Offener Brief an Björn Höcke

Sehr geehrter Herr Höcke

Spätestens seit der Lektüre ihres Buches ‚Nie zweimal in den selben Fluss‚ sind Sie mir ausgesprochen sympathisch. Dennoch sehe ich einige ihrer Aussagen eher kritisch. Hier geht es mir aber nicht um kontroverse Positionen, sondern ihre Einstellung zum christlichen Glauben (Seite 49 ff), die ich vor einigen Jahrzehnten voll und ganz teilte, und mich nun gerade in ihrer differenzierten Darstellung beschäftigt.

Zum Einen geht es mir darin um die argumentative, denkerische Aufbereitung, zum Anderen um den Beziehungsaspekt. Nicht zuletzt, da Sie ja auf die Dialogphilosophie Martin Bubers (Seite 83 ff) eingehen.

Zur Nachvollziehbarkeit zitiere ich im Folgenden aus ‚Nie zweimal in den selben Fluss

In der Vorbereitungszeit auf die Konfirmation bemühte ich mich noch einmal ganz bewusst darum, ein inniges Verhältnis zum Glauben zu erreichen und wollte ‚das Große‘ im religiösen Bekenntnis finden. Aber es gelang mir nicht. Glauben kann man nicht erzwingen.

Björn Höcke – S. 49

Dies verrät eine Ehrlichkeit, die lediglich Respekt gebietet. Die Suche nach ‚dem Großen‘ ist allerdings eine Frage, die man nie ganz abgeschlossen sehen kann. Es ist zu gleich eine Frage, die Buber im Kontext als in dem Modus der Orientierung verortet: Wie verhält es sich mit der Welt? Wo kommt sie her? Was treibt Sie? Wohin geht sie? Und darin: Ich?

Andererseits ist es die Frage der Begegnung und Beziehung: Lasse ich mich auf das Du ein? Erkenne ich mich selbst in der Begegnung? Ich meine, sich auf die Frage der Beziehung – die stets auch das Ungewisse umfasst – einzulassen, erfordert für den Denkenden, sich zunächst der Frage zu stellen, was wir zum Thema wissen können und in wie weit wir uns darauf einlassen wollen, ohne sich in Illusionen zu verlieren. Darum zunächst der Fokus auf die ‚orientierenden‘ Aspekte.

Geistesgeschichte und Erkenntnis

Sie bemerken völlig präzise, dass unser Selbstverständnis weitgehend von der abendländischen, christlichen Geistesgeschichte geprägt ist. Nicht nur Kunst und Ethik sind ohne den christlichen Glauben so nicht vorstellbar …

Ohne überwölbende christlich-römische Kirche wäre die Bildung unseres Volkes aus urtümlichen germanischen Stämmen wohl nicht gelungen. Es hätte kein Heiliges Römisches Reich deutscher Nation gegeben und wahrscheinlich auch keine europäischen Kulturschätze wie die Buchmalerei, die Gotik und die Musik Bachs, um nur einige wenige Beispiele zu nennen.

Björn Höcke – S. 50

Die Geschichte zeugt von andere Hochkulturen mit erstaunlichen Leistungen, die jedoch zumeist nach einer Blüte verblassten – und sie hatten jeweils ein eigenes Gepräge. Angesichts dessen, dass die europäische Kultur auch in der Folge alle anderen Kulturen nachhaltig beeinflusste, ist ein isoliertes Denken auf den lokalen Raum sogar noch zu kurz gesprungen. Das Christentum geriet in der Geschichte mehrfach an den Rand des Abgrundes, doch stets setzten Erneuerungen und Reformationen ein, die auch strukturell den Gehalt der Auferstehung umsetzten. Allein der geschichtliche Gehalt ist noch kein zwingender Beweis für die Wahrheit der Botschaft des Christentums, aber eine notwendige Voraussetzung. Die Annahme, die Botschaft des Christentums sei zutiefst war, erfordert, dass sie nicht in Vergessenheit geraten darf. Das diese Bedingung erfüllt ist, gibt also zumindest ein Argument für seine Denkmöglichkeit. Die Alternative, es sei lediglich eine kontingente, also eher zufällige Entwicklung, ist zwar nicht auszuschließen, aber es fehlt auch hier ein Argument, dies zu begründen.

Das schätze ich alles sehr und das christlich abendländische Ideal einer freien Persönlichkeit als Ebenbild Gottes hat für mich in der Politik eine zentrale Bedeutung.

