Alexis de Tocqueville starb vor über 150 Jahren, aber manche seiner Betrachtungen sind aktuell wie eh und je.
„Ich glaube, ich würde die Freiheit in allen Zeiten geliebt haben; in der Zeit aber, in der wir leben, fühle ich mich geneigt, sie anzubeten.“
Über die Demokratie in Amerika, Bd. 2, S. 210, (Fischer TB, 1956) nach Wikiquote .
Diese Leidenschaft erscheint uns heute fremd, da wir meist das am meisten anstreben, bei dem wir ein Defizit verspüren. Freiheit ist uns oft meist kein hohes Gut und wir ordnen es oft unter andere Werte. Politische Freiheit ist uns selbstverständlich, aber viele halten sie dennoch für eine Illusion. Der Determinismus sieht den Menschen als weitgehend oder gar vollständig durch die Umstände vorherbestimmt. In der Politik wird geargwöhnt, dass es oft weit weniger weit her damit ist, als es zunächst scheint. Auch für Tocqueville war die Demokratie keineswegs der natürliche Königsweg in die Freiheit:
„Die Nationen unserer Tage vermögen an der Gleichheit der gesellschaftlichen Bedingungen nichts mehr zu ändern; von ihnen aber hängt es nun ab, ob die Gleichheit sie zur Knechtschaft oder zur Freiheit führt, zu Bildung oder Barbarei, zu Wohlstand oder Elend.“
Also kann auch die Demokratie und Gleichheit zu einem Instrument der Unfreiheit werden.:
„Ich glaube, eine unumschränkte und despotische Regierung lässt sich leichter in einem Volk einsetzen, wo die gesellschaftlichen Bedingungen gleich sind, als in einem anderen, und ich denke, dass eine derartige Regierung, wenn sie einmal in einem solchen Volk bestünde, nicht nur dessen Menschen unterdrücken, sondern mit der Zeit jeden von ihnen mehrerer Haupteigenschaften des Menschen berauben würde. In der demokratischen Zeit ist daher der Despotismus besonders zu fürchten.“
( nach ‚Freiheit, Gleichheit und die Vorsehung‘ von Franz Michael Kreiter)
Diese Leidenschaft beschreibt er auch so:
„Wer in der Freiheit etwas anderes als sie selber sucht, ist zur Knechtschaft geboren. Man mute mir nicht zu, diese erhabene Lust zu analysieren, man muss sie empfinden. Sie zieht von selbst in die großen Herzen ein, die Gott sie zu empfangen bereitet hat; sie erfüllt sie, sie entflammt sie. Man muss darauf verzichten, sie den mittelmäßigen Seelen begreiflich zu machen, die sie nie empfunden haben.“
Ich denke, dass das Leben und die Freiheit untrennbar verbunden sind. Es gibt eine Illusion der Freiheit, die blind gegen die Bedingtheiten ist, aber es gibt auch die Illusion der Unfreiheit, die die realen Freiräume nicht wahrnimmt. Es aktualisiert aber die Freiheit nicht, wer diese exzessiv auslebt. Das wäre eine Art innerer Zwang, der etwas Falsches beweisen will und damit sich selbst verrät. Freiheit ist der Raum für Mut und Demut, denn ohne Freiheit gibt es keine Demut, sondern Unterwerfung, keinen Mut, sondern tollkühnes Getriebensein, keine Liebe, sondern triebgesteuertes Verlangen.
Unser Bundespräsident Joachim Gauck hat die Freiheit – völlig unzeitgemäß – zu seinem Lebensmotto gemacht. Z.B. schreibt er in dem Text: die flucht der insassen – freiheit aus risiko
Unsere Seele bekommt auf einmal Flügel, uns fliegen alle möglichen wunderbaren Gedanken zu und sehr viele dieser Gedanken hängen mit Freiheit zusammen.
Der Odem des Lebens und des Geistes ist untrennbar mit der Freiheit verbunden.
Die Freiheit zu wollen, heißt nicht, sich auf paradiesische Verhältnisse einzustellen. Freiheit ohne Verantwortung gibt es nicht.
Hier wird nicht sauertöpfisch die Rechnung, der Preis der Freiheit präsentiert, sondern die Verantwortung als Gabe und Würde verstanden, der man sich stellen muss. Es ist eine völlig andere Dimension als das Glück, nachdem so viele Menschen streben, aber was ist das Glück ohne Freiheit und Verantwortung?
Die Freiheit, die man liebt, siedelte sich schon fest bei einem an, aber eben nur in seiner Sehnsucht.
Gauck steht darin in christlicher Tradition, denn bereits das NT wusste:
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„Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Bleibt daher fest und lasst euch nicht von neuem das Joch der Knechtschaft auflegen!“ – Galater 5,1 EU
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„Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder. Nur nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in Liebe!“ – Galater 5,13 EU
Hier schließt sich der Kreis. Nicht von ungefähr sind die Begriffe assoziativ verknüpft. Freiheit ist nicht nur bei Paulus und Gauck eng verbunden mit der Verantwortung, sondern auch Viktor Frankl sah hier eine notwendige Verknüpfung:
Denn Freiheit ist nicht das letzte Wort. Sondern Freiheit droht in Willkür auszuarten, wofern sie nicht in Verantwortlichkeit gelebt wird. Und jetzt werden Sie vielleicht verstehen, warum ich meinen amerikanischen Studenten so oft empfehle, sie sollten ihre Freiheitsstatue mit der Verantwortlichkeitsstatue ergänzen.“
Quelle: „Das Leiden am sinnlosen Leben“, Herder 1991 (Erstausgabe 1977) Seite 111.
Wie sehr aber dieses Ideal der Freiheit heute seine Strahlkaft verloren hat, analysiert Frank Furedi in Mehr Humanismus wagen
Doch aus einer Reihe von Gründen fühlt sich die heutige Gesellschaft vom Ideal der Freiheit entfremdet. Man redet immer noch über Freiheit, doch längst ist das Prinzip zur Plattitüde verkommen. Viel wichtiger ist jedoch, dass die Idee der Freiheit eindeutig an kultureller Unterstützung verloren hat. Die Freiheit wird oft als ein „rechter Mythos“ dargestellt. Während die Freiheit während des größten Teils der Menschheitsgeschichte mit radikalen, oftmals linken fortschrittlichen Bewegungen in Verbindung gebracht wurde, wird sie heute als zentraler Begriff reaktionären Denkens betrachtet.
Aber ich teile nicht alle Konsequenzen aus dieser Beobachtung:
Seit dem Beginn des sogenannten „Krieges gegen den Terror“ wurde eine Reihe von Beschränkungen der Freiheit vorgenommen. Euphemistisch wird hier von einem Tauschhandel zwischen Freiheit und Sicherheit gesprochen. Dass Freiheit so einfach eingetauscht werden kann, ist symptomatisch für den Mangel an moralischer Bedeutung, die die Obrigkeit der Freiheit zumisst.
Die Gefahr, einen Fixpunkt zu setzen, an dem die Freiheit ausgehebelt wird, ist fraglos eine reale Bedrohung. Aber die Freiheit wird keineswegs nur durch eine Obrigkeit, sondern auch durch den Terror bedroht. Dort, wo die Angst mitspielt, wird das Fanal bei Charlie Hebdo zum Hebel der Einschüchterung. Freiheit muss auch wehrhaft sein, damit sie frei bleiben kann. Es geht also nicht um faule Kompromisse einer erodierenden Freiheit, sondern das Abwägen von schützenswerten Gütern.