Uns ist es fern geworden, zumindest auf bewusster Ebene, die Welt in Freund und Feind aufzuteilen. Faktisch werden auch in zivilen Gesellschaften Feindschaften gepflegt, aber moderne Konflikte werden oft subtiler als mit physischer Gewalt geführt. Aber die Ebene, in der ein Gegenargument als das Kampfmittel angesehen wird und der Diskurs das Schlachtfeld ist, wird oft verlassen. Es geht dann um ausgrenzen, um delegitimieren, die Cancel-Culture, den Rufmord, die Assoziation mit den Bösewichtern. Trotz des sich intellektuell gerierenden Stils wird aber selten das Thema Feinderkennung, Feindbild und seine Berechtigung diskutieren. Bestenfalls in selbstverständlicher Ablehnung: Man pflegt doch keine Feindbilder! Offensichtlich faktisch sehr wohl, aber eben nicht explizit.
Uns begegnet steigende Gewalt in verschiedenen Formen. In einer anwachsenden Messerkriminalität, sexuellen Attacken und Terrorismus. Diese gehen überwiegend von Zuwanderern aus unserer Mitte aus, die kulturfremd ihre eigene Kultur der Gewalt mitbringen. Das Erschrecken darüber verstört: Warum ist das so? Was treibt diese Menschen, uns nahezu Wehrlosen anzugreifen? Alexander Meschnig liefert hier eine beachtliche Analyse.
Mit seiner Feindschaft zwingt mich der Feind, mir Rechenschaft darüber abzugeben, warum ich Opfer bringen soll, um diese Identität zu verteidigen, warum es lohnen soll, der zu sein, der ich bleiben und werden will.
Egon Flaig
Dieser Schritt, den Flaig hier geht, scheint offensichtlich, indes, er wird oft nicht getan. Auch Meschnig hat einen anderen Fokus in seinem Essay ‚Die Rückkehr des Feindes‘
Frankreich, das zweifellos die Blaupause für die kommenden Entwicklungen in Deutschland ist, befindet sich seit der Ermordung des Lehrers Samuel Paty und dem Dreifachmord in der Kathedrale Notre-Dame in Nizza, durch einen erst am 20. September von Lampedusa eingereisten Tunesier, im Ausnahmezustand. Präsident Macron hat dem Islamismus den Kampf angesagt, Frankreich ist seit einigen Wochen, lange Zeit uneingestanden, in einer Art Kriegszustand, der den Begriff des Feindes impliziert. Was aber, wenn es diesen Begriff, wie hier in Deutschland, nicht mehr geben darf, weil er moralisch geächtet wird? Das bedeutet im Endeffekt, den Konflikt zwischen einer fanatisierten Religion und einer säkularen Ordnung nicht mehr denken zu können, unvorbereitet und unfähig zu sein, adäquat auf die islamistische Herausforderung zu antworten. Darüber hinaus markiert dieser Verlust aber auch das Fehlen einer (politischen) Identität, derentwillen ein Kampf überhaupt geführt wird.
Alexander Meschnig
Der Mangel an einer bewussten eigenen Position ist vor allem im Diskurs um die Leitkultur deutlich geworden. Die Frage nach der Identität treibt aber jene, die hier in die scheinbare westliche Ordnung brachial einbrechen und deren Schwäche offenbaren. Die Frage stellt sich: Wer ist hier der Feind? Sind es die bösen entwurzelten Menschen, die ihre eigene Macht durch die ausgeübte Gewalt entdecken? Sind es die Verhältnisse, die diese zu Feinden macht? Sind es Mängel einer Willkommenskultur, die die Spannungen nicht abbaut? Oder es die fanatisierende Ideologie des Islams? Meschnig fokussiert sich auf das Hauptmotiv der Identitätssuche.
Der fundamentale Unterschied ist hier zwischen Menschen und einer mehr oder minder anonymen Macht zu treffen.
Rechte Wange, linke Wange
Der Mensch als Feind hat in der Tat eine bedrohliche Position. Es gilt, diesen durch ein falsches Appeasement nicht weiter zu stärken. Deeskalationsstrategien sind dann vorzüglich, wenn sie erfolgreich sind oder zumindest ein gute Aussicht auf Erfolg haben.
Jesus fordert auf, die andere Wange hinzuhalten, wenn man auf die eine Wange geschlagen wird. Warum tut er das? Mit welchem Ziel? Sicher, um eine Eskalation mit ungewissem Ausgang zu vermeiden. Doch wie reagiert der Gegner? Wird er sich der Fruchtlosigkeit seiner Gewalttat bewusst und beendet er seine Aggression? Dann war es sich den Schritt wert und die richtige Taktik. Was aber, wenn er um so härter zuschlägt? Wenn er die ihm zugestandene Macht skrupellos ausnutzt? Es kann wohl kaum im Interesse Jesus gelegen haben, von seinen Nachfolgern sinnlose Ofer zu verlangen, die zudem das Böse befördern und ermächtigen.
Ich denke, dass es durchaus im Sinne Jesus ist, über ein flexibles Handlungsrepertoire zu verfügen, dass die Deeskalation, als auch die Wehrhaftigkeit – situationsbedingt – einschließt. Verschärft wird dies durch die Möglichkeit, dass nicht nur das eigene Leben zur Disposition steht, sondern auch das von Schutzbefohlenen. Wichtig ist nicht nur das Ziel, sondern auch die Aussicht auf Zielerreichung. Dies soll keineswegs ein Hebel sein, um die Aufforderung zur Deeskalation beliebig außer Kraft zu setzen.
Aber über all dem Ziel, größeres Unheil zu vermeiden, rückt Jesus den Menschen als Feind in den Mittelpunkt, wenn er auffordert, den Feind zu lieben. Liebe heißt hier, das Beste für den Geliebten zu suchen. Es heißt nicht, ihm widerstandslos zu Willen zu sein, denn auch das verwöhnte Kind ist nicht das Ergebnis der größten Liebe. Die Feindesliebe schließt aber aus, den Gegner zu dämonisieren, sondern ihn als Mensch zu sehen, der vielleicht Opfer der Verführung wurde. Der Mensch kann sich selbst entmenschlichen, wenn er zum Diener des Bösen wird, doch wie weit dieser Prozess vorangeschritten ist, kann man als Dritter nie sicher erkennen.
Dem Böse, nun personalisiert als Satan oder Teufel, oder unpersönlich als destruktive Kraft, zerstörerische Struktur oder Ideologie, gebührt kein Respekt, und schon gar nicht Liebe. Der Feind als Mensch ist mit diesem aber nicht identisch. Das Beste für jenen wäre, aus dem Dienst für das Böse auszutreten und den Weg zurück zu Gott zu finden.
Der Mensch als Feind
Jesus macht den Feind, wenn er diesen als solchen erkennt, nicht zum Nicht-Feind. Er bleibt – zunächst – Feind. Daraus erwachsen mehrere Aspekte. Zum einen der Umgang mit der Bedrohung. Hier ist das Ziel, schlimmeres zu verhindern.
Wenn der Feind aber zum Du, zum Geliebten wird, der auch von Gott erschaffen Mit-Menschen wurde, dann erschöpfen sich die Formen der Reaktion auf die Bedrohung durch den Feind nicht auf die Gefahrenabwehr, machen diese aber auch nicht unwichtig. Die Dämonisierung des Feindes ist dagegen eine häufig gebrauchtes Muster. Er ist dann bereits entmenschlicht, und Gegenstand grenzenlosen Hasses, der keine moralischen Schranken, auch keine Fairness verdient. Über die Gefahrenabwehr hinaus ist der Gedanke der Rache für echtes und vermeintliches Unrecht Motiv, den Feind zu vernichten. Bedauerlicher Weise ist es der oben genannte Islam, der eine Dämonisierung des Feindes, die Ungläubigen, die Juden, bereits in seinen Grundschriften unbegrenzt voran treibt. Das mag bis zu einem Punkt verständlich zu sein, um die Wehrbereitschaft zu maximieren. Aber zumeist führt diese Haltung in eine fatale Spirale der Eskalation. Denn auch dem Feind wird – oft nicht zu unrecht – eine ähnliche Einstellung uns gegenüber unterstellt. Nicht zuletzt darum, weil diese Haltung keine Grenze, Versöhnung, Vergebung und Frieden kennt. Es ist etwas, dass die eigene Seite durch den überbordenden Hass zerstört, uns selbst zum Werkzeug des Bösen werden lässt. Das Ziel, ein erfülltes Leben ohne Bedrohung, wird damit immer mehr zur Illusion.
Die möglichen Haltungen gegenüber dem Feind gleichen damit einer Gratwanderung, einem Weg zwischen Skylla und Charybdis. Eine Verharmlosung des Feindes, die allzu berechtigte Angst vor der Bedrohung zur irrationalen Phobie zu erklären, senkte die Bereitschaft zur Gegenwehr und liefert uns schutzlos jenem Feind aus, der diese Haltung keineswegs respektiert und ebenso deeskaliert, sondern dankbar als Munition und Einladung zum Tanz versteht. In diesem Sinn ist auch jener Feind, der gar kein Interesse an uns selber hat, der aber seine Interessen ungeachtet unserer Interessen durchsetzen will, die in unvereinbaren Konflikt stehen. Dies führt im öffentlichen Diskurs oft zur Negation eigener Interessen. Es gilt fortan nicht mehr als legitim, selbst leben und in Frieden das Eigene bewahren zu wollen. Der Frieden ist dann eben die Verleugnung des Eigeninteresses, bis hin zur Selbstvernichtung. Diese schreckliche Konsequenz wird oft aber ignoriert. Zuweilen wird sie begründet mit einer vermeintlichen Schuld und Sühne, die in nichts weniger als dem eigenen Untergang bestehen kann.
