Migration und christlicher Glaube

Unter dem Stichwort Asyl- und Flüchtlingspolitik entzweit sich die Gesellschaft. Die eine Seite sieht die moralisch-humanitäre Verpflichtung als Leitlinie, die anderen sehen Grenzen und Gefahren auf diesem Weg. Ein Kompromiss scheint derzeit ausgeschlossen. Um so wichtiger, die einzelnen Positionen zu verstehen. Im Besonderen das Christentum hat mit seinem prominenten Gebot der Nächstenliebe, die ja auch die Feindesliebe einschließt, eine markante Marke gesetzt. Die Kirchen finden sich überwiegend auf Seiten der Befürworter einer Willkommenskultur. Auch die Evangelikalen – vertreten durch die evangelische Allianz  (EAD) – haben am 14.08.2018 eine Aktuelle Pressemitteilung veröffentlicht:

Stellungnahme zur Flüchtlings- und Integrationspolitik
Integration bleibt Daueraufgabe – Asylrecht steht nicht zur Disposition – Fluchtursachen bekämpfen

Aber ist das ein verantwortlicher Umgang mit dem Thema, oder eine gesinnungsethische Sumpfblüte, die am Ende ihren Zielen nicht gerecht werden kann?

„Habt die Fremden lieb.“ Dieser biblische Grundsatz ist die Grundlage unseres Nachdenkens und Arbeitens im Bereich Migration und Integration. Auch das Grundgesetz benennt die „Würde des Menschen“ als oberstes Rechtsprinzip. Unabhängig von der jeweiligen Einschätzung politischer Entscheidungen und Vorgaben gilt uns als Bibelbewegung die Liebe zu jedem Menschen (Nächstenliebe, Freundesliebe, Feindesliebe) als grundlegend für das Leben.

Unbestritten ist dieses Imperativ aus dem Evangelium dem Christen Gebot – für den persönlichen Umgang  mit dem Nächsten. In der Politik allerdings spielt die Gesinnung alleine eine untergeordnete Rolle. Denn Politik trägt Verantwortung für Folgewirkungen. So sind auch die Konsequenzen für Ordnung und Gemeinwesen zu beachten, die weit über den Rahmen persönlicher Hilfeleistung hinaus geht. Eine andere evangelikale Gruppierung – Arbeitsgemeinschaft Weltanschauungsfragen e.V. (AGWelt) – legt dagegen ein Positionspapier vor, die weitgehend eine Gegendarstellung ist.  Dieses verweist überwiegend auf problematische Aspekte des EAD-Papiers.

Moralisch – biblischer Hintergrund

Befürworter einer einladenden Migrationspolitik beziehen sich meist auf eine humanitäre Verpflichtung, ohne sich zu einem religiösen Gebot zu bekennen. Dies bleibt aber meist als irrationaler Wert vor allem emotional motiviert, bzw. ist eine Werteadaption des christlich geprägten Kulturkreises, auch wenn die religiösen Grundlagen oft distanziert oder ablehnend gesehen werden. Hier soll aber gerade diese Grundlage in den Fokus gerückt werden. Denn auch jenen, denen die Bibel keine Richtschnur liefert, war sie dennoch zur Wertebildung prägend.

Das Eingangsstatement zur Fremdenliebe erscheint biblisch begründet aber ihre evangelikalen Kritiker wenden ein:

Das AT unterscheidet zwischen zwei Arten von Fremden. Da ist einmal der „Ger“ und zum anderen der „Nochri“. Beide Begriffe werden im Deutschen mit „Fremder“ übersetzt. Beide sind aber sehr verschieden. Der „Ger“, etwa in 3. Mose 19,33f, soll nicht bedrückt werden, sondern wie ein Einheimischer unter den Israeliten wohnen, und Israel soll ihn lieben wie sich selbst. Der „Ger“ war eine Person, die auf Gottes Anweisung unter dem Schutz eines israelischen Bürgers oder Dorfes lebte. Er hatte keinen Grundbesitz, nahm eingeschränkt am religiösen Leben Israels teil, hielt den Sabbat usw., war jedoch kein Vollbürger. Er war also bereit, sich zu assimilieren. Zum Vollbürger wurde er erst durch die Beschneidung.

Wie jene ‚Ger‘ ins Lande kamen, wie sie sich hinsichtlich der Zahl verhielten, bleibt hier unklar. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass es sich hier stets um individuelle Einzelfälle, kein Massenphänomen war. Das integrative Verhalten des Ger wurde vorausgesetzt. Als Gegenleistung sollte ihm weitgehend Bürgerrechte zugestanden werden. Nicht die Herkunft entscheidet über Integration, sondern das Verhalten und die Einstellung des Fremden.

Neben dem Ger gab es den „Nochri“, den anderen Fremden sozusagen. Er stand in Distanz zu Israel, hatte seine eigene Denkart und Religion nicht aufgegeben, sondern wollte seinen heidnischen Glauben importieren und das Volk Israel zum Abfall von Gott bewegen. … Von Assimilation der Fremden also keine Spur, im Gegenteil.

Es ist recht oberflächlich, daß man in der Allianz-Stellungnahme diese biblische Unterscheidung nicht beachtet. Dabei ruft die Bibel zu Nüchternheit und Sachlichkeit auf, will den Blick auf die Realität unserer gefallenen Welt schärfen. Wenn Jesus sagt: „Ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben“ (Matth. 10,16), dann ermahnt er seine Nachfolger, als Missionare nüchtern zu beobachten, nüchtern nachzudenken und nüchtern zu handeln. Realistisch hat Jesus auf Gefahren hingewiesen.

Hier die allein auf die Bibel bezogene Argumentation der Ethik zeigt, dass es noch weitere Aspekte zu beachten gibt. Mit guten Absichten, aber sehenden Auges eine schädliche Situation geradezu zu befördern, kann nicht Ziel der Nächstenliebe sein. Die beworbene Selbstlosigkeit fordert aber nicht die Selbstzerstörung, sondern die Nächstenliebe, die ihr Maß in der Selbstliebe hat.

