Ethische Aspekte der Migrationspolitik

Der Hebel, mit dem Deutschland sich hinsichtlich der Bevölkerungszusammensetzung immer mehr verändert, hieß einst Gastarbeiter, nun Asyl und Flüchtlingshilfe. Diese wird immer mehr von einem ethischen Duktus – in der Ausprägung der Gesinnungsethik – befeuert. Doch zuerst zur Vorgeschichte:

Historische Veränderungen der Bevölkerung

In der frühen Industrialisierung wanderten bis 1910 bis zu einer halben Million Polen in das Ruhrgebiet ein. Überwiegend wegen der Arbeitsmigration kam es auch dort zu Spannungen in der Bevölkerung, aber die Polen waren nicht zuletzt wegen der engen geschichtlichen und kulturellen Verflechtung bei weitem nicht ein Problem, wie sich die aktuelle Zuwanderungsdebatte darstellte. Eine gelungene Integration, wie vorher auch schon die Hugenotten, die sich aus Flucht vor der französischen Verfolgung nach Preußen und andere deutsche Länder retteten.

Später wurden Juden und auch Deutsche zu Flüchtlingen und Schutzsuchenden, die allerdings nicht immer willkommen waren. Flüchtlinge aus deutschen Ostgebieten hatten es im Nachkriegsdeutschland nicht leicht, aber letztlich blieben es nur noch Spannungen im historischen Kontext. Immerhin waren diese Flüchtlinge oftmals Vertriebene aus dem gleichen Staat.  Aber auch das Bewusstsein, Menschen in Not zu helfen, da man auch selbst Betroffener sein könne,  nach Goldener Regel und biblischer Nächstenliebe, hat sich tief in die deutsche Seele eingegraben. Schließlich regte es auch das Grundgesetz zum Festschreiben von Asylrechten an. Warum sollte sich aus der humanitär-ethischen Hilfsbereitschaft nicht ebenso aufs Neue zur Erfolgsgeschichte beitragen, die letztlich auch das Staatswesen bereichert?

Die Gastarbeiter-Welle lief noch unter völlig anderen Vorzeichen. Ab den 60er Jahren wurden Arbeitskräfte der Südländer angeworben. Damit verbunden war die Rückkehr-Legende. Sowohl die ‚Gastarbeiter‘ als auch deutsche Politiker und die Bevölkerung glaubten, dass diese nach wenigen Jahren in ihre Herkunftsländer zurückkehren würden. Dies tat aber nur ein kleiner Prozentsatz. Viele gründeten in Deutschland eine dauerhafte Existenz. Während die Integration aus christlich geprägten Herkunftsländern relativ reibungslos verlief, bildeten sich vor allem unter muslimisch geprägten Zuwanderergruppen immer stärker abgegrenzte Subkulturen heraus, die auch immer weniger deutsche Ordnungsorgane in den Siedlungsgebieten akzeptierten, die von jenen Zuwanderern geprägt waren.

Vor allem die jüngste Zuwanderungswelle, die vor allem unter dem Stichwort Asyl und Kriegsflüchtlinge geprägt sind und mit vorwiegend ethischer Begründung getrieben ist, wirft Fragen auf. Die Politik beschäftigt sich sehr kontrovers mit diesem Phänomen, zumal in der Bevölkerung große Teile diese Zuwanderung ablehnen. Die Gründe sind neben den hohen Kosten und unerwünschte Veränderungen im Billiglohn-Sektor eine Veränderung der kulturellen Wahrnehmung. Viele Menschen fragen besorgt, wohin diese Entwicklung führen mag … oder sind dies irrationale Ängste? Ist es doch nur eine temporäre Verwerfung, die letztlich zu einem erstarkten Deutschland in Europa führt, oder wird der Erfolg auch langfristig ausbleiben und bedrohliche Entwicklungen das Land in den Abgrund führen?

Hier aber sollen nicht de Pragmatik und Zukunftsszenarien durchgespielt werden, sondern die ethischen Fragen genauer analysiert werden. Denn jenseits des Nutzens oder Schadens der Entwicklung wird diese vor allem mit einer ethischen Verpflichtung betrieben.