Björn Höcke – S. 50

Mehr noch als viele christlich bekennende Politiker und Intellektuelle bringen Sie hier einen Kerngedanken auf den Punkt. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass in dieser Frage andere Religionen und Ideologien zu völlig anderen Einstellungen kommen, und auch dessen Folgen beobachten können, erweist sich diese Einstellung als konstitutiv.

Sicher ist diese Einstellung nicht exklusiv christlich, sondern hat als Eltern die alttestamentlich-jüdische Lehre, die parallel sich auch in der griechisch römischen Antike findet, ansonsten aber eher selten in der weltweiten Geistesgeschichte zu verorten ist. Der Gedanke der Freiheit ist auch in der jüdischen Gründungserzählung vom Auszug aus Ägypten, weg von der Knechtschaft, prominent illustriert. Das Nachdenken darüber zeigt die erstaunlichen Zusammenhänge.

Auch im neuen Testament ist die Freiheit und Verantwortung ein zentrales Thema: Wir sind zur Freiheit berufen!

Wenn heute einige Zeitgenossen meinen, dass dies durch die Aufklärung und der Rückbezug auf die griechisch-römische Antike weitgehend bedeutungslos sei, ignoriert nicht nur das Tradieren des Gedankens im christlichen Kontext und auch deren politisch-sozialen Rahmenbedingungen, die heute als geschichtliche Entwicklung erkennbar ist, sondern auch deren Weiterentwicklung: Das Wohl des Nächsten, das als prominentes Gebot der Nächstenliebe in ein moralisches Grundverständnis eingesickert ist, moduliert eben jenen Gedanken. Zudem reicht es nicht aus, eine angeblich atheistische Antike zu bemühen, in der gerade Aristoteles, Platon und viele Andere auch metaphysische Grundlagen zum Gottesglauben legten.

Die Denkmöglichkeit Gottes kann darum nach allen philosophischen und wissenschaftlichen Kriterien zumindest als möglich, wenn nicht gar als nahezu bewiesen gelten. Nicht zuletzt beeindruckt mich das Argument Immanuel Kants, dass jegliche Moral eine Verankerung im Absoluten haben muss, um nicht der Willkür und Beliebigkeit zu verfallen. Gott ist also denknotwendig.

Das reine Denken kann zwar weitergehende Konzepte zum Wesen Gottes herleiten, bleibt aber im Unbestimmten und Spekulativen. Nicht zuletzt der Daoismus setzt dies als Kernidee, der sich auch in der negativen Theologie findet.

Persönliche Wirkungen des christlichen Glaubens

Das ein Glaube eine nützliche Funktion habe, gilt für viele als einleuchtend. Ein religiöser Glaube in unterschiedlichen Ausprägungen und Lehren diese Funktionen ausüben:

Ich schätze das Christentum in seiner Lehre von der Nächstenliebe, Demut und Gnade. Der christliche Glaube kann Trost spenden angesichts des nicht so selten empfundenen ‚irdischen Jammertals‘ und Hoffnung geben am Ende unseres Lebens.

Björn Höcke – S. 50

Dies Funktion, die für den Einzelnen durchaus einen hohen Wert hat, war allerdings Angelpunkt der Kritik von Marx (Opium des Volkes) und vieler Epigonen. Es wurde sicherlich von vielen Herrschern genutzt, ob sie nun selbst daran glaubten, oder nicht, um das Volk zu beherrschen und ruhig zu stellen.

Es wäre moralisch in der Tat minderwertig, wenn es sich lediglich um etwas ähnliches handeln würde, also nichts mehr als eine funktionale Vorstellung … wie ein durch die Wirklichkeit nicht gedeckter Scheck. Dass der christliche Glaube zugleich Einfluss und Kraft auf die Sozialbewegungen ausübte, nicht selten indirekt oder direkt auch zu aufrührerischen Bewegungen führte, ändert nichts an der Bewertung, dass eine reine Funktionalität ohne Realitätsbezug einen faulen Beigeschmack hat. Hoffnung bedarf nicht nur der glaubwürdigkeit, sondern auch des Grundes dafür. Basiert die Hoffnung, die Stiftung von Identität und Sinn im Leben auf einer tiefen Wahrheit, wäre es äußerst töricht, den Nutzen zu verwerfen. Man würde alles verlieren und nichts gewinnen – auch nicht, wenn man in der Ablehnung der Glaubensinhalte recht behielte. Selbst der Respekt vor dem Glauben des Dritten taugt wenig, wenn jener eben schlicht die Realität zutreffend erkannt hat, man selbst aber im Irrtum verharrt.

