Gleichheit – im Besonderen der Rechte vor dem Gesetz – ist uns heute eine moralische Notwendigkeit und Tugend. Diskriminierung erscheint uns moralisch verächtlich. Aber ganz so einfach ist es nicht.
Diskriminierung stammt von dem aus dem lateinischen Verb discriminare „trennen, absondern, abgrenzen, unterscheiden“ – also dem ungleichen. Das Spannungsfeld entsteht, wenn wir feststellen, dass wir eben nicht völlig gleich sind. Manche sind stark – andere weniger, schön – andere weniger, klug, alt … usw. Fahigkeiten und Geschlechter unterscheiden sich – und vieles mehr. Wir können uns auch erst als Person verstehen, in dem wir uns vom Anderen abgrenzen, unterscheiden. Zugleich aber sehen wir Gründe für Gleichheit: Alle sind von Gott geschaffen oder Ergebnisse der Evolution – je nach weltanschaulicher Einstellung. Unser Rechtsverständnis basiert auf der Gleichheit, die eben nicht einige Gleicher sein lässt.
Zwischen den beiden Polen gibt es offensichtlich ein Balanceakt. Im Extrem wird der Vertreter der Gleichheit eine Gleichmacherei fordern, einen Egalitarismus, der den Menschen seiner Individualität beraubt. Teilweise wird er so im Kommunismus gefordert und lieferte Rechtfertigung für grausame Verfolgung mit Millionen von Opfern.
Eine Betonung der Verschiedenheit kann sich im Rassismus niederschlagen, die ebenso viele Opfer forderte. Es gilt also, hier ein Gleichgewicht zu identifizieren, dem beiden Seiten nicht zum Opfer fallen. Gleichheit der Rechte, aber Anerkennung der Verschiedenartigkeit der Personen. In diesem Sinn äußerte sich Alain de Benoist in Kulturrevolution von rechts. Gramsci und die Nouvelle Droite. Krefeld 1985:
„Im Gegenteil, es gibt zahlreiche Ungleichheiten, die ganz und gar ungerecht sind.(…) Ich billige keinerlei Kastenprivileg. Ich mache die Chancengleichheit zu einer Forderung jeder Sozialpolitik. Ohnehin heißt eine antiegalitäre Lebensauffassung zu vertreten nicht, die oft verabscheuungswürdigen Ungleichheiten verstärken zu wollen (…).“
„Ich habe bei unzähligen Anlässen klargestellt, daß ‚Differenz‘ keineswegs ein Synonym für ‚Ungleichheit‘ ist (…), und ich hüte mich davor, Gleichheit (insbesondere die Gleichheit der Bürger) mit Egalitarismus zu verwechseln.“
Ein Gegensatz zu dieser Position ist der Totalitarismus, der kein Anders-Sein neben sich duldet. Aber auch subtilere Formen der Gleichmacherei, die Differenzen zwischen den Menschen nivellieren will, seien abzulehnen.
Kolja Zydatiss sieht die Gleicheit als die Grundlage Für eine universalistische Ethik.
Grundlage eines universalistischen Wertesystems ist die Vorstellung, dass alle Menschen prinzipiell gleich und ebenbürtig sind. Natürlich unterscheiden sich Menschen in ihren Fähigkeiten sowie in ihren geistigen und materiellen Bedürfnissen. Persönliche Vorlieben und Neigungen sollten jedoch nicht den Blick auf allgemeingültige Standards verstellen.
Zydatiss sieht also das Problem, macht aber die Gleichheit zu dem zentralen Wert. Denn die Frage bleibt, wo genau sich die allgemeinen Standards verorten. Die sieht er in der goldenen Regel.
Meine Kultur, die europäische, drängte ab dem 17. Jahrhundert religiöse und monarchische Autoritäten zurück und wandte sich naturwissenschaftlichen und rationalen Erklärungsmustern zu, also bin ich überzeugt, dass prinzipiell jede Kultur einen solchen Aufklärungsprozess durchlaufen kann.