Die Gegenseite, die unbeschränkte Durchsetzung des Eigeninteresses durch eine Dämonisierung des Feindes, den es radikal zu vernichten gilt, kann aber ebenso wenig eine anstrebenswerte Lösung sein. Nicht selten wird aus realen Bedrohungen eine Verschiebung zu vermeintlichen Feinden, um die inneren Mechanismen des Kampfes zu nutzen. Eine Eigendynamik, die aus den freigesetzten Kräften des Hasses folgt, ist wie das Ergebnis des Zauberlehrlings, der die Kräfte, die er rief, nicht beherrschen kann.
Eine Koexistenz, die den Charakter des Interessengegensatzes erkennt und einen fairen Ausgleich sucht, ohne sich der Bedrohung Preis zu geben, erscheint dagegen sehr schwierig. Wie kann ich jenen Feind lieben, der mich vernichten will?
Ender’s Game
Der nachdenkliche Roman von Orson Scott Card wurde in beeindruckender Weise verfilmt. Hier wird gerade das Thema des Feindes durchdacht. In der Tat ist der Feind hier noch nicht einmal ein Mensch, sondern insektoide Außerirdische, die eine reale Bedrohung der Menschheit darstellen und die Dämonisierung des Feindes noch naheliegender gemacht. Die Haltung, den Feind ohne dominierenden Hass zu bekämpfen, nicht auf Emotionen zu bauen, sondern die Bedrohung durch kühles Kalkül zu eliminieren, wurde ausgearbeitet. Dennoch wurde die grenzenlose Strategie, die in der Vernichtung des Feindes mündete, keineswegs gerechtfertigt, sondern als Pyrrhussieg erkannt:
Ein Pyrrhussieg ist ein zu teuer erkaufter Erfolg. Im ursprünglichen Sinne geht der Sieger aus dem Konflikt ähnlich geschwächt hervor wie ein Besiegter und kann auf dem Sieg nicht aufbauen.[1] Der Ausdruck geht auf König Pyrrhos I. von Epirus zurück. Dieser soll nach seinem Sieg über die Römer in der Schlacht bei Asculum in Süditalien 279 v. Chr. einem Vertrauten gesagt haben: „Wenn wir die Römer in einer weiteren Schlacht besiegen, werden wir gänzlich verloren sein!“
Wikipedia
Vordergründig war die Vernichtung des Feindes ein Erfolg, jedoch führte das ethische Dilemma zu einen kaum zu heilenden inneren Schaden der Verrohung und Bruch des moralischen Selbstverständnisses. Aus dem berechtigten Eigeninteresse des Überlebens wurde der Tod einer ganzen Lebensform. Aber eine Lösung dieses Dilemmas ist auch in dem Roman nicht erkennbar, schon gar nicht als ein Kochbuch-Rezept.
Kampf gegen den wahren Feind
Wenn also der reale, menschliche Feind differenziert als Opfer von schlimmen Umständen oder Propaganda erkannt wird, gleichwohl aber eine ernste Bedrohung darstellen kann, lässt nach dem Wesen der Feindschaft fragen. Sind es nur schlichte Interessengegensätze zwischen Parteien, die sich zum Konflikt ausweiten? Oder steckt mehr dahinter? Gibt es das Böse, dass eine perfide Bedrohung hinter der offensichtlichen direkten Bedrohung ausmacht?
Die Frage nach dem Bösen, die über eine rationale Interessenvertretung hinaus, die ja zumeist in einem fairen Ausgleichsprozess gelöst werden könnte, inhärent zerstörerisch ist und für das Tod, Leid und Vernichtung das Ziel zu sein scheint, ist Gegenstand vieler Überlegungen. Der Teufel als personifizierte Kraft, die das Böse schafft und repräsentiert, ist allzu bekannt, zuweilen aber als Erklärung aus der Mode gekommen. Auch in der Theologie gibt es zuweilen die Ansicht, dass das Böse die Abwesenheit des Guten sei, vertreten von Thomas von Aquin. Angesichts der destruktiven Kraft des Bösens, des Willens zur Vernichtung und zum Tod, kann diese Erklärung trotz eines gewissen Charmes nicht überzeugen. Die reine Boshaftigkeit, die kaum noch durch Eigeninteressen und Abwehr von Bedrohungen erklärt werden kann, nimmt wunder.