Um so mehr stellt sich die Frage, ob die Grundlage des Glaubens eben doch äußerst real sei.

Wesen des Glaubens

Glauben setzt voraus, dass es eben keinen zwingenden Beweis in die Korrektheit eines Satzes gibt. Selbst eine feste Gewissheit kann eben nur heißen, dass man die entgegenstehenden Argumente letztlich missachtet: Es könnte eine andere Deutung für die eigenen Erfahrungen geben, die eher zutrifft. In soweit ist jeder Gläubige auch immer ein Agnostiker, der eben von der nicht-sicheren Erkennbarkeit der Glaubensinhalte ausgeht. Jene die sich dann eher als Agnostiker bezeichnen, treffen hier lediglich eine andere Entscheidung, nämlich jener Botschaft nicht zu vertrauen.

Glaube ist also nicht nur das Fürwahr halten und fest Zuversicht in Verheißungen, sondern auch die Entscheidung, sich trotz aller Restzweifel auf das Wagnis des Irrtums einzulassen. Die andere Seite des Glaubens ist der Beziehungsaspekt. Habe ich die Entscheidung getroffen, mich auf jene Botschaft vom auferstandenen Christus einzulassen, trete ich in eine Beziehung zu jenem Gott, der diese Aussage verbürgt. Ich spreche ihn mit ‚Du‘ und ‚Papa‘ an, meinetwegen auch mit ‚Mama‘, denn Gott hat kein Geschlecht. (… und das hat nichts mit Gendern zu tun, sondern mit Logik). Demut macht erst Sinn in der Begegnung mit dem liebenden Gott. Ansonsten ist es nicht mehr als ein Sklavengeist, der die Machtlosigkeit verbrämt. Hier liegt das Herz des Glaubens: Die Liebe!

8 Die Liebe höret nimmer auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. 9 Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. 10 Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. 11 Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. 12 Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin. 13 Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

1.Korinther 13

Liebe ist ohne Glaube ein leeres Gefühl, eine Emotion, die uns vielleicht nur unsere Hormone vorgaukeln. Liebe ohne Glaube ist entwertet. Ebenso wusste Paulus auch von einem Glauben ohne Liebe, aber er hielt diesen für wertlos.

Aber Glaube ist nicht mit dem Bekenntnis zu verwechseln. Ein Bekenntnis kann auch Selbstbetrug ohne Glaube sein. Und mancher Glaube wagt sich nicht zu bekennen – das hindert ihn zwar beträchtlich und ist sicher zu vermeiden, aber das mangelnde Bekenntnis annulliert nicht den Glauben.

Erfahrung und deren Deutung

Eine Erfahrung kann uns eine Gewissheit vermitteln, einen Schauer, oder aber von der Fruchtlosigkeit einer Ideologie überzeugen. Sicher können Erfahrungen auf falschen Vorspiegelungen beruhen und induktiv wirken. Darum ist das blinde Vertrauen in die eigene Erfahrung kein sicherer Quell der Erkenntnis, aber zuweilen hilft die Erfahrung, sich gegen falsche Vorspiegelungen zu schützen.

Wenn man die entsprechenden Antennen dafür hat, begegnet einem das Numinose täglich, alltäglich. Doch ich sehe keinen für mich anschlussfähigen Ausdruck, sich dazu in ein genau definiertes, vorgegebenes Verhältnis zu setzen, wie es Glaubensgemeinschaften und Konfessionen tun.

Björn Höcke – S. 51

Hier eröffnet sich eine dialektische Spannung. Denn wenn sich jene Glaubensgemeinschaft in dogmatischen Inhalten vollständig aufgeht, kann sie nicht mehr dem lebendigen Gott begegnen. Ein Gott, der sich in definierten Verhältnissen beschränken will, hätte nicht stets neue und unerwartete Begegnungen geschenkt, die kaum einem vorgegebenen Muster entsprachen. Jakobs Kampf am Jabbok (1.Mose 32,25-32), die Begegnung des Mose am brennenden Dornbusch (2.Mose 3) gleicht keiner vorgegebenen Definition und ist auch nicht geeignet, ein neues Begegnungsmuster zu konstituieren. Gott bleibt in vielen biblischen und außerbiblischen Zeugnissen stets der Lebendige und Unfassbare, der uns dennoch sucht. Auch die Erfahrung des Jona, der vor dem Auftrag Gottes flieht, ist weder gewöhnlich, noch eine Regel. Jesus selbst tritt immer wieder unerwartet in die Begegnung, so auch bei den Emmausjüngern (Lukas 24,13-32).