(Gesinnung-)Ethischer Ansatz

Handlungsmotiv ist hier eine Verpflichtung, die sich entweder aus einem Schuldverhältnis oder einer erforderlichen Hilfeleistung ergibt:

  • Irgendwie seien ‚wir‘ als Gemeinschaft oder Staat an dem Elend der Fluchtursachen schuld, dass es nun zu lindern gibt. Z.B. durch einen Kolonialismus, durch Ausbeutungsverhältnisse eines ungerechten Welthandels, durch Waffengeschäfte, kriegerische Interventionen, u.U. wegen Rohstoffen, oder wegen des vermeintlich von den Industrienationen bewirkten Klimawandels.  Die Pflicht zur Widergutmachung ist dann eine moralisch Pflicht, die nicht durch ökonomische Kalküle verunreinigt werden darf. Demnach sind auch Opfer zur Sühne der Schuld unbedingte Bestandteile. Da aber das Schuldverhältnis kein persönliches ist, sondern eines, dass die Gemeinschaft betrifft, so ist auch die Gemeinschaft haftbar. Man muss sich dann allerdings die Frage stellen, ob dieses Schuldverhältnis überhaupt zutrifft, oder ob es einen Mechanismus geben kann, der ein Schuldverhältnis begründet, ohne dass es dazu objektiver Grundlagen bedarf.
  • In christlich-humanistischer Tradition ist die Goldene Regel weitgehend grundsätzlich anerkanntes moralisches Prinzip. Auch wenn keine Schuldverhältnis vorliegt, so ist es ein starker Grund, notleidende Menschen nicht im Stich zu lassen. Dieser Grund verquickt sich dann mit dem Gedanken des Schuldverhältnisses im Besonderen, wenn die objektive Grundlage der Schuld in Zweifel gezogen wird. Dies ist funktional dann, um eben jener Diskussion der Grundlagen zu entgehen. Das Gebot christlicher Nächstenliebe hat die Säkularisierung überlebt. Möglicherweise ist es ein Motiv der Überkompensation spiritueller Leere, um ein Selbstbild des guten Menschen zu erzeugen.

Besonders im Kontext einer Schuld ist der Begriff der Sühne noch immer als ein archaischer Akt der Gerechtigkeit präsent. Der nüchterne Rationalismus, der oft zum modernen Selbstverständnis gehört, wenngleich selten er praktiziert wird, bestreitet die Relevanz von archaischen Motivlagen. Dies aber erschwert vielmehr die Analyse und ethische Reflektion, denn das Selbstbild wird zugleich als korrumpierbar wahrgenommen. Ein Eigennutzen erscheint darin stets als ambivalent.  Das Verhalten, welches eigene Privilegien oder die der Peer-Group sichert und ausbaut ist verdächtig, eben jene moralische Überlegenheit zu verletzen. Sie zeichnet ein Trugbild jener Moral, die eben nur ein unmoralisches Motiv rechtfertigt, nicht aber das Handeln treibt. Moral als Smoke Screen anderer Motive. Um diesen Verdacht zu begegnen darf es eben keinen Eigennutz geben, der eben den moralischen Ansatz in Frage stellt.

Dieser profunde Selbstzweifel verbrüdert sich mit dem Wunsch nach Gerechtigkeit und der damit erforderlichen Sühne der Schuld, sei sie nun real oder fabriziert. Die Präsentation eines echten oder vermeintlichen Nutzens einer Willkommenskultur und Aufnahme von Flüchtlingen – etwa den Nachschub von Arbeitskräften – wird damit suspekt. Ist es vielleicht doch nicht mehr das moralische Gebot, sondern der verbrämte Eigennutz, der hier das Handeln treibt?

Um so wichtiger erscheint hier die Sicherung der korrekten Gesinnung, die sich eben nicht von Rationalisierungen betrügen lässt. Eine kalte rationale Vorgehensweise gerät sofort in den Verdacht, eben jenes reine Motiv und wahren Gefühls zu verletzen. Ein Verhalten, dass sogar den Eigeninteressen nutzt, kann dann kaum moralisch genannt werden. Immer bleiben Menschen und Rechte auf der Strecke. Nur der uneigennützige Mensch kann wahrhaft moralisch handeln. Somit schließt sich der Kreis aus Schuld und Sühne, der sich des Verdachtes des Eigennutzes entschlagen will.

