Kann es wahr sein? Der von mir hoch geschätzte Gegenwarts-Philosoph Gunnar Kaiser schockierte mit der Forderung nach einem staatlichen Gütesiegel zur Berechtigung von Philosophen zum Auftritt in Massenmedien. Die Kritik an Zeitgeist-Adlaten wie Precht, und auch die inhaltlichen Forderungen wirkten durchaus bedenkenswert. Er wollte Fake-Philosophen disqualifizieren … Tatsächlich sind die Prediger der regierungsamtlichen Wahrheit und des Zeitgeistes fragwürdige Gestalten, wenn sie gar den Duktus der autoritativen Wahrheit vermitteln wollen. Aber eine staatliche Prüfung? Das kann doch nur im Missbrauch enden! Natürlich war es tatsächlich eine Persiflage basierend auf seinen Beitrag maiLab liebt die Technokratie.
Da es aber nicht nur komisch war und eine Überzeichnung, hat er die Argumentation der zu recht kritisierten Positionen von Mai Thi Nguyen-Kim umgedreht. Die ernst gemeinten Argumente verdienen die Diskussion.
Kaiser bezieht sich zunächst auf Richard David Precht und insinuiert, Precht sei ein Fake Philosoph. Genauer geht Kaiser in seinem dedizierten Beitrag über Precht ein:
Kaiser beschreibt Precht als sympathisch, charismatisch und klug. Immerhin hat er Breitenwirkung … Aber genauer untersucht Kaiser Prechts Aussagen. Z.B. Das der Kapitalismus zu Kinderarbeit unter übelsten Bedingungen führte. Kaiser zeigt in einem kurzen Rückgriff auf die Geschichte, dass das falsch ist. Die industrielle Revolution machte die Jahrtausende alte Kinderarbeit sichtbar, aber führte durch die Effizienzsteigerung letztlich zu deren Auflösung. Maschinen konnten die Arbeit leisen, für die zuvor Kinderarbeit unverzichtbar war. Precht bedient sich damit nur einem verbreiteten Narrativ, dass ein unzutreffendes Verständnis der Geschichte kolportiert.
Weiter behauptet Precht, dass Kuwait ein Beispiel für einen Kapitalismus sei, in der nur wenige profitieren. Auch das widerlegt Kaiser. Die Verwendung des Begriffes ‚Kapitalismus‘ auf alles und jedes bei Precht entwertet die Aussagekraft seiner Botschaft: Was will er eigentlich damit sagen? Der Strohmann ‚Kapitalismus‘ tritt schemenhaft auf, es kann in unterschiedlichen Formen seinen Schrecken verbreiten. Auch der Demokratiebegriff Prechts passt nicht zur wahren Geschichte. Kurz: Precht bedient populistische Motive einer scheinbaren Geschichtsanalyse, die aber bereits einfachste Prüfungen nicht übersteht.
Zurück zum Ausgangsbeitrag: Macht das Precht zum Fake-Philosophen?
Kaiser unterscheidet zwischen der Philosophie als Denkdisziplin des Hinterfragens und den Philosophen, die keineswegs dieser stets verpflichtet bleiben … vor allem, wenn sie Publikumswirksamkeit erreichen. Das Problem ist die Verbindung zum persönlichen Interesse des Philosophen. Wenn dieser an Sicherheit interessiert ist, kann es sich als fatal erweisen, sich jenseits des Zeitgeistes zu bewegen, gar diesem zu widersprechen. Als unzeitgemäßer Denker gerät er ins Abseits und Isolation. Die sich daraus entstehende Abhängigkeit vom Zeitgeist macht jene Philosophen zu Lakaien eben jenes. Es ist dann nicht mehr klar, ob die Aussagen jenes Philosophen der Liebe zur Weisheit geschuldet sind, oder ob er nur seinem Herren dient. Darum fordert Kaiser, der Philosoph müsse zwischen allen Stühlen sitzen und dürfe keine Abhängigkeit pflegen.