So schreibt die Evangelische Allianz in ihrem Papier:

Darum braucht die Aufgabe der Integration Langzeitperspektiven. Jede Aktion muss auf die Langzeitfolgen hin durchdacht werden.

Langzeit für wen? Für die betroffenen Migranten? Für die Menschen, die mit ihnen zusammenleben? Für die Gesellschaft als Ganzes? Für die öffentlichen Haushalte?

Politische Ethik

Allerdings entsteht der Eindruck, dass das EAD-Papier dies nicht mit dem notwendigen Inhalt tut. Vielmehr schreibt es:

Das Grundrecht auf Asyl ist nicht verhandelbar. Menschen, die politisch verfolgt werden, müssen und wollen wir Zuflucht gewähren.

Diese Recht, wie es im Grundgesetz Artikel 16a festgelegt wurde, sagt aber folgendes:

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.


Es wird also durchaus von Auslegungen und Verhandlungen gesprochen. Weitere Bestimmungen, auf wen das Gesetz zutrifft, werden vor Gerichten verhandelt. Zudem ist das Grundgesetz durchaus nicht mit der Bibel als unhinterfragbares ehernes Gesetz anzusehen, sondern öffnet sich auch potentiellen Änderungen, so zuletzt in diesem Artikel am 28.6.1993 . Im Zuge der Erkenntnis, dass das Berufen auf Asyl zu einem Massenphänomen geworden ist und auch jene Asylbewerber, die nicht als solche anerkannt wurden, zumeist mit staatlicher Förderung im Lande bleiben dürfen, ist ein Hinterfragen des Rechtes und seiner Ausgestaltung mehr als angemessen. Vielmehr muss aktuell von einem weitgehenden Missbrauch dieses Rechtes gesprochen werden. Es ist darum besser, zunächst von Migranten zu sprechen, denn es ist unzweifelhaft, dass jene Menschen in das Land einwandern. Ihre Motive und Rechtsgrundlage bleibt zunächst fraglich.

Immerhin: Die Unterstützung von Menschen in Not erscheint keineswegs als ein inhärentes Gebot. Denn es kostet Zeit und Aufwand, jene Hilfe zu leisten. Sollte sich nicht jeder um sich selbst zuerst kümmern? Und der Staat zuerst um seine eigenen Bürger? In einer Erzählung scheint Jesus sehr harsch – Markus 7:

25 sondern alsbald hörte eine Frau von ihm, deren Töchterlein einen unreinen Geist hatte. Und sie kam und fiel nieder zu seinen Füßen –
26 die Frau war aber eine Griechin aus Syrophönizien – und bat ihn, dass er den Dämon aus ihrer Tochter austreibe.
27 Jesus aber sprach zu ihr: Lass zuvor die Kinder satt werden; denn es ist nicht recht, dass man den Kindern das Brot nehme und werfe es vor die Hunde.
28 Sie antwortete aber und sprach zu ihm: Herr, aber doch essen die Hunde unter dem Tisch von den Brosamen der Kinder.
29 Und er sprach zu ihr: Um dieses Wortes willen geh hin, der Dämon ist aus deiner Tochter ausgefahren.

Aus heutiger Sicht ist vieles an dieser Geschicht anstößig. Man glaubt nicht mehr an solche Dinge wie dämonische Besessenheit. Jesus vergleicht die Griechin mit einem Hund.  Sie aber beschwert sich nicht über Diskriminierung, sondern bittet um Gnade in Anerkennung ihrer untergeordneten Stellung. Erst wenn man die christliche Sicht versteht, die jeden Menschen aufgrund seiner Trennung von Gott eben keine bessere Stellung mit vollwertigen Rechtsanspruch hat, sondern alle lediglich auf die Gnade angewiesen ist , wird dieser Text keineswegs ein Zeugnis von jüdischem Rassismus, sondern ein Lehrstück zum Thema Akzeptanz der Gnadenbedürftigkeit. Unter dieser Akzeptanz und der Demut wird deutlich, dass Gnade nicht verwehrt werden soll, sondern dass Gnade etwas anderes als ein Anspruch ist. Der Adel de Menschen bezieht sich sicher einerseits aus der Ebenbildlicheit Gottes aus der Schöpfung, aber nach der langen Geschichte der Trennung von Gott ist der Anspruch verwirkt. Gottes Gnade hilft dem Demütigen.

Warum also sollte man Menschen über die Maßen Rechte zusprechen, damit sie nicht mehr auf die Gnade angewiesen sind?

Der christlich geprägte Humanismus setzt sehr wohl bei der Menschenwürde als gottgewollte Schöpfung an, aber er lehnt Demut und die Willkür einer Hilfeleistung ab. Vielmehr sollten Hilfsleistungen als Anspruchsrecht angesehen werden.  Man will Dritte nicht demütigen und zu Almosenempfängern degradieren. Aber ist dies gut und damit ethisch geboten?

Man könnte die Geschichte um Jesus als zeitbezogen deuten um die Herausforderungen unserer Zeit mit den heutigen Möglichkeiten zu beantworten. Das Ideal der Nächstenliebe sehen wir est dann erfüllt, wenn wir jenen Nächsten nicht demütigen und zu bestimmten Verhalten zwingen. Darum senkt man die Anforderungen an jene Migranten gegen Null ab.
Was aber ist die Folge? Unter den Migranten mag es viele geben, die gerne selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen würden und jede Chance zur Verbesserung ihrer Lebenssituation nutzen wollen. Abgesehen von Anforderungen hinsichtlich Sprache, einer guten Berufsausbildung und kulturkompatiblen Einstellungen, die einem Integrationswunsch der Migranten hohe Hürden auferlegt, die bald zur Verzweiflung und Alimentierung durch den Sozialstaat führt, gibt es auch solche, die sich von den Versprechungen anlocken ließen, aber gar keine ernste Absicht haben, ins Erwerbsleben einzutauchen. Unabhängig von diesen Extrembeispielen mangelt es tatsächlich an grundlegenden Interesse, den Staat aus den Konflikt mit der geforderten Eigenverantwortung der Migranten zu führen.  Warum aber sollte man Migranten helfen, wenn man nicht das Wort der Bibel als Richtschnur ansieht.

