Der Fall des Menschen

Zuweilen ist es mir nur ein Anliegen, meine Gedanken zu fixieren. Natürlich würde ich es begrüßen, wenn andere etwas davon hätten, aber das ist zumeist sekundär. Hier will ich versuchen, einen Text so zu schreiben, dass er auch in einer Predigt verwendet werden könnte, also die Vermittlung der Idee steht als Anliegen gleichwertig neben der Substanz. Der Gegenstand hier ist die Geschichte vom Sündenfall.

1 Die Schlange war schlauer als alle Tiere des Feldes, die Gott, der HERR, gemacht hatte. Sie sagte zu der Frau: Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen? 2 Die Frau entgegnete der Schlange: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen; 3 nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen und daran dürft ihr nicht rühren, sonst werdet ihr sterben. 4 Darauf sagte die Schlange zur Frau: Nein, ihr werdet nicht sterben. 5 Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse.

1.Mose 3 nach Einheitsübersetzung 2016

Es gibt zum einen Leser, die an einen Bibeltext mit Ehrfurcht herangehen. Es sei immerhin das Wort Gottes! Andere lesen ihn unbefangen und denken erst darüber nach. Moderne Menschen werden hier an eine Fabel denken, denn sprechende Tiere sind dieser Literaturgattung zu eigen. Doch wo kommt der Text her? Warum steht er in der Bibel?

Viele Generationen lang hielten die Leser den Text nicht für eine beliebige Dichtung eines Menschen, sondern einen Text, der von Gott inspiriert ist. Tatsächlich ist dieser Text sogar weit mehr als nur ein beliebiger Text, dem besondere Würdigung zuteil wurde, sondern es ist ein grundlegender Text, der vielfach zitiert wird, und ohne diesen das Christentum nicht zu verstehen ist. In der Tat hat der Text erstaunliche Tiefe, die man einem einfachen Dichter kaum zutrauen will. Wenn wir den Text also als ein Stück Offenbarung Gottes verstehen, dann heißt das … was?

Einige meinen, dass es sich so auch historisch zugetragen haben muss, denn Gott würde uns doch nichts Falsches offenbaren. Andererseits erzählt auch Jesus oft Gleichnisse, die keineswegs meinen, dass diese auch von historischen Ereignissen berichten. Die Gleichnisse werden auch nicht dadurch, dass sie keinen historischen Anspruch haben, weniger bedeutsam oder wahr. Es kommt auf die Botschaft an, die das Gleichnis vermitteln will. Die erste wichtige Frage an den Text ist darum nicht, ob es sich um eine historische Geschichte oder ein Gleichnis handelt, sondern wer hier spricht. Ist es letztlich Gott, dann stellt sich die zweite wichtige Frage: Was will uns Gott damit sagen?

Wenn also jemand meint, dass es eine historische Geschichte sei und verstanden hat, was Gott damit sagen will, hat er das Wesentliche verstanden! Dann ist es unerheblich, ob andere meinen, dass es keine plausible historische Geschichte sei und derjenige vielleicht naiv sei, der das glaubt. Wer es aber als Gleichnisgeschichte versteht und hat erfasst, was Gott ihm sagen will, dann hat er das Wesentliche verstanden! Dann ist es unerheblich, ob ihn die vielleicht allzu Frommen ihm den wahren Glauben absprechen wollen. Wer sich aber rechtgläubig dünkt, und die Historizität des Sündenfalls für unverzichtbar in seinem Glauben ansieht, hat aber nicht verstanden, was Gott ihm damit sagt, hat das Ziel der Offenbarung verfehlt. Und jener, der sich für schlau hält, und das ganze für ein Gleichnis hält, und jene Naiven belächelt, die sie für eine historische Geschichte halten, hat aber nicht verstanden, worum es Gott geht, hat das Wesentliche verpasst. Kümmern wir uns also um das Wesentliche und lassen das Nebensächliche beiseite.