Vernunftgebrauch und Verantwortungsethik

Bereits vor der Aufklärung war es stets dem Menschen eigen, durch die Vernunftbegabung die Konsequenzen seines Handelns abzuschätzen. Es geht dann nicht mehr darum, einem emotionalen Impuls zu folgen, sondern sich zu überlegen, was das für Folgen hat. Max Weber setzte 1919 dem Begriff der Gesinnungsethik die Verantwortungsethik entgegen.

„Wir müssen uns klarmachen, daß alles ethisch orientierte Handeln unter zwei voneinander grundverschiedenen, unaustragbar gegensätzlichen Maximen stehen kann: es kann ‚gesinnungsethisch‘ oder ‚verantwortungsethisch‘ orientiert sein. Nicht daß Gesinnungsethik mit Verantwortungslosigkeit und Verantwortungsethik mit Gesinnungslosigkeit identisch wäre. Davon ist natürlich keine Rede. Aber es ist ein abgrundtiefer Gegensatz, ob man unter der gesinnungsethischen Maxime handelt – religiös geredet: ‚Der Christ tut recht und stellt den Erfolg Gott anheim‘ – oder unter der verantwortungsethischen: daß man für die (voraussehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen hat.“

Diese Begriffe überschneiden sich. Denn wenn das Handeln von einer Verantwortung gegenüber vergangenen Ereignissen bestimmt ist, so ist hier von der Gesinnung auszugehen, ganz gleich ob es sich aus objektiver Schuld speist oder eine konstruierte Schuld ohne objektive Grundlage. Erst wenn es um die Verantwortung der Folgen aktueller Handlungen geht, ist hier die Verantwortungsethik gemeint. Denn wer in bester Absicht moralische Motive als die exklusive Maxime seines Handelns ansieht, die durch ein Kalkül gar entwertet wird, muss damit rechnen, dass dieses Handeln böse Konsequenzen hat. Im Gegensatz zur Intention können sich gegenteilige Wirkungen einstellen. Diese müssten gemäß dem Verursacherprinzip wieder als Schuld gesühnt werden. So kann sich ein Teufelskreis perpetuieren. Folglich ist vorher zu prüfen, wie eine Handlung sich auswirkt. Dies wird durch eine moralische Gesinnung nicht dispensiert.

Historische Schuld

Wenn der Verursacher eines Schadens zur Haftung herangezogen wird, so entspricht dies dem etablierten Verständnis der Gerechtigkeit. Im Privatrecht ist es fester Bestandteil des Rechtssystems. Untergeordnet für die Haftung ist darin, ob es sich um einen intendierten Schaden handelt, oder ob es sich um eine unbeabsichtigte Wirkung handelt. Die Schuld muss beglichen werden. Im Strafrecht wird das Motiv dagegen sehr wohl Grundlage der Bewertung. Fahrlässigkeit findet ein anderes Urteil als Vorsatz.

Allgemein gilt, dass persönliche Schuld im Sinne des Strafrechts nicht vererbt werden kann, wohl aber die Verpflichtung, die sich aus der Schuld des Erblassers ergeben hat. Aber auch diese bleibt begrenzt. Es ist offensichtlich, dass sich jedwede Forderungen aus Eroberungen der Römer oder Hunnen sich nicht auf heutige Ansprüche beziehen kann. Es ist offensichtlich von einer Verjährung der Ansprüche auszugehen, auch über den Rahmen des kodifizierten Rechts hinaus. Doch wann gibt es ein moralisches Verjähren historischer Schuld? Es ist offensichtlich dysfunktional, en Verjährungsanspruch erst nach vielen Generationen gelten zu lassen. Gemeinhin wird auch kaum die Schuldfrage des 1 Weltkriegs für heutige Ansprüche geltend gemacht, aber die Folgen des 2. Weltkrieges werden auch heute noch als Verpflichtung anerkannt, auch wenn es wenige Überlebende und keine Verantwortungsträger mehr gibt. Leiten sich darum bestimmte Verjährungsfristen ab? Ist das Prinzip der klar spürbaren Auswirkungen im Hier und Jetzt ein Entscheidungskriterium? Ist eine erfolgte Sühne auch eine Entschuldung, die weitergehende Ansprüche annulliert? Oder wird auch eine Schadensregulierung nicht als Entschuldung anerkannt? Warum sollten dann überhaupt Schäden reguliert werden, wenn sie als grundsätzlich nicht heilbar gelten?