Das halte ich logisch nicht für schlüssig. Denn es ist ein Fehler, die Aufklärung als Gegenbewegung zum Christentum zu verstehen. Im Gegenteil: Aufklärung ist nicht zufällig im christlichen Kulturkreis entstanden. Viele Kulturen sind in der Konfrontation mit dem Vormarsch westlichen Kulturimperialismus gespalten. Denn einerseits werden technische und soziale Errungenschaften durchaus attraktiv und positiv verstanden, andererseits die Kehrseiten gesehen und eine Verflachung durch Verzicht auf eigene Werte und Identität befürchtet. Am stärksten entdecken wir den Gegentrend im Islamismus. Der moslemische Intellektuelle sieht sich zwischen Scilla und Karybdis, zwischen zwei tödlichen Übeln: Einerseits der Kulturimperialismus, der letztlich die Preisgabe der eigenen Identität fordert, andererseits der antihumane Islamismus. Es sind wie zwei Mühlsteine, die die Muslime zermahlen könnten. Die Aufklärung bleibt auch darum auf der Strecke, da diese im Westen zwar auf den Sockel gestellt wird, ihrerseits aber längst ausgehöhlt ist. Postfaktische Postmoderne und Konsumismus beschreiben den Westen treffender. Im Konsum und offenen Märkten soll die Gleichheit erfahren werden, die aber wegen der Ungleichverteilung des Geldes in unerreichbarer Ferne liegt.
Doch die „westliche“ Tradition ist, wie der britische Publizist Kenan Malik schreibt, „nicht in irgendeinem essenziellen Sinne westlich, sondern nur durch geografischen und historischen Zufall“.
Dieses Fehlurteil mag als Argumentation zur Adaption dritter Kulturen dienen, mit dem die Hürde gesenkt werden soll. Aber sie wird oft als Scheinargument verstanden und als Identitätsverlust der Aufklärung: Die Lösung von der eigene Geschichte macht auch die Werte beliebig. Und auch das Argument ist brüchig:
Die wissenschaftlichen Arbeiten islamischer Gelehrter waren zum Beispiel bedeutende Quellen der europäischen Renaissance.
Unbestritten trugen kulturübergreifende Impulse zur Geistesgeschichte bei. Der Islam konte zum Ende des 1. Jahrtausend auch darum seine größte Macht erreichen, da er die Errungenschaften der eroberten Kulturen aktiv nutzte und integrierte. Aber dann kam es zum Anwachsen des Fundamentalismus, der den islamischen Kulturkreis über Jahrhunderte in die Stagnation trieb. Trotz des kulturellen Vorsprungs wurde er von der westlichen Zivilisation bei weitem überflügelt. Kulturgeschichtlich relevant und zur Bewertung einer Weltanschauung ist nicht die kurzfristige Reaktion auf eine Innovation, sondern deren langfristiges Entwicklungspotential: Hier zeigen sich die besonderen Qualitäten einer Weltanschauung. Das Christentum erwies sich kulturgeschichtlich als robuster und gut für permanente Reformation, die sich nicht in einem starren Konservativismus verhaften ließ.
Das moderne Denken ist im Wesentlichen ein Kind des Westens, aber seine Errungenschaften stehen jedem Menschen offen.
Unbestreitbar ist das so, aber ebenso unbestreitbar zeigt die jüngere Geistesgeschichte dass das nur die halbe Erklärung liefert. Denn Rosinenpickerei geht eben nicht beliebig. Man kann nicht individuelle Freiheiten, einschließlich Pluralismus, Meinungsfreiheit, positive und negative Religionsfreiheit anstreben und zugleich dem Wertekanon eines traditionellen Islams folgen. Das würde einen individualisierten Islam erfordern, der aber von der Lehre nie vorgesehen war. Andererseits sind kommunistische Bewegungen, die eher die Gleichmacherei forderten, nach wie vor mächtig. Und ein Nationalismus, in dem viele unterschwellige Formen eines Rassismus erkennen, scheint ebenso wenig dazu zu passen.
Wer seine Mitmenschen nicht als Gleiche ansieht, wird für sie nicht dasselbe Maß an Wohlstand und Komfort einfordern wie für sich selbst. Die aktuellen Debatten über „soziale Gerechtigkeit“ zeigen dies eindrucksvoll.
Hier erhebe ich Einspruch. Denn die Erbschaft, also die Weitergabe der Elterngeneration kann man natürlich sozialisieren wollen. Aber das senkt das Interesse, eben jene Vermögen zu bilden. Lethargisches Wirtschaften ist die Folge. Ebenso die Leistungsbereitschaft: Angestrebter Wohlstand ist für viele das Motiv zu harter Arbeit. Andere haben gegensätzliche Interessen. Warum sollten alle den gleichen Wohlstand genießen?
Respekt vor dem Anderen heißt auch, die Werte und Präferenzen dem Anderen nicht überzustülpen, sondern zu respektieren. Hier rührt sich der Verdacht der Gleichmacherei.
Die westliche Unterstützung ist oft an Auflagen geknüpft, die verhindern sollen, dass die Entwicklungsländer unsere „Fehler“ – etwa in der Energiepolitik – wiederholen.