Eine zweite Vorbemerkung zur Form

Ein Text, der Menschen aus unterschiedlichen Kulturen über viel Jahrhunderte etwas wichtiges mitteilen will, ganz gleich ob sie schlicht oder genial sind, ob sie mit Bildung und Wissen reich oder arm sind … der muss eine bestimmte Form finden, vor allem, wenn der zu vermittelnde Inhalt sehr komplex ist. Er muss einen Text wählen, der eingängig und kulturübergreifend ist, eine Geschichte, die vom einfachsten Menschen verstanden werden kann, und beim Weisesten noch immer Verwunderung hervor ruft. Natürlich darf der Text nicht zu lang sein, sonst liest ihn keiner, oder er wird von den einfachen Menschen nicht mehr verstanden. Kurz: Ein Wunder der Erzählkunst ist erforderlich!

Diese Formüberlegungen leiten uns zum Inhalt. Dieser ist eingebettet in die zweite Schöpfungserzählung, die Adam und Eva als die ersten Menschen bekannt macht, die im Garten Eden als Schöpfung Gottes leben.

Die Anthropologie Gottes

Die Menschenkunde, Lehre vom Menschen, bzw. die Wissenschaft vom Menschen sagt vor allem, was der Mensch ist, was ihn ausmacht und prägt. Oft forscht man hier über Kulturen und fasst die Ergebnisse sämtlicher Humanwissenschaften zusammen. Unser Text sagt etwas über die Grundbeschaffenheit des Menschen, seine Neugier und sein Scheitern … aus der Sicht Gottes

An der Geschichte wird der Mensch vor allem durch die Frau Eva repräsentiert. Der Mann Adam hat eigentlich eine weniger ruhmreiche Nebenrolle. Dies ist merkwürdig, denn die Kulturen des Altertums – vor allem derer, in denen die Bibel entstand – waren stark patriarchalisch geprägt. Die Frauen hatten zumeist untergeordnete und passive Rollen, das Wichtig ging stets vom Mann aus. Diese Geschichte aber stellt die Frau in den Mittelpunkt. Als wollte Gott einen Hinweis geben: Diese Geschichte entstammt nicht einem Kulturkreis, sondern ist eine Inspiration, die über der zeitbezogenen Kultur steht.

Aber bleiben wir bei der Gegenthese: Die Geschichte könnte dennoch von einem Menschen erdacht sein. Seltsam, dass der Baum nicht ewige Jugend, ewiges Leben, grenzenlose Macht, Glückseligkeit, Reichtum oder Lust verheißt – also das, wonach sich viele Menschen sehnen: Wäre das nicht viel mehr eine Versuchung, ein Gebot zu brechen? Keiner hätte an der Geschichte gezweifelt. Gott könnte uns tatsächlich vor falschen Zielen gewarnt haben. Aber der Baum der ‚Erkenntnis des Guten und des Bösen‘? Wer denkt sich so was aus? Für den Menschen des Altertums bestand daran wohl kaum ein Mangel, aber an all den anderen Dingen, die so viel verlockender waren. Auch dem heutigen Menschen ist es doch eher so, dass er sein Empfinden nach Gerechtigkeit, also gut oder böse, zum Maßstab über das Verhalten anderer setzt, auch über Gesetze oder sogar das Handeln Gottes … DARAN empfindet er gewiss keinen Mangel.

Eva ist sich sehr wohl über das Verbot bewusst. Aber sie schenkt den falschen Ratgebern das Vertrauen, hier der listigen Schlange. Eva wird mit zwei widersprüchlichen Versionen konfrontiert: Hier das Verbot Gottes, da die Verheißung, zu sein wie Gott. Aber sind die Menschen nicht bereits wie Gott, da sie doch nach seinem Bilde geschaffen sind und auch die Fähigkeit haben, eigene Entscheidungen zu treffen.

Bereits das Verbot Gottes impliziert seine Möglichkeit: Der Mensch kann das Verbot beachten, aber er kann es auch brechen. Diese Unbestimmtheit macht ihn zur moralischen Instanz, die vor allem Gott zugeschrieben wird. Wäre es dem Menschen unmöglich, ein Verbot zu halten oder es zu brechen, macht ein Verbot keinen Sinn: Denn wenn er es ohnehin halten müsste, bräuchte man es nicht auszusprechen. Kann er es nicht halten, wäre es eine unsinnige Forderung. Das Gebot wäre eine Farce.

