Es ist natürlich scharf abzulehnen, wenn Björn Höcke in der Dresdner Rede forderte, man müsse zur Erinnerungskultur der Naziverbrechen eine 180 Grad Wende machen, also das Gegenteil tun. Wohlwollend könnt man das jedoch für eine Überzeichnung halten und er lediglich sagen wollte, dass die bislang geübte Erinnerungskultur so nicht hilfreich ist. Man wird weder den damaligen Opfern, noch den heutigen Opfern gerecht, sondern man verklärt traumatische Ereignisse und zieht die falschen Lehren daraus. Das weitere Erinnern an die Geschichte, auch der persönlichen Erfahrungen und die eigene Familiengeschichte wird überschattet von diesem Trauma, das für manche identitätsstiftend sei. Fraglos ist es schwer, ein angemessenes Verhältnis der Erinnerungskultur des Holocausts, der sicher kein Vogelschiss ist, zu dem ‚Rest‘ der Geschichte zu gewinnen.
Hier lasse ich auch dieses Verhältnis offen, aber ich will hier genau einen Teil des Rests in den Fokus nehmen.
Meine Familiengeschichte ist sicher von geringen Interesse, immerhin bin ich keine Person öffentlichen Interesses. Die eigene Geschichte ist aber stets prägend, ob wir das nun mit Interesse verfolgen oder nicht. Wenn ich nun einiges von meiner Familie erzähle, dann weniger, um einfach soziale Neugier zu befriedigen oder mich selbst zu inszenieren, sondern um auf die persönliche Geschichte eines jeden Lesers zu verweisen. Mein Erinnern soll dazu anregen, das eigene Werden und Selbstverständnis zu reflektieren. Aber das benötigt zuweilen Hilfe und Beispiele.
Mütterlicherseits stammt meine Familie aus dem Sudetenland. Man hatte es in Olmütz als Brauereibesitzer zu etwas gebracht, der Krieg stürzte die Vertriebenen in existenzielle Nöte, aber sie schafften es und bauten sich im Westen eine neue Existenz auf. Wehmut empfinde ich, der ich nie Olmütz besuchte, nicht, aber die Generation der Großeltern sehr wohl. Da war Heimat verloren gegangen.
Auch väterlicherseits ist die Familiengeschichte ein Fluchtgeschichte, nun aber aus der Lausitz, genauer: Guben. Zu meiner Schande gestehe ich, dass ich an den Erzählungen der Großeltern, im Besonderen vom Krieg, nie großes Interesse entwickelt hatte. Heute bedauere ich es. Wenn ich mich auf Spurensuche begebe und frage, was die Vorfahren bewegte, was sie ausmachten, bekomme ich nur noch Bruchstücke, Fotos, aber auch die verblassen.
Werde ich auch ausgelöscht sein, wenn die Erinnerungen verblassen? Diese Vorstellung schreckt mich nicht, denn meine Hoffnung liegt weniger in einer persönlichen Ehrung oder dem Schicksal der Nachwelt. Als Christ sehe ich meine Zukunft in der Hand Gottes.
Im Hier und Heute will ich lediglich das meine dazu beitragen, dass die Nachfahren ihre Zukunft selbst gestalten können. Ob sich jemand meiner erinnert, ist unwichtig. Wichtig ist mir aber, das es eine Zukunft geben kann, und ich bin sehr zufrieden, dass ich 3 Kindern ein – vielleicht nicht ein guter – Vater sein kann. Und vielleicht werden es noch mehr als 3 Enkel. Es ist ein Geschenk, sein Leben aus dem Fluss der Vergangenheit in eine ungewisse Zukunft zu verstehen.
