Ist es nicht eine Binsenweisheit, dass eben das, was gerade on Vogue ist, viel mehr begeistert? Allerdings habe ich den Eindruck, dass die Neugier nach News den Hang zu Banalem und Oberflächlichen verstärkt. Immer weniger ist die Grundlagenforschung Thema, denn die kostet Zeit und Anstrengung. Sie ist nicht Hipp und passt auch nicht zu den Top-Themen des Tages. Zumindest bei mir selbst habe ich diesen Trend wahrgenommen. Wie angenehm, wenn man ein wenig über den Tellerrand der eigenen Kurzsichtigkeit gehoben wird. Einen derartiger Artikel von Rob Henderson, der beim Aktuellen startet, dann aber mehr nach den Gründen fragt, habe ich unter dem Titel Wer ist leichtgläubiger: Feine Leute oder gemeines Volk? gefunden.
Er schreibt: „In den 1980er Jahren entwickelten die Psychologen Richard E. Petty und John T. Cacioppo das „Elaboration Likelihood Model“, um zu beschreiben, wie das Überzeugen funktioniert.“ Und da steht dann doch sehr wichtiges, auch wenn der Ausgangstext schon rund 40 Jahre alt ist.
„Elaboration“ bedeutet hier, wie sorgfältig eine Person über eine Information nachdenkt. Wenn die Motivation und die Fähigkeit zum sorgfältigen Denken vorhanden sind, ist die „Elaboration-Wahrscheinlichkeit“ hoch. Das bedeutet, dass Menschen wahrscheinlich auf die relevanten Informationen achten und Schlussfolgerungen ziehen, die auf der Stärke der Argumente oder der Botschaft beruhen. Wenn die Wahrscheinlichkeit einer Elaboration hoch ist, ist eine Person bereit, ihre kognitiven Ressourcen zu verwenden, um ihre Meinung zu überdenken.
Rob Henderson
Gemeinhin nehmen wir wohl an, dass das ein Thema der Vernunft und der Argumente ist. Das wird hier als die zentrale Route bezeichnet.
Die Theorie ist, dass es zwei Wege oder zwei „Routen“ gibt, um andere zu überzeugen. Der erste Typ, der als „zentrale“ Route bezeichnet wird, beruht auf einer sorgfältigen und umsichtigen Abwägung der Botschaften, die wir hören. Wenn wir diese zentrale Route nehmen, werten wir die präsentierten Informationen aktiv aus und versuchen zu erkennen, ob sie wahr sind oder nicht.
Rob Henderson
Nicht nur , das wir selbst zuweilen an uns zweifeln und wir uns fragen, wie weit wir selbst dem hehreren Ideal folgen, oder ob uns anderes treibt, sondern wir nehmen in Verzweiflung wahr, dass in der aktuellen Zeit die Frage nach Argumenten immer unwichtiger wird. Die Vernunft hat keine Konjunktur.
Wenn die „periphere“ Route genommen wird, achten wir mehr auf Umstände neben den tatsächlichen Informationen oder Inhalten oder der Botschaft. Zum Beispiel könnten wir jemandes Argumentation danach bewerten, wie attraktiv er ist oder wo er ausgebildet wurde, ohne den tatsächlichen Wert seiner Botschaft zu berücksichtigen.
Rob Henderson
Wenn wir eine Botschaft über die periphere Route aufnehmen, sind wir tendenziell passiver als bei der zentralen Route. Leider wird die periphere Route häufiger benutzt, da wir einer immer größeren Menge an Informationen ausgesetzt sind. Die renommierten Psychologen Susan Fiske und Shelley Taylor haben Menschen als „kognitive Geizhälse“ charakterisiert. Sie schreiben: „Die Fähigkeit des Menschen, Informationen zu verarbeiten, ist begrenzt. Daher nimmt er Abkürzungen, wann immer er kann.“ Wir sind faule Kreaturen, die versuchen, so wenig geistige Energie wie möglich aufzuwenden. Menschen sind in der Regel weniger motiviert, eine Meinung zu hinterfragen, wenn sie von einem Experten stammt. Wir interpretieren solche Botschaften über die periphere Route.