Der Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen bedarf keiner eigenen Magie, denn allein durch die Zuschreibung wird er zu genau dem: Das Beachten von Verboten, die die liebenden Eltern vermitteln, ist gut. Misstrauen und ungehorsam dagegen kann tödlich sein. Sagen die Eltern dem Kind: ‚Renne nicht auf die Straße!‘ aber das Kind tut es doch, so kann dieser Ungehorsam zur Todesursache werden. Und sogar das weiß Eva. Warum verfängt die Lüge der Schlange dennoch?

Da ist zum einen die Neugier: Könnte es nicht sein, dass die Schlange einfach recht hat? Offensichtlich ist dieser Gedanke nur unter der Ungewissheit denkbar. Denn wäre sich Eva der Konsequenzen völlig gewiss, so würde sie diesen Worten keinen Glauben schenken: Schlange, was redest du da für einen Unsinn! Warum also hat Eva überhaupt diese Ungewissheit, die diese Entscheidung erst ermöglicht? Der Text sagt es durch die Blume: Weil Gott ihr diese Ungewissheit zumutet!

Das erstaunliche an der Geschichte ist, dass Gott Eva die Willensfreiheit ermöglichte, gegen sein Gebot zu handeln. Würde Gott das Verhalten von Eva lenken, wär die ganze Geschichte eine Farce. Sie selbst kennt das Gebot, das sie durchaus als gut erkennt. Aber sie erliegt der Versuchung. Was aber ist die Versuchung?

Hier geht es um etwas sehr seltsames: Es geht um die Unterscheidung zwischen gut und böse als dem zentralen göttlichen Attribut. Das ist erstaunlich, denn Menschen meinen gemeinhin, dass sie sehr wohl das Gute vom Bösen unterscheiden können. Warum sollte es also eine Versuchung sein, das Selbstverständliche zu erlangen? Nur sehr reflektierte Menschen erkennen, dass es zuweilen sehr schwierig ist, eine klare Trennlinie zu ziehen. Dagegen sind die Menschen zunächst interessengetrieben und nehmen ihr Urteil aus ihrem persönlichen Blickwinkel ein. Sollte das Gute in Konflikt mit dem Eigeninteresse stehen, sucht der Mensch eine möglichst reibungslose Harmonisierung. Die Unterscheidung zwischen gut und böse ist irrelevant, wenn sie ohnehin dem Eigeninteresse dient. Sucht aber jemand die Unterscheidung, dann ist das zugleich das Verlangen und das Eigeninteresse gegebenenfalls einem höheren Ziel unterzuordnen.

Hier bieten sich mehrere mögliche Deutungspfade an.

Variante A: Eine verbotene, göttliche Gabe

Der Zuhörer, der sich selbst als urteilsfähiger Mensch versteht, hält dies Gabe nicht für selbstverständlich, sondern achtet diese Fähigkeit, über seine Eigeninteressen ein höheres Gut zu stellen für so wichtig an, dass es ihm nicht grundsätzlich zu eigen ist als Teil seiner geschaffenen Natur. Er geht dann davon aus, dass Adam und Eva noch nicht, oder nur in ein eingeschränktem Umfang über diese Gabe verfügten. Das es sich um eine Gabe Gottes handelte, nicht um etwas grundsätzlich verbotenes, erkennt man daran, dass jener Baum in der Mitte des Gartens, also in zentraler Position überhaupt geschaffen wurde und dass dieser grundsätzlich zugänglich blieb.

