher der ersten Option zuzurechnen, denn er hält jedweden Zweifel für unangebracht. Auch radikale Skeptiker können ihre Position nicht durchhalten, denn während sie manche Glaubenseinstellung ablehnen, weil sie eben keine Gewissheit haben, vertrauen sie implizit auf andere Dinge, z.B. dass dieses Vertrauen jener Gläubigen begründet abzulehnen sei – ohne dafür eine gesicherte Grundlage zu haben.
Die ehrlichste Position ist dann die des Gläubigen, der sich seiner Ungewissheit bewusst bleibt und bereit ist, seine eigenen Glauben zu überprüfen. Das widerspricht nicht den Begriff der Glaubensgewissheit. Was sich wie ein Widerspruch in sich selbst anhört meint nicht, dass die Zweifel grundsätzlich ausgeschlossen sind, sondern dass sich jener Glaube auch in Prüfung bewährt hat, und darum ein festes Vertrauen rechtfertigt. Das schließt aber nicht aus, dass sich jener Glaube auch der Überprüfung stellt. Eine existenzielle Erfahrung kann durchaus eine subjektive Gewissheit begründen. Zum Problem wird es dann, wenn daraus schwierige moralische Fragen begründet werden.
Diskussionen über die Willensfreiheit
Abgesehen von der Notwendigkeit, von der Willensfreiheit auszugehen – wie oben dargelegt – wird diese oftmals in Zweifel gezogen. So wird im Zuge der Neurophilosophie gemeint, dass unser Gehirn ausschließlich die Ursache allen Denkens sei, und dieses wiederum durch die Naturgesetze bestimmt sei. Das Bewusstsein sei demnach ein Epiphänomen, quasi ein Abfallprodukt der Gehirnaktivitäten. Alles Denken und Entscheiden sei eine Illusion, denn durch die physikalische Vorgabe würde das Bewusstsein eben den neuronalen Aktivitäten folgen, nicht sie hervorbringen.
Natürlich ist dies in invalider Schluss, denn sollte dieser Ansatz zutreffend sein, würde er nicht die Nichtexistenz alles dessen behaupten, dass man physikalisch nicht fassen kann, das erkenntnistheoretisch gar nicht nachweisbar ist – es würde viel mehr bedeuten, dass auch der vermeintliche Schluss und die Forschungsergebnisse induziert seien, ebenso wie deren gegenteilige Ansicht. Damit aber läge es auch nicht in unserer Entscheidung, welches Denken wir für korrekt und welches wir für falsch halten. Wir wären in der – vorgegebenen – Illusion gefangen und grundsätzlich nicht in der Lage, irgend etwas zu erkennen. Dem Menschen ein selbstständiges Denken abzusprechen und eine freie Entscheidung wäre dysfunktional, denn es würde ebenso auf jene zutreffen, die diese Ansicht vertreten.
Ein anderer Ansatz der Diskussion bezieht sich auf den christlichen Glauben. Eine denkwürdiger Disput fand bereits vor 500 Jahren statt, der zwischen Erasmus von Rotterdam und Martin Luther in zwei Aufsätzen erschien und sich erstaunlich modern anfühlt. 1524 verfasste Erasmus die Schrift ‚Vom freien Willen‘ (Original De libero arbitrio) , der auch heute noch in Klarheit zu folgen ist. Luther erwidert mit seiner Schrift ‚Vom unfreien Willen‘ 1525. Der Argumente sind es vieler und es ist notwendig, diese detailliert zu betrachten. Diese Arbeiten sind eines eigenen Aufsatzes wert, aber eines will ich vorab bekennen:
Ich sehe mich auf Seiten von Erasmus von Rotterdam, denn Luther unterlaufen viele Fehler und verkürzte Auslegungen. Ihm ist der Gedanke wichtig, dass es kein Verdienst und eigener Ruhm sei, Gott zu suchen … und darum sei eine eigene Entscheidung nicht heilsnotwendig und dem Heil nicht dienlich. Luther’s Anliegen mag ehrenhaft sein, aber wenn das Heil, dass nicht allen in gleicher Weise zuteil wird, nicht vom Wollen des Menschen abhängig ist, sondern von der freien Wahl Gottes, dann würde dieser Gott nicht nach moralischen Grundlagen der Gerechtigkeit, sondern nach Willkür entscheiden. Woher leitet sich dann aber die Forderung der Gerechtigkeit her, wenn Gott selbst nicht gerecht wäre? Würde es aber im Willen des Menschen liegen, die Gnade Gottes anzunehmen, so wäre dies kein Verdienst, sondern noch immer unverdiente Gnade, die man jedoch zurück weisen kann.
Auch meint Luther, dass prophetisches Vorherwissen eine aktive Steuerung der Ereignisse und damit die Lenkung jener Entscheidungsträger erfordert – die darum nicht mehr in Freiheit entscheiden könnten. Das ist natürlich weder notwendig noch zwingend, denn ein Wissen um eine freie Entscheidung ist nicht gleichbedeutend mit einem Zwang zu jener Entscheidung. Ein Verständnis des Zeitflusses, dem der Mensch unterworfen ist, ist keines, dem auch Gott unterworfen wäre.
Ein Ausblick
Gerade die Willensfreiheit macht den Menschen aus. Wer ihn zum Spielball fremder Kräfte degradiert und ihm jene Willensfreiheit abspricht, enthebt ihn der Verantwortung und Würde. Es macht darum wenig unterschied, ob man das aus einer humanistischen Überzeugung oder aus der Ebenbildlichkeit Gottes (1. Mose 1) herleitet. Sogenannten Kompatibilisten, d.h. jene, die eine Verantwortung dem Menschen auch ohne Willensfreiheit zugestehen, haftet der Geruch der Wortklauberei und Sophisterei an. Lasst uns diese Würde der Verantwortung als Ehrenzeichen tragen und uns dieses Gut nicht nehmen.