Der Begriff der Rache ist in unserer Kultur zumeist negativ konnotiert, als eine archaische Leidenschaft, die eingedämmt werden muss. Recht hingegen gilt als positive Leitschnur der Moral. Darum ist auch von Gewalttätigkeiten Abstand zu nehmen, denn der Staat hat mittels dem Recht das Gewaltmonopol. Soweit eine zentrale Vorstellung.
Dies alles bedarf der Reflektion und geschichtlichen Herleitungen. Im Besonderen, da die Rechtsstaatlichkeit immer fragwürdiger wird und der Staat den Schutz vor fremder Gewalt immer weniger sicherstellt. Nicht zuletzt stehen dies Begriffe in enger Beziehung zur christlichen Ethik.
Archaische Verhältnisse
In Vorzeiten gab es zunächst kein kodifiziertes Recht und keine Instanzen, die neutral Recht sprechen konnten. In Kleingruppen und Sippen musste eine Ordnung hergestellt werden, die das Zusammenleben der Menschen auch in Konfliktfällen regelt. Schnell bildete sich eine Vorstellung heraus, dass jedes Mitglied der Gruppe und die Gruppen Rechte trugen. Die gegenseitige Achtung der Rechte Dritter ermöglichte ein arbeitsteiliges Zusammenleben. Selbstverständlich gab es schon früh jene, die diese Rechte missachteten, oder Dritten Schaden auch ohne Intention zufügten. Die Geschädigten oder deren Vertreter nahmen darauf das Recht in Anspruch, sich an dem Schädiger Schadlos zu halten. Sollte ein materieller Austausch nicht möglich sein, wurde die Rache zum Ausdruck des Rechtsverständnisses. Dies konnte dann Ausbruch von Blutrache, Kriegen und Generationen übergreifenden Fehden führen.
Aber ein Funktion der Rache blieb auch bis Heute beachtenswert: Die Rache schreckte den Schädiger ab, die Rechte Dritter leichtfertig zu verletzen. Wenn es nicht Einsicht war, so hinderte die nicht unbegründete Furcht vor Rache viele Verbrechen.
Der Mangel an Machtgleichheit, Unparteilichkeit und divergierenden Rechtsvorstellungen führte zu unbefriedigenden Verhältnissen. Die erstarkende Staatlichkeit führte schließlich zu kodifiziertem Recht, Ordnungskräfte und dem Amt unparteiischer Richter. Diese sollten die Rechte der einzelnen Menschen und Gruppen sichern. An Stelle der Rache trat die Strafe durch das Rechtssystems, die die Funktion der Sühne erfüllen sollte.
An Stelle persönlicher Rache trat dann die Ordnung des Gesetzes. Fortan wurde die persönliche Rache als schädlich erachtet, denn sie bedrohte das Ordnungsgefüge. Dem Staat oblag das Gewaltmonopol. Dies setzte voraus, dass das Rechtssystem und die Strafbewehrung als hinreichend gerecht und funktional empfunden wurden. Dort, wo dies nicht der Fall war, wird bis in die heutige Zeit der Wunsch und die Durchführung der Rache beobachtet.
Die Rache und das Recht sind beide auf die Idee der Gerechtigkeit bezogen. So wenig man sagen kann, dass staatlich vollstreckte Strafen a priori gerecht sind, so wenig kann man behaupten, dass Racheakte notwendigerweise ungerecht sind. Beide können sowohl gerecht als auch ungerecht sein. Der rechtstheoretische Mainstream hilft sich über die daraus entstehenden Fragen in der Regel dadurch hinweg, dass er jede exzessive Form der strafenden Vergeltung Rache nennt. Der Begriff der Strafe wird dann umgekehrt für das reserviert, was angemessen und gerecht erscheint.
Fabian Bernhardt
Sühne … was ist das?