Wäre es Eva und Adam möglich gewesen, diese Gabe zu erlangen, ohne dass sie von den Früchten des Baumes aßen? Ja, denn sie hätten das Verbot als solches erkennen können, dass sie die Unterscheidung zwischen richtig und falsch lehrte. Sie hätten mit Gott darüber reden können, dass sie danach begehren … Es bleib also eine göttliche Gabe, die sie auf zwei Weisen hätten erwerben können. Auf eine nachdenkliche Art, die das Vertrauen nicht bricht, und eben die Neugier, die ihnen die Übertretung zum Bewusstsein bringt. Lesen wir weiter:

6 Da sah die Frau, dass es köstlich wäre, von dem Baum zu essen, dass der Baum eine Augenweide war und begehrenswert war, um klug zu werden. Sie nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihrem Mann, der bei ihr war, und auch er aß. 7 Da gingen beiden die Augen auf und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz.

1.Mose 3 nach Einheitsübersetzung 2016

Das Begehren wurde durch das Verbot geweckt. Den Erwerb der Klugheit scheint dagegen eher ein vorgeschobener Grund zu sein. Das menschliche Begehren wird im Buddhismus als die Quelle allen Übles angesehen. Die Übung der Askese gilt dagegen als erstrebenswert. Die Bibel nennt nicht jedes Begehren schlecht, weiß aber von schädlichem und destruktivem Begehren. Eva zumindest erinnerte sich sehr wohl an das Verbot, das sie jedoch überging. Von Adam war gar nicht mehr die Rede, dass er noch Einwände hätte.

Auch die Erkenntnis der Nacktheit kann in zweifacher Hinsicht verstanden werden. Als sexuelle Schamhaftigkeit, die sich letztlich auf den Geschlechtsakt bezieht. So wurde Sünde mit starkem Bezug zur Sexualität auch immer wieder umgedeutet. Aber bei dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen ging es doch gerade nicht um Sex. Vielmehr heißt es doch vorher: Seid fruchtbar und mehret euch. Die Nacktheit ist wohl eher als Symbol zu verstehen, dass die Sünde des Misstrauens gegen Gott der Kaschierung und Bedeckung bedarf. Sie wollen Gott nicht mehr alles zeigen, sondern Dinge vor Gott verstecken.

Der Zuhörer oder Leser entdeckt nun die Gabe der Erkenntnis des Guten und des Bösen bei sich, versteht diese Fähigkeit als göttlich, dessen Erwerb aber ambivalent, denn er wurde erst durch die Sünde ererbt. Die Erbsünde ist damit nicht eine magische Schuld, die auf dem Menschen lastet, sondern gerade die Erkenntnis des Guten und des Bösen, die aber erst durch die Übertretung bewusst wurde. Und diese Erkenntnis ist zugleich Gott zu eigen, wie wohl die Übertretung von Gott trennt: Vertrauen wurde gebrochen, und der Mensch ist nicht mehr in Gemeinschaft mit Gott.

Würde der Leser diese Gabe als grundsätzlich verboten ansehen und er diesen Verboten gemäß gar nicht mehr wissen wollen, was gut und böse sei, würde er es nur noch schlimmer machen. In der vermeintlichen Unkenntnis des Guten und des Bösen, würde er unabhängig von diesem Kriterium handeln, also zuweilen das Böse tun ohne dieses zu erkennen. Der Schaden wäre angerichtet und die Unkenntnis kann das nicht rechtfertigen und nicht zurecht richten.

Variante B: Bewusstsein wecken

In der ersten Variante ging der Leser davon aus, dass diese Gabe bei Eva und Adam nicht oder nur reduziert vorhanden war. Erst durch den Akt wurde sie ihm vollumfänglich zu eigen. In dieser Deutungsvariante gehen wir davon aus, dass diese Fähigkeit bereits vorhanden war, denn gemäß 1. Mose 1 wurde der Mensch nicht als Mängelwesen geschaffen, sondern Gott nannte die Schöpfung gut.

Die Versuchung verfing, als die Schlange behauptete, dass ihr etwas fehle. Sie implizierte, dass sie jetzt gar nicht unterscheiden könne was gut und böse wäre. Hätte Eva nicht antworten können: Ich sehe, dass du mich dazu anstiftest, Gott zu misstrauen und gegen sein Verbot zu handeln. Das IST böse! … ? Wir wissen es nicht, ob dies in den Möglichkeiten Evas der Erzählung lag, aber wir können dies durchaus annehmen.