Einerseits hat der Gedanke durchaus seine Berechtigung, aber er kann sich mehrfach nicht als überlegen erweisen. Denn eine völlige Unabhängigkeit von allem ist gar nicht möglich, selbst ein Kritiker kann in seiner Anti-Position vom Zeitgeist vereinnahmt werden. Zudem ist ja gar nicht klar, dass der Zeitgeist immer falsch liegen muss. Das, was man nach ausgiebiger Prüfung für richtig hält, kann sowohl dem Zeitgeist widersprechen, als auch diesem zustimmen. Dem Anspruch der Unabhängigkeit, so notwendig dieser auch ist, kann sich aber als Hebel der Selbsttäuschung erweisen. Dies als vermeintliches Hilfskriterium zu beanspruchen erweist sich oft als schwierig und kaum überprüfbar.
Bei einer Lüge sagt man etwas, was man nicht glaubt. Beim Faken aber glaubt man das, was man sagt – aber man sagt es nur zu einem bestimmten Zweck. Der Fake-Philosoph glaubt selber an seine Lüge. Das macht ihn so gefährlich.
Gunnar Kaiser – ab 8:03
Kaiser benutzt exzessiv den Begriff Fake – also Fälschung. Damit meint er, dass der Schein nicht dem Zutreffenden entspricht – und das muss bei Kaiser nicht zwingend einer Intention entsprechen. Da Irrtum aber nicht ausgeschlossen werden kann, ist die Unterscheidung keineswegs einfach. Kaiser verwendet es möglicherweise, um den zeitgeistigen Begriff selbst zu persiflieren, benutzt aber eine ernsthafte Diskussion der Erklärung.
Abgesehen von der unglücklichen Begrifflichkeit beschreibt Kaiser an reales und sehr subtiles Problem: Wer ist wirklich frei davon, sich systematisch in Irrtümer zu verrennen, oder das durchaus berechtigte Eigeninteressen sein Denken korrumpieren? Sicher ist es ein erster Schritt zu erkennen, was hier die Gefahr ist. Und natürlich ist es nicht nur der Meinungsgegner, der unter dieser Gefahr steht. Wo aber allzu offensichtlich eine Dienerschaft von Interessen steht, ist die Skepsis mehr als berechtigt.
Kitsch sei von der Kunst zu unterscheiden durch die Intention, vor allem einem Zweck zu dienen, die eben mit dem Gegenstand nicht identisch sei. Kitsch vermittelt billige Gefühle, die eben gewünscht seien, anstelle sich um die Ästhetik und den Gedanken an sich zu fokussieren. ‚Die Schönheit hat ihren Zweck in sich‘. Ähnlich wie der Kitsch sei auch das Merkmal des Fake Philosophen, das er vor allem Interessen dient.
Aber auch diese ist zweischneidig. Es gehört zu einer sehr häufig verwendeten Figur, den Meinungsgegner der Interessengebundenheit, der Korruption und Ideologieverblendung zu bezichtigen – und zwar allseitig. Damit wird oft die Argumentation zur Sache ausgehebelt. Kurz: Der Verdacht kann zwar begründet sein, entbindet aber nicht von der Pflicht, auch auf Sachebene das Argument zu prüfen. Was wäre gewonnen, wenn man dem wahrhaft Unabhängigen, der sich jedoch irrt, mehr Vertrauen zu schenken als dem Interessenvertreter, der dennoch schlicht recht hat? Im Gegenteil: Zuweilen führt die Verleugnung von Eigeninteresse zu Sumpfblüten, die gegen das Eigeninteresse unsinnige Behauptungen aufstellt – lediglich, um der Gefahr der Interessengebundenheit zu entgehen.
Die Gedanken und Thesen des Fake-Philosophen und Kitsch-Intellektuellen sind standardisiert, vorhersehbar, leicht konsumierbar. Sie bestätigen den Menschen in dem, was er schon immer mal fühlen wollten – und der Fake Philosoph bestätigt sich selbst. Er belohnt sich mit der Zugehörigkeit zur Fake Bubble, zur Kitsch-Blase, zu einem ganzen Kitsch-Netzwerk, zu einer Community von zeitgeistlichen Fake-Philosophen.