So auch die Frage der Behandlung des Völkermords an den Armeniern. Ist dieser nun verjährt, auch wenn es nie eine Anerkennung dieser Schuld und keine Sühne gegeben hatte? Ist der Völkermord an den Juden gesühnt, wenn es diese Anerkennung und Sühneleistungen gegeben hat?

Auf viele Fragen wird es nicht zu einfachen Antworten kammen. Weder kann generell eine maxima Culpa als moralisch zwingend behauptet werden, noch können die Vererbungsansprüche pauschal zurückgewiesen werden. Im Besonderen ist bei der Existenz komplexer Wirkzusammenhänge nicht klar, worauf sich ein Vergeltungsanspruch bezieht. So zum Beispiel im Kolonialismus: Es gab historisch unterdrückte Menschen, es wurden Gewalttaten ausgeübt, es wurde Infrastruktur aufgebaut und es wurden lokale Unterdrückungsverhältnisse verhindert. Wenn z.B. ein lokales Volk durch ein anderes unterdrückt wird, z.B. die San durch die Herero, dann aber eine Kolonialmacht – hier Deutschland  – daherkommt, die wiederum die Herero unterdrückt, dabei aber für die San befreiend wirkt … welche historische Schuld ist hier anzusetzen?

Oder hinsichtlich der Klimaschuld und Klimagerechtigkeit: Begründet eine beliebige CO2 Emission, von der vermutet wird, dass sie spürbar das Klima beeinflusst einen Schadensersatzanspruch durch Unwetter oder langfristige Klimaveränderungen? Entsteht damit eine Verpflichtung zur Aufnahme von Klimaflüchtlingen? Dies bleibt im Besonderen dann fraglich, wenn der Zusammenhang im Einzelnen und grundsätzlich nicht sicher nachweisbar ist. Denn wenn es keinen Zusammenhang zwischen einer vermeintlichen Ursache und einer Schadwirkung gibt, kann daraus auch keine Schuld begründet werden.

Psychologische Motive und Sündenstolz

Der Mensch benötigt für sein Verhalten Gründe. Selbst unbewusstes Verhalten lässt sich meist aus der persönlichen Geschichte des Handelnden erklären. Das wichtigste Motiv menschlichen Handelns it der Eigennutzen. Wenn der Handelnde einen Vorteil für sich oder seine Gruppe sieht, dann ist das meist ein hinlänglicher Grund die damit verbundene Handlung auch auszuführen. Moral kann grundsätzlich hier vermeintlich gegenteiliges bewirken. Auch Haltungen und Einstellungen, die den eigenen Interessen zuwider laufen, können aus einem moralischen Antrieb heraus eine Rechtfertigung erhalten. Aber ist das wirklich ein Außerkraftsetzen des Eigennutzes?

Friedrich Nietzsche hat in seiner scharfen Kritik des Altruismus auf das gute Gefühl verwiesen, dass der Altruist durch sein scheinbar selbstloses Verhalten gewinnt. Der Honig wird aus dem emotionalen Gewinn gesaugt. Nicht mehr materielle Vorteile treiben das Verhalten, sondern die Bestätigung einer moralischen Überlegenheit. Die Geistesgeschichte, die von christlichen Werten durchdrungen ist, wirkt auch nach Wegfall von Glaubensbekenntnis und Spiritualität fort. Das Bekenntnis der Sünden, die Sühne und das Opfer, die Absolution und die damit erfolgte Bestätigung des eigenen Wertes gewinnen eine Befriedigung, dass sich das so gewonnene Selbstverständnis geradezu als Vorbild geriert. Diese moralische Selbstbefriedigung bekommt einen weiteren Impuls gerade auch für formal nicht-religiöse Menschen: Sie können mit einer Betonung auf Moral zeigen, dass ihr Unglaube sie moralisch eben nicht disqualifiziert, sondern sogar auch jenen ‚Religiösen‘ die Heuchelei vor Augen führt.

Die Übernahme von Verantwortung für echte und vermeintliche Schuld und Sünden führt dann implizit zu einem Stolz des geläuterten Menschen, der sich dadurch über andere Unbußfertige erhebt. Dieses Streben kann zu einer enorm starken Kraft werden, die vor allem dann handlungsrelevant wird, wenn man in relativem Wohlstand seine primären Bedürfnisse und deren Befriedigung nicht gefährdet sieht. Es ist eine gewisse Luxus-Einstellung, die Moral als teures Hobby adaptiert. Selbst der Arme, der nicht in diese Kategorie fällt, erahnt den Zusammenhang und kann an der Partizipation an einer moralischen Gewinngemeinschaft seinen Status erhöhen: ‚Seht her, ich bin so reich, dass ich mir Moral leisten kann!‘

Ist dieser Mechanismus einmal als wirksam erkannt, bedarf es keiner objektiven Gründe mehr, um seine Einstellung in diesem Modus auszubauen. Die Einstellung erfüllt alle Voraussetzungen, um zum Selbstläufer zu werden. Allein die emotionale Wirkung reicht aus, um motivierend diesen Trend zu entwickeln. Dies gilt vor allem dann, wenn sich ein gesellschaftlicher Trend ausprägt, der zugleich einen Konformitätsdruck etabliert. Ein Widerspruch zur maximalen Hilfsbereitschaft wirkt dann als moralisch minderwertig und selbstsüchtig … und damit exkommunizierend.

Diese Melange aus Motiven, die zumeist nicht bewusst reflektiert werden sondern eben unterschwellige Wirksamkeit erlangt, wird oft zum kaum rational durchdringbaren Dickicht. Rationalität ist dann vor allem funktional im Einsatz, wenn es darum geht, eine Rechtfertigung für die vorgegebenen Handlungsmotive zu liefern. Nicht mehr Denken und Reflektieren bestimmt das Handeln, sondern das Denken wird zur Verteidigung bestehender irrationaler Einstellungen rekrutiert.

Konkrete Verantwortlichkeit – objektive Wirkketten

Das Handlungen Folgen hat, die möglicherweise nicht nur nicht intendiert sind, sondern gar das Gegenteil dessen bewirkt, was man zu erreichen sucht, sollte selbstevident sein. Um so mehr muss sich die Verantwortungsethik fragen, was die Motive und Folgen des Tuns sind. Wenn es durchaus nicht klar ist, ob überhaupt ein Schuldverhältnis vorliegt, kann auch nicht eine generelle Hilfsbereitschaft jedwedes Handeln rechtfertigen, dass eben die ‚korrekte‘ Gesinnung fordert.

Zunächst einmal ist es ein deutliches Signal, wenn man weltweite Hilfsbereitschaft signalisiert. Das Adressiert alle Notleidenden und Glücksritter dieser Welt. Als Eintrittskarte zu Schutz und dem materiellen Segen ist das Betreten des Gebietes der Bundesrepublik. Man mag es auch weiterhin für moralisch geboten halten, aber es ändern nichts daran, dass sich Tausende, vielleicht Millionen Menschen auf den Weg nach deutschland und seiner Willkommenskultur machen. Dieser Weg ist gefährlich. Hunderte von Menschen sterben bei der Überquerung des Mittelmeeres. Die Kriminalität mit Schlepperbanden blüht. All das geschieht bereits durch die Ankündigung einer nahezu unbegrenzten Hilfsbereitschaft Deutschlands, die sich in das letzte Dorf Afrikas herumspricht – freilich nicht ohne völlig überzogene Versprechen, wie, dass eder Angekommene ein Haus erhält. Haben die Migranten dann tatsächlich das gelobte Land erreicht, sind sie weder oft weder glücklich noch dankbar, denn ihre hohen erwartungen werden nicht erfüllt.

Ist darum die Ankündigung einer unbegrenzten Hilfsbereitschaft darum nicht viel mehr Quelle größeren Elends? Werden nicht dadurch Familien auseinander gerissen durch Hoffnung auf einen Familiennachzug? Werden die Kräfte zur Lösung der Probleme nicht nur dadurch blockiert, dass man eben Hilfe von Außen erwartet, sondern dass die Menschen, die am ehesten bereit sind große Risiken und Opfer in Kauf zu nehmen, selbst aus dem Spiel genommen werden, zugleich noch die knappen Mittel, die für die Entwicklung erforderlich wären, für Schlepper und Reise verpulvert werden?

Wohl gemerkt: Hier wurde noch nicht über die moralische Pflicht zur Hilfe gesprochen, sondern lediglich die objektive Wirkung eine generellen Hilfsankündigung.  Verantwortungsethik hebelt die moralische Pflicht nicht aus, sondern fragt nach den Konsequenzen des Handelns, auch wenn es gut gemeint ist. Man hat es vorher wissen müssen, und die Realität zeigt ganz klar, was dann auch passiert. Es ist darum unverantwortlich, diese Fragen von vornherein ausklammern.

Aber es geht weiter: Sind nun Menschen in Deutschland angekommen, so ist die Frage: ‚Was macht man mit jenen?‘ auch eine moralische Frage. Diese wird meist kurzschlüssig mit einer menschenwürdigen Unterbringung beantwortet, dann mit einem diffusen Integrationskonzept, dass zugleich die kulturelle Selbstbestimmung jener Menschen achten will. Kurz, man bietet den Angekommenen kein adaptierbares Konzept und klare Handlungsanleitung an, keine Orientierung, wie denn ihr Leben in Deutschland integrativ aussehen könnte.

Überwiegend bleiben Neuankömmlinge in Unterbringungen, in denen sie auf die Verfügbarkeit der Verwaltungsinstanzen warten. Und dies über Monate ohne Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeit. Selbst hochmotivierte Migranten mit Potential macht es mürbe und vermittelt die intensive Erkenntnis, dass man auch ohne Arbeit ein leidliches Auskommen hat. Dann wird es erstaunlich, wenn aus jener Gruppe tatsächlich noch einige den Sprung in ein produktives Arbeitsleben schaffen. Ich meine, es ist unmoralisch, den Menschen das anzutun. Menschen, die wie auch immer in diesem Land Aufnahme finden, dürfen nicht ohne persönliche Schuld zum monate langem Nichtstun verdammt werden.

Diese beiden Beispiele zeigen den Sprengstoff der in der ethischen Frage. die Befürchtung, dass sich Gesinnungsethik in ihr Gegenteil verkehrt, sollte damit hinreichend belegt zu sein.

Was kann man sonst tun?

Die Analyse der Hilfsbereitschaft zeigte, dass sie zu äußerst problematischen Wirkungen führen kann. Wenn man aber grundsätzlich die Hilfsbereitschaft als eine moralische Aufgaben bejaht, stellt sich die Frage nach dem Wie – ohne die verschlimmernden Begleitaspekte.

Zunächst ist die Unterscheidung wichtig zwischen dem persönlichen Umgang mit Menschen und politischem Handeln. Zwar forderte Kant im kategorischen Imperativ, dass eben die allgemeine Gesetzgebung der persönlichen Überzeugung zu entsprechen habe, aber die Gültigkeit dieser Aussage halte ich für mehr als fragwürdig. Denn im persönlichen Umgang begegnen wir Menschen, keinen Zahlen und Gesetzen. Das ist m.E. sowohl emotional als auch für das konkrete Handeln etwas völlig anderes. Auch wird bei einer spontanen konkreten Hilfeleistung in der Regel nicht die Verantwortung für Nebeneffekte so gravierend das Bild verkehren.

Statt dessen erfahren wahrscheinlich viele Menschen ihr eigenes Leben als relativ reich und unbesorgt. Im Gegensatz dazu wissen wir vom Elend und dem Leiden vieler Menschen. Dies führt angesichts der eigenen Untätigkeit zur Linderung der Probleme zu einer Art Schuldbewusstsein. Um diese Dissonanz aufzulösen beauftragt man die Politik mit entsprechenden Hilfsmaßnahmen. Das führt dazu, dass die stellvertretenden Hilfen geleistet wird und damit das eigene Selbstbild des moralischen Menschen aufrecht erhalten werden kann. Im Besonderen, wenn man möglichst wenig selbst belastet wird und vor allem Andere  – am Besten die ‚Reichen‘ oder die ‚Industrie‘, zur Not die Allgemeinheit – mit den Kosten belastet werden. Dies wäre allerdings ein moralisch fragwürdiger Akte der persönlichen Entschuldung.

Persönliche Hilfe kann in der direkten Förderung von Hilfsbedürftigen oder mit Spenden an humanitäre Organisationen geleistet werden. Wenn es um politische Aufträge geht, ist die Frage nach den Zielen und der zielführenden Umsetzung von Relevanz.