Will also eine christliche Glaubensgemeinschaft nicht an einem performativen Widerspruch Schiffbruch erleiden, und eine tote Lehre anstelle des lebendigen Gottes verkündigen, kann sie die Gotteserfahrung nicht dogmatisch völlig einhegen. Aber das Dogma kann und muss dennoch eine wesentliche Hilfe sein: Nicht als rigider Rahmen, sondern als Deutungshilfe und Wegweiser.

Der christliche Glaube ist demnach eine Deutungshilfe, die den Erfahrungen und Überlegungen eine Richtung und Ziel liefert. Würde er in unauflösbare Widersprüche führen, wäre etwas falsch an der Deutung. Genau das geschieht auch häufig in den unterschiedlichen theologischen Ansätzen und im Alltagsglauben vieler Christen. Vor Irrtümern ist niemand gefeit, aber es ist ebenso ein Irrtum, in einer Unbestimmtheit zu verharren, ohne sich zu bekennen. Leben heißt auch, dass wir die Gaben des Geistes erhielten, um aus unseren Fehlern zu lernen.

Jeder Glaube ist zugleich Entscheidung und Wagnis. Er nähert sich damit der Erkenntnis jener Wahrheit, die sich der reinen Vernunft verschließt und riskiert, sich zu irren. Was aber, wenn man in Distanz verharrt? Es ist, als ob Moses den brennen Dornbusch sah, aber sich diesem aus lauter Vorsicht nicht näherte. Er wäre nicht der Begegnung Gottes teilhaftig geworden, oder hätte seine Stimme gehört, diese aber für Einbildung gehalten. Diese Zurückhaltung hätte ihn in Ignoranz und Unkenntnis bis zu seinem Tod gefangen. Ich fürchte, es gibt unzählige Brüder und Schwestern von Mose, die in der Distanz bleiben, obwohl sich Gott ihnen offenbaren wollte. Welch ein Elend um das verpasste Leben!

In diesem Sinn respektiere ich zugleich Ihre Entscheidung und Denken, wünsche ihnen aber, dass sie sich ihre Offenheit bewahren, um sich dem lebendigen Gott zu stellen. Besonders freuen würde ich mich über eine Antwort und Anmerkungen von Ihnen oder einem Mitleser.

In Verbundenheit Ihr

Martin Landvoigt

2 Gedanken zu „Offener Brief an Björn Höcke“

  1. Sehr geehrter, lieber Herr Landvoigt,

    ich bedanke mich vielmals für Ihren offenen Brief. Im Gegensatz zu den etablierten Meinungsmachern, die oftmals nur einzelne Sätze, manchmal nur Halbsätze, aus dem Buch herausgerissen haben, um ihr Welt- bzw. ihr Zerrbild von mir zu verstärken, haben Sie sich auf mich eingelassen. Sie wollten mich verstehen und Sie haben sich letztlich die Arbeit gemacht, die sich jeder seriöse Journalist hätte machen müssen. Keiner der Edelfedern des bundesdeutschen Hauptstromes hat das geleistet, was Sie geleistet haben. Wahrscheinlich gebricht es den etablierten Kritikern aber auch an Ihrer Intelligenz und Ihre Bildung. Denn es ist leider so, daß man in diesem Land im Medienbetrieb vor allem die richtige Gesinnung und ein flinkes Mundwerk bzw. einen schnellen Twitterfinger braucht, wenn man vorwärts bzw. nach oben kommen will.

    Bei der Lektüre Ihrer Reflexion ist mir das Besondere am christlichen Glauben nochmal deutlicher geworden: Ja, wir sind zur Freiheit berufen, wie sie schreiben! Und deshalb kämpfen wir in dieser Zeit, in der nicht nur die äußere Freiheit erodiert, sondern auch die innere in ein virtuelles Gefängnis gesperrt zu werden droht, mit solcher Leidenschaft. Denn wir sind Kinder des wahren Europas, eines Kontinents, der zurecht wie kein anderer mit dem Begriff der Freiheit verbunden ist.
    Sehr sympathisch waren mir daher auch Ihre Aussagen zum Dogmatismus. Nein, der lebendige Gott kann nicht in ein Dogma gepreßt werden!

