Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit; denn sie sollen satt werden.
Matthäus 5,6
Einige werden die leuchtenden Augen der Hoffnung bekommen, wenn sie diese Zusage Jesus lesen. Bei anderen überwiegt Skepsis und Verbitterung: Auf dieser Welt siegt die Gerechtigkeit nur gelegentlich, oft eben nicht! Kann in einem kommenden Himmel die Gerechtigkeit siegen? Das glauben sie nicht.
Alle aber haben eine Vorstellung von Gerechtigkeit, aber je mehr sie darüber nachdenken, um so mehr zerrinnt die Vorstellung zwischen den Fingern wie Sand. Was ist das eigentlich – Gerechtigkeit? Will ich die wirklich? Und wie passt das zum Verlangen nach Gnade?
Lassen sie uns gemeinsam darüber nachdenken. Meine Gedanken können vielleicht Anregungen geben und helfen. Aber wichtiger ist, was Sie denken und was das für Ihr Leben bedeutet. Ganz egal, ob sie das für ein philosophischen Essay oder eine christliche Predigt halten, es ist ihr Leben, Ihre Hoffnung und Ihr Glaube, um das es letztlich geht.
Ist das Empfinden der Gerechtigkeit bereits die Gerechtigkeit selbst? Ist Gerechtigkeit subjektiv und für jeden etwas anderes? Oder gibt es einen Kern der Gerechtigkeit, der von allen Menschen über alle Zeitalter und Kulturen erkannt wird? Sicher gibt es in den Details manche Unterschiede, aber sind diese wesentlich? Oder sind mehr die Gemeinsamkeiten wesentlich?
Gemeinhin gilt, dass es keinen Zwang in der Natur oder der biologischen Herkunft zu einer wie auch immer gearteten Gerechtigkeit gibt. Gerechtigkeit ist nicht natürlich. Oft wird das Ausbilden von sozialen Gemeinschaften in den unterschiedlichen Gesellschaften als Grund zum verfestigen von Regeln des Zusammenlebens führte, die dann in ein Gerechtigkeitsempfinden kondensierte. Dieser Ansatz bleibt aber beliebig, denn wer ein anderes Gerechtigkeitsempfinden hat, kann sich auf eine andere persönliche Geschichte berufen. Zudem ändern sich die Regeln immer wieder, was Gerechtigkeit zu einer zufälligen Sache verkommen ließe.
Wir gehen dagegen von einem übergeordneten Absolutum der Gerechtigkeit aus, die nicht vom individuellen Denken und Empfinden abhängt, auch nicht von der jeweiligen Gesellschaft.
Basieren die Unterschiede im Gerechtigkeitsempfinden auf Irrtümern zur universellen Gerechtigkeit und dem Mangel, diese zweifelsfrei zu erkennen?
Wenn Gerechtigkeit etwas Subjektives wäre, dass vor allem durch die Kultur geprägt wäre, wäre sie dann nicht nur eine bedeutungslose Illusion? Wenn ich das eine für gerecht halte, der andere aber das Gegenteil … wie soll es dann eine Vermittlung oder Autorität geben? Dann hätte ja jeder recht, aber es wäre bedeutungslos. Wenn Gerechtigkeit nur das wäre, was in einem Staatswesen zu kodifiziertem Recht gerinnt, woher kommt dann die Autorität … vor allem, wenn dieses Recht radikal verändert wird? Und was gibt uns dann das Recht, andere als ungerecht zu verurteilen, sie Verbrecher zu nennen? Kann es dann noch einen Unrechtsstaat geben?
Auch der Bezug auf überstaatliche Rechtsnormen wie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR), die aber nicht im Absoluten verankert sind, kann nicht hinreichenden Grund legen. Denn zuweilen werden die AEMR wegen einer behaupteten kulturellen Gebundenheit nicht anerkannt. Die AEMR deckt auch nicht alle Fragen der Gerechtigkeit ab.
Aus all diesen Fragen kristallisiert sich die Antwort heraus: Gerechtigkeit ist größer als ein Gefühl und letztlich auch jedem Volk und jeder Kultur übergeordnet. Sie steht unter der objektiven Ethik, die aber von Menschen und Kulturen nur unvollständig erkannt werden kann. Die Vorstellung der Gerechtigkeit kann aber jenem Ideal der objektiven Gerechtigkeit nahe kommen. Darum rangen stets die Gesetzgeber, Richter, Philosophen und letztlich jeder Mensch. Darauf beruht das Vertrauen der Menschen in solche, die ein besseres Verständnis der Gerechtigkeit haben als sie selbst. Aber obwohl die Gerechtigkeit als absolut angesehen wird, kann sie doch nur unvollständig und irrtumsbehaftet erkannt werden.
Für Gottgläubige ist das Wesen der Gerechtigkeit eng mit dem Sein Gottes verbunden. So kann der Anspruch einer universellen Gerechtigkeit, nach der es die Menschen dürstet, verstanden werden: Gott als Ausdruck jener unbedingten Gerechtigkeit.
Nicht wenige Menschen lehnen aber den Glauben an die Existenz Gottes radikal ab. Wie kann man dann aber von einer unbedingten Gerechtigkeit ausgehen? Es gibt kein Naturrecht außer dem Gesetz des Stärkeren und der Nützlichkeit – bezogen auf die Interessen der Rechtssubjekte. Dies führt allerdings in existenzielle Rechtfertigungsprobleme: Wenn es kein unbedingtes Recht gäbe, zerfällt jeder Gedanke nach der Gerechtigkeit in die Beliebigkeit. Im Wesentlichen hält Immanuel Kant dies auch in der Kritik der praktischen Vernunft (1788) als den moralischen Gottesbeweis, der entgegen aller weiteren Gottesbeweise zwingend sei.
Grundregeln
Daraus leiten sich die Regeln der Gerechtigkeit her, die meist auch für jene anschlussfähig sind, die anderer Ansicht über das Wesen der Gerechtigkeit sind:
- Gerechtigkeit kann nicht Partikularinteressen unterworfen sein. Wo dies ist, ist keine Gerechtigkeit, sondern Willkür.
- Die Gleichheit vor dem Gesetz ist Kern der Gerechtigkeit.
- Es ist von niemanden etwas zu fordern, dass er nicht erbringen kann.
- Jeder Mensch ist Träger unveräußerlicher Menschenrechte. Die Würde des Menschen ist unantastbar.
- Freiheit und Unversehrtheit sind Kern der Menschenrechte. Diese erfahren nur dort ihre Grenzen, wo die Rechte Dritter deutlich verletzt werden.
- Gerechtigkeit ist im Widerspruch zur Willkür, die letztlich jede Gerechtigkeit außer Kraft setzt.
Darüber hinaus unterliegt jeder Mensch auch Pflichten.
In jedem sozialen Verbund hat das Individuum seinen Beitrag zu leisten. Er muss den Anforderungen gerecht werden. Das geht weit über die Beachtung des kodifizierten Rechts hinaus. Aber es ist auch die Frage der Gerechtigkeit, was von einem Individuum gefordert werden kann und wo die Forderungen der Gruppe die Gerechtigkeit verletzen.
Gottes Gerechtigkeit
Viele Menschen weltweit sind der Überzeugung, dass sie Schöpfung eines Gottes sind. Daraus leitet sich auch eine Verpflichtung gegenüber diesem Gott her. Dieser Verpflichtung nicht gerecht zu werden, nennen sie Sünde. In diesem Denken ist Gott das Maß der Gerechtigkeit, dem sich meine Vorstellung unterzuordnen hat. Aber wie können wir uns über die Forderungen diese Gottes gewiss sein? Immerhin glauben viele Menschen, dass es diesen Gott gar nicht gäbe. Zuweilen beurteilen sie Gott, den sie eben nicht für den Maßstab halten, nach ihrer Vorstellung von Gerechtigkeit. Sie sind sich dann meist nicht bewusst, dass sie implizit eine absolute Gerechtigkeit annehmen, die über Gott steht, und dass sie diese Gerechtigkeit irrtumsfrei erkannt haben.