Dieses Grundverständnis ist vielen Zeitgenossen abhanden gekommen. Sie sorgen sich um die Erde, die sie durch radioaktiven Müll und menschengemachten Klimawandel bedroht sehen. Selbst haben sie keine Kinder und lehnen diese teilweise ab. Sie glauben, andere Menschen haben eh zu viele Kinder. Darum ‚verzichten‘ sie auf eigene Kinder. Es kümmert sie auch nicht, ob diese Kinder als religiös determinierte Zombies aufwachsen oder ihr eigenes Denken Fortbestand hat. Kulturell gesehen ist im Sein und Denken dieser Gutmenschen keine Zukunft, sondern suizidal. Eine intellektuelle Bankrotterklärung, dass nur ihre Ängste, die zudem weitgehend unbegründet sind, ihr Verhalten ausmachte. Wird sich jemand an diese Kinderlosen erinnern?
Was bedroht jene Zukunft? Und welche Zukunft soll es sein? Mir geht es nicht um ein biologisches Programm, die eigenen Gene zu vererben. Ich hätte keine Freude an Kindern, die sich zum Werkzeug des Bösen, der Geistlosigkeit oder einer menschenfeindlichen Ideologie machen lassen. Obwohl man das nie scher vorher wissen kann, und auch jene Kinder gerade die Entscheidungsfreiheit ja haben sollen, so ist mir nicht egal, was aus ihnen wird. Es geht nicht um das pure Überleben.
Natürlich kann das Leben der Menschheit ein jähes Ende haben, auch das steht nicht nur in der Bibel, sondern ist Gegenstand vieler Überlieferungen. Ob nun ein Atomkrieg, ein umfassender Wirtschaftszusammenbruch, ein Meteoriteneinschlag, eine Pandemie oder eine Klimaerwärmung oder Eiszeit großen Schaden anrichten, bleibt stets möglich, aber nichts davon fürchte ich wirklich. Ein Motiv der ‚… for Future‘-Bewegungen ist, dass jeder seinen Beitrag zum Guten zusteuern soll, um Katastrophen zu verhindern. Selbstredend sind die Ressourcen begrenzt, und man kann nicht mit vollem Einsatz jedes denkbare Szenario adressieren. Man muss darum eine Bedrohungsanalyse durchführen und die eigenen Handlungsmöglichkeiten bewerten. Mir erscheint der Klimawandel nicht sonderlich bedrohlich, aber eine globaler Wirtschaftszusammenbruch sehr wohl, der Verlust an Werten und eine Zeit der Geistlosigkeit.
Mein Erbe für die Nachkommen sind also weder Gene, doch besonderer Wohlstand oder sprühende Geisteblitze. Mein Erbe ist das Ererbte zu bewahren und auszubauen, einen Beitrag zu leisten in der Geschichte der Werte und so dem geschenkten Leben zu dienen.
Früher lebte ich noch mehr in der Gegenwart, eigentlich als ein geschichtsloser Mensch. Nun aber will ich mich erinnern, und nicht nur individuell. Weltereignisse und Katastrophen mögen mehr sein als die Leinwand, auf dem die Familiengeschichte gemalt ist. Für ein Leben sind aber tatsächlich noch viele andere Dinge, nicht nur die Familiengeschichte prägend.
Erinnern hat nicht nur mit der Vergangenheit zu tun, sondern legt die Basis für die Zukunft, den Wunsch nach Kontinuität. Erinnerung auf eine traumatische Phase der deutschen Geschichte zu reduzieren erscheint damit als grundfalsch. Es ist langweilig, stets und wiederholt versichern zu müssen, dass man diese Phase auch nicht ausklammert oder umdeutet. Geschichte ist mehr als nur der Chronist des Lebens, sondern wirf Licht als Identitätsstifter: Keine Zukunft ohne Herkunft.
Neben dieser Einbettung in den Zeitlauf tritt die Perspektive der Ewigkeit. Der Glaube an Gott, der einer völlig anderen Sphäre zugeordnet ist als der aktuelle Zeitlauf, steht orthogonal zum Geschichtsverständnis. Zwar wird dieser Gott auch wirksam in der Geschichte verstanden, aber seine Perspektive ist eine völlig andere. Geschichte verliert erst dann seine Bedeutung. Alles Leid und Katastrophen sind dann dem Vergessen bestimmt. Alle Freude und Liebe kostbar aufbewahrt.