    Ich bekomme übrigens sehr viel Post von praktizierenden Christen, nicht selten auch Büchersendungen, die mir mit dringender, ausführlich begründeter Lektüreempfehlung zugesendet werden. Es sind viele theoretische Versuche über den Glauben darunter, die den christlichen Gott als denkmöglich, ja, wie Sie es ausdrücken, als „denknotwendig“ beschreiben. Jenseits des Plausiblen, bin ich überzeugt: Ohne transzendente Orientierung muß ein Staat über kurz oder lang zugrunde gehen; und die Wesenshöhe des Menschen muß verflachen, wenn die „Vertikalspannung“ fehlt.

    Lieber Herr Landvoigt, herzlichen Dank nochmal, daß Sie mich nicht in eine Schablone gepreßt, sondern mir „zugehört“ haben. Auch ich habe Ihnen zugehört und habe von Ihnen gelernt.
    Alles wirkliche Leben ist Begegnung!

    Ihr

    Björn Höcke

    1. Sehr geehrter Herr Höcke.

      Ich hatte gar nicht damit gerechnet, dass Sie meinen Text selbst lesen oder gar beantworten … immerhin haben sie ja einen sehr vollen Terminplan und bekommen sehr viele Zuschriften. Darum vielen Dank für die Antwort. Um so wichtiger ist, sich selbst mal etwas frei zu machen aus dem Getöse des Alltags und der vermeintlich allzu wichtigen Dinge.

      Zum Inhalt: Glauben lässt sich nicht erzwingen, und es ist auch nicht gut, jemanden gegen den eigenen Willen dahin zu führen oder zu überreden. Zuweilen ist aber so mancher auf der Suche, oder ist für ein wenig Hilfe auf dem Weg dankbar. So verstehe ich die Mission. Und Glaube ist stets etwas persönliches, dass aber nicht völlig frei von einer politischen Dimension ist.

      Staatlicherseits ist es ein Paradoxon: Einerseits vertrete ich mit Inbrunst den Laizismus. Die Trennung von Kirche und Staat sehe ich auch bei Jesus, der dem Kaiser das geben will, was des Kaisers ist. Sein Reich ist eben nicht von dieser Welt. Andererseits bricht die Grundlage des Staates ohne eine tragende Moral weg. Moral aber ist weder beliebig noch wirklich verhandelbar. Da, wo Moral dennoch verhandelt wird, besteht die Gefahr, dass sie beliebig nach Nützlichkeit verbogen wird. Letztlich verkommt die Moral dann als aufgesetzter Rechtfertigungsfilm zum Wohlfühlen für das Volk. Dieser kann dann geknetet werden, bis er den Interessen der Mächtigen passt.

      Ein Propagieren eines Weltbildes, dass hier Richtung und Ziel geben kann, ist darum weit mehr als nur eine ideologische Variante, sondern eine Grundlegung, der auch die politische Moral bedarf. Es ist dann aber eine Ebene, die zwar persönlich von Menschen mit Funktionen in diesem Rechtsstaat vertreten werden dürfen, aber diese selbst dürfen nicht verpflichtend im Sinne einer Staatsraison werden. Gerade das biblische Weltbild und die Botschaft des NT propagiert ja eine Freiheit, im Besonderen der Glaubensfreiheit die bei einem Forcieren einer Lehre – und sei sie noch so wahr – zerbrechen könnte.

      Ich gehe darum nicht so weit zu behaupten, dass der Staat ohne transzendente Orientierung über kurz oder lang zugrunde geht. Saaten lösen sich auf, verändern sich (teils bis zur Unkenntlichkeit) … aber das alles hat viele Gründe. Ich sehe Ihren Ansatz, das Staatsbürgerschaft mit einer entsprechenden Identität verbunden ist, positiv. Dies kann Ergebnis eines klaren gesellschaftlich verbreiten Bildes sein, aber es bleibt die Entscheidung in der Freiheit des Einzelnen, dieses zu adaptieren. Es ist m.E. lächerlich, dies alles sofort unter dem Stempel ‚völkisch‘ zu diffamieren.