Erscheint das nicht als allzu zutreffend? Aber dann wird der Mensch und die Gesellschaft immer mehr Spielball von Propaganda und Ideologie, die sich der kritischen Prüfung des Arguments entzieht. Es spielt dann keine Rolle, ob hier ein sinisterer Mastermind oder eine perfide Verschwörung die Fäden zieht und sich dieser Mechanismen bedient, oder ob es lautere Menschenfreunde sind, die doch nur das Beste für die Welt wollen, dabei aber in dem Netz ihrer eigenen Ideologie gefangen sind. Wenn das Ergebnis so oder so einer kritischen Prüfung nicht stand hält, ist beides fatal. Wir könnten dann darüber nachdenken, was wohl schlimmer wäre. Sehen wir aber ein Bisschen mehr in die innere Mechanik:
Das ist ein Grund, warum Medien häufig Experten einstellen, die ihre politischen Werte widerspiegeln. Diese Experten verleihen den Ansichten, für die sich das Unternehmen einsetzt, Glaubwürdigkeit. Interessanterweise scheint Fachwissen die Überzeugungsarbeit nur dann zu beeinflussen, wenn die Person als Experte identifiziert wird, bevor sie ihre Botschaft kommuniziert.
Rob Henderson
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Dies deutet darauf hin, dass unsere Motivation, die „zentrale“ Route zu nehmen, verringert wird, wenn etwas von einem Experten stammt. Wir sind dann nicht mehr auf der Hut. Wenn die Motivation und/oder Fähigkeit, Argumente zu verarbeiten, abnimmt, werden periphere Merkmale für die Überzeugungsarbeit wichtiger. Das ist nicht unbedingt ein gutes Zeichen.
Die perfekte Korruption ist nicht, dass man Menschen und ‚Experten‘ mit Geld, Erpressung und Manipulation dazu bringt, sich dem Willen derer zu beugen, die sie steuern, sondern das man einfach jene auswählt, die aus reinster Überzeugung bereits auf der gewünschten Linie sind. Das ist nicht nur billiger, sondern umgeht das Risiko einer Aufdeckung der Korruption. Diese effiziente und scheinbar harmlose Methode ist gerade wegen der Wirksamkeit und Unangreifbarkeit erschreckend. Wo es nicht mehr um Argumente geht, bleibt die Wahrheit notwendig auf der Strecke.
Aber warum ist das wichtig? Weil wir uns selbst besser kennenlernen und uns vor Manipulationen schützen können, wenn wir verstehen, wie und warum wir zu unserer Meinung kommen. Die Begründer des Elaboration Likelihood Model schrieben: „Letztendlich vermuten wir, dass Einstellungen für richtig oder angemessen gehalten werden, sofern sie als vorteilhaft für das physische oder psychische Wohlbefinden der eigenen Person angesehen werden.“
Rob Henderson
In seinem Buch The Social Leap schreibt der Evolutionspsychologe William von Hippel: „Ein wesentlicher Grund, warum wir so große Gehirne entwickelt haben, ist die Navigation in unserer sozialen Welt… Ein Großteil des Wertes, der in der sozialen Welt existiert, wird durch Konsens geschaffen und nicht in einem objektiven Sinn entdeckt… unsere kognitive Maschinerie wurde so entwickelt, dass sie nur teilweise durch die objektive Realität eingeschränkt wird.“ Unser soziales Gehirn verarbeitet Informationen nicht nur, indem es die Fakten untersucht, sondern auch die sozialen Konsequenzen dessen berücksichtigt, was mit unserem Ruf passiert, wenn wir etwas glauben.
Interessant ist hier vor allem, dass es nicht nur um Faktoren wie Macht und Geld geht, sondern soziale Akzeptanz und Anerkennung. Vorteile sind da nicht mehr im trivialen Bereich zu sehen. Das erinnert an die Reden Jesus, der jene anprangerte, die Gutes tun um Ansehen zu erlangen. Sofern es eben das wahre Gute wäre, wäre es noch immer besser, als das gute zu unterlassen. Ist es aber nur das vermeintlich gute, überwiegen die Scheinmoral und das faktisch schlechte. Und das bezieht sich nicht nur auf das aktive handeln, sondern auch das was wir ‚glauben‘, also für wahr halten. Denn aus diesem ‚Glauben‚ erwachsen Taten.