Die Erkenntnis ist korrekt, dass mit fragwürdigen Argumenten eine Chancengleichheit verwehrt wird. Dazu ist aber nicht erforderlich, eine völlige Gleichheit der Werte und Ziele vorauszusetzen.
Losgelöst von einer universalistischen Weltanschauung zementiert Mitleid den gesellschaftlichen Stillstand.
Treffend erkennt der Autor, das Mitleid alleine keineswegs zu moralischem Handeln führt, sondern es bedarf weitergehender Werte. Die von ihm beschriebene universalistische Weltanschauung sucht einen kulturübergreifenden Konsens, der an der Gleichheit und der goldenen Regel ansetzt. Tatsächlich kann man die Suche nach allgemeinen Werten, die sich nicht nur im Kontext der eigenen Weltanschauung bewähren, sondern konsenstauglich sind, unterstützen. Die Frage bleibt nur, welcher Weg hier zielführend ist, und ob sich überhaupt ein gemeinsames Ziel finden lässt.
Die Abkehr vom Universalismus führt nicht nur zu niedrigen materiellen Erwartungen. Seit Jahren wird versucht, das Bildungssystem an die vermeintlichen Bedürfnisse bestimmter Gruppen (Arbeiterkinder, Schüler mit Migrationshintergrund) anzupassen.
Zydatiss erkennt das Problem, ist aber auf sein Ansatz der Gleichheit fixiert. Er erkennt nicht, dass es gerade der Wunsch nach Gleicheit ist, der die Standards absenkt und somit die Kehrseite des Gleichheitssterbens markiert. Die Gleichheit und universalistische Ethik wird so zu einem Trugbild, eine Fata Morgana, die eher Wünsche spiegelt als eine hinreichende zielkonforme Grundlage schafft.
Anti-Diskriminierungsgesetze, Political Correctness und die öffentliche Diskussionen darüber sind mir zuwider. Nicht, weil ich daran zweifele, dass jeder Mensch Würde und Respekt verdiene, sondern weil hier Kategorien des Denkens perpetuiert werden, die auf Merkmalen beruhen und somit Menschen auf bestimmte Dimensionen einengen.
‚Gerade das wollen doch die Antidiskriminierungs-Initiativen bewirken‘ wird nun vermutlich eingewendet. Vielleicht ist das auch wirklich das Motiv. Aber bewirkt wird das Gegenteil. Man sieht in dem Menschen, der mir begegnet, erst recht das Stereotyp. Denn mit einer Verbissenheit gilt es nun, das eigene Denken politisch korrekt umzuformen, damit nicht einmal falsche Worte über die Lippen gehen. Zunächst wurden bestimmte Begriffe geächtet, und dafür dann Ersatzbegriffe erfunden, die zunächst als politisch korrekt galten: Aus Türken werden Südländer. Neger wurden zuerst zu Farbigen und Nicht-Weißen. Der Frauen-Begriff ist im Zuge von Emanzipation und Genderismus auch schon irgendwie schwierig geworden. Schließlich lehnt man auch Ersatzbegriffe als diskriminierend ab. Das führt dazu, dass man die Sprache und Denken kastriert. Man kann manches gar nicht mehr denken, auch nicht mehr kritisch reflektieren. Ängste, Vorbehalte und dumpfe Gefühle können nicht mehr gedacht werden und bleiben vorsprachlich und unreflektiert motivationswirksam.
Als Gegenmodell eignet sich m.E. der eher bedenkenlose Einsatz der Sprache ohne Tabus, aber dafür das Reflektieren eben jener Gefühle und Gedanken. Wenn mir ein dunkelhäutiger Mensch begegent, so kann es sein, dass mir dieses Faktum völlig unwichtig ist. Manchen mag es besonders reizvoll sein, wenn sie aus einer anderen Erscheinung auf ein anderes Sein schließen und Neugier erwecken. Manchen ist es eine Projektionsfäche für die eigene Identität, etwa das edelen Wilden, oder des armen Diskrimierungs-Opfers, als das man insgeheim selbst anerkannt werden will. Viele haben zunächst irrationale Vorbehalte, weil ihnen Fremdheit bedrohlich erscheint. Manche haben auch schon schlechte Erfahrungen mit Fremden gemacht.
Wenn man seine eigenen Gefühle erkennt, kann man sie auch reflektierend durchdenken. Im besten Fall kann man so auch Menschen angemessen begegnen, z.B. unerwünschte Vorbehalte überwinden. Verdrängt man aber die Worte und Sprache, sind die Ergebnisse unübersichtlich und jenseits einer rationalen Kontrolle.