Die Vorstellung, dass ein Vergehen und Rechtsbruch der Sühne bedarf, reicht bis in Vorzeiten. Ein Vergehen gen die Ordnung Gottes wurde als Sünde bezeichnet und bedurfte zur Sühne des Opfers. Denn eine Rechtsverletzung ist mit einem Akt der Vergebung allein oder dem Entzug vor Strafe eben nicht getilgt, sondern die Sündenlast bleibt auf dem Sünder. Verbrecher, die straffrei ausgehen, verletzen das Rechtsempfinden und nähren die Hoffnung potentieller weiterer Straftäter, folgenlos Rechte und Gesetze zu verletzen. Dies führt dann zu einem Verlust an Ordnung und Destabilisierung der Gesellschaft.
Sühne hat auch ein spirituelle Dimension. Der Sünder stellt sich außerhalb der Ordnung und geht in eine innere Exkommunikation. Wird das Verbrechen, bzw. die Sünde im Verborgenen behalten, kann es zu schwerwiegenden inneren Folgen führen. Ungesühnte Verbrechen mögen äußerlich folgenlos erscheinen, können jedoch zu tiefen inneren Konflikten führen. Im Besonderen, wenn der Sünder erkennt, dass er der Pflicht gegenüber Gott nicht nachgekommen ist. Die angemessene Sühne ist eine innere Notwendigkeit aus der Übertretung.
Recht und Durchsetzung
Die Nichtachtung des Rechtes macht die Verfolgung und Strafe erforderlich. Lange Zeit wurden drakonische Strafen darum als notwendig erachtet. In einigen Kulturen gibt es auch weiterhin die Todesstrafe, aber in vielen Staaten ist diese abgeschafft und wurde durch Freiheitsstrafen ersetzt. Zuweilen verhängen Gerichte aber sehr milde Strafen, die kaum noch abschreckend wirken und den Geschädigten oder Hinterbliebenen keineswegs als hinreichende Sühne erscheinen.
Dazu ist die Beachtung der Legislative, die Gesetze erlässt und den Rahmen für das Strafmaß vorgibt, ebenso wichtig wie de Strafverfolgung, die Straftaten aufdeckt und den Gerichten überführt, und der Rechtsprechung die jene in den Strafvollzug überführt. In jeder Instanz kann es zu unbefriedigenden Ergebnissen kommen. So kann die Ausfertigung von Gesetzen Lücken enthalten, die eine Verletzung des Rechtes auch grundsätzlich ungestraft lässt. Eine ineffektive oder bestechliche Strafverfolgung kann zur praktischen Straffreiheit führen. Eine unangemessene Rechtsprechung kann auch bei guten Gesetzen und effektiver Strafverfolgung zu unzureichenden Strafen führen.
Aktuell erleben wir eine Erosion des Rechtsstaates. Viele schwere Verbrechen, einschließlich Körperverletzung, Raub, Mord, Erpressung usw. bleiben aus dem einen oder anderen Grund ungesühnt. Manche Schwerstkriminelle werden wegen Überlastung der Gerichte ohne Urteil entlassen. Die Rate der Delikte steigt.
Zugleich werden Bagatelldelikte wie Beleidigungen mit drakonischer Härte mit Hausdurchsuchungen und hohen Geldstrafen geahndet. Das Vertrauen in den Schutz durch den Staat löst sich auf. Grundgesetzlich zugesicherte Rechte, wie den Schutz der Wohnung und der Meinungsfreiheit werden ausgehöhlt. Der Schutz vor Gewalttätern durch Ordnungskräften sinkt.
Gewaltverzicht und christlicher Glaube
Im Alten Testament wird die Rache positiv als Ausdruck des Rechtes verstanden, die jedoch nicht Menschen, sondern nur Gott zusteht.
35 Die Rache ist mein, ich will vergelten zur Zeit, da ihr Fuß gleitet; denn die Zeit ihres Unglücks ist nahe, und was über sie kommen soll, eilt herzu. 36 Denn der HERR wird seinem Volk Recht schaffen, und über seine Knechte wird er sich erbarmen.
5. Mose 32,35f
Bekannt, aber oft missverstanden, ist das Talionsprinzip
23 Entsteht ein dauernder Schaden, so sollst du geben Leben um Leben, 24 Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß,
2. Mose 21
Dieses archaische Prinzip ausgleichender Gerechtigkeit begrenzt zudem die Rache und wirkt einer Eskalationsspirale entgegen.
Die jüdische Bibelexegese sieht aber in der „Auge-um-Auge-und-Zahn-um-Zahn-Metapher“ eine Aufforderung oder gar eine Verpflichtung zur ausgleichenden Gerechtigkeit.
Das Talionsprinzip ist jedoch nicht mit der Spiegelstrafe zu verwechseln, die neben der Gleichheit des Schadens, den der Täter erleidet, auch an die Organe anknüpft, mit denen die Tat begangen wurde. Etwa das Abhacken der Diebeshand, wie sie in die Scharia einfloss und in fundamentalistischen islamischen Staaten wie Saudi-Arabien noch praktiziert wird.
Was bedeutet Talionsprinzip?
Für Christen ist allerdings der Kommentar Jesus dazu verbindlich:
38 Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« 39 Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Bösen, sondern: Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.
Matthäus 5
Klar erkennbar ist eine De-Eskalationsstrategie. Uneins ist sich die christliche Deutung über die Reichweite. Der Text sagt nur etwas zur initialen Aggression. Was aber, wenn diese Strategie nicht aufgeht und der Angreifer von seiner Aggression nicht Abstand nimmt? Würde der Angreifer dies nicht als Zeichen moralischer Stärke, sondern wehrloser Schwäche verstehen, so würde es gerade zu einer Eskalation führen, die eben nicht intendiert scheint. Somit hätte der Angreifer lediglich einen Versuch der Aggression frei, aber keinen weiteren.
Christliche Radikal-Pazifisten sahen den Verse eher von unbegrenzter Reichweite. Christliche Ritter offensichtlich nicht.
Weiter zur Feindesliebe:
43 Ihr habt gehört, dass gesagt ist: »Du sollst deinen Nächsten lieben« und deinen Feind hassen. 44 Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen,
Matthäus 5
Was heißt Feindesliebe? Offensichtlich nicht das propagandistische Dämonisieren des Feindes, sondern die Ansicht, dass auch der (menschliche) Feind ein Geschöpf Gottes ist und der Vergebung teilhaftig werden kann. Es heißt nicht, dass man sich nicht gegen jenen Feind verteidigen darf und diesen ggf. töten darf, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Den Feind zu respektieren und lieben heißt nicht, ihn in bösen Taten unbegrenzt gewähren zu lassen, aber ihn die Möglichkeit zur Versöhnung offen zu lassen.
Gewaltverzicht in heutigen Gesellschaften
Im Zeichen einer breiten Migrationsbewegung treffen immer häufiger Menschen völlig unterschiedlicher Prägungen aufeinander. Traditionelle kulturelle Prägungen und gesetzliche Rahmen verlieren darin an Bedeutung. Gerade unter Kindern und Jugendlichen sehen sich traditionell sozialisierte Menschen, die zum Gewaltverzicht erzogen wurden, mit Menschen aus Kulturen konfrontiert, die Gewaltbereitschaft positiv belohnt. Entsprechende Dynamiken der Einschüchterung führen oftmals zu Verdrängung.
Hier muss offen bleiben, wie das zu bewerten ist. Sollte diese Ungleichheit von Problemlösungsstrategien fortbestehen, wird die schwächer Kultur unter gehen. Ob aber einfache Adaption von Gewaltbereitschaft hier bessere Ergebnisse liefert, oder ob eine Segregation erforderlich sein könnte, ist zu diskutieren.