Tatsächlich suggerierte der bekannte Psychologe Leon Festinger in seiner einflussreichen Theorie der sozialen Vergleichsprozesse, dass Menschen die „Richtigkeit“ ihrer Meinung bewerten, indem sie sie mit den Meinungen anderer vergleichen. Wenn wir sehen, dass andere die gleichen Überzeugungen wie wir haben, steigt unser eigenes Vertrauen in diese Überzeugungen. Dies ist einer der Gründe, warum Menschen dazu neigen, Überzeugungen zu verbreiten, die nicht mit empirischen Mitteln überprüft werden können.
Rob Henderson
Diese Argumentation ist allerdings schwach, denn eine ‚wahre‘ Erkenntnis, beziehungsweise eine ‚wahre‘ Überzeugung ist nicht notwendig an die Empirie gebunden. Wenn es sich allerdings um einen Aussagebereich handelt, der tatsächlich der Empirie zugänglich ist, wäre ein Fehlen der Empirie ein robuster Grund, an der Überzeugung zu zweifeln. Die Vernunft müsste hier eine Erforschung des Sachverhaltes fordern und darf sich nicht mit bloßem Meinen und fragwürdigen Abschätzen zufrieden geben.
Die Frage nach Wahrheit geht wegen des impliziten Mechanismus immer mehr unter:
Der hindert sie daran, etwas zu sagen, das ihren Status senken könnte, selbst wenn es wahr ist. Und es treibt sie dazu, etwas zu sagen, das ihren Status verbessern könnte, selbst wenn es falsch ist. Manchmal können lokale Normen dieser Tendenz entgegenwirken. In bestimmten Gemeinschaften (z.B. Wissenschaftler) können Mitglieder durch das Ausdrücken der Wahrheit Status erlangen. Wenn die Norm jedoch gelockert wird, streben die Menschen möglicherweise standardmäßig nach Status über Wahrheit, wenn Status den größeren Wert besitzt.
… Die Sorgen um unseren eigenen Ruf leiten unsere Meinungen und führen uns zu einer populären Überzeugung, um unsere sozialen Positionen zu bewahren oder zu verbessern.
… Wenn viele Menschen etwas glauben, steigt unsere Wahrscheinlichkeit, diese Sache zu glauben. Und wenn eine hochrangige Person etwas glaubt, neigen wir ebenfalls eher dazu, es auch zu glauben.
Rob Henderson
Die wachsende Bedeutung der Medien hat hier einen deutlichen Einfluss gegenüber wiederkehrenden Ereignissen in der Geschichte:
Die Menschen auf dem Bildschirm scheinen attraktiv, reich, beliebt und mächtig zu sein. Barkow schreibt: „Auf der ganzen Welt lernen Kinder nicht von Mitgliedern ihres eigenen Umfelds, sondern von Medienvertretern, die sie als prestigeträchtig empfinden. Das lokale Prestige wird herabgesetzt.“ Da dieses Phänomen weiter zunimmt, haben die Meinungen und Handlungen der global bekannten Prominenten immer mehr Einfluss.
Rob Henderson
Diese Analysen führen zu einem überraschenden Ergebnis:
Wer ist am anfälligsten für Manipulation durch periphere Überzeugung? Es mag intuitiv so erscheinen, dass Menschen mit weniger Bildung manipulierbarer sind. Untersuchungen legen jedoch nahe, dass dies möglicherweise nicht der Fall ist. Personen mit hohem Status sorgen sich mehr darum, wie Andere sie sehen. Dies bedeutet, dass gebildete und/oder wohlhabende Menschen besonders anfällig für periphere Überzeugungsmethoden sind.
Rob Henderson
Das stellt die intellektuellen ‚Eliten‘ ins Zwielicht:
Der demokratische politische Analyst David Shor hat festgestellt: „Hochgebildete Menschen neigen dazu, ideologisch kohärentere und extremere Ansichten zu vertreten als Menschen aus der Arbeiterklasse. Wir sehen dies in Umfragen und ideologischer Selbstidentifikation. Wähler mit Hochschulabschluss bezeichnen sich mit weit geringerer Wahrscheinlichkeit als moderat.“
Rob Henderson
Mit der Wahrheit ist es dann wie mit dem Fuchs, dem die Trauben, die ihm zu hoch hängen, auch zu sauer sind.