      Darum auch einige kritische Worte: Der Begriff des Volkes und der damit erforderlichen Definition ist zugegeben nicht einfach, aber dennoch erforderlich. Denn die Kritiker haben nicht völlig unrecht, dass sie diesen Begriff für verdächtig halten, eine Integrationsbremse zu sein. Meine Kritik trifft aber stärker als Sie, Herr Höcke, jene, die den Begriff des Volkes ablehnen und pauschal negieren. Ich würde mir ein positives Verständnis des Volks wünschen:

      Das Hauptkriterium der Volkszugehörigkeit könnte durchaus der Bass und die rechtliche Staatsbürgerschaft sein. Auch die erworbene Staatsbürgerschaft muss kein Makel sein. Wenn aber der Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht – wie in vielen Ländern praktiziert – ein klare Bekenntnis und Identifikation des Neu-Bürgers mit diesem Staat ist, sondern sich bestenfalls in Lippenbekenntnissen und die Suche nach Privilegien erschöpft, kann das Kriterium nicht mehr als hinreichend gelten. Für mich hat der Begriff Volk wenig mit Genetik zu tun, eine persönliche Ahnenreihe ist dazu weder erforderlich noch zielführend. Volkszugehörigkeit ist für mich ein Bekenntnis zu einer Gemeinschaft, Kultur und Tradition. So mancher Neubürger, der vielleicht noch nicht einmal den deutschen Pass besitzt, mag hier mehr Deutscher sein als ein Angestammter, der aber die Identifikation mit seinen Wurzeln verweigert.

      Vielleicht sehen sie das gar nicht so verschieden wie ich, und sie haben es vielleicht auch irgendwo gesagt. Aber ich finde dies in der Diskussion und Ihren Darstellungen oft nicht. Gerade da hier in der öffentlichen Diskussion eine erhöhte Sensibilität vorliegt, muss es vielleicht auch wiederholt klar gestellt werden und gerade Missverständnisse vermieden werden … auch wenn das lästig ist. Bei Ihnen, Herr Höcke, habe ich öfters den Eindruck, dass man Sie sehr wohl positiv verstehen kann, aber auch eine eher missgünstige Deutung ist möglich. Ich würde mir darum mehr Klarheit und weniger Zweideutigkeit wünschen. Mittlerweile sehe ich, dass auch Sie die Erklärung der AfD unterzeichnet haben: Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität … das ist für mich eine gute Basis.

      Als Beispiel führe ich erneut Ihre Dresdner Rede an. Hier forderten Sie, dass man das Geschichtsverständnis um 180 Grad drehen müsste. Das wäre das Gegenteil von dem jetzt praktizierten. Positiv verstanden ist diese eine überzogen Darstellung eines radikalen Wandel des Geschichtsverständnisses. Ich teile Ihre Ansicht, dass eine Fixierung auf die Nazizeit falsch ist. Allerding ist diese Zeit weit mehr als nur ein Vogelschiss (Gauland). Vergangenheitsbewältigung heißt für mich darum weder Geschichtsrevisionismus, noch zwangsneurotische Fixierung. Selbst der Begriff der ‚Relativierung‘ ist mittlerweile vermint. Wenn sie also von 180 Grad sprechen, wird das hinreichend begründet mit Geschichtsrevisionismus verstanden. Es genügt dann auch nicht, wenn Sie irgendwo gesagt haben sollten, dass es so nicht gemeint war, sondern dass Sie eigentlich so verstanden werden wollen, wie ich es genannt habe: Eine Lösung aus ritualisierten Fixierungen und ein komplexes Geschichtsbild entwickeln.

      Falls ich Sie richtig verstanden habe, würde ich mir und Ihnen wünschen, dass wir uns von Gegnern nicht den Schneid abkaufen lassen und zu dem zu stehen, was wir als richtig erkannt haben. Die Nazi-Zeit ist nach wie vor das schrecklichste in der deutschen Geschichte, die wir in keiner Form – nicht als Rechtsextremismus, nicht als totalitäre Technokratie und nicht als rote Diktatur – wieder aufleben lassen dürfen. Aber gerade das befürchte ich ja bei den sogenannten Antifaschisten: Sie geben dem repressiven Staat und der Willkürherrschaft einen neuen Anstrich, betreiben aber weiter das gleiche Übel. Indem sie lediglich die Symbole bekämpfen, bereiten sie den Boden für neues Unrecht, dass sie lediglich camouflieren.

Schreibe einen Kommentar zu Martin Landvoigt Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert