Himmelshoffnung und intellektuelle Redlichkeit

Lenya konnte ihren neunten Geburtstag nicht mehr erleben. Sie starb an einer neuromuskulären Erkrankung, die starke Schmerzen verursachte und sie beständig schwächte. Trotzdem war sie ein lebensfroher Mensch, deren Gottvertrauen und Himmelshoffnung nicht nur ihr selbst ein erfülltes Leben gab, sondern die zur Hoffnung für ihre Eltern und andere Menschen wurde, die ihr begegneten. Mir liegt der ergreifende Bericht ihrer Mutter vor.

Wohl jeder, auch der härteste Atheist, wird erkennen, dass diese Hoffnung dem Leben einen Sinn gibt und eine Stärke, die einem Wunder gleich kommt. Nur verweigern sich viele Menschen dieser Hoffnung, weil sie nicht glauben können oder wollen, dass jene Hoffnung eine reale Grundlage hat. Können wir um der Funktion eines Glückes, die vielleicht nur auf eine Illusion beruht, tatsächlich glauben? Oder sind Argumente, die uns von der rettenden Hoffnung trennen, ihrerseits unredlich?

‚Religion ist Opium für das Volk‘, so urteilte Karl Marx und bezweifelte nicht, dass der Glaube eine glücklich machende Funktion habe, aber dass diese eben keine reale Grundlage hätte. In der Tat wurde auch der christliche Glaube wieder und wieder als Herrschaftsmittel eingesetzt, was seine These zu bestätigen scheint. Oder war es nur der Missbrauch einer fundierten Heilsbotschaft? Dies erfordert eine nähere Betrachtung.

Glaube und Religion

Dies Begriffe werden zuweilen synonym verwendet, aber dies führt in die Irre. Dass Religion Ausdruck eines tiefen menschlichen Bedürfnisses ist, finden wir auch in der Bibel. Der Mensch erschafft sich Götter und Götzen, die er verehren kann. So wird es nicht nur in der Geschichte vom Goldenen Kalb berichtet. Es ist also keine neue Entdeckung Feuerbachs, dass Menschen sich Götter erschufen. Aber die Erzählung des Mose geht weiter. Die Selbstoffenbarung Gottes ist eben nicht auf menschliche Initiative entstanden, sondern aus dem Antrieb Gottes, so dass die Funktion des Glaubens hier nicht Pate stand – soweit zumindest das biblische Zeugnis.

In diesem Sinn ist weder das Judentum noch das Christentum aus dem Selbstverständnis Religion im Sinne der selbstgemachten Götter. Allerdings bleibt diese Art der Definition von Religion selbst an den eigenen Glauben gebunden und ist wenig hilfreich zur Behandlung der hier relevanten Fragen. Wir versuchen einen anderen Ansatz:

Religion ist das Phänomen, dass eine weltanschauliche Lehre mit einem Lehrgebäude, Hierarchien der Verwalter und Ritualen zu gesellschaftlicher Relevanz kommt. Zweifellos beziehen sich Religionen auch auf einen persönlichen Glauben, aber oft genug funktionieren Religionen auch ohne den Kern einer tiefen Überzeugung.

Glaube ist immer persönlich und geht weit über das bloße Fürwahrhalten von Sachverhalten hinaus und ist stets mit einem tiefen Vertrauen und personalen Beziehungen verbunden. Glaube benötigt nicht Religion und steht oft genug im Gegensatz zu eben jener Religion, aus der der Glaube ihren Ursprung nahm. Glaube ist oft von persönlichen Erfahrungen begleitet, die dem Gläubigen eine Gewissheit gibt, die sich jedoch nicht in zweifelsfreien objektiven Beweisen niederschlägt. Glaube ist darum wesenshaft von Religion verschieden.

In diesem Sinn mag man Marx recht geben, der auf die oftmals fragwürdige Rolle der organisierten Religion verweist. Religion ist in diesem Sinn nicht nur eine Ideologie, deren Aufgabe es ist, die Herrschaft zu legitimieren, wie es auch in der christlichen Kirchengeschichte oft belegt wurde, sondern auch eine Bewegung, die die Herrschaft zuweilen in Frage stellte. Es führt also ins Leere, sich anstelle des erfüllenden Glaubens mit einer Religionskritik zu beschäftigen.

Glaube und Wahrheit

‚Glaube heißt nicht wissen‘, so der Volksmund zum objektivierbaren Erkenntnisdefizit. Tatsächlich bleiben im Sinne von zwingenden Beweisen viele Grundfragen des Lebens ungewiss und Gegenstand von Deutungen. Ein vorherrschender Trend in westlichen Gesellschaften reduziert Wahrheit auf wissenschaftlich belegbare Fakten. Dieser Positivismus ist natürlich weder in der Wissenschaft, noch im persönlichen Leben durchzuhalten, bleibt aber als Denkfigur oftmals prägend. Erst durch Reflektion der Grenzen dieses Ansatzes lässt dessen Armseligkeit erkennen.

Natürlich kann man damit nicht erkennen, ob der Partner einen liebt, oder ob man selbst der Illusion verfallen sei, den Partner zu lieben. Natürlich könnte es auch egoistische Bedürfnisse geben, die sich mit hehreren Motiven tarnen. Wer aber jede Beziehung derartig kritisch ablehnt, wird einsam bleiben und nie wahre Liebe erleben. Radikaler Skeptizismus ist stets möglich, aber zwingend selbstzerstörerisch. Viele Skeptiker sind allerdings höchst selektiv, was sie ihrem vernichtenden Zweifel unterstellen, und was sie dennoch unkritisch für gegeben erachten. Skeptiker sind in der Regel entweder pessimistische Misanthropen mit Hang zum Suizid oder inkonsequente Denker, die ihren eigenen Werten nicht gerecht werden. Weder die Methode der Skeptiker, noch die der Positivisten sind geeignet, hinreichende Wahrheitserkenntnis zu gewinnen, sondern gleichen eher dem Versuch, mittels Vivisektion das Geheimnis des Lebens zu entschlüsseln.

Die falsche Schlussfolgerung wäre, einem Subjektivismus anzuhängen, der einem jeden ’seine‘ Wahrheit billigt, ohne einen Richter über jenen widersprüchlichen ‚Wahrheiten‘ zuzuerkennen. Man könnte dann weder zwischen einem Nazi, einem liberalen oder einem Kommunisten unterscheiden: Ein jeder haben schlicht seine Wahrheit, die alle das gleiche Recht haben, ein rücksichtsloser Kapitalist und ein mitfühlender Christ wären dann nur noch subjektiv zu unterscheiden, Verbrecher hätten letztlich die gleichen Rechte wie der gesetzestreue Bürger.

Tatsächlich aber erkennen fast alle Menschen, dass es eine objektive Realität gibt, der ein jeder Mensch unterworfen ist, ganz gleich was er denkt oder was er sich wünscht. Alle Menschen werden sterben, egal ob sie was anderes glauben oder nicht. Dass die Erkenntnis dieser Wahrheit notwendig subjektiv und unter Irrtumsvorbehalt steht, ändert nichts an der objektiven Realität. In diesem Sinn ist es von eminenter Wichtigkeit, ob man zu Recht einer Himmelshoffnung vertrauen kann oder nicht. Denn nur wenn die Himmelshoffnung wahr ist, und damit der objektiven Realität entspricht, kann sie wirksam Kraft vermitteln, auch die schwersten Herausforderungen zu bestehen. Eine Illusion könnte ein Surrogat der Wahrheit sein, aber dann bräuchte es Kriterien, die Illusion von der Wahrheit zu unterscheiden. Wer schlicht die Himmelshoffnung als Illusion ansieht, verbaut sich den persönlichen Zugang zur Himmelshoffnung. Ist das Erkenntnistheoretisch geboten? Oder lediglich ein negativer Glaube?

Der Glaube kann unter der subjektiven Erkenntnis Zugang zu dieser Wahrheit bekommen, wobei ein Irrtum nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden kann. Dennoch muss sich auch jeder Glaube der Prüfung stellen.

Was spricht für und wider eine Himmelshoffnung?

Die Beobachtung, dass vom Menschen nach seinem Sterben ein lebloser Körper übrig bleibt, zeigt deutlich, dass es kein biologisch feststellbares Leben nach dem Tod gibt. Allerdings gibt es eine Fülle von Hinweisen, nicht nur in der Bibel, sondern aus vielen Kulturen und Erfahrungen, dass der Mensch eine Identität hat, die nicht an seinen Körper gebunden ist. Die Bibel sprich von Seele und Geist.

In der Wissenschaft werden sogenannte Nahtod-Erfahrungen gesammelt. So gibt es mehrere Fälle, bei denen Menschen nach einem festgestellten klinischen Tod diese wiederbelebt wurde und in der Zeit, in denen keinerlei Hirnaktivitäten festgestellt wurden, die Rückkehrer über zutreffende Ereignisse aus jener Zeit berichteten. Auch sogenannte Out-of-Body-Erfahrungen deuten stark darauf hin, dass eine rein biologistische Sicht unzureichend die Realität beschreibt. Natürlich gibt es Versuche, diese Erfahrungen naturalistisch zu erklären – jedoch bleiben diese Versuche nur für den überzeugend, der bereits ein beinhartes naturalistisches Weltbild pflegt.

Aber selbst wenn wir von einem immateriellen Anteil des menschlichen Lebens – einer Seele – ausgehen, von dem auch sehr viel unterschiedliche Kulturen berichten, so öffnet das lediglich eine redliche Denkmöglichkeit, ohne eine konkrete Himmelshoffnung zu unterstützen.

Gerade das Neue Testament begründet die Himmelshoffnung nicht nur auf die Worte von Jesus Christus, sondern bezeugt auch dessen Auferstehung. Rationale Menschen können diese Behauptungen prüfen und sich fragen, ob es zwingende Gründe gibt, dies zu glauben, oder dies abzulehnen.

Um das Ergebnis der Prüfung vorweg zu nehmen: Es gibt viele Argumente, die diesen Glauben unterstützen, aber keine davon beweisen zweifelsfrei, dass dies die reine Wahrheit ist. Man muss eine Entscheidung treffen: Will ich mich auf die Zusage der Himmelshoffnung einlassen, oder will ich diese pauschal zurück weisen?

Die Pascalsche Wette

Entscheidungstheorie nennt sich jene intellektuelle Disziplin, in der man unter Unsicherheit eine Entscheidung treffen muss. Denn wenn die Argumente zweifelsfrei eine klare Vorzüglichkeit aufweisen, so ist eine Entscheidung lediglich eine Formsache. Aber auch die Ansicht, die Entscheidung mangels klarer Fakten nicht zu treffen, ist faktisch eine Entscheidung. Es wäre eine Illusion, keine Entscheidung zu treffen.

Blaise Pascal hat an der Frage, ob man sein Vertrauen auf Gott setzen sollte, auch wenn es keine objektive Beweise gibt, die Grundlage der Entscheidungstheorie gelegt.

„Ihr sagt also, daß wir unfähig sind zu erkennen, ob es einen Gott giebt. Indessen es ist gewiß, daß Gott ist oder daß er nicht ist, es giebt kein Drittes. Aber nach welcher Seite werden wir uns neigen? Die Vernunft, sagt ihr, kann aber nichts entscheiden. Es ist ein unendliches Chaos, das zwischen uns liegt und wir spielen hier ein Spiel in dieser unendlichen Entfernung von einander, wo Kopf oder Wappen fallen wird. Was wollt ihr wetten? Nach der Vernunft könnt ihr weder das eine noch das andre behaupten; nach der Vernunft könnt ihr keins von beiden leugnen. So werfet denn nicht denen Irrthum vor, die eine Wahl getroffen, denn ihr wißt nicht, ob sie Unrecht haben, und ob sie schlecht gewählt. […]

[E]s muß gewettet werden, das ist nicht freiwillig, ihr seid einmal im Spiel und nicht wetten, daß Gott ist, heißt wetten, daß er nicht ist. Was wollt ihr also wählen? […] Ihr habt zwei Dinge zu verlieren, die Wahrheit und das Glück und zwei Dinge zu gewinnen, eure Vernunft und euern Willen, eure Erkenntniß und eure Seligkeit, und zwei Dinge hat eure Natur zu fliehen, den Irrthum und das Elend. Wette denn, daß er ist, ohne dich lange zu besinnen, deine Vernunft wird nicht mehr verletzt, wenn du das eine als wenn du das andre wählst, weil nun doch durchaus gewählt werden muß. Hiemit ist ein Punkt erledigt. Aber eure Seligkeit? Wir wollen Gewinn und Verlust abwägen, setze du aufs Glauben, wenn du gewinnst, gewinnst du alles, wenn du verlierst, verlierst du nichts. Glaube also, wenn du kannst.“

Blaise Pascal

Wikipedia fasst es so zusammen:

  • Man glaubt an Gott, und Gott existiert – in diesem Fall wird man belohnt (Himmel – man hat gewonnen).
  • Man glaubt an Gott, und Gott existiert nicht – in diesem Fall gewinnt man nichts (verliert aber auch nichts).
  • Man glaubt nicht an Gott, und Gott existiert nicht – in diesem Fall gewinnt man ebenfalls nichts (verliert aber auch nichts).
  • Man glaubt nicht an Gott, und Gott existiert – in diesem Fall wird man bestraft (Hölle – man hat verloren).

Aus seiner ursprünglichen Analyse der Möglichkeiten folgerte Pascal nun, dass es besser sei, bedingungslos an Gott zu glauben.

Pascalsche Wette

Für viele Christen ist der Gedanke der Bestrafung für den Unglauben fremd. Sie gehen davon aus, dass der Sünde Sold der Tod ist Also: Das natürlich Leben ist auf Vergänglichkeit angelegt und endet mit dem Tod. Nur haben sich so manche an den Gedanken gewöhnt und können nicht ermessen, wie groß der Verlust der Ewigkeit ist. Jesus nennt es die Verdammnis. Darum wird im Neuen Testament dies mit der Hölle beschrieben.

Dietrich Bonhoeffer schreibt dazu

1 Joh 2,17: Die Welt vergeht und ihre Lust. Wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit.

Der Ernst der Welt ist der Tod. Der Ernst fängt dort an, wo unser Leben aufhört.

Der Unernst der Welt ist der Augenblick, das Vorletzte, die Lust der Welt. Es liegt nun beim Menschen, ob er ernst oder unernst in der Welt leben will, ob er beim Vorletzten verharren oder zum Letzten durchdringen will, ob er die Lust der Welt als Letztes ansieht oder die Vergänglichkeit dieser Lust.

Memento mori: Gedenke daran, dass einmal alles zu Ende geht, dass der Augenblick des Sterbens über dich kommt mit der Gewissheit, dass die Welt eine Welt des Todes ist und dass der Gewalt der Zeit nichts standhalten kann.

Lasst uns an die Grenzen der Welt, der Zeit denken, und es wird ein Wunderbares geschehen. Die Augen werden uns aufgetan dafür, dass die Grenze der Welt der Anfang eines Neuen ist, der Ewigkeit. Hier verliert die Zeit ihre Gewalt an die Ewigkeit, das Letzte in der Welt, der Tod, wird zu einem Vorletzten.

Dietrich Bonhoeffer

Wikipedia diskutiert Pascals Wette unter Anderem mit den ‚Kosten‘ des Glaubens. Dies wird allerdings wenig stichhaltig, wenn wir das Leben Lenya sehen, deren Gottvertrauen und Himmelshoffnung nicht nur ihr selbst ein erfülltes Leben gab, sondern die zur Hoffnung für ihre Eltern und andere Menschen wurde, die ihr begegneten.

Welche ‚Kosten‘ hatte Lenya für ihr Gottvertrauen? Viele Christen berichten über eine erfülltes Leben, dass sie gerade im Glauben haben. Da sollte es doch für Menschen, die nicht von einer schrecklichen Krankheit bedroht werden um so leichter fallen, sich Gott anzuvertrauen.

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