Will man möglichst vielen Menschen helfen? Oder bestimmten Gruppen? Sind zum Beispiel politisch oder religiös Verfolgte eine besondere Gruppe, die im Gegensatz von Opfern von Armut, Krankheit oder krimineller Gewalt besondere Hilfe erhalten soll? Man kann diese Fragen bejahen oder verneinen. De facto hat sich aber ein anderes Kriterium des Hilfebezuges herausgebildet: Wer den Weg nach Deutschland bewältigt hat, wird in der Regel auch Hilfen in großem Umfang erhalten.

Will man den Menschen ohne Ansehen der Person helfen, dann wird man das Kriterium: ‚Betreten des deutschen Bodens‘ geringe Bedeutung zumessen, denn arme und notleidende Menschen werden in der Regel den Weg bis über die deutsche Grenze nicht schaffen. Es wäre diskriminierend gerade für Arme, dann keine Hilfen zu erhalten. Vielmehr offenbart sich hier ein Dilemma, das dich aus einem christlichen Missverständnis herleitet. Dort heißt es am Beispiel des guten Samariters, dass es eben den Nächsten zu helfen gilt, nicht irgendwelchen fernen oder theoretischen Notleidenden. Also dem, der auf dem Wege oder vor unserer Haustür steht. Auch ist die emotionale Betroffenheit viel größer. Man kann dem Elend, das uns hautnah begegnet, nicht so leicht durch Ignoranz entkommen wie dem Notleidenden am anderen Ende der Welt.

Warum aber ist es ein christliches Missverständnis? Was hindert es, genau als die christliche Botschaft zu verstehen? Zum Einen ist die globalisierte Welt einem anderen Verhältnis zur Lokalität bezogen. Zum Anderen bekommt man die Menschen an der Grenze ja noch immer nicht als ‚Nächsten‘ mit. Den meisten sind diese Menschen noch immer recht fern. Wollte man nun das Lokalitätsprinzip hier als entscheidend einführen, würde sich keine Hilfsverpflichtung herleiten. Zudem hat sich auch durch die Geschichte und plakativ verkündete Hilfsbereitschaft eine völlig andere Situation ergeben: Es ist nicht die Spontaneität der Hilfe in Begegnung mit der Not, sondern es ist eine Einladung an die weniger Begünstigten, ihr Glück in Deutschland zu suchen. Und die Eintrittskarte ins Glück ist bei den Schleppern zu zahlen.  Dies ist weit jenseits von Jesus, der die Nächstenliebe keinesweg in den Kontext einer Hilfsindustrie stellt.

Tatsächlich wurde es vielen Menschen auch klar, dass sie mit ihrem Wahlrecht und der Abstimmung, die auch die Steuermittelverwendung einschließt, einen eher billigen Beitrag liefern. In der Regel sollte die Allgemeinheit, also zumeist die Anderen, die Zeche der Hilfsbereitschaft zahlen. Dies führte zu dem Angebot praktischer Hilfeleistung. Und hier ist auch mein Applaus uneingeschränkt. Wer sich seine Verantwortung für andere auch etwas persönlich kosten lässt, der hat seinen Ernst und Konsequenz auch gezeigt. Und manchen kostet es mehr, als sie es eigentlich wollten.

Es sind einige der Helfer zu Opfern von Diebstahl und Gewalt geworden. Andere gingen so weit, dass sie persönliche Bürgschaften eingingen, die sich dann als ruinös erwiesen. Ist hier noch eine moralische Pflicht festzustellen? Diese Antwort will ich bewusst offen lassen. Sie ist persönlich und im Einzelfall zu geben, nicht generell.

Ein Gedanke zu „Ethische Aspekte der Migrationspolitik“

  1. Dushan Wegner machte in seinem Blog https://dushanwegner.com/wenn-es-die-guten-trifft/ auf die Verbindung zwischen moralischen Anspruch und der Betroffenheit von Konsequenzen aufmerksam. Im grünen Kreuzberger „Areal Ratiborstraße 14“ soll eine Unterkunft für 450 Asylbewerber aus Afrika entstehen. Aus den überwiegend linken Gutmenschen wurden rasend schnell ‚besorgte Bürger‘. Dushans Fazit: ‚Gutmenschen sind wie Bösmenschen, nur in blöd.‘

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