Gunnar Kaiser – ab 10:35
Mich verstören diese Aussagen. Denn einerseits bestätigen auch diese Gedanken den Verdacht, der auch mir bei den Adepten des Zeitgeistes erscheint. Andererseits scheint mir die Dichotomie, die die ‚bösen‘ Kitsch-Intellektuellen von den wahrhaft guten Philosophen unterscheidet, ebenso dieses ‚Fakes‘ verdächtig. Ist es eine Art Revanchismus, eine Suche nach einer bedrohten Identität, Reaktion auf das Empfinden der eigenen Marginalisierung … also auch eine interessengetriebene Einschätzung?
Sicher, eine Botschaft muss auch bis zu einem Punkt polarisieren. Allzu viele Grautöne verwässern die Aussage, die dann nicht mehr unterscheidbar und damit strukturlos wird. Eingedenk dessen ist es wichtig, diese polarisierenden Beobachtungen als Denkanregung – vor allem für die Selbstkritik heranzuziehen.
In einer Welt aber, in der ‚Fake‘ ein kulturelles Phänomen ist, in der man echte Kunst nicht mehr vom Klischee unterscheiden kann, das Nachgemachte für das Echte hält, in der man keinen Unterschied zwischen Original und Abklatsch, zwischen Einfachheit und Banalität, zwischen echten Gefühlen und Sentimentalität, zwischen Gesicht und Maske macht … In dieser Welt machen wir auch keinen Unterscheid mehr zwischen Fake-Philosophie und echter Philosophie.
Gunnar Kaiser – ab 11:12
Sicher war dies schon immer ein Problem der Erkenntnis. Denn das Problem ist im Grundsatz so alt wie die Menschheit. Aber in vergangenen Zeiten der Bodenständigkeit und des gesunden Menschenverstandes lagen die Probleme anders als in einer Zeit, die vor Stolz auf die eigene vermeintliche Vernunft strotzt, die sich den Altvorderen weit überlegen dünkt, alles virtualisiert und die Bodenhaftung verliert. Kaisers Kulturkritik trifft. Um der Beliebigkeit und der Sinnleere zu entgehen, zimmert sich die moderne Gesellschaft Ersatz-Religionen des Zeitgeistes mit der Kommunion der Zugehörigkeit. Das ‚Fake‘-Phänomen ist damit untrennbar verbunden.
Das Mutlose, das keinen Angriff wagt, oder höchstens einen Fake, einen Pseudo-Angriff – der Gedanke, der nicht unbequem ist, der für niemanden eine Herausforderung darstellt … dies zu unterscheiden von freiem und unabhängigen Denken …
Gunnar Kaiser – ab 11:56
Diese Heroisierung jener Art zu Denken mag überzogen sein, aber es bedarf des Ziels, des Ideals, des Werts, um ein Streben und eine Tugend zu entwickeln. Immerhin sind ja die Gefahren der Ausgrenzung allzu präsent. Eine Gegenkraft bedarf der Pull-Faktoren.
Nahtlos schwenkt Kaiser dann wieder in den Persiflage-Modus, der nach Richtern ruft, die Kraft ihrer Urteilskraft diese Unterscheidung zwischen Echt und Imitation treffen können. Kaiser zeigt darin nicht, dass es ihm völlig klar ist, dass diese Richter ihr Amt nur durch eine staatliche Autorität erhalten können, deren Interesse jedoch der Machterhalt ist. Also wird eine geforderte Unabhängigkeit nicht zu erreichen sein, zumal die Cancel Culture ja ihrem Höhepunkt entgegen strebt. Zudem führt die Forderung zu einem performativen Widerspruch, denn wenn der Widerspruch zum Zeitgeist zur neuen Norm wird, wird dies ja zum neuen Zeitgeist, der sich dann selbst widersprechen müsste oder zur sinnentleerten Fassade wird. Wahrscheinlich meint Kaiser dies im Sinne einer platonischen Aporie, die eben keine Lösung zulässt.
Dann wieder zurück zu einer ernsthaften Diskussion. Fünf Kriterien sollen eine Objektivierung ermöglichen. :
1. Realität
Gunnar Kaiser – ab 12:29
Geht dieser Gedanke detailliert und angemessen auf die Welt ein? Bezieht er alle Seiten und Aspekte mit ein? Stellt er das Problem vorurteilslos in ganzer Breite und Bedeutung da?