Paulus weist auf ein Problem der Konsequenz der Gerechtigkeit auf, die keineswegs die Autorität einer Offenbarung bedarf.
Deshalb bist du nicht zu entschuldigen, Mensch, jeder, der da richtet; denn worin du den anderen richtest, verdammst du dich selbst; denn du, der du richtest, tust dasselbe.
Römerbrief 2,1
Die verschieden Glaubensgemeinschaften sehen in autoritativen Schriften die verbindlichen Verpflichtungen gegenüber Gott. Im Christentum ist das primär die Bibel, vor allem das Neue Testament. Offensichtlich wurden aber jene Anforderungen häufig unterschiedlich ausgelegt, zuweilen sogar gegensätzlich. Auch die unterschiedliche Priorisierung der Anforderungen kann das Ergebnis zur Unkenntlichkeit verändern. Folglich reicht es nicht aus, durch einen Verweis auf die Bibel den absoluten Garanten der Gerechtigkeit zu definieren.
Die Bibel sieht in dem Gesetz Gottes die Grundlage der Gerechtigkeit. Aber auch das ist aus Sicht des Paulus nicht exklusiv:
14 Denn wenn Nationen, die kein Gesetz haben, von Natur dem Gesetz entsprechend handeln, so sind diese, die kein Gesetz haben, sich selbst ein Gesetz. 15 Sie beweisen, dass das Werk des Gesetzes in ihren Herzen geschrieben ist, indem ihr Gewissen mit Zeugnis gibt und ihre Gedanken sich untereinander anklagen oder auch entschuldigen
Römer 2
Gott entlässt den Menschen eben nicht aus der Verantwortung, die Gerechtigkeit zu suchen und selbst darüber nachzudenken und umzusetzen. Es gibt kein Regelbuch, dass ohne weiteres Nachdenken einfach umzusetzen wäre.
Selbst die Bibel nicht, denn die vielen Beispiele der Geschichte zeigen, wie oft auch die Bibel missbraucht wurde, um die Ungerechtigkeit und Verbrechen zu rechtfertigen. Und das trifft nicht nur für ruchlose Menschen zu, denen nichts heilig ist, sondern auch jene Überzeugungstäter, die wirklich glaubten, das richtige zu tun.
Biblische Probleme mit der Gerechtigkeit
Mehr noch, die Bibel erscheint oftmals inkonsistent, wenn es um die Gerechtigkeit geht. Im Besonderen im Alten Testament passt einiges nicht zusammen. Zentral stehen die 10 Gebote, drin: Du sollst nicht töten.
Dagegen gibt es häufige Tötungsgebote. Bereits nach dem Empfang der 10 Gebote durch Mose entbrennt dieser im Zorn, als de Israeliten um das Goldene Kalb tanzen. Er fordert die Leute auf, sich gegenseitig zu erschlagen und zerbricht die Tafeln mit den 10 Geboten. Auch im weiteren Verlauf soll an mehreren Völkern der Bann vollstreckt werden, ein Genozid auch an Frauen und Kindern und dem Vieh.
Wie lässt sich das mit der postulierten Gerechtigkeit Gottes vereinbaren?
Evangelikale, die die gesamte Bibel für irrtumsfreie Offenbarung Gottes halten, sehen hier die Souveränität Gottes in der Macht, Ausnahmen von der Regel anzuordnen. Letztlich wird der Zweifel damit zugedeckt, dass das eingeschränkte Verständnis des Menschen dies nicht vollständig erklären kann.
Evangelikale und Liberale, die nicht die gesamte Bibel für irrtumsfreie Offenbarung Gottes halten, sehen hier Bruchstellen, die den Menschen zum kritischen Denken in der Suche nach Gerechtigkeit auffordern. Denn wenn auch Menschen und Völker so abgrundtief vom Guten entfernt sind, dass sie des Todes würdig wären, so könnte Gott als Richter dies natürlich auch geschehen lassen. Er hätte dazu keine Menschen als Helfer bedurft, dieses Urteil zu vollstrecken, die sich einer ungerechten Tat schuldig machen müssten.
Im Besonderen ist der Bruch der Gebote, die nach grausamer Willkür riechen, ungerecht, da das Neue Testament hier eine völlig andere Botschaft enthält.
Was ist nun das Ziel der Gerechtigkeit und der Verpflichtung des Menschen, der er gerecht werden soll? Im Besonderen wird das durch das Liebesgebot markiert.
Doppelgebot der Liebe
Jesus beschreibt den Kern der Anforderungen an jeden Menschen mit dem Verweis auf das Alte Testament / Tanach:
Das höchste Gebot ist das:
Markusevangelium 12,29-31
„Höre, Israel,
der Herr, unser Gott, ist der Herr allein,
und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben
von ganzem Herzen, von ganzer Seele,
von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft“ (5. Mose 6,4-5).
Das andre ist dies:
„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (3. Mose 19,18).
Es ist kein anderes Gebot größer als diese beiden.
Offensichtlich überfordert es jeden, dieses Gebot vollständig einzuhalten. Manche glauben gar, dass Liebe etwas sei, dass sie überfällt und sie diese gar nicht aus eigenem Entschluss erreichen könnten. Offensichtlich ist das nicht die Sicht der Bibel. Denn es kann keine Gerechtigkeit sein, von jemand etwas zu fordern, was er gar nicht erreichen kann. Liebe aus biblischer Sicht fängt mit dem Entschluss an, lieben zu wollen. Dennoch erreichen die Menschen nicht vollständig, diesen Geboten gerecht zu werden.
Es ermangelt demnach jedem Menschen die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt. Paulus entfaltet diesen Gedanken im Römerbrief:
… wir haben sowohl Juden als auch Griechen vorher beschuldigt, alle unter der Sünde zu sein, 10 wie geschrieben steht: »Da ist kein Gerechter, auch nicht einer; 11 da ist keiner, der verständig ist; da ist keiner, der Gott sucht. 12 Alle sind abgewichen, sie sind allesamt untauglich geworden; da ist keiner, der Gutes tut, da ist auch nicht einer.«
Römer 3
Das Dilemma der mangelnden Gerechtigkeit des Menschen, obwohl er doch von der Gerechtigkeit weiß, scheint zu einem unauflösbaren Widerspruch zu führen. Und da kommt der Gedanke der Gnade ins Spiel.
Was ist Gnade?
Hier wird unter Gnade eine Gunst oder Gabe verstanden, auf die kein Rechtsanspruch besteht. Denn die Gerechtigkeit fordert keineswegs, dass alle Menschen völlig gleich sein sollten, sondern nur, dass ihnen gleiche Rechte zustehen.
‚Gnade vor Recht ergehen lassen‘ ist im Kontext menschlicher Gerechtigkeit nicht notwendig ein Wiederspruch, denn menschliches Recht kann nicht vollständig alle Aspekte berücksichtigen. Die Begnadigung kann darum ein menschliches Urteil, das nicht der Gerechtigkeit gemäß ist, korrigieren.
Wenn aber Gott als gnädig beschrieben wird, so trifft diese Korrektur der Gerechtigkeit eben nicht zu. Denn Gottes Gerechtigkeit ist nicht an die Unzulänglichkeit menschlicher Gesetzgebung, mangelnder Sachkenntnis oder falschen Urteilen abhängig. Wollte Gott nun jenen, der nicht nur wegen einer fragwürdigen Bestimmung, sondern in voller Kenntnis der Gerechtigkeit schuldig ist, die Strafe erlassen, einen anderen aber unter gleichen Umständen die Strafe nicht erlassen, so wäre das Willkür und ein Bruch der Gerechtigkeit. Letztlich würde die Gerechtigkeit ausgehebelt und eben keineswegs mehr das, wonach die Menschen dürsten.
Wenn aber Gott selbst nicht nur die Gerechtigkeit erfunden hätte, sondern selbst eben jene Gerechtigkeit verkörpert, die durch die Gnade gerade für nichtig erklärt würde, so führt dies zu einem Wiederspruch. Ein souveräner Gott könnte natürlich nach eigenem Ermessen handeln, aber er würde keineswegs mehr die Gerechtigkeit repräsentieren, sondern die Willkür.
Der Sünde Sold ist der Tod
Die Bibel spricht von Sünde, wenn die Menschen der Gerechtigkeit nicht entsprechen. Die biblischen Bilder sprechen vom jüngsten Tag, an dem sich die Menschen für ihre Taten verantworten müssen und das gerechte Urteil empfangen. Somit kann die himmlische Gerechtigkeit als das Unrecht, dass auf Erden unübersehbar ist, heilen. Die Konsequenz aber wäre vernichtend, denn kein Mensch könnt da bestehen. Selbst die Besten haben ihre dunklen Seiten.
Gerechtigkeit fordert Sühne. Vergleichbar mit monetärer Schuld muss das Konto wieder ausgeglichen werden. Ein willkürlicher Schuldenerlass würde der Gerechtigkeit nicht genügen.
Wie kann Gott unter diesem Sachverhalt zugleich gnädig und gerecht sein? Die Lösung liegt gemäß dem Evangelium darin, dass Gott selbst Mensch wurde und diese Schuld aller Menschen auf sich genommen hat und dafür starb. Damit wird die Schuld beglichen. Die Gnade ist nun, dass die Menschen an diesem Opfer Gottes teilhaben können und somit bei intakter Gerechtigkeit der Konsequenz des Todes entgehen können.
20 Denn als ihr Knechte der Sünde wart, da wart ihr frei von der Gerechtigkeit. 21 Was hattet ihr nun damals für Frucht? Früchte, derer ihr euch jetzt schämt; denn ihr Ende ist der Tod. 22 Nun aber, da ihr von der Sünde frei und Gottes Knechte geworden seid, habt ihr darin eure Frucht, dass ihr heilig werdet; das Ende aber ist das ewige Leben. 23 Denn der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn.
Römer 6
Viele christliche Denker sahen in dieser Darstellung ein Problem des Verstehens im Besonderen für jene, die dem neutestamentlichen Denken fremd sind. Sie sehen darin vor allem eine bildhafte Darstellung, die unserem begrenzten Verständnis geschuldet ist, und die man sich selbst erschließen müsse. Manche denken Jahre darüber nach um den Zusammenhang zu verstehen und es nicht nur als Sammlung von Dogmen abzutun. Die Weltliteratur gibt vielfältig Zeugnis davon. Im Besonderen hat sich Dostojewski in mehreren Romanen damit auseinander gesetzt. Auch weist die Formulierung – ‚Der Sünde Sold ist der Tod‘ – nicht auf ein Gerichtsszenario, sondern auf eine zwingende Konsequenz.
C.S. Lewis versucht diese Sicht mit anderen Bildern zu ergänzen und somit das Verständnis zu erleichtern. In ‚Die große Scheidung‘ entwirft er die Vorstellung, dass dem Menschen der Zugang zum Himmel keineswegs durch äußere Kräfte oder einem Engel mit einem Flammenschwert versperrt ist, sondern dass die Menschen im Laufe ihres Lebens die Hölle und Tod in sich tragen und sie den Himmel weder ertragen können, noch wirklich zu schätzen wissen. Gerechtigkeit ist in diesem Sinn die unerbittliche Konsequenz, die den Mensch als Ergebnis ihrer Ungerechtigkeit entstellt. Gnade ist das Angebot und Hilfestellung, aus diese Fixierung zu entfliehen und zum wahren Leben in Gemeinschaft mit Gott und den anderen Erlösten durchzudringen, die Gott selbst durch seinen Sühnetod ermöglicht hat.
