Sabine Hossenfelder spricht über ihren Ansatz, den sie mit dem Buchtitel programmatisch umreißt: ‚Das hässliche Universum: Warum unsere Suche nach Schönheit die Physik in die Sackgasse führt‚. Darin bringt sie Fragen auf den Punkt, die für unser Weltverständnis eine wesentliche Rolle spielen. So ist es erstaunlich, dass es keinen wesentlichen Erkenntnisfortschritt in der Physik seit mehreren Dekaden gibt. Sicher, es gibt Verfeinerungen, aber die wesentlichen Grundlagen haben sich nicht mehr geändert. Die allgemeine Relativitätstheorie ist bereits über 100 Jahre alt. Das Standardmodell der Teilchenphysik existiert seit den 70er Jahren. Das wäre nicht weiter überraschend, wenn unsere Erkenntnis sich der Realität eben annähert. Das Problem aber, dass die unterschiedlichen Ansätze sich nicht vereinbaren lassen. Und darin gibt es keinen Fortschritt.
Kurz: Wir müssten befürchten, dass der wissenschaftliche Fortschritt in einer Sackgasse angekommen ist … in einem unbefriedigenden Zustand … und dass wir eben keinen Zukunftsoptimismus begründet sehen. Und dann ist da noch die Ästhetik … Was ist wahr, schön oder hässlich?
Hosenfelder analysiert das Problem und identifiziert einige Gründe dafür: Die Suche nach Schönheit in der Physik ist zum Einen ein subjektives Element, zum Anderen durch die Ergebnisse ein nicht erfolgreiches Prinzip. Es gibt keine rationalen Gründe, warm es überall Symmetrien und Supersymmetrien geben soll. Es funktionier schlich oft nicht. Es wird aber dennoch auf dieser Basis aufgebaut, was schließlich in der Sackgasse fixiert. Hosenfelder meint mit Hässlichkeit hier keine Kritik an Schöpfung oder Design, oder der Natur schlechthin, sondern die Fruchtlosigkeit, nach subjektiven Schönheitsempfindungen Forschung zu betreiben. Sie widmet der Frage nach Schöpfung oder Zufall – zumindest im Vortrag – keine Aufmerksamkeit.
Schönheit aber liegt nicht nur im Auge des Betrachters, und ist auch nicht völlig beliebig. Ob man die Wildwiese oder den englischen Garten liebt, das ist Geschmackssache. Aber Schönheit ist eine Empfindung, die auf einem Resonanzboden schwingt. Sie drückt sich zugleich in jener Ästhetik aus, die im Einklang mit der Weltsicht steht, aber auch jenen Fakten verpflichtet ist. So kann das Staunen über die Feinheit natürlicher Strukturen auch das Gefühl der Schönheit sein. Die Symmetrie ist demnach nicht per se schöner als die Asymmetrie. Das Erkennen der unglaublich tiefen Details, das ist die Schönheit der Natur. Der englische Garten oder die Wildwiese sind beide schöner als das Nichts oder eine Steinwüste. Schönheit ist darum ein gültiges Argument … für das Leben, nicht aber die Wissenschaft.
Ein weiteres Argument ist die Struktur der Forschung schlechthin. Durch steigende Anzahl der Forscher, besserer Vernetzung und immer kurzfristigere Verträge entwickelten sich soziale Strukturen, die eben den Fortschritt nicht begünstigen. All die vorgetragenen Argumente wirken sehr gut durchdacht und schlüssig, aber sie enden mit der nicht gestellten Frage: Ist überhaupt ein wesentlicher Fortschritt der Wirklichkeits- Erkenntnis durch die Physik zu erwarten, wenn man jene Schwachpunkte wirksam adressieren könnte? Oder sind wir an eine weiche, aber dennoch undurchdringliche Grenze der Erkenntnis angekommen?
Recht früh zeigt sie einige Probleme auf, wie die Erwartung, dass wir alle sterben, bevor wir wesentliche Fortschritte erreichen können. Das erscheint hinreichend plausibel, doch was bedeutet das für unser Realitätsverständnis? Wir halten unser Wirklichkeit für hinreichend verlässlich, und auch das Bild, was wir vom Universum haben, für stabil, obwohl wir sehr wohl die aktuellen Grenzen der Erkenntnis kennen. Aber warum sollten wir das tun? Für pragmatisches Wissen, unseren Alltag zu gestalten, und auch atemberaubenden technischen Fortschritt wahrzunehmen, reicht es allemal. Aber wie geht es weiter?