Die Ansicht von Leibnitz, dass das Übel eben notwendig sei, um dem Guten zur Erkenntnis und Sieg zu verhelfen und uns auch unter Leid zu formen, weist dem Übel, und damit auch dem Bösen, seinen Ursprung in Gott zu. Trotz des Übels in der Welt leben wir in der besten aller möglichen Welten. Dies ist sicher schwer verdaulich und rechtfertigt keineswegs das Böse, das uns in eine Polarisierung nötigt: Wollen wir uns dem Bösen ergeben, seine Kraft nutzen und sein Diener sein? Oder wollen wir dem Bösen widerstehen, und dazu gegebenenfalls hohe Opfer bringen?
Als Symbol für das Böse gilt der Teufel oder Satan. Es ist dabei unerheblich, ob man diesen als Chiffre eines abstrakten Bösen versteht oder an die reale Existenz eines personalen Agenten denkt. Auch Menschen, die wenig von einem realen Satan halten, verwenden das Symbol:
Als Verehrer und heimlicher Erbschleicher Joseph de Maistres, welcher bekanntlich in den Jakobinern Agenten des Teufels erblickte – und welcher Nicht-Satanist würde ihm da widersprechen? –, betrachte ich die derzeit von der bekannten Allianz ins Werk gesetzte Zerstörung der westlichen Zivilisation als Teufelswerk, worüber ich hier ja regelmäßig schreibe. Diabolos ist der Verwirrer – seine irdischen Eiferer greifen alles an und werfen alles durcheinander, was Menschen trägt und ihnen Halt gibt: Geschlecht, Familie, Identität, Kulturen, Nationen, Traditionen, Institutionen, inzwischen sogar die („weißengemachten“) Naturgesetze. Der Antichrist, heißt es, werde an der Rhetorik von Friede, Freude, Eierkuchen und Menschenrechten zu erkennen sein – seine irdischen Diener offenbaren sich damit sekündlich.
Michael Klonovsky
Ob nun Leibhaftig oder nicht: Die unsichtbare Macht des Bösen, die sich zuweilen äußerst brutal offenbart, erschreckt.
12 Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, mit den Herren der Welt, die über diese Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel. 13 Deshalb ergreift die Waffenrüstung Gottes, damit ihr an dem bösen Tag Widerstand leisten und alles überwinden und das Feld behalten könnt.
Epheser 6
So wie auch Jesus nicht Friede, Freude, Eierkuchen verkündet, sondern einen Konflikt und Kampf, spricht auch Paulus in einer martialischen Rhetorik. Allerdings macht er darin völlig klar, dass der Kampf sich nicht gegen Menschen richtet. Jesu Reich ist nicht von dieser Welt. Im Gegensatz dazu fordert der Koran den physischen Kampf gegen Menschen. Es ist darum eben nicht gleich was Religionen sagen, sondern oft maximal gegensätzlich.
Paulus weist in der Dramatik auf die eigentliche Bedrohung, auf den wahren Feind. Diesen gilt es zu erkennen und ihm die Stirn zu bieten. Paulus sagt hier nichts zu den Mitteln, wie man den irdischen Helfershelfern begegnen sollte. Aus dem Gesamtzeugnis des NT ist zum einen die Friedfertigkeit und Deeskalation zu entnehmen, zum anderen die Entschlossenheit, dem Bösen keinen Vorschub zu leisten. Viele sahen darin durchaus die Rechtfertigung, auch Gewaltmittel einzusetzen und die gebotene Friedfertigkeit nicht als oberstes Ziel zu erkennen. Aber auch die Folgen des eigenen Tuns sind zu bedenken. Der gute Wille allein ist nicht hinreichend. Die gebotene Feindesliebe, die sich auf den Menschen bezieht, hofft, den Menschen im Feind gewinnen zu können.
Wenn von Geistern und Mächten die Rede ist, dann denken nicht wenige an den Zeitgeist und üble Ideologien, die den Menschen zum Bösen treiben. Und hier gilt es wachsam sein und die Geister zu unterscheiden. Es gilt zum einen, die Ideologien zu erkennen, aber diese deutlich von den Menschen zu trennen, die sie vertreten. Es ist darum fatal, eine Islamkritik als Feindschaft gegen Moslems, zu titulieren und überall von Rassismus und Phobien zu faseln, wenn es um einen geistigen Kampf gegen das ‚unsichtbare‘ Böse geht, das eben nicht zuerst in Fleisch und Blut auftritt.
Zeitgeist und Ideologie als den wahren Feind zu erkennen sind viele nicht bereit. Indes gibt es Propheten, die hier sehr hellsichtig waren. So Hannah Arendt (1951):