Eine Umfrage des Cato-Instituts in Zusammenarbeit mit YouGov stellte einer repräsentativen Stichprobe von 2.000 Amerikanern verschiedene Fragen zur Selbstzensur. Sie stellte fest, dass höher gebildete Menschen am meisten besorgt sind, aufgrund ihrer politischen Ansichten ihren Arbeitsplatz zu verlieren oder Beschäftigungsmöglichkeiten zu verpassen.
… Die Ergebnisse einer aktuellen Arbeit der Politikwissenschaftler James L. Gibson und Joseph L. Sutherland mit dem Titel „Keeping Your Mouth Shut: Spiraling Self-Censorship in the United States“ stimmen mit denen von Cato / Yougov überein. Sie stellen fest, dass die Selbstzensur in die Höhe geschossen ist. In den 1950er Jahren, auf dem Höhepunkt des McCarthyismus, gaben 13,4 Prozent der Amerikaner an, dass sie sich „weniger frei fühlten, ihre Meinung zu äußern als früher“. 1987 waren es 20 Prozent. Bis 2019 gaben 40 Prozent der Amerikaner an, dass sie sich nicht frei fühlten, ihre Meinung zu sagen.
… Selbstzensur tritt am häufigsten bei Personen mit dem höchsten Bildungsniveau auf.
Hochgebildete Menschen drücken anscheinend öfter Dinge aus, an die sie nicht unbedingt glauben, weil sie befürchten, ihren Arbeitsplatz oder ihren Ruf zu verlieren. Innerhalb der Oberschicht geben die wahren Gläubigen das Tempo vor, und diejenigen, die Angst vor dem Verlust ihrer sozialen Positionen haben, machen mit.
Rob Henderson
Aber nicht jede der genannten Thesen hat die gleiche Überzeugungskraft:
Zum Beispiel sind die Menschen, die am meisten wegen des Klimawandels besorgt sind, Demokraten mit Hochschulabschluss. Die Menschen, die es am wenigsten interessiert? Republikaner mit Hochschulabschluss.
Rob Henderson
Die These, dass die politische Einstellung die Einschätzung zur Lage prägt, kann auch ins Gegenteil verkehrt werden: Wenn sich jemand sachlich eine Ansicht zum Thema Klimawandel gewonnen hat, mag sich in dem politischen Lager, die das Gegenteilige vertritt, nicht mehr wohl fühlen. Darum ist die Belegkraft dieser Behauptung für das eine oder das Andere nicht mehr gegeben. Insbesondere, wenn sich die Kräfte wie in den USA annähernd gleich verhalten. Anders dagegen, wenn es eine klar dominierende Ansicht gibt wie in Deutschland. Dann ist der Druck zur Normierung sehr stark. Mitunter ist es aber nicht ausgeschlossen, dass die Ansichten einer Richtung auch fachliche Überzeugungskraft haben. Wenn dies auch eine kritische Prüfung übersteht, verblasst der Ruhm der Querdenker. Dieser aber besteht, wenn faktisch der Mainstream eine unbegründete und schädliche Ansicht vertritt.
Diese Betrachtungen und Erkenntnisse können uns dabei helfen, unsere eigenen Erkenntnisse kritischer zu überprüfen und uns von den peripheren Routen in unserem Kopf zu bewahren. Zudem bewahrt es uns auch unser vernunftbasiertes Selbstverständnis:
Wenn wir mit Entsetzen die Mehrheitsmeinungen und derer von angesehenen Experten und prominenten Persönlichkeiten betrachten, dann kommen uns sicher bange Fragen: Was ist, wenn diese Anderen nun recht hätten? Wäre ich dann nicht selbst der sture Querulant, der sich der Erkenntnis der Wahrheit widersetzt? Wenn wir aber wissen, wie diese Mehrheitsmeinungen zustande kommen, wissen wir, dass diese nichts zählt, solange sie nicht von überzeugenden Sachargumenten getragen ist. Das explizite oder implizite Argument von behaupteten Konsens und Mehrheiten zählt dann herzlich wenig, sondern weckt erst recht Zweifel und dem Wunsch zu einem verlässlichen Urteil zu kommen.