Die Annahme, dass der technische Fortschritt zu seinem Höhepunkt gekommen sei, und nichts wesentliches mehr zu erwarten wäre, wurde je und je durch einen neuen Fortschritt als Irrtum entlarvt. Aber heißt das auch, dass es immer ungebrochen so weiter geht … und immer besser wird? Viele Themen der Science Fiction Literatur, lassen einerseits diese Hoffnung durchscheinen, wie wohl auch andere einen Schwerpunkt in Dystopien sehen. ‚Schöne Neue Welt‚ von Aldous Huxley und ‚1984‚ von George Orwell sind klassische Vertreter dieser Gattung. Der technische Fortschritt ist darin keineswegs nur segensreich, sondern dient dazu, die Menschen immer perfekter zu kontrollieren und zu versklaven. In den letzten Jahren mehren sich die Stimmen, die in diesen düsteren Versionen wahre Prophetien für aktuelle Entwicklungen erkennen. Die komplette Überwachung wird durch Big Data möglich – zuverlässig und sekundenaktuell. Chinas Sozialpunktesystem demonstriert das. Aber auch im Westen sind vergleichbare Tendenzen erkennbar
Aber bleiben wir bei der reinen Erkenntnis der Wirklichkeit, und wie sehr die Physik dazu beiträgt … oder auch nicht. Jüngere Theorien, z.B. von Strings, Superstrings und Branes, von Multiversen etc. werden immer phantastischer und entziehen sich der Deckung mit spezifischen Beobachtungen. Sie können darum auch nicht dem Kriterium der Falsifizierbarkeit genügen. Sie driftet immer mehr in das Feld der reinen Spekulation und stellen den Begriff der Wissenschaft in Frage. Es ist darum nachvollziehbar, wenn wir keine grundlegende gesicherte Erkenntnis zu unseren Lebzeiten zu erwarten. Doch sind später, in 100 Jahren, oder 10 000 Jahren derartige Erkenntnisse zu erwarten? Wirklich solide Gründe dafür liegen nicht vor: Man kann weder das eine oder andere ausschließen. Möglicherweise gibt es keine wesentlich verbesserte Erkenntnis des Universums – auch nicht in ferner Zukunft. Alle derartigen Hoffnungen bleiben irrational. Aber was würde sich für uns ändern, wenn es diese Erkenntnis erst nach unserem Tod gäbe?
Gemeinhin wird sich unser Weltbild einfach extrapoliert in die Zukunft gedacht. Das was wir heute für richtig halten, erwarten wir in der Zukunft zumindest im Groben bestätigt zu sehen. Sicher mag man für Korrekturen im Detail offen sein, aber für das große Ganze erwarten wir kein völliges Umkrempeln. Warum eigentlich nicht? Wir wissen von unseren erheblichen Grenzen unserer Erkenntnis. Es handelt sich nicht nur um einige Lücken, die sich eben schließen, sondern jedes gelöste Problem wirft zehn neue Fragen auf. Die Ansicht, Gott sei einfach nur die Lückenbüßer-Idee, die nur zum Füllen oder Überbrücken dieser Lücken missbraucht wäre, basiert auf einer völlig grundlosen Annahme.
Damit ist klar: Wir werden zu unseren Lebzeiten keine Sicherheit in der Weltdeutung haben können! Und für uns ist es irrelevant, ob das jemals möglich sein wir oder nie. Wir müssen mit dem Stand unserer eigenen Erkenntnis und deren Unsicherheit leben. Ohne eine Überzeugung zu leben, dass die Welt der eigenen (unbewiesenen) Vorstellung entspricht, ist nicht möglich. Völliges Agnostikertum ist nicht möglich und führt zwangsläufig in die Heuchelei und Selbstbetrug. Wenn wir also letztlich Glaubensüberzeugungen haben, sollten wir diese nicht zufällig wachsen lassen, denn dann sind wir den Meinungsmachern und Ideologen ausgeliefert, sondern sollten bewusst eine Wahl treffen, die sich der Wahrheit UND der Liebe verpflichtet weiß.
Viele Philosophen waren der Ansicht, dass man sehr wohl auf Gott schließen kann, zumindest bis zu einem bestimmten Punkt. Am prominentesten ist darin Aristoteles Idee vom ersten Grund, dem unbewegten Beweger. Kant und andere zeigten zwar, das die kein zwingender Beweis im stringenten Sinn sei, und auch nur wenige Details zur Existenz Gottes liefert, aber der Gedanke bleibt auch im Licht der modernen Physik ungebrochen.
Für mich ist es nicht denkbar, einen Gottesglauben anzuhängen, wenn dieser nicht den sonstigen Erkenntnisse der Welt entspricht. Die Koherenztheorie der Wahrheit bleibt hier ein Wegweiser, oder besser: die Leitplanken. Zugleich aber gilt, dass das Leben an sich einen Wert hat. Und das beschreibt das Wort Liebe. Mit diesen beiden Maximen erscheint es mit nur allzu selbstverständlich, zu Jesus Christus zu kommen.