Die aktuelle politische Ethik propagiert eine radikale Hilfe  jener Migranten – auf Gesetzesbasis. Mit Verweis auf Jesus erklärt sich das Motive der selbstlosen Hilfe gerade wegen seiner Liebesgebote. Liebe aber ist nicht, den Geliebten mit vermeintlichen Wohltaten zu überschütten. Das weiß auch jede Mutter und Vater, dass es eben nicht gut ist, die Kinder vor allem zu bewahren und ohne Grenzen zu verwöhnen. Das Ziel der Kindererziehung ist nicht den Kindern eben ein möglichst gutes Gefühl zu vermitteln, sondern sie zu Menschen heranreifen zu lassen, die auf eigenen Füßen stehen können und ein eigenverantwortliches Leben führen können.

Die Vorstellung, dass Vater Staat nun nicht nur seinen eigenen Bürgern eine Elternrolle einnimmt, sondern auch die Migranten grenzenlos adoptiert, ist zwar nicht abwegig, aber auch keine notwendige Idee. Alternativ wären Vorstellungen, in denen der Staat lediglich die Rolle der Ordnungsmacht einnehmen würde. Doch dann wäre die Grenzöffnung noch weniger verständlich, denn die Ordnung wird dadurch offensichtlich gefährdet. Wenn wir aber jene im Lande willkommen heißen, dann ist es ein moralischer Imperativ, ihnen einen fairen Umgang und Chancen anzubieten, die für alle Seiten zu einem langfristig tragbaren Ergebnis führen kann: Für die Migranten selbst, aber auch die Menschen ihrer Umgebung und das Staatswesen insgesamt.


Wenn wir nun dieser einfachen Überlegung folgen, die persönliche Hilfsbereitschaft quasi an den Staat delegieren, dann ergeben sich daraus nahezu unmittelbar einige naheliegende Ableitungen:


  1. Die Integration ist absolut unverzichtbar. Sie ist von Assimilation auch nicht trennscharf zu unterscheiden.
  2. Persönliche Freiheiten können und müssen in einem Rahmen gewährt werden, die die Ordnung des Gemeinwesens nicht stört. Denn ansonsten wird die Verpflichtung des Staates gegen seine Alt-Bürger verletzt.
  3. Dies schließt ein, dass Migranten auch einer Erwerbstätigkeit zügig nachgehen sollen und auch müssen. Monatelanges Warten auf Arbeitserlaubnisse sind hier äußerst kontraproduktiv.
  4. Integration kann auch misslingen, weil die Anforderungen auch im günstigsten Fall als zu hoch erscheinen. Oder dass es an der notwendigen Mitwirkung des Migranten mangelt. In diesem Fall müssen Maßnahmen ergriffen werden, die diese Migration beendet.
  5. Das Lebensglück der Migranten kann sich nicht auf eine materielle Versorgung beschränken. Diese könnte anderswo weit effektiver durchgeführt werden. Aber ein dauerhaft inferiorer Status in einer Subkultur kann nicht das ziel sein.  Wenn es keinen Weg gibt, diese Fehlentwicklung zu unterbinden, dann ist dieser Ansatz nicht durchführbar – auch nicht im Zeichen vermeintlicher Nächstenliebe.
  6. Es bedarf klarer Orientierung und Integrationsziele. Eine sich selbst hassende und in sich zerrissene Volksgemeinschaft ist eine positive Orientierung. So kann keine Integration gelingen.
  7. Hilfe für Dritte bedeutet auch immer eine Ressourcenverwendung. Diese Ressourcen können dann nicht mehr für anderes oder andere eingesetzt werden. Es gibt mit einer Hilfeleistung zwangsweise auch Verlierer. Man kann dies dennoch für geboten halten, aber den Verlierern per se ihre Rechte abzusprechen, erscheint keineswegs moralisch vertretbar.
Rassismus und Vorurteile
In der Migrationsdebatte hat mittlerweile der Begriff des Rassismus eine zentrale Bedeutung eingenommen. Ebenso wie ‚Fremdenfeindlichkeit‘ oder ‚gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit‘. Der Begriff des Vorurteils ist weitgehend aus der Diskussion verschwunden, aber Diskriminierung hat noch Konjunktur. Mittlerweile wird dem Rassismus – also der Beurteilung von Menschen nach vermeintlicher ethnische Zugehörigkeit – als größeres Verbrechen angesehen als Gewalttätigkeiten bis hin zur Todesfolge. Denn letzteres wird schlicht als Fall für die Justiz und deren Aufklärung angesehen – als Einzelfall, aber der Rassismus sei ein gesellschaftliches Problem, dass einen enormen Anteil in der öffentlichen Diskussion einnimmt.

Dieser Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung – Einstellungen werden stärker problematisiert als gravierende Verbrechen – ist eine bedenkliche Entwicklung. Denn irgendeine negative Einstellungen kann man jedem Unterstellen. Es gibt kaum eine Verteidigung, keine begründeten Urteile und auch keine grundsätzliche Lösung, da es kein Maß dafür gibt.