Eva antwortete so nicht, und auch wir unterliegen allzu oft der Versuchung, das Böse zu tun, obwohl wir eigentlich wissen, dass es böse ist. Zumindest können wir es wissen. Und diese Spannung teilen wir mit Eva: Das Begehren legt uns ein Verhalten nahe, dass wir als schädlich erkennen, aber wir schlagen die vorhandene Erkenntnis in den Wind und suchen vielleicht nach einer Rechtfertigung, es dennoch zu tun. Vielleicht belügen wir uns selbst, in dem wir behaupten, das gar nicht zu erkennen. Paulus formuliert das so:

9 Ich aber lebte einst ohne das Gesetz; aber als das Gebot kam, wurde die Sünde lebendig, 10 ich dagegen starb und musste erfahren, dass dieses Gebot, das zum Leben führen sollte, mir den Tod brachte. …
18 Ich weiß nämlich, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt: Das Wollen ist bei mir vorhanden, aber ich vermag das Gute nicht zu verwirklichen. 19 Denn ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will, das vollbringe ich.

Römer 7

Zugleich wird uns dann aber die Schuld bewusst, die uns quält. Aus der vermeintlichen Nicht-Erkenntnis erwächst der Wunsch nach dem Guten. Dieses Verlangen hält uns einerseits in der Verstrickung der Schuld und andererseits in der Sehnsucht nach deren Auflösung.

Variante C: Tier vs. Mensch

Betrachten wir den Symbolwert: Die Schlange ist ein Tier. Dieses unterscheidet nicht zwischen gut und böse. Machen wir es einer Katze zum Vorwurf, wenn sie mit der Maus spielt, bevor sie sie tötet? Ebenso würde ein Tier keinen Unterschied zwischen den Bäumen machen. Die Aufforderung der Schlange ist faktische ein – Werdet ein Tier wie ich auch. Das Animalische setzt das Begehren um und belastet es nicht mit moralischen Zweifeln. Es ist geradezu das Gegenteil der Unterscheidung zwischen gut und böse. Erst durch die Übertretung erkennen sie, dass sie böse gehandelt haben.

Diese Geschichte erklärt die animalische Natur des Menschen, wie wohl sie zugleich auf die Notwendigkeit verweist, sich von der animalischen Natur zu emanzipieren und sehr wohl die Unterscheidung zwischen gut und böse zu suchen.

Gerade hier ist ein Konflikt mit dem Zeitgeist offensichtlich. Zurück zur Natur und das Bekenntnis zur biologischen Identität soll ein unverkrampften Weg zum Glück führen, eine moralinsaure Lehre dagegen führt zu Angst, Triebunterdückung und Neurosen. Soweit eine Sicht auf das moderne Denken. Ist das Wesen des Menschen also vorwiegend biologisch bestimmt? Oder macht es gerade den Menschen aus, dass er in aller Schwachheit und Verschrobenheit über sich und die Biologie hinaus weist? Der Mensch ist entweder ein Ende in sich selbst – letztlich ziellos, oder eben ein Wanderer auf ein Ziel. Ein Wesen, das in einer zunächst ungeklärten Beziehung zu seinem Schöpfer steht, oder das sich das Leben mit imaginierten Vorstellungen erschwert.

Doch eine Gleichnisgeschichte …

Die Ausgangsgeschichte von Eva und der Schlange ist so kurz und schlicht, dass wir uns wundern, wie sehr sie eigentlich unsere eigene Geschichte erzählt. Neigen wir nicht ebenso dazu, die Versuchung zum Bösen eben von uns weg zu erklären? Sind es nicht die Umstände, unsere Erziehung und Kultur, unsere unveräußerlichen Rechte, unsere von Gott verliehene Freiheit, unsere vermeintliche Erkenntnislücke, andere böse Menschen oder der Teufel selbst, der uns zum Bösen verführt?