Lewis legt allerdings Wert auf die Feststellung, dass er dies nicht für eine neue Offenbarung und ein anderes Evangelium hält, sondern einen anderen Zugang zum gleichen Sachverhalt, ein anderes Bild, dass das Verständnis erleichtern soll.
In diesem Verständnis ist Gott vollständig gerecht und vollständig gnädig. Scheinbare Widersprüche werden damit in Gänze aufgelöst.
Und die Ungläubigen?
Viele verweigern sich jedem Gottesglauben, oder zumindest dem christlichen Glauben. Was ist mit ihnen? Naturalisten erwarten am Ende ihres Lebens das vollständige Ende ihrer Existenz, eine Art ewigen Schlaf. Zum einen ist das tröstlich, denn es braucht nicht die Gerechtigkeit zu fürchten, die Rechenschaft für ihr Leben fordert. Es ist aber auch hoffnungslos, denn es macht die irdischen Existenz sinnlos. Sie vergeht und nach Hunderten oder Millionen Jahren würde nichts mehr übrig sein von dem Leben. Es entzieht somit auch jeder Moral die Grundlage, Gut-Sein wäre ein bloßes Hobby, eine persönliche Präferenz ohne dauerhaft Begründung. Es gibt dann auch keine wirkliche Gerechtigkeit, denn auf Erden enden allzu viele Geschichten ohne Sühne. Und Gnade ist ein leerer Begriff.
Zwei Ansätze lassen an diesem trostlosen Szenario zweifeln. Einerseits ist da die Pascal’sche Wette. Sie geht von der Ungewissheit aus, ob es jenen Gott und die ausgleichende Gerechtigkeit real ist oder nicht. Bestünde jene Möglichkeit, dass Gott real ist, wäre das gottlose Leben in der Tat ein verlorenes Leben, das seinen Sinn verfehlt. Würde aber dies nicht zutreffen, hätte der Gläubige nichts verloren, denn er würde dessen nie gewahr, die Hoffnung würde ihm aber im Diesseits den Sinn verleihen, der ihnen Kraft und Hoffnung gibt.
Andererseits legt im Ansatz Lewis die Ansicht, dass der Mensch durch sein gottloses Leben sich selbst die Hölle bereitet. Da bedarf es keinen strafenden Gott, denn das Elend bereitet er sich selbst. Wäre das nicht Grund genug, nach einem Ausweg aus der Misere, nach der Gnade zu suchen?
Nun gibt es ja Menschen, die ein vorbildliches Leben führen und eine innere Erfüllung erfahren – auch ohne einen christlichen Gottesglauben. Sind jene dann der Lehre gemäß verdammt? Die Bibel kennt für jene keine Verheißung oder Versprechen, aber viele Stellen in der Bibel sagen, dass gelebte Liebe und gutes Verhalten sehr wohl ansehen bei Gott finden. Fraglos hoffen Christen auch auf die Gnade für jene, aber mangels Zusicherung wäre es fatal, sich darauf zu verlassen.
Buddhisten sehen in der irdischen Existenz vor allem das Leid, dem sie auch nicht durch den Tod entrinnen können. Nur das gute Leben vermag das Karma zu wenden und den Eingang ins Nirwana bereiten. Ähnlichkeiten mit dem christlichen Verständnis sind unübersehbar, jedoch unterscheiden sich Ausprägung und Ausrichtung. Im Gegensatz zum christlichen Gottesglauben, der dem Schöpfergott, der die Liebe ist, jene Ordnung und Plan zuweist, kann der Buddhist keine Erklärung für das So-Sein der natürlichen und geistigen Welt geben.