So ist es unbestritten negativ, wenn man Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder Augenschein ihrer Rechte berauben will oder angreift … und tatsächlich gibt es auch immer wieder Vorfälle dieser Art. Aber gab es das nicht in allen Kulturen und zu allen Zeiten? Wenn es ein allgemein menschliches Phänomen ist, dass man nicht vollständig unterbinden kann, so gilt es, diese negative Tendenzen einzuhegen. Denn selbstverständlich sind die moralischen Qualitäten und Rechte nicht von äußerlichen Faktoren zu bestimmen. Wer aber einhegen will, bedarf des Maßstabes. Wo wird das Problem größer oder kleiner? Ist es nicht notwendig, ein eingehegtes Problem mit weniger Aufmerksamkeit zugunsten anderer Probleme zu bedenken? Ist es eine moralisch bedenkliche Relativierung, wenn man den vermeintlichen Rassismus in einer konkreten Lage für ein untergeordnetes Problem hält?


So mag der Vergleich mit allgemeiner Kriminalität durchaus angemessen sein. Wir wissen, dass wir Kriminalität durch gesellschaftliche Maßnahmen der Prävention, der Abschreckung und der Strafverfolgung einhegen können. Aber wir halten es für illusorisch, die Kriminalität auf Null zu reduzieren. Ebenso wäre es illusorisch, jegliche rassistische Einstellung vollständig zu eliminieren. Es gilt aber, jene jene auf ein erträgliches Mindestmaß zu reduzieren. Was aber ist das Maß des Rassismus und der rassistischen Diskriminierung. Bei einer gesteigerten Sensibilität wird tendenziell jede Kleinigkeit zu einem Vorfall aufgeblasen.


In jüngste Zeit wird scharf kritisiert, dass Menschen mit fremdländischem Aussehen nach ihrer Herkunft befragt werden. Oft mag das als nette Geste der Anerkennung gemeint sein, dem Interesse am Gegenüber, aber es wird von den Befragten noch öfter als Ablehnung und Zeichen der Nichtzugehörigkeit gedeutet. Ist das bereits Rassismus?


Jeder Mensch sieht sich mehr oder minder eine kritischen Beurteilung ausgesetzt. Dies kann objektive Gründe haben, z.B. weil er sich als Täter schlechter Dinge erwiesen hat oder als unfähig, bestimmten Erwartungen zu entsprechen. Zuweilen sind aber auch gruppendynamische und psychologische Faktoren dominant. Es gibt das Phänomen des Mobbing. Kommt ein Mensch in eine neue Umgebung ohne Vorgeschichte, so stößt er oft auf eine Grundskepsis. Diese kann sich auch daran entzünden oder verstärken, wenn er wahrnehmbare Unterschiede aufweist. Ein Braunäugiger wird sich im Kreise von Blauäugigen auch einer gewissen Zurückhaltung konfrontiert sehen. Ist das Rassismus? Oder doch eher ein Umstand, mit dem man umgehen muss ohne ein galaktisches Problem daraus zu machen?


Das soll jedoch nicht einen blankes Aburteilen des Nächsten aufgrund seines Aussehens klein reden oder rechtfertigen. Wo aber ist die Grenze des unvermeidlichen Übels, dass hinreichend eingehegt ist und einem intolerablen Zustand, das der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit bedarf?


Begegnet man einer Gruppe von Menschen, die durch ihr Äußeres auffallen – z.B. vermutlichen NeoNazis – wird man seine Einstellung und  Verhalten gewiss danach ausrichten. Vielleicht die Straßenseite wechseln. Aber wir kennen diese Leute nicht. Vielleicht sind es ganz nette Menschen, die das Misstrauen nicht verdient haben. Dennoch halten wir das Vorurteil, dass uns zur Vorsicht gemahnt, für vertretbar und sicherer. Ist es dann Rassismus, wenn es sich nicht um vermeintliche NeoNazis handelt, sondern um fremdländisch aussehende Männer?


Ein Vorurteil ist eine Einschätzung aufgrund sekundärer Merkmale, die nicht notwendig im Zusammenhang mit dem zu Beurteilung steht. Verfestigt sich dieses Vorurteil zu einem Urteil und Stereotyp, ist das gesellschaftliche Miteinander belastet. Ein Vorurteil an sich, mit der notwendigen selbstkritischen Haltung, ist noch kein Problem, sondern verdichtet eine echte oder vermeintliche Lebenserfahrung zu Orientierungspunkten und Handlungsfaktoren unter dem Einfluss unzureichender Kenntnis. Ohne eine Grundskepsis gegen Unbekannte würden wir viel stärker Opfer von Betrügern oder anderen Menschen werden, die es keineswegs gut meinen.


Also bleibt wichtig, dass wir uns über unsere Vorurteile im Klaren sind, und bereit sind, diese bei besserer Information zu revidieren.


Moral und Postmoderne

Was wir aber feststellen ist, dass manche Werte und Probleme, die vor Kurzen in der Wertehierarchie kaum oder gar nicht auffielen, auf einmal eine Dominanz bekommen, wie man sie kaum für möglich hielt.  Während in früheren Zeiten Rassismus und Vorurteil allgegenwärtig war und man sich mit einem bedenklichen Level als normal abfand, wurde dies in einer jahrelangen Kampagne immer weiter eingehegt und auf ein relatives Minimum reduziert. In der Öffentlichkeit findet sich aber ein reziprokes Verhältnis der Aufmerksamkeit dazu. Was sagt uns das?


Sind die Menschen moralischer geworden, also besser, weil sie sich an Petitessen ereifern? Ich glaube nicht, denn andere Werte wie Anstand, Arbeitsmoral, Ehrlichkeit etc. sind da aus dem Fokus geraten. Der Wertewandel in der Postmoderne ist vielmehr ein Indikator für Orientierungslosigkeit. In dem sich ausbreiteten Wertevakuum, weil vielen Menschen der Sinnzusammenhang des Leben, der Glaube an Gott abhanden gekommen ist, will dieses Vakuum gefüllt werden. Moralintriefend sucht man eine Selbstinszenierung als guter Mensch, der letztlich heldenhaft die Welt rettet.  Und all das ohne sich als bigotter Moralist sich selbst zu erkennen, bleicht einem Eiertanz. Offiziell gibt man sich überbordend der Mitmenschlichkeit verpflichtet.