In der Geschichte ist es die Schlange, die mit Eva spricht, ein Tier, das aber schlau ist. Oder ist es nicht wirklich eine Stimme in uns selbst, die uns das Böse als begehrlich erscheinen lässt?

So verstanden ist es in jedem Fall eine Gleichnisgeschichte, ganz gleich, ob wir sie für historisch halten oder nicht. Die Erbsünde ist dann nichts, dass wir aufgrund eines historischen Ereignisses zu einem Mangelwesen wurden, sondern weil wir diese Schuld in unserem eigenen Leben praktizieren. Würden wir sagen, Nein, nicht ich bin schuld, sondern die Erbsünde, die durch Eva in die Welt kam … dann hört sich das an wie Adam, der erklärte :

12 Der Mensch antwortete: Die Frau, die du mir beigesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben. So habe ich gegessen.

1.Mose 3 nach Einheitsübersetzung 2016

Also die gleichen Ausflüchte, um das eigene Versagen, den Bruch des guten Handelns, zu entschuldigen. Das aber ist nicht der Weg, der die Auflösung bringt, sondern führt nur tiefer in die Verstrickung der Schuld. Diese Verstrickung wird in der Geschichte mit der Vertreibung aus dem Paradies symbolisiert.

Der Engel mit dem Flammenschwert, der den Zugang zurück verwehrt, symbolisiert, dass es den einfachen Weg der Entschuldigung nicht gibt. Dieser stellt eben nicht mehr die ursprüngliche Lage her, das Porzellan ist zerschlagen.

Mein Enkel hatte nach einer bösen Tat diese eingestanden und ein ‚Entschuldigung‘ über sie Lippen gepresst. Als er dann mit Konsequenzen konfrontiert wurde, empörte er sich: ‚Aber ich habe doch ‚Entschuldigung‘ gesagt!‘

Das Leben aber kennt die Konsequenzen, dass sich die böse Tat nicht einfach zurück drehen lässt. Das Leben der Menschen wird fortan als hartes Leben verstanden, das sich eben nicht in Gemeinschaft mit Gott vollzieht. Der Mensch hat den freien Willen, er hat die Würde der Verantwortung für sein Tun und er ist mündig. Aber es ist nicht das Leben, dass er sich wünscht. Es bleibt eine ungestillte Sehnsucht. Und diese wird weder dadurch aufgelöst, das man den Menschen entmündigt, ihm seine Schuldfähigkeit abspricht oder Schuld nur als erdachte Gefühle erklärt.

Auch ein menschengemachtes Paradies, dass den Menschen von seinem Hang zum Bösen befreien soll, wird nicht funktionieren. Denn die Wurzel liegt eben nicht in den Lebensumständen, sondern im Menschen selbst. Schuld wird nicht dadurch eliminiert, indem man vermeintlich gar nichts Böses mehr tun kann – die Herausforderung zwischen gut und böse wird lediglich auf eine andere Ebene verlagert. Jene, die ihre Hoffnung darein setzen, wissen zumeist, dass sie selbst im Erfolgsfall gar nicht für diese kommunistische Paradies qualifiziert wären. Es wäre ein langer Kampf, dessen Ende man selbst gar nicht mehr erleben würde. Der Glaube an ein fernes, ökologisch ausgeglichenes Paradies, einer Utopie, an deren Erreichung man heute arbeitet, ersetzt dann eben jene Spannung der empfundenen Verlorenheit und Entfremdung. Das diese Vision aber auch in ferner Zukunft wohl kaum realisiert werden kann, sondern sich im Erfolgsfall der Programme zu einer neuen, selbstgebauten Hölle verwandelt, will man genau so wenig wissen wie Eva, die doch auch erkennen konnte, dass der Weg der Übertretung ihr zum Schaden gereicht.

Dieses Dilemma lässt sich nicht einfach auflösen. Dazu ist dann die gesamte Heilsgeschichte erforderlich … und darum müssen wir die Erkenntnis vom Fall des Menschen nicht als Ende verstehen, sondern als Anfang, als die notwendige Vorgeschichte zum Evangelium.

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