Natürlich ist die Kohärenzforderung letztlich unverzichtbar. Aber ist es nicht zu viel verlangt, dies umfänglich in einer medialen Diskussion jenseits einer Abhandlung zu fordern? Sicher, Grobe Schnitzer, die offensichtlich unzureichend begründete Behauptungen aufstellt, sollten disqualifiziert werden. Aber reicht dazu nicht auch der Diskurs, der jene eben nicht einfach stehen lässt?
2. Arbeit
Gunnar Kaiser – ab 12:47
Ist der Gedanke Ergebnis einer merklichen Arbeit, der Arbeit am Begriff, mit dem Werkzeug des Denkens? Hat er den Denkenden etwas gekostet? Macht er es sich schwer? Ist der Gedanke eine oder mehrere Mühen wert gewesen? Wagt er etwas?
Sicher sind derartige Qualitätskriterien hilfreich, einen Gedanken zu beurteilen. Was aber, wenn es um die Vermittlung einfacher Zusammenhänge geht? Sollte man da die Messlatte so hoch legen?
3. Orientierung:
Gunnar Kaiser – ab 13:03
Ist der Gedanke ordnend? Hat er eine ordnende Kraft? Gibt er Orientierung? Strukturiert er die Wirklichkeit und macht sie so verständlicher, greifbarer – ohne sie zu verkürzen oder zu verzerren?
Obwohl e wünschenswert ist, dass man den Gedanken als Erkenntnisschritt in die Realtätssicht gerne einbauen will, so liegt dennoch eine Sollbruchstelle darin. Denn beim Zuhörer stößt sie auf ein Realitätsverständnis, welces diesem entspricht oder quer dazu steht. Liegt der Gedanke gerade verquer mit der Weltsicht, so neigt der Beurteilende diesem Gedanken keine gute Orientierungsnote zu geben.
4. Bedeutung
Gunnar Kaiser – ab 13:18
Hat der Gedanke für das Leben der Menschen eine Bedeutung? Gibt er ihnen Sinn? Macht er ihnen Mut, motiviert er sie? Macht er sie besser, gesünder, heiler, ganzer?
Auch das ist sicher nicht immer zu erreichen. Zuweilen desillusioniert die Realität, führt zu vernichtenden Kritiken, zum Eingeständnis, keine Problemlösung zu haben. Aber auch derartige Gedanken haben ihre Notwendigkeit. Wenn das Kriterium nun angewendet wird, jene Gedanken zu unterdrücken, die notwendig nicht konstruktiv sind, geht etwas wichtiges verloren.
5. Unabhägigkeit
Gunnar Kaiser – ab 13:30
Hält sich der Gedanke fern fern einfachen Antworten? Auch von Floskeln und Klischees? Widersteht er der Versuchung, bequeme Lösungen anzubieten, dem Volk zu gefallen, Bestätigung zu finden bei den Einflussreichen oder den Mächtigen nach dem Mund zu reden, die Ideologie der Herrschenden zu bestätigen?
Was aber, wenn es schließlich einfach antworten gibt, aber diese unnötig verkompliziert werden? Dies Kriterien mögen hilfreich sein beim Verfassen und Beurteilen von Gedanken, aber sie sind weder einfach, noch leicht verständlich. Die Einschätzung ist stark von der Ansicht des Beurteilenden abhängig. Wer vermag nun zu entscheiden, welches Urteil hier gerecht wäre?
Aber die Kriterien sind anregend genug diese ernsthaft zu nutzen. Viele Kommunikatoren würden bei diesem Test auf ganzer Linie versagen, und damit aus den Medien verbannt werden. Kaiser schwenkt dann wieder nahtlos in den Persiflage-Modus und behauptet, dass eine staatliche Prüfung und damit Zensur mit diesen Kriterien eine hinreichend sicheres Urteil über den Gedanken möglich wäre. Würde das ernst genommen werden, würde einer weiteren Zensur Tür und Tor geöffnet werden, auch wenn die Kriterien an sich nicht per se schlecht sind.