Für viele ist das neben dem Wahlzettel, die jene Parteien begünstigt, die eben die offizielle Moral gepachtet haben, folgenlos. Eine formelle Unterstützung von ‚Refugee Welcome‘ und Energiewende reicht aus, um sich dem Juste Milieu verbunden zu fühlen. Ein komfortables Leben mit SUV, mehreren jährlichen Flugreisen, ohne Kinder, vielleicht aber dafür Haustiere rundet das Wohlbefinden ab. So lange die eigene Altersversorgung steht oder man nicht bereit ist, so weit in die Zukunft zu denken, ist für eine realistische Zukunftsperspektive kein Raum.

Zurück zur biblischen Botschaft
Die Kirche, einschließlich der EAD setzen auch auf diesen Moralappell. In ihm erfüllt sich scheinbar das Gebot der Nächstenliebe … oder doch nicht? Ist es eher ein zeitgeistiger Trend, der sich sowohl über das biblische Gebot hinweg setzt und dieses lediglich instrumentalisiert?

Die biblische Botschaft stellt den Menschen in eine sinnstiftende Gottesbeziehung. Von Hoffnung erfüllt kann der Christ Salz der Erde sein, das Licht der Welt. Er wird zum Botschafter der Versöhnung mit Gott. Die spirituelle Komponente ist sehr viel stärker im Mittelpunkt. Die Frage nach dem ewigen Heil bewegte nicht nur die Menschen des NT. Diakonie und praktische Nächstenliebe war der Ausfluss dieser Grundeinstellung. Dies ist heute kaum noch erkennbar. Auch in den Kirchen hat man den Verdacht, dass die Ursache entfernt wurde, aber nicht das Symptom.


Die Reformation hatte zum Anliegen, das Grundmotiv vom Auferstandenen Jesus neu zu beleben und zu den Wurzeln zurück zu kehren. Viele sehen dieses Begehren keineswegs auf Luther und seine Zeit begrenzt, sondern sahen die Kräfte der Reformation schon lange vorher und bis heute reichen. Ein schwacher Abglanz findet sich noch im EAD-Text:

Diese Liebe zu den Menschen beinhaltet auch die bewusste Einladung zum Glauben, zum Christwerden.
Dieses ‚auch‘ lässt diesen Text als Feigenblatt erscheinen. Man erinnert sich an den Missionsbefehl Jesu wie an einen Phantomschmerz: Ach ja, das gehört doch auch irgendwie dazu. Aber die Prioritäten sind vertauscht. Die Kirche heute wird nicht mehr als sinnstiftende Repräsentanz Gottes in der Welt verstanden, nicht mehr als das Licht der welt, sondern als ethische Me-Too-Bewegung, die sich nicht den moralischen Rang ablaufen lassen will. Mit welcher ignoranz aber auch hier die Frage nach den gesellschaftlichen Konsequenzen ausgeklammert wird, erstaunt.

Handelt es sich um eine kollektive Verblendung bei der man von den Konsequenzen des Handels nichts mehr wissen will? Oder würde bei allzu kritischem Nachdenken doch unschöne Konsequenzen ruchbar, die eben zu einer Unvereinbarkeit zum gutmenschlichen Selbstbild führen würde? Schreck man darum zurück und klammert sich an eine Version der Nächstenliebe, die sich rein auf den hilfebedürftigen Einzelmenschen fokussiert?


Ich halte den Ansatz, dem Einzelmenschen mit wohlwollender Hilfe zu unterstützen, für durchaus christlich und zur Botschaft des NT stimmig. Aber eine Reduktion darauf versäumt zwei wesentliche Aspekte: Die Gottesliebe und Spiritualität als Basis der Nächstenliebe … und die Verantwortung für das Gemeinwohl.


Im Gegensatz zur urchristliche Diaspora, die politisch weitgehend bedeutungslos blieb, bildete die Christenheit seit dem 4. Jahrhundert eine starke politische Macht, die auch durch augustinus reflektiert wurde: Wie kann sich der Christ auch in einem verantwortlichem Umfeld  dem Evangelium gemäß verhalten? Hier sind die Ebenen keineswegs in undifferenzierter Harmonie. Wenn der gute Samariter dem Überfallenen unter persönlichem Einsatz Hilfe leistet, ist ein Samariter Hilfsdienst eben keine konsequente Fortführung, sondern etwas institutionalisiertes anderes. Wer als demokratischer Bürger die Politik des Landes mitbestimmt, muss weitere Konsequenzen des Handelns berücksichtigen als nur ein Herzensimpuls. Was wird aus diesem Land, wenn eine grenzenlose Migration und eine ausbleibende Reproduktion die Bevölkerungszusammensetzung radikal verändert? Können dann noch die Errungenschaften der Sozialgeschichte fortgeführt werden? Bleiben der erkämpften Freiheiten erhalten? Gibt es bei dem Umbau der Gesellschaft auch Verlierer? Wer kümmert sich um diese?

Die Berücksichtigung dieser Aspekte muss zu einer völlig anderen Migrationspolitik führen. Die Interessen des Volkes zu vertreten heißt nicht, dass man gegen die Interessen der Welt und ihrer Not taub ist. Das Motiv der Hilfe kann durchaus auch in eine verantwortliche Politik einfließen, aber es erfordert die Überlegung der Konsequenzen und der Wirksamkeit der Maßnahmen. Auch der Effizienz, denn die Mittel sind begrenzt und die Probleme sind riesig. Christliche Migrationspolitik muss darum weder eine rein irrationale und gefühlsgetriebene Veranstaltung sein, noch darf sie sich herzlos exklusiv dem spirituelle Ziel unter Kaschierung des Eigennutzes verschreiben. Verantwortung tragen soll aber keine ideologische Blindheit rechtfertigen.

 

 

10 Gedanken zu „Migration und christlicher Glaube“

  1. Ein weites Feld. Viele gute Gedanken finde ich in diesem Artikel. Eigentlich kann ich alles unterschreiben. Besonders das Resumee ist in jedem Wort zutreffend:
    ZITAT: Die Berücksichtigung dieser Aspekte muss zu einer völlig anderen Migrationspolitik führen. Die Interessen des Volkes zu vertreten heißt nicht, dass man gegen die Interessen der Welt und ihrer Not taub ist. Das Motiv der Hilfe kann durchaus auch in eine verantwortliche Politik einfließen, aber es erfordert die Überlegung der Konsequenzen und der Wirksamkeit der Maßnahmen. Auch der Effizienz, denn die Mittel sind begrenzt und die Probleme sind riesig. Christliche Migrationspolitik muss darum weder eine rein irrationale und gefühlsgetriebene Veranstaltung sein, noch darf sie sich herzlos exklusiv dem spirituelle Ziel unter Kaschierung des Eigennutzes verschreiben. Verantwortung tragen soll aber keine ideologische Blindheit rechtfertigen. ZITATENDE

    Ich kann nur versuchen zu ergänzen:

    A) der linksgrün dominierte Diskurs hat die Intention Christi bei der Nächstenliebe ( heimlich und seltsamerweise unbemerkt ) vertauscht. Wo Jesus UNS ( den Einzelnen ) auffordert, den Nächsten zu lieben ( und mehr – siehe Bergpredigt ) da fälschen die Linken ( also der gesamte Mainstream ) diese Forderung um als eine Forderung an den (anonymen ) Staat. Womit sie persönlich vermutlich „fein raus“ sind.

    B) eine ganz einfache Überlegung – die aber keinesfalls fehlen darf – ist die nach der Quantität der Migration. Die Dosierung macht Medizin zum Gift ! Insofern war die „Seehofer-Initiative“ mit der Zahl „nicht mehr als 200.000 Zuwanderer pro Jahr“ ein richtungsweisender Ansatz. Nach meiner ( unmaßgeblichen ) Meinung ist die Zahl immer noch viel zu hoch. Wir wissen doch auch, daß nur ca 1% der derzeitigen ( ca 200.000 ? ) Zuwanderer wirklich asylberechtigt sind. Dazu ca 20% (?) Schutzbedürftige. In Zahlen wären das 40.000 pro Jahr – und auch das ist noch „heftig“.
    ZUSATZ: wegen der Überforderung aller gesellschaftlichen Systeme seit drei Jahren wäre jetzt ein mehrjähriges Moratorium angebracht. Keine Gesetzesänderung, sondern ein „Innehalten zum Selbstschutz“. In vielleicht drei Jahren könnte dann all das Illegale, Ungeordnete, Fehlerhafte usw korrigiert und heilsam in funktionierende Bahnen gelenkt werden.

    C) Du sollst deinen Nächsten lieben WIE DICH SELBST. Die derzeit vorherrschende Meinung ( man möchte eigentlich „Propaganda“ sagen ) verstößt massiv gegen Jesu Gebot, weil die Bedürftnisse der „schon länger hier lebenden“ die „prekär“ leben ( müssen ), völlig hintangestellt werden gegenüber den „Neuankömmlingen“. Das entspricht – oder kommt aus – einer massiven seelischen Störung – oder gar „Geisteskrankheit“ – der linksgrünen Diskurshoheit, wonach das Eigene möglichst immer auf Hitler, Nazis, Kolonialverbrechen, verurteilenswerte Kreuzzüge, Hexenverbrennungen usw kapriziert wird, im Fremden aber fast blind alle möglichen Probleme rosarot gedeutet werden

    D) auch darf auf keinen Fall die Position undiskutiert bleiben, wonach möglicherweise im großen Stil eine Politik getrieben wird, um die Identität Deutschlands samt allen nach Millionen zählenden „Unteridentitäten“ durch und durch zu zerstören. Höcke formulierte sinngemäß: „der nach hierher gekommene Afghane hat schon noch seine Heimat, wenn auch fern. Der „bereicherte“ Deutsche ist in Gefahr, in einem von Asiaten und Afrikanern durchsetzten Land keine Heimat mehr zu sehen oder finden zu können. Diese Position wird – ich nenne es zum drittenmal – durch den derzeitigen übermächtigen linksgrünen Diskurs ( er rülpst einem entgegen aus ALLEN Öffentlich-Rechtlichen Kanälen und vielen Zeitungen ) sanktioniert. „Nazi-Höcke“ bspw.

    E) ein Letztes: parallel zur Hilfe für Verfolgte wird ja auch immer dieses Motiv genannt: wir BRAUCHEN diese Zuwanderung, für unsere Arbeitsplätze, Sozialsysteme, Rente usw. Was für ein „dreckiger Geist“: die besten Leute aus Niger, Syrien, Afghanistan und woher auch immer brauchen WIR. Daß wir ( bzw unsere „Christenschickeria“ ) damit einen ungeheuren Aderlaß ( neudeutsch: braindrain ) dieser Länder verschuldet, das wird unter den Teppich gekehrt. Dito das Sterben in der Sahara und im Mittelmeer. Daran ist AUCH MIT SCHULD der Sog, den die Gutmenschen mit ihrem Gerede von der „Offenheit“ Deutschlands erzeugt haben.

    Man sieht, es ist ein großes Thema, und viel ist zu tun.

  2. Ein starker Kommentar! Im Besonderen der Punkt: ‚Wo Jesus UNS ( den Einzelnen ) auffordert, den Nächsten zu lieben ( und mehr – siehe Bergpredigt ) da fälschen die Linken ( also der gesamte Mainstream ) diese Forderung um als eine Forderung an den (anonymen ) Staat. Womit sie persönlich vermutlich „fein raus“ sind.‘ rührt an den springenden Punkt. Die Frage beschränkt sich aber nicht auf die Entschuldung des Einzelnen durch Delegation der Nächstenliebe an den Staat, sondern stellt die Grundsatzfrage: Hat der Staat dem Gebot der Nächstenliebe zu folgen, oder ist diese wirklich eine nicht delegierbare Aufgabe des Einzelnen? Dies wurde auch in persönlichen Gesprächen mit Wieland Arnold thematisiert. Ich werde dazu einen kleinen Aufsatz verfassen.

  3. Hallo Martin, in wesentlichen Punkten gehe ich mit Dir konform. Im ersten Moment habe ich auch Deiner These, dass Jesus das Gebot der Nächstenliebe ja nur dem Einzelnen persönlich aufgegeben hat zustimmen wollen. Aus der Bibel erfahren wir auch an dieser Stelle nichts anderes. Wenn ich aber davon ausgehe, dass jeder von uns Glaubenden nicht allein für sich steht und Glaubensgemeinschaften, weltliche Vereine und bis hin zum „Staat“ Mitglied ist, so ergibt sich für mich automatisch auch für den Staat oder sonstige Gruppen das Gebot der Nächstenliebe, da der Staat ja aus vielen Einzelnen besteht. Und im Fall der BRD haben wir in der Präambel zum Grundgesetz immer noch den Gottesbezug stehen. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes hatten den christlichen Gott des Alten und Neuen Testaments vor Augen .
    Hieraus ergibt sich jedoch kein Widerspruch zu der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates. So hat der Verfassunggeber zwar im Bewusstsein
    der Verantwortung vor Gott gehandelt, aber mit Art. 4 Abs. 1 und 2 GG und Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 Abs. 1 einen religiös und weltanschaulich
    neutralen Staat entworfen.
    Herzliche Grüße und großes Lob und Anerkennung für Dein Forum insgesamt
    sendet Wieland Arnold

    1. Ich sehe nicht, dass für den Staat daraus das Gebot der Nächstenliebe entstünde, dass es im Land eine potentielle Mehrheit von Christen gäbe. Soweit es die politische Verantwortung der Christen ist, tragen diese dazu bei, die Politik so zu gestalten, dass es dem eigenen Gewissen und der biblischen Ordnung entspricht. Diese sieht für den Staat vor allem ein Wohlergehen und funktionieren der staatlichen Ordnung vor, die sich zuerst im Schutz der Bürger niederschlägt.

      Nach meiner persönlichen Meinung schließt das humanitäre Hilfe gegen jedermann zwar ein, aber nur so weit, wie die Kernaufgaben des Staates dadurch nicht wesentlich beeinträchtigt werden. Dies bringe ich so als Staatsbürger ein, indem ich entsprechend von meinem Wahlrecht gebrauch mache und meine Möglichkeiten nutze. Aber ich nehme damit auch zugleich die Verantwortung gegen die anderen Bürger dieses Staates wahr, deren Rechte ich nicht verletzen darf. Auf keinen Fall soll der Staat aber meine eigenen Verpflichtungen der Nächstenliebe tragen, als ob ich nicht mehr dafür zuständig wäre. Der Staat nimmt keine Verpflichtung dem einzelnen Christen ab, auch nicht, da er dies mit den Steuergeldern tut, die auch ich entrichte. Ich kaufe mich durch diesen Obolus nicht frei. Wenn ich aber diese Verpflichtung so oder so habe, sehe ich auch nicht die Notwendigkeit, dem Staat ein ausuferndes Sozialwesen durch meine Steuern zu finanzieren – wobei ich zugleich über die Steuerumlage auch jene mit belaste, die hier für sich keine Verpflichtung sehen. Von daher bleibt die Idee des Sozialstaates gut, aber nur, wenn die Transferleistungen begrenzt bleiben.

      Genau das scheint aber die letzten Jahre nicht mehr zu gelten. Die Sicherheit der Bürger wird kompromittiert und ein Ende der schier unbegrenzten Zuwanderung ist nicht in Sicht. Auch nicht dadurch, dass man eben Dritte finanziert, ungeliebte Flüchtlinge von unseren Grenzen fern zu halten.

      1. Bis jetzt haben wir in der Diskussion keine wirkliche Klarheit, wie weitgehend genau der Staat „christlich handeln“ darf oder soll. So mein (unmaßgeblicher) Eindruck. Auch haben wir kaum differenziert, ob der vorgestellte Staat mehrheitlich aus Christen besteht, oder aus Menschen einer anderen ( anderer) Religion(en), oder etwa mehrheitlich atheistisch ist.

        Gerne wage ich eine Definition dazu.
        1.) Rein philosophisch ist der „gute Staat“ dadurch definiert, daß er die Bürger schützt vor willkürlicher Gewalt aller Art, Gerechtigkeit ausübt, und Freiräume läßt für freie Diskussionen und andere Formen ( bspw künstlerische usw )
        2.) Rein theoretisch hat das bis jetzt garnichts (!) mit dem Christentum zu tun, obwohl diese Definition zu Röm 13 paßt. Eine eigene Diskussion wäre es, zu forschen, ob es so einen Staat auf nichtchristlicher Basis jemals gegeben hat ( etwa das Römische Reich ? – die jetzt oder früher existenten kommunistischen Staaten sind jedenfalls keine „gute Staaten“ )
        3.) Innerhalb des „guten Staates“ wird die Gesetzgebung nach dem Willen der ( Mehrheit der ) Bürger zu regeln sein
        4.) Staaten mit großer christlicher Mehrheit können und dürfen dann eben auch „christliche Gesetze“ ( Sozialgesetzgebung als ein Beispiel ) formulieren. Staaten mit einer muslimischen Mehrheit können und dürfen dann eben auch „islamische Gesetze“ verabschieden ( und hier wieder die Frage, ob damit tendenziell der gute Staat unterhöhlt wird )
        5.) Hochspannend die Frage, ob ein guter Staat, der ( vielleicht aus einer christlichen Geschichte erwachsen war und jetzt ) mehrheitlich von Atheisten und Agnostikern gebildet wird, ob der „gut“ bleiben kann, oder ob es Mechanismen im Atheismus gibt, die das mit der Zeit zunichte machen ( und welche Mechanismen wären das ? Egoismus ? )
        6.) Ein guter Staat mit einer christlichen Bevölkerung wird nicht scheitern durch die ( notwendigerweise ) fortschreitende „christliche“ Gesetzgebung, sondern er wird im Gegenteil immer „angenehmer“ werden, wenn sie aus einem echt christlichen Geist erlassen wird. Voraussetzung ist aber, daß der Kern des „guten Staates“ ( siehe Punkt 1 ) erkannt wurde und nicht angetastet wird – auch nicht um einer ( falsch verstandenen ? ) Christlichkeit willen.

        Soweit meine Diskussionspunkte.

        1. Ich verstehe den „guten Staat“ ganz ähnlich wie du – als säkulare Demokratie. Die Denkvoraussetzung in einer christlichen Weltsicht ist die, dass Gott den Menschen die Freiheit zum Bekenntnis gab, aber den Auftrag zu einer guten moralischen Ordnung mit weiten Freiräumen. Aus dieser Sicht ist es nicht nur unerreichbar, sondern gefährlich, einen Gottesstaat oder einen Himmel auf Erden errichten zu wollen. Denn dieses muss auch stets grundsätzlich scheitern.

        2. Zu deinem Punkt 4.) Was wären christliche Gesetze? Die Liebe kann man nicht verordnen, aber der Sozialstaat kann Menschen in Not oder Benachteiligung weitgehend Hilfe gewähren. Ist es aber darum bereits ein christliches Gesetz?
          Gesetze, die Religionsausübung vorschreiben oder verbieten, kann ich nicht als christlich erkennen. Auch eine klare Bevorzugung von Christen gegenüber anderen Bekenntnissen sehe ich nicht durch das NT abgedeckt. Weitere spezifisch christliche Vorgaben für Gesetze kann ich nicht erkennen.

          Anders jedoch beim islamischen Gesetz. Hier macht die Scharia klare und zum Teil recht enge Vorgaben, die dann aber im Widerspruch mit den Freiheitsrechten des ‚guten Staates‘ stehen. Sicher werden wir die Verfassung von Drittstaaten, die sich islamisch bekennen, nicht beeinflussen können, aber wir müssen die Ergebnisse aber darum auch nicht gut nennen.

        3. Zu 5.) ‚Die Frage, ob ein guter Staat, der mehrheitlich von Atheisten und Agnostikern gebildet wird, ob der „gut“ bleiben kann, oder ob es Mechanismen im Atheismus gibt, die das mit der Zeit zunichte machen ( und welche Mechanismen wären das ? Egoismus ? )‘

          Das Böckenförde-Diktum sagt: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Anderseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“

          Ich glaube, dass die heutige Gesellschaft von mehrheitlich atheistisch denkenden Menschen bestimmt sind, die aber ihre ethische Prägung einer christlichen Geschichte verdanken. Zur Zeit geriert sich diese Gesellschaft als hoch moralisch. Auch wenn ich in vielen Punkten Zweifel hege, so doch nicht über einen gewissen Grundkonsens und die Ethik auch jener Atheisten keineswegs als minderwertig betrachte.

          Mit der Abkehr von den Grundlagen jener Moral werden auch diese Werte erodieren und sich bis zur unkenntlichkeit verändern. Nicht sofort, aber sicher über die Generationen. Eine Änderung kann man auch unter den kommunistischen Regimes beobachten, in denen christliche Restbestände sich halten, aber weite Teile der Gesellschaft einen völlig anderen Stil folgt. Für Deutschland droht aber über den demographischen Wandel eine muslimische Dominanz, die jedweden anderen Richtungen verdrängen werden.

  4. Ich will diese hilfreichen Ansätze gerne in mehreren Antworten vereinzeln.
    1. Die Frage, ob die Mehrheit der Staatsbürger Christen sind oder nicht ist m.E. weniger entscheidend als man vermuten könnte. Denn auch unter Christen unterscheiden sich die Ansichten zu kritischen Fragen erheblich. So mag es in Sachfragen Allianzen geben mit jenen, die ausdrücklich das Christentum ablehnen, und damit dann doch Mehrheiten bewirken, oder als Minderheitsvotum Einfluss auf die Gesamtgesellschaft ausüben.

    Ein Freund von mir formulierte es so: Als Staatsbürger habe ich zu vielen Punkten eine klare Meinung, aber als Christ sehe ich mich in einer anderen Verantwortung, darum entscheide ich anders.

    Ich denke, dass es zunächst weniger die Frage nach Mehrheiten zu stellen, sondern die nach verantwortbaren Positionen, die unabhängig von Mehrheiten vertreten werden. Verantwortung auch vor Gott heißt dann nicht, möglichst einem naiven Bibelverständnis bedingungslos zu folgen, sondern sich der Verantwortung vor Gott bewusst zu bleiben und die Konsequenzen des Handelns nach bestem Wissen und Gewissen abzuwägen.

  5. Zu 6.) Ein guter Staat mit einer christlichen Bevölkerung wird nicht scheitern …

    Diese Hoffnung ist zwar durchaus löblich, aber ich zweifle an der Realisierung eines echt christlichen Geistes. Auch in Zeiten von flächendeckendem christliche Bekenntnissen gab es enorme Probleme, Ausbeutung und Aufstände, Unterdrückung, Krieg und vielerlei Verbrechen. Dennoch denke ich im Grundsatz, dass Christen die ihr Bekenntnis ernst nehmen, tatsächlich Salz der Erde sein können und zu einem